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Full text of "Wilhelm von Humboldt's gesammelte Werke"

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Wilhelm von Humboldt^s 



gesammelte Werke. 



Wierter UmmL 

« 




Berlin, 

gednidtt und ▼«rlegt bei G. Rdner. 

IM. 



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I 



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Seite 

Ueber Götbe's Herrmann und Dorothea . . . • 1 — 268 

( Aesthetische Versache. Erster Thcil. Braunachweig 

1799. 8. XX?L 360 S,) 
Einleitnng 1 

I. Wirkong dea Gedichts im Ganzen. — Es läfst einen rein 

«Hchterischen Kindruck, in dem Gcmüthe zurück . * . . . IS 

II. llaniitbegtandtlieile der dicliterisclien Wirkmig. — Plan 
dieser Beurtheilung im AUgemeinen lt> 

Hl. Einfachater Begriff der Konst ..«.,.>♦« « 17 

IV. Hohe der Wirkung^ za der die Kunst »ich erhebt. — Idea- 
lität. — Erster Begriff des Idealisciien , als des Nicht- 
Wirklichen 19 

V. Zweiter imd höherer Begriif des Idealkcheii, ab eine* Et- 
was, das alte Wirklichkeit übertrifft 21 

VI. Nothwendigkeit^ in der »ich jeder echte Künttler befindet, 
immer das Idealische zn eiTeichen 26 

Vfl. Nachahmung der Natar 25 

VIII. Zweiter Vorzug der Kunat in ihrer letzten Vollendung: 
Totalität. — Zwiefacher Weg, dieselbe zu erhalten . . . 27 

IX. Diese Totalitat ist allemal eine nothwendige Folge der 
vollkommenen Herrachaft der diohteriacbcn Einbildungskraft. 29 

X. Einfluis des Idealischen i» <ler Daratellung aut die Totalität. 32 

Xt. Uebersicht des ganaen Weges, welchen der Dichter von 

seinem uraprüngücheu Zweck bis an »einem höchsten Ziele 

zurücklegt 3H 

XII. Unteiiacheidung des holten und echten Styls in der Didit- 

kunst von dem Altnslyl in derselben ^ 

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Seil» 



Xm* Anwendung des Vorigen auf Uerrmann und Doro- 
thea. — Reine Objectiritüt dieies Gedidili. — Eni» 

Stufe deneiben . • 41 

JOf. Zmate Slnle der Objeetititil nnm.Cieaidito. — Ver- ' 

^midticheft leiiiet Style mit dem Stjl der Mldenden Kqnet. '4S 
XV. YerwmndtechKfl «Her Kentte unter emeader. — IN>ppeltee 
Veritiltnifa jedes Vlbi8t|MS/«iil' Xamit ubeidiaiiyt «ml tu 

M^ner beeondrea . . • • 46 

^^XVl. Mittel, wodnreh unser Biebter diese, der bildenden Kunst 

nalic kominondc, Ohjectivität erlangt 49 
N, XV 11. Erläuterung des Gesagten an der ^iiiidi^rung der Ge- * ' 

stalt Dorotbeens * Cj| 

^ XVIII. In wie fern inaclit unser Dicliter, bei setner Verwandt* 
^ Schaft mit- der bildenden Knnst, die beeo%dren Vorzüge der 
DicMkORst fettend ? • \ • \' , ' M 

XIX. Bigenthimiielie MMav der'INeMlUHNt, ib: einer nde»- 

dm Knnst 6# 

XX. Dtkte ona letite .Stnie der Oli^fitfi* dee GevBolMs . 6» 
^ XXI. Zwiefitehe Gnttung beschreibender Ciedieirte Iii tticksieht 

anf ihre grölsere oder gering^ere Objectifitil'« «rliotert 

an iiomer und Ariost ....... 66 

O XXII. Ilomfr verbindet die einseinen Theile seiner Dichtun- 
gen fester zu einem Ganzen . . . T 68 

XXIII. Ariost rechnet mehr auf den Effect, Homer wirkt stärker 
durch die reine Form 60 

XXIV. Colorit . ^ ... ^ .......... . 71 

XXV. Homer ist meiir aaif j Arioe^ melir sentimentaL Re- 
tvltat'der ganzen Ontoiaaehiraf .'.*..«.... 74 

XXVL Binllols dieser VerschiedenlMil beseHMbender Gediefafe 

anfm« Wahl der Venart 76 

V XXVII. Ztt welch'er jener beiden Oattongen nnaer IMehter ge- 
hört, beweist er durch die Zeiclinnng seiner Figuren . . 77 
XXVIII. Vergleicliung unsers DicJiters mit Homer in «lieseni 

Stück. — Beispiel an Claukus un<l Dioincdes Waüentausch 78 

^ XXIX. Sdiildcruog Herrmamis und Dorotüeens 81 

\ XXX. Reste Einführung Dorotheens dnrob Herrmamis Eraih- 



lang Ton ihr ^82 



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Seite 

XXXI. ScItiMerung der Jungfrau in ihrer Wirkung auf llerrmann. 84 V 

XXXII. Die Wirkung des MädcheM auf den Jungling ist nicht 
in einer unbestiinmtea Gfö^, fOiliiem in dem bvBiiMSleii 
Begriff «ter veUkonrnmeii AHguneMeBheil beiftor NMineii • 
gezdeltnet , \ - 87 

XXXiri. Dfliotiweiii e^nee BiMbeineii 91' \ 

XXXIV. finiÜilMig iMfoiMlim M«tltt de# Ji^^ 

^ der Dichter 4pit tliat, gerade dieiea^Zag'Mii iteen Lelien ^ 

herauszuheben? 02 \ 

XXXV. Düi uÜtet n^ Zusaiinnenkuntt liut Herrmann; — erst am 
BruAnen, dann auf dem Wege xn seinem ICItern .... ^ 

XXXVf. Eintritt der beiden Liebenden in das Zimmer der Kl— 

tern. — ]>orotbeens Benebne« im «wn Stthlqüi det Ge- \^ 
dichts. — , Anruf der Muse 99 

XXXVII. Knn» Vergtoiehiuig diejwr ScIulderBng ^t* dem Iii 
. Vorigen Geeagten. — Reine Otge^ttvilfil denellkM \ 
wie dea gteuen GedUhts . * » • , . I8O1 

XXXVni. Scidichte Einfalt and natnrUehe Wabrbelt unaiea 

Gedichts . |(m 

XXXIX. Die Verbindung reiner Objectivitüt mit einfacher W alir- 

heit macht dies Gedicht den Werken der Alten alinlicli . . IQJ 

XL. Verschiedenheit uasrcs Geiiiclits von den Alten. — Man- 
gel an sinnlichem Reichthnni 

XLI. Dieser Mangel an sinnliciiem Keichtlium zeigt aich auf- ' 

fallend in der Behandlung des ' Wandertiaren • • • & . J|4 

XLII. Der Unteraebieil dieaea Gedieliii irM dM Weite der 
Alten oiEmbnrt alek aber aseh in eben Ihm «igentbfha- 
lichen Vermig ' . 117 j 

XUn. Kriiateröng dei Voügen dopoh eiafge Mipiele uq ' 

XUV« Reicher Gehalt diem Gedieht* fnr den Geist und die 
' Empfindong. — Hi g e nth imgche Behandlung desselben . . 121 

XLV. Kigenthümlichkeit unsres Gedichts in der Verbindung 
dieses wahriiait modernen Gejialts mit jener echt antiken 
Form I 

XLVi. Vaterländischer Charakter unsres Dichters in seiner Ver- 
gleichnng mit den alten und den neneven Diclilem aüdier' 
Nationen geieigt 135 



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Seke 

XLVll. Kintiü(ii der gescliildcrten KigentliiuiiUdikeU de» Ge- 

^ «liclits aul die Totalwirkung de^Kclben 139 

NjtLVIII. Resultat«. — AUgemeiiu'i- Cliarakter unsres Diesters. 139 

XLIX. RediUertigung des bei der ^cUiHuig dieMt Charak- • 

. T' ten gewabl^en Ganges ; . . 141 

h* iaaQ|ktig«i^BUcl( auf flMT«bfilta^ii^de» eiuwalKtM j, 

LI. ZwIaMip bnttthtilnar «iM» ftoMiefM) • ' - . - / 145 
IfüL Epische pi(ohtii9c; W üobeitiilinlliieit /des gjMittirtWii» . 

BegtU£i:ilKn$tlbe« . ^U» . . T'- , , . • .'A . ; ' I4i>. 
LIII. Methode der Ableitung der Tenchiednen Diditungsarten. i > : Itt- 

LIV. Allgemeiner Charakter derEpopee. — Aas welcher Stirn- ' 
mung der Se«ltf das Beduriiiift tvr ' epiadien Diehtkujul < 

' ' kerfliertt? . . .. . . v > . . . i ' . . . ^' *' 149 

LV. ZiiiliHl''illi|c*iitfMKfie«^ 

«laaj» wmh&Mm^ . ISO 

.to»d« .... . . . . . . . .•■ v 188 

• • > 

LVII. Verbindung des Zustandes allgemeiner Beschauung mit 

./^ 

der Thatigkeit der diditerisdicn EinbildaiiaskTaft. : — Bnt- . 
-^'atehbng d«s epiaehen Gedidils . . ^ • ^ • t «. i • Im 
LTftr. HlgeBidiallaii*dis tetlAde« AUgemelaar Bes^oung 1&7 
LK. Eigenschaften der dichteria«heit Einbildujigs|ci9^}iii ^Be- 
ziehung auf jenen Zustand • . . . 159 

LX* In ^ti^/iy erbind ttng des Zustande^ allgemeiner Beschanung 
Iihil~jiiiitj4i^|-Tfr^'" testen der Form 

^1 1 nadi girt^i%^ ^kuMMler in W«[cbsel-.l »l 

LXII. Definition der Bpop^fc*-! i^.>ir> H(*twj»«a|^!|^^ IW 
' XLIII. ünfcersdiiüd /.wischen der Kpop©o ön4<<k»'|f^^ 
]y^JV. Die Tragödie erregt eine bestimmte Empfindung, W#fi^*»* 

ist daher lyrisch . . . . ' 173 
LXV. Worin bevteipidiAungsarten mit einander äbcBMOkom- 
, nent und woriii iü» ton «inander abweidi^lt^ür« it«u«<«j.. 17Ö 



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VII 

^ Seite 

IXyi, Wanuii clie'Wcrice der Alten vottugureite dne m grobe 

Ruhe hervorbriiig«iif . . » ; I7ft 

LXVII. ünterechieil swisdi«n 4ct K|M>|>e« mifl der Idylle. — 

Charakter der letzteren la liucksicht auf «iie Stimmung;, 

ans iler sie Iierfliefst 17^ 

XLVllI. CliarakCer der Iitylle in Rücksicht auf den Gegenstand, 

den sie scIiiUlert \ . 192 

LXIX.. Unterschied zwischen derEpQ^ nid niidtfa «RÜMnn- 

den, «her nicht ^Mschen Gedichte« 186 
LXX.^ DIeie Ckitttuif -ixitdiNibender GedltHte hat elMn b«- 
' . achiiakteMii 2yedi, als die Bpopee, nnd itobt Ulm Im didi- 

terischer l^^oUendiing nacb ...'..«« 188 

- LXXI. Biawnif geyra dl* Anmidnng des Begriffi der Kpopee ' 

auf das gegenwartige Gedieht Ml 

LXXII. Bcantwortang diesen Binwuris. — Begritt des He- 
roischen lAS 

LXXIIJ. Gewülmlicher Begriff der grofsen Kpopee. — Seiner 

Unbestirnmlheit angeachtet liegt ihm Wahrheit zum Grande. 194 
LXXIV. Beweis des Gesagten darch einBefs^iel ausderlUade. 198 
I.XXV. Jener nnbertioimte Begsiff .der Ep«pee wird bentaanl, , 

aobald man ibn auf iea des HetoiBchen lUriickfühtt . - 198 
|«XXVI. AnkSndiguBg den Gegenstandes and Amt der Mim ' 

in der Kpopee ■ 189 

tXXVlL Zwiefiuilie Gnltmig der Bpopee . 99^ 

LXXVIII. BigenthSmBche Gid&e des Gegenstondet uaMi 

Gedichts . 20ti 

LXXIX. Hauptthema des Gedichts 208 ~* 

LXXX. Gröfse in den darin au^etübi t^n Charakteren und 

Begebenheiten 210 

LXXXI. Resultat des Ganzen. ^ Bigentlicher StolT des Gedichts. 214 
LXXXU. Gesetne der Bpopee. Gesetz der höchsten Sinn- 

Uchkeit . . : . 23» 

LXXXtll. Geselk dtoßhgSiigiger iHetIgkeit 218 
LXXXIV. GesAtn dee Hta^eH . 299 

LXXXV. Gesetz des Gleiditewichts » . . . ^ 

LXX3tVI. Gevetn de^ Totmitat^ . . . . • 884 

LXXXYII. Gesetz pragmatischer Wahrheit . 225 



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VIII 

V ' Seite 

\ LXXXVIll. PUft Gedichte. — Gahg der Han<UHng , . . ^ 

LXXXIX. Kellt dicliteriscike Krtindung des Ganzen .... 233 

XC. Augenblick, in welchem die Handlung anhebt .... 234 

XCI. Entachc^idende Umstände, durch weiche die Handlung 

ihre Hauptwendnngen erhält 23ft 

XCII. Benutzung des Orta und der Zeit ........ 241 

XCIII. Stetigkeit in Jen nacli einander erregten Kmpfindangen. 

— Ausnahme davon. — Mittel des Apothekers gegen die 

Ungeduld 244 

XCIV» Charaktere des Gedichts. — Aligemeine Gattung, zu 
der dieselben gehören. — Ihre Aehnlichkeit mit den Ho - 

• meriscJien 247 

XCV. Verhältaife der Cultur und einCT colÜTirten Zeit zu dem 

epiachen Gebrauch » ' . . 250 

XCVI. Möglichkeit der heroischen Epopee in un&rer Zeit . . 

XCVn. Darstellung einfacher Weiblichkeit in Dorotheen . . 255 
XCVIII. Idealität in der Charakter - Sdiilderung, Verhaltnifs 

der Charaktere 7ai einander 257 

XCIX. Diction 2.'>fl 

C. Einfachheit der Diction 261 

Ol. Periodenbau . 264 

CIL Versbau und Rhythmus 265 

CHI, üehereinstimmung des besondren Charakters des Ge- 
dichts mit dem allgemeinen der Gattung, zu <ler ey gehört 267 
CIV. Schlufs 2flft 

lieber den Geschlechlsunterschied und dessen 
Einflufs auf die organische Natur 270—301 

, (Schillcr's Hören. Erster Band. Tübingen 17^5. 8. 
Stück 2. S.W— 132.) 

Ueber vier AegjrpUsche, iöwenköpfige Bildsäulen 
in den hiesigen Königlichen Antikensammlungen 302—333 

(Abhandlungen der historisch - philologischen Klasse 
der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu 
BerUn, 1825. BerUn 1826. 4. S. 145 - 168.) 
Hiezn die Kupfertafel. 



IZ 

Seite 

Sonette. (HandschriftUd».) 334-390 

1. Die steinernen Zeugen 334 

2. Der Schatten ^ 

3. 4. Irdischer Zwiespalt. I. II 33«. 337 

6. Das Unwiederbringliche 338 

6. Das fremde Land ^ 

7. Kalter Trost ^ 

8. Die Gesinnung • — ■ — ' — •- — •- ^ 

9. Der Ritter ^ 

10. Die Treue ^ 

11. Wesen der Scliönheit • ^ 

- 12. Der Komet ^ 

13. Die Falkenberge ^ 

14. Die Brahmin und das Sudra-Weib 347 

15. Hulda ^ 

16. Ate ^ 

17. Leben im Lebenlosen 340 

18. Klarheit und Tiefe 351 

19. Die Eiche 352 

20. Vereinigung 

21. Der Schauspieler . — . — : — : — : 354 

22. Blinder Gehoraam ......... » — . — *—t — : 35^ 

23. Durga , . , , , 35H 

24. Das Gold 357 

25. Freiheit und Gesetz ^ 

26. Die Wehrauth 359 

27. Opfer der Tyrannei 360 

28. Jnno Ludovisi * — ■ — ■ — • — ^ ^ 

29. Faros 362 

30. Die Jungfrau Israels — ± — s — : — : 363 

31. Die Schauspielerin 364 

32. Der Schmerz , 365 

33. Molly • • 366 

34. Die Nonne 367 

35. Die Doppelwesen 368 

.36. Ein alter Freund 369 

37. PfiichterfüUung 37Q 



38. 






»9. 




Ml 


40. 


Die Wolken 


.m 


41. 






4^ 






43. 




376 


44. 






45. 






4«. 






47. 






4$. 






49. 




382 


60. 




883 


5L 




9QJ, 








M. 






M. 




387—389 


57, 







» 



Uebcr 

iä5tlie''s HerriMiiii und Horath««« 



Parii, im April 1799. 



Einleitung. 

Nichte voUeadet so sehr den abmluteM Werth eines 
Gedichts, als wenn es, neben seinen übrig'en eigen-^ 
thümlichen Vorzügen, zugleich den sichtbaren Aus- 
druck seiner Gattung und das lebendige Geprfige sei- 
nes Urhebers an sich trägt. Denn w ie grofs auch die 
einzelnen Scliönheiten seyn mögen , durch weiche ein 
Kunstwerk zu glinzen im Stande ist, wie regellos die 
Bahnen, welche selbst das echte Genie manchmal ver- ' 
folgt; so bleibt es doch immer gewifs, dafs dasselbe 
da, wo es in seiner volieii Kraft thätig ist, auch im- 
mer in einer reinen und . entschiedenen Individualität 
auftritt, und sich eben so wieder in einer reinen und 
bestimmten Form ausprägt. Wenn daher andere Pro- 
ducte der Kunst nur eine ieinseitige Bewunderung oder 
eine flüchtig aufbrausende Begeisterung hervorbringen; 
so sind es alldn die, welcbe jenen Grad der VeU^ 
kommenheit besitzen, in welchen der Leser seine volle ^ 

IV. 1 



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und dauernde Befriedigung lindel, und am denen er 
^vieder die SUmmung zu schöpfen vermag, die ihnen 
seihst das Daseyn jjnl). > Orzüglich aber sind sie ein 
dankbarer Gegenstand für die ästhelische Beurlfaeilnng. 
Doini hie erheben zugleich mit sich auch ihren Beur- 
ikeiler empor, und führen von selbst eine Art der 
Kritik herbei, die in dem einzelnen Beispiel zug^Ieich 
die Gallung, in dem W erke zugleich den küusüer 
schildert. 

Eine solche Beurlheilung schien mir Gölhe's 
Herrmann und Dorothea vorzugsweise zuverdie- 
nen. Denn in dem eigenthOmlichen Geiste, der diese 
Dichluiig beseelt, glaubte ich in vorzuglich sichtbarer 
Stärke die doppelte Verwandtschaft zu erkennen, in 
welcher derselbe auf der einen Seite mit der allge- 
meinen Dichter* und Künstlernatur äherhanpt, auf der 
andern mit der besondem Ei^enthflmlichkeit ihres Ver- 
fassers steht. Die poetische tiatlmig und die epische 
Art erscheint nur selten so rein nnd so voUstfindig, 
als in der meisterhaften Coniposition dieses (ianzen, 
der dichterischen Wahrheit dieser Gestalten, dem 8te<~ 
Ilgen Fortschreiten dieser Erzählung; und wenn* Gö- 
thens Eigenthämlichkeit in einzelnen ihrer Vorzüge 
Stärker und leuchtender aus andern seiner Werke her-» 
vorslralt, so fmdet mau in keinem, so wie in diesem, 
alle diese einzelnen Straten in Einem Brennpunkt ver- 
sanmelt. 

Die kritische Zergiiederomg dieses Werks zu über*" 
nehmen, hiefs in einem noch eigentlicheren Verstände, 



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3 

als es die islhelisehe Beurlheiluag^ imoier thiin vauts^ 

hl (las Wesen der dichlerisclieii EiiiLilduii^skraft eiii- 
zudrifigen; und 30 trieb mich die Begierde, dieser ge- 
heimnlfsvollslen unter aiien menschlichen Krfiften mit 
Begriileii üäiier zu koiuuieiK nicht weniger, als die 
Liebe xn diesem Gedicht, den Versuch m wagen, aus 
iietii diese Schrift enlsland. 

Diesem Gesichlspuniite, von dem ich ausging, 
habe ich mich bemüht, in der Ausfßhrnn^^ »elreu za 
bleiben. Ich Jiabe die BelradUuiig des Gedichts so 
wellig als mAgfieb von der Betrachtung des Dichters 
gelreiinl, und dasselbe, so viel ich immer koiinle, nur 
als den lebendig dargestellten Gedanken einer indivi- 
duellen dichterischen Einbildung^krafl heuriheill. Demi 
die JMatur eben dieser Einbildung^knift zu studieren, 
war mein hauptsfiehliclister Endzweck. 

Dies bitte ich den Leser nicht aus den Augen 
zu veriieren, wenn er vieUeioht finden soHle, dafs i^ 
mich bisweilen zu sehr von meinern Ge^enslande ent- 
ferne, m hoch zu aligemeiaen Grundsätzen erhebe, 
oder zu weit auf andre Dichtungsarten und Didiler-« 
natjiren verbreite. Beides war auf dem Wege, den 
Idi einmal nahm, unvermeidiich. Denn um zu zeigen, 
dals dies Gedicht die aligemeine Natur der Poesie und 
der Kuiist reiner, als nicht leicht ein andres, sich zum 
besondem Charakter aneignet, mulbte ich nothwendig, 
das Wesen der Kunst in ihren ersten Gründen auf-* 

■ 

suchend, bis auf die höchsten Prindpien der Element 



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4 

far-AeHlhetik Kurflckgehn: nnd um demselben, sowie 

(lern Dichter selbst, die «liiun gebührende Stelle un- 
ter den fibrigen Kunstwerken und KOnsUem tniznwei^ 
sen, eben so nolhwendi^i^ die verschiedenen Neben- 
arten auffähren, welche dieselbe Gattung mit ihnen 
befafst. 

Ich wählte aber diese Methode, immer zugleich 
bei meinem Gegenstande etwas Allgemeineres , die 
Poesie und die Dichtenialur überhaupl, im Auge zu 
haben, nicht ohne Absicht. Jede philosophische Beur- 
theflung kann auf einen zwiefachen Endzweck hinar- 
beiten, mehr auf die objeclive Beschaffenheit des AVerks, 
das sie zu wfirdigen versucht, oder mehr auf den 
Geist Röcksicht nelimen, der nothwendig war, es her- 
vorzubringen. In dem ersteren Fali befördert sie die 
Gesetzmfifsigkeit nnsrer Thfltigkell; in dem letzteren 
bildet sie die ihr günstige Stimmung unsres Gemüths. 
In dem Gemöthe des Menschen aber sind die Anla- 
gen zu jeder Art der Kraftäufserung mit einander 
verwandt, und jede einzelne entwickelt sich freier und 
voHkommner, wenn sie durch die verhfiltnifsmäfsige 
Ausi)ildung der übrigen unterstützt wird. Von wel- 
chem Gegenstande man daher immer reden mag, so 
kann man ihn auf den Menschen, und zwar auf das 
Ganze seiner inteilectuelien und moralischen Organl- 
salkvn beziehen. Bei jeder ei^enfhömlichen Philoso- 
phie, jedem weitumfassenden System der Naturfor- 
schung, jeder grofsen politischen Einrichtung kann man 
untersuchen, was dadurch der pbiiosopbische, nalur- 



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iuflorwciie, politisohe Geist allein und in ihrer Ver- 
bindung gewonnen haben. Mun kann an diese Un- 
lersttchunf die noch aUgemeinere ankuäpien, uni wie 
viel dadurch der menscUiehe Geist Oberhaupt dem 
letzten Ziele seines Sü'ebeuä nälier gerückt ist, dem 
Ziele nemiich: die ganze Masse des Slofis, wehsfaea 
ihm die Welt um ihn her und sein inneres Selb.^l dar- 
bietet, mit allen Werkzeugen seiner Kmpfftnglichkeit 
in sich aufeunehmen. und mit allen Krftften setner 
Selbsttliäligkeit umzugestalien und sich anzueignen, und 
dadurch sein Ich mit der Natur in die allgemeinste^ 
regste und übereinsUinniendste \V echselwirkung zu 
bringen. Man nmfs sogar immer beides, soba)d man 
einen hohen praktischen Endzweck verfolgt, und man 
darf es wenigstens nie ganz vernachlässigen, wenn 
man von der Kunst spricht, die aus dem Innerste des 
menschlichen Gemüths selbst entspringt, und von -einem 
ffnnstwerlLe, das mit dem GeprAge einer grolben £i- 
genthämlichkeii gestempelt ist. 

Erwählt man nun diesen höheren Standpunkt, so 
bezieht man seinen einzelnen Gi^gensland anf einen 
eUgemeinen, aufser demselben liegenden Mittelpunkt, 
wmI arbeitet an einem radur oder minder betrAchÜichen 
Theil eines weiten und erhabenen Gebäudes. Dieser 
Mittelpunkt ist nemiich: die Bildung des Menschen; 
dies Gebftude: die Charakteristik des menschli- 
chen Gemüths in seinen möglichen Anlagen 
und in den wirklichen Verschiedenheiten, 
weiche die Erfahrung aufzeigt. Man besitzt nun- 



> 

mehr in der Summe der Vorzüge da» Geibles ufkd der 
Gesinnung, welche die Mensohh^it bisher dargethsQ. hat, 
eine ideaiisdie, aber bestimmbare^ Grofse, nach wel- 
cher «ch der Einzelne benrtheilen lAfst; man sieht ein 
Ziel, (lern mau liachtstreben kann; man kennt einen 
Weg, auf dem es mdglich ist, im höchsten Verstände 
des Worts Entdecker zu seyn, indem man durch 
die Thal als Dichler, Denker, oder Forscher, aber 
vor allem als handelnder Mensch, jener Summe etwas 
Neues hinzufügt, und daiail die Grenzen der Mensch- * 
heit seihst weiter rückt Man gewinnt eine Idee, welche 
durch Begeisterung zujvleich Kraft mittheilt, da das Ge- 
setz die Schritte nur leitet, nicht auch beüügeit, und 
den Mnth mehr danlederschldgt, als erhebt. 

Es giehi keine freie und kraftvolle Aeufserung 
«isrer Fähigkeiten ohne eine soi^ältige Bewahrung 
unsrer ursprünjn;-lichen Naturanlagen; keine Energie ohne 
Individualität. Deswegen ist es so nothvveudig, dafs 
eine Charakteristik, wie die eben geschilderte, dem 
menschliclien Geiste die Möglichkeit vorzeichne, man- 
. 'Uigfaltige Bahnen zU verfolgen, ohne sich darum von 
dem einfachen Ziel allgemeiner Vollkommenheit zu ent- 
fernen, sondern demselben vielmehr von versdiiedenen . 
Seiten entgegen %n eilen. Nur auf eine philosophisch 
empirische Menschenkennlnifs lafst sich die Hoffnung 
gr&nden, mit der Zeit auch eine philosophische-Theo*- 
rle der Menschenbildung zu erhalten. Und doch ist 
diese letztere nicht hlofs als allgemeine Grundlage zu 
ihren einzelnen Anwendungen, der Erziehung und Ge- 



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7 

setsigeiniiigf, (die selbst erst von ilir durchffti^rfgfeii Zu- 

saiuiiienhang in ihren Priiu ipien crwiirlen dürfen) son- 
dmi auch als ein sicherer Leitfaden hei der freien 
Selbstblldun^ jedes Einsäen ein alltrem^nes und be*- 
sonders in unserer Zeit dringendes Bedürruirs. Je grö* 
fser die Ansahi der Richtungren ist, welche ihm offen 
liegen, je reichhaltiger der Stoff, welchen unsre Cul- 
tnr ihm darbietet, desto mehr flohit sich auch der bes- 
sere Kopf verlegen, unter dieser Mannigfdliglceit eine 
verst&ndige Wahl zu treffen, und auch nur Mehreres 
davon ndt einander su verbinden. . Ohne diese Yer* 
bindung aber gehl die Cullur selbst verloren. Denn 
wenn die Cultur des Menschen die Kunst ist, sein Ge- 
mflth durch Nahrung fruchtbar zu machen, so mufs er 
dazu seine Organe so harmonisch stimmen, und eine 
solche Anfsre Lage wfihlen, daft er so Vieles, als mög« 
Udi, sicii aneignen kann, da ohne Aneignung kein Nah- 
rungsstoff weder in das Gemüth, noch in. den Kdrper 
übergeht. 

£ine solche Charakteristik des Menschen 
durfte ich nwar nie zu einer eigentlichen WIsscDSduift 

erheben, ob sie gleich mehr bestimmt wäre, philoso- 
plnsch und zum Behuf hdherer Ausbildung m ent- 
wickeln, was der Mensch überhaupt zu leisten vermag, 
als historisch zu zeigen, was er bisher wirklich geiei^ 
stet hat; aber sie wlirde dennoch nidit minder ver- 
dienen, als eine eigne, philosophisch geordnete Erfah-* 
ningslheorie von der Masse der ttbrigen philosophischen 
Kenntnisse abgesondert zu werden. ^ In wie ferne sie 



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8 



hierauf Ansprache macheu, und »e^&i eines eignen 
Namens bedttrfen mödite, da sie sich aneh in ihrem 

allgemeinen Theile von der Psychologie und Anlhro- 
poiogie wesentlich unterscheiden würde, ist hier nicht 
der Ort, auseinanderzusetzen. Ich gfianbte ihrer nnr 
uherhaupt erwähnen zu müssen, um für die Beurthei-* 
hmg dieser Blfilter den entfernteren Zweck bestimmter 
anzudeuten, den ich hei Ausarbeitung derselben nie 
aus den Augen verior. 

Der Rückblick auf diesen entfernteren Zweck aber 
hat mich genothigt, einen Gang zu wählen, der, wie 
idi fürchte, vielen zu lang und zu beschweriich schei*- 
nen wird. Mein Raisonnement ist nemlich für die In- 
dividualitftt meines Gegenstandes vielleicht zu allgemein, 
für seine Anschaulichkeit zu philosophisch geworden.. 
' Wenn ich mir auch schmeicheln konnte, den Aesthe- 
tiker einiger Mafsen befriedigt zu haben, so darf ich 
nicht auch hoffen, dem Dichter unmittelbar bei seinem 
Gesehfift nützlich zu werden. Die philosophische Höhe, 
zu der ich mich von meinem Standpunkte aus uoth- 
wendig erheben mufste, ist dem ansttbenden Künstler 
weder bequem noch fruchtbar; er bratitcht mehr spe^ 
ci^e und empirische Hegeln. Wenn diese dem l'hi- 
losophen zu eng und individuell sind, so erscheint ihm . 
dageg^en dasjenige, was für diesen gehörigen Gehalt 
und Tauglichkeit zum allgemeinen Gesetz hat, immer 
hohl und leer. So stehen beide in einem nothweudi- 
gen und unvermeidUchen Widerstreit mit einander. 

Aber die Philosophie der Kunst ist auch nicht > 



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9 

haapt^ächÜcii für den Küat^ler, und wenigstleas nie fär 
den Augenblick der Hervefbringung bestimmt.* Es ist 
ein Vorzug und ein Unglück der Philosophie über- 
haupt immer nur den Menseben, nie die Ausübung 
zum unmitlelharen Endzweck zu hüben. Der Künst- 
ler kann ohne sie Kunstler. der Staatsmann ohne sie 
Staatsmann, der Tugendhafle ohne sie tu^^dbaft seyn; 
aber der Mensch bedarf ihrer, um, was er von ihnen 
empflEin^, zu geniefsen und zu benutzen, um sich selbst 
und die Nalur zu kennen und diese Kenntnifs frucht- 
bar zu machen; und jene sogar kdnnen ihrer nicht ent- 
befaireni, wenn sie sich selbst vmtdndiicb werden und 
mit ihrer Yernunit dem Fluge ihres Genies oder der 
Tiefe nnd- Richtigkeit ihrea praktischen Sinns gleich- 
kommen wollen. Eben so ist auch die Aesthetik un- 
mittelbar nur für dei^enigen bestimmt, welcher durch 
die Werke der Kunst seinen Geschmack, nnd du^ch 
einen freien und geläuterten Geschmack seinen Ghar 
rakter zu bilden wünscht; der Künstler selbst kann sie 
nur gebrauchen, sich überhaupt zu stimmen, sich, wenn 
er sich eine Zeit hindnrcb seinem Genie Überlassen 
hal. wieder zu orienliren, den Punkt zu bestimmen, auf 
dem er steht, und wohin er gdangen sollte, lieber 
den Weg aber, der Ihn zu diesem Ziele führt, kann 
ihm nicht mehr «ie, sondern allein seine eigne und 
fremde Erfahrung Rath ertheilen. 

Zwar wird ihm auch diese iuuuer nur einzelne 
Bmcbatücke zujiefern im Stande seyn, abgerissene 
Regeln, denen os nicht blofs an Vollstündigkeil. son- 



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10 

dem auch an Allgemeini^tigkeit fehlt. Dessenungeach- 
tet yväre es nicht minder wichtig, dieselbe» m sam- 
luein und zu ordnen, und jeder, welchem sein Talent 
die Bahn der Kunst mit entscliiedenem Erfolge zu wan- 
deln erlaubt, sollte sorgfällig aufzeiclmeii, ANas er auf 
derselben an sich seihst bewährt gefunden hat. Es 
wfirde dadurch nicht blofs der Kunst, sondern auch der 
Fhilosophie ein wesentlicher Dienst geleistet. Denn der 
Aesthetiker benutzt diese poetischen Geständnisse eben 
so, als der Psycliolog die moralischen, und freut sicli, 
die Künstlernatur, die er sonst nur mit Mflhe aus ih- 
ren Werken ahndet, nun dnrch nnmitfelbare Anschauung 
zu erkennen. Dies ist e$, was Diderots fislhetischen 
Aufsätzen einen so grofsen Werth giebt, der R^ch- 
Ihum von Bemerkungen und Erfahrungen, der z. B. 
seine Versuche über die Malerei und seine Ab^ 
haiidlung über die dramatische Poesie so frucht- 
bar für den Künstler und Theoretiker macht. 

Der Abstand^ welcher sich zwischen dem allge- 
meinen Gesetz und dem individuellen Kunstwerk be- 
findet, hindert oft, dafs das letztere sogleich vollkom- 
men als der einzelne Fall erscheine, in welchem das 
erstere dargestellt ist. Sehr leicht könnte sich daher 
der Leser in der Folge dieser Versuche zu der Be- 
schuldigung veranlafst finden, dafs ich den Charakter 
des beurtheilten Gedicht« nicht treu genug vor Angen 
gehabt, und meine BehaupUiiigen nichl durch vollkom- 
men passende Beispiele gerechtfertigt hütte. Ehe er 
indefs ein solches Verdammungsurtheil ausspricht, mufs 



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11 

kk ihn billen^ sich mit dem Geiste des Gänsen recht 

Verlraul zu machen, und diesen auch hei eiuzelnen 
Stelien nie aus dem Gesicht zu verlieren. Denn auch 
mir hat immer der Totaleindruck vorgr^schwebt^ und 
ich iieune in ästh^lischen BeurÜieilungeu keine iindre 
Absondermgs-Methode, als di^enlge, wekshe die ein- 
zelne Eigenschafl, auch zu einem aiifrcnMicklichen Ge- 
brauche getrennt, noch immer durch das Ganse, mit 
dem sie verbunden ist. modificirt belrnchtet. 

Bei der Bestimmung der Dichtuugsart, zu weicher 
Herrmann und Dorothea gehört, habe ich nöthig 
gefunden, eine eigne ^ von dem gewöhnlichen Begriff 
der Epopee abweichende Gattung derselben festzusetzen. 
Ich fürchte hiebei nicht den Vorwurf, zum Behuf ei- 
nes einzelnen Gedichts ohne Noth eine neue Gattung 
geschaffen zu haben. Wer die Theorie der Kunst bear- 
heilet, beiludet sich in dem gleichen Fall mit dem Na- 
turforsdier. Was diesem die Natur ist, das ist jenem 
das Kunslgenie. Wofern er nur gewifs isL dafs die-^ 
ses und zwar in seiner vollen und reinen Kraft ge- 
wirkt hat, (denn hieWIber mufs er einen freien und ei- 
genmachligeu Bichlerspruch fällea) so bleibt ihm nichts 
übrig, als die Geburten desselben gerade für das zu 
nehmen^ wofür sie sich anliündigen, sie einfach zu be- 
schreiben, und sein System, wenn sie sich seiner Glas- 
sificalion wideiselzen, nach ihrem Jit diirfiufs zu er- 
weitern. 

Die Entwicklung piiilosophi^cher Theorieen an dn-*- 

zeiuen zum Grunde geieglen Beispielen fuhrt gewölm- 



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lidi mehr als £iucu Aachtheii iiiii »ich, Enlweder lei- 
det dadurch die AUgemeinheit der Theorie, oder es 
wird aucU in dem einzelnen Füll, von dem man aus- 
IHeht, mehr hineingelegt, als sich sonst natfiriich darin 
gefunden luilte. So wie ich in dieser Einleitung den 
Zweck auseinaiidergeseUi habe, auf den ich hiuarhei- 
tele, jorlaohe Ich keinen dieser beiden Vorwürfe mehr 
bei ürciiten zu dürfen. Bei der Methode, die ich wählte, 
mnfste sich zwar das gesammte Feld der Kunstphilo- 
iiophie meinem Blicke zeigen, uhei ich (iiirlle mich nie 
von dem Standpunkte entfernen, auf den ich mich ge- 
stellt hatte. Wenn die erstere Betrachtung mir die Bahn, 
die ich zu durchlaufen halte, eröffnete, so mufste die 
letztere sie xu begrfinzen dienen. Dies bitte idi den 
Leser besonders da nicht ku vergessen, wo ich über 
andre Dichtüngsarten und Diehtematuren, wie z. B. Ober 
die Tragödie und über Ariosl rede. Denn da ich 
ihrer immer nur in Beziehung auf meinen eigentlichen 
Gegenstand erwähne^ -so- könnte mein Raisonnement In 
diesen Stellen, olme. diese Erinnerung, leicht schief und 
einseitig erscheinen. Freilich aber gestehe ich gern, 
4ars ein tieferes Eindringen in che Grundpriaeipien ei- . 
ner allgemeingfllligen Philosophie der Kunst überhaupt, 
mir bald zu reizend schien, um dasselbe als einen blofs 
untergeordneten Zweck meiner Arbeit zu betrachten, 
und däfs meine Bemühung vielinehr wesentlidi darauf 
hinging; den gesammten \ orrath meiner Ideen über 
«diesen Gegenstand zu einem, auch, von jeder fremden 



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Beziehung unabhängigen und so viel möglich in sich 
Selbst vollendeten Oanzen syslematisch zu ordnen. 

Sollte übrigens der geschmackvolle Kunstrichter 
die Resultate dieser Untersuchungen mit minderer Aus- 
führlichkeit und mit einer gedrängleren Kürze darge- • 
stellt wflnsdien; so fühle ich vielleicht lebhafler-, als 
irgend einer meiner Leser, die Billigkeit dieser For- 
derung, • in so fern sie den Styl und den Vortrag auft- 
scUiefsend betrifft. Für einen grofsen Theil des Pub- 
licums hingegen glaub' .ich meinen philosophischen 
Raisonnements sowohl jtnehr Klarheit, als mehr über- 
zeugende ivraft dadurch erlheilt zu haben, dals ich sie 
unmittelbar an die Zergliederung eines vollendeten Kunst- 
werks angeschlossen; und Ich habe der • Versuchmig 
nicht widerstehen können, manche sonst nicht unwich- 
tige Rüdbichten dem höheren Interesse aufzuopfern, 
welchem ein so allgemein beliebtes Meisterstück jedem 
nicht ganz mifslungenen Versuch seine Schönheiten zu 
entwickeln, unstreitig zu erthellen vermag. 



i. 

Wirkung dec Gedichts im Ganzen. — Es Ulkt einen rein^diobieneoheii 
Rindrnck in dem Geuiüthe zurück. 

Die schlichle F^infachheit des geschihierlen Gegenstan- 
des und die Gröfse und Tiefe der dadurch hervorgebrach« 
len Wirkung, diese beiden Stücke sind es, welche in Gö- 
thens Herrmann und Dorothea die Bewunderung des 
Lesers am stäricsten und unwillkührlichsten an sich reifsen. 



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14 



Was i^ieh ciiu meisten cnlgegcuslcht, was imr ileiu üenie - 
de8 Kün«Üer8, und auch diesem ^ein in seinen glücklich- 
sten Slimmuiigen zu verknüpfen gelingt, finden wir auf ein- 
mal vor unsrer Seele gegenwarlig — Geslallen , so w a h r 
und in Ui viel II eil, als nur die Nnlur und die lebendige 
Gegenwart sie zu geben, und zugleich so rein und idea- 
lisch, alsr die Wirklichkeit sie niemals darxusletten vermag. 
In der bloften Schilderung einer einfachen Handlung erken* 
nen wir das treue und volistündige ßiid der WcU und der 
Menschheit. 

Der Dichter erzählt die Verbindung eines Sohns aus 
einer wohlhabenden Bilrgerfamilie mit einer Ausgewander- 

leu'^ er ihul nichls^ als die einzelnen IVIomenle dieser Hand- 
lung, die einzelnen Thcile dieses 8tolVs aus einander legen, 
die Reihe der Umstände entwickeln , wie sie natürlich und 
nothwendig aus einander entspringen ; er Ist nie mit^ etwas 
andrem, als mit seinem GegeiisUuidc bescliäfliiil ; alle Hin- 
dernisse, durch die er den Knoten der Handking schürzt, 
alle Mitteil durch die er ihn wieder löst, sind allein aus die- 
sem und aus den Charakteren der handelnden Personen ge- 
nommen; alles, wodurch er die Theilnjibme des Lesers ge- 
witmt, ist allein in diesem Kreise enthalten, und nie tritt 
er in seiner eignen Individualität hervor, nie schweift er in 
eine eigne Betrachtung, oder eine eigne Empfindung aiis« 
Und auf welchen Standpunkt sieht sich dadurch der Leser 
versetzt! Das Leben in seinen gröfsfesten und wichtigsten 
Verhältnissen und der Mensch in allen bedeutenden Momen- 
ten seines Daseyns stehen auf einmal vor ihm da, und er 
durchschaut sie mit lebendiger Klarheit 

Was seinem Herzen das Wichtigste ist, sein Nachden- 
ken und seme Beobachtung am anhaltendsten beschäftigt, 
sieht er mit wenigen, aber meislerhalten Zügen in überra« 
sekender Wahrheit geschildert — den Wechsel der Alter 



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15 



und Zeiten, die lorlschreitende üiiiaiKlcrung in 6iUeü uüU 
Denkangsarl, die HaupUlufen menschlicher Cullur, und vor 
allem das VerhäUnUk hüaalicfaer Bürgerlugend und aliUen 
Familienglücks zu dem Schicksal von Nationen und dem 
Slrome aufserordenllicliei- Ereignisse. Indem er nur den 
Begebenheiten einer einzelnen Familie zuzuhören glaubt^ 
fühll er seinen Geist in ernste und allgemeine Betrachtun- 
gen versenkl, «ein Herz zu avehmulhsvoUer Rührung hin- 
gerissen, sein ganzes (jeniiilh hingegen /.ulelz-l witMlci" durch 
einJaclie, aber gediegene Weisheil beruhig!. Denn die wich- 
tige Frage, die sich in unsrer Zeit überall jedem anldrUn- 
gcn muls: wie soll bei dem allgemeinen Wechsel, in wel- 
clicm Mejniuigen, v'Mllcn, Verfassungen und Nationen forU 
gerissen werden, der Einzelne sich verhallen? llndcl er nicht 
allein in den • mannigfaltigsten- Gestallen aufgeworfen, son- 
dern auch so beantwortet, dafs die Antwort ihm mit der 
Belehrung zugleich Kraft zum Handehi und 5Iuth zum Aus- 
harren in die Seele haucht 

Aus der Mitte aller Verhältnisse seiner Zeit und sei- 
nes Vaterlandes, sieht er sich in eine Welt versetzt, in die 
er sonst nur, von der Erinnerung an die einfachsten und 
frülieslen Mcnsclienaller erfuHl, an der Ilaiul der Allen ein- 
zugehen pflegt. Denn indem ihn der Dichter bei der gan- 
zen Individualität seines Weseas ergreift, führt er ihn zu 
^n reinen und ursprünglichen Naturformen zurück; und 
indem er in der Wirklichkeit alles vertilgt, was sie zur 
blofsen Wirklichkeil und untaughch ' zum Gebranch für die 
Phantasie machti benutzt er noch bis auf den kleinsten Zug 
ihre Individualität 

So rein dichterisch hat er seinen SloIT erfunden und 
ausg^lni. 



16 



II. 

♦ ' 

RftoplbettMiHli^ile «Her dicliteriich«ii Wirkniig. — Plan di«ter B«nr* 

- theilang im Aligenieineii. 

Nichts ist ein so zuverlässiger beweis des echt dich- 
terischen Chiirakters, als die Verbindung des Einfachsten 
und des Höchsten, des durchaus Individuellen und vollkom* 

men Mealischen (dieser beideirl laiiptbcslaiitlliieile aller künst- 
lerisciien Wirkung) in derselben .Schilderung und derselben 
Gestolt 

Denn durch einzelne Bilder der Phanlasie den Geist 

auf einen hohen und weiluinschauenden Standjmnkt zu füh- 
ren i ist die schöne beätiiumung des Dichters, vermittelt 
durchgängiger Begrensung seines Stoffs eine unbegrenxte 
und unendliche Wirkung hervorsubringen , durch ein Indi- 
viduum einer Idee Genüge zu leisku, und von Einem Punkt 
aus eine ganze Welt von Erscheinungen zu eröffnen. 

Zwar kann es leicht scheinen, als sey das Geschäft, 
das ihm dadurth aufgelegt wird, nur die übertriebene For- 
derung eines undtchterischen Zeilalters, das, indem es über- 
all nach philosophischen Begtiflen liaschl, aucli überall nur 
Ideen sucht, und das blofse und leichte Spiel der Sinne und 
der, Einbildungskraft verschmäht. Man darf aber nur seine 
nächste und eigentlichste Bestimmung genau untersuchen, 
und man wird im! uighar iindeU) dafs, indem er dieser voll- 
kommen zu genügen strebt, er sich zugleich auf dem Wege 
befindet, jenes zu erreichen, sich au Idealen zu erheben und 
eine gewisse TotalitHt au erlangen. 

Dies liegt uns jelzl zu zeigen ob. Denn wenn das 
Gedicht, das wir zu beuriheilen im ßegrilT sind, wirklich 
einen so rein dichterischen Eindruck zurückläist, als wir so 
eben beschrieben haben, so wird uns nichts so sicher « als 
die Erörterung des Wesens der Dichtkunst selbst, bei der 



V 

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1» 

Schtlderung teineft all gemeinen Cheraktere I«h 
leti; und diese 'Sdrfldening macht den ersten und haujil» 

sächlichsten Theii unwes Geschäfts aus. 

Haben wir diesen vollendet, so bleibt uns dann nur 
nech übrig, die Arbeit des Dichlers mit den be« 
sendreft Regeln, der Gatt4tng zu vergleichen, ftti 
der sie gehört. 

Denn nur, indem wiv iliosc iloppeUe Beurlheiiung uiit 
einander verbinden, können wir gewitis seyu, weder der Ori« 
ginalitäi des Dichters, noch den gerechten Ansprüchen* <ier 
Theorie ^et Kunst su nahe su Irefen. 

in. 

Kinl'aclustei; Uegriü' «ler JlBJiAt. 

Das 1 cid, iJ is der Dichter als sein Eigenlhuiw bearbei- 
tet, ist das Gebiet der Einbildungskraft; nur dadurch, dafs 
er diese heschüftigt, und nur in so fem, als er dies starit 
und ausslcliHefsend Ihul, verdient er Dichier tu heifseti. Die 
Natur, die sotisl nur einen Gegenstand für die sinnliche 
Ansciiauung abgiebt, mufs er in einen ätoil für die Phan^ 
taste uinschaffen. Das Wirkliche in ein Bild su ▼e'i<- 
wandeln, ist die allgemeiBSle Aufgabe allet Kunst, auf 
die sich jede andre, mehr edet weniger uiüliHlelbar, zurück- 
bringen läCst 

üin bierin, glücklich zu seyu, hat der Künstler nur £1- 
neu Weg einAiscMägen. . Kr mufii in untrer Seele jede 
Erinnerung an die Wirklichkeit vertilgen, und nur die Phan-^ 

tasie allein rege imil iebentiig ei Jialten. An seinem Objecto 
darf er dem Gehalt und selbst der lonn nach nur wenig 
ändern; wenn man 'die Natur in seinem Bilde wiedererken- 
nen soll, so tnufe er -sie alrehg und treu nechahmen; eft 

bleibt ilun also nichts übrig, als sich an das Subject in 



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18 

WiDden, auf das er wrrk«n will. Liers« er aydi den Gcf« 
genttwid wllitl» bis mil seine kleinaten Fkieken, gerade mt 
wie er in der Natur ist, so iilitte er denselben iikhl» desto 

welliger zu etwas Jurebaiis Verschiedenem gemacht; denn 
er liälte ihn üi eine andre 8j>luirc versetzt. \\\ der Wirk-» 
liehkeil achHefst immer eine Beslimmuiig jede andere aus; 
was sie also dem Gegenstande dareh ihre Beschaffcnheil 
giebt, das nimmt sie ilun wieder durch ihr ausschlielsendes * 
Dasejn; vor der Fhanlosic iiingegeii fällt diese jiescliran- 
kiMig, die nur aus der Natur der Wirklichkeil herfliefst, 
von selbst Inn weg, «la die Seele, von der Phantasie begei- 
stert, sieh über die Wirklichkeit erhebt - 

Diese allgemeinste und einfacliste Wirkung aller Kunst 
beweisen am besten diejenigen Gemähide, die sich begnügen, 
leblose NatnrgegenstSnde darauste&en. Eine Pianae^ eine 
Fnichl ist gerade so gemahlt, wie sie In der Natur vor uns 
daliegt, es i^l iiiehts ansgelassen, nichts hinaugesetzl; wa- 
rum macht sie dennoch einen anderen £indriiek| als der 
wirkliche Gegenstand? wamm ist ein solches Stück in 
Aileksicht auf den allgemeinen Begriff der Kunst diurhaua 
von demselben Werth in seiner Gattung wie jede andere 
Vorstellung iü ^ler tbiigen? Blofs darum, weil es gerade , 
und rein xur Phantasie d^ Zuschauers geht» und eben so' 
rein aus der Phanlauo des Künstlers enls|Mrungen isL 

Bis so weit ist die Kunst mehr beschrieben^ als deii- 
nirt; ihr Wesen mehr «su|iiriseh erlüutert, als |>hilosopl)isch 
entwickeit worden. £me wahre Definitiaii mufe sich, wenn 
sie nicht willkfihrlicli scheinen soll, auf eine Ableitung aus 
BegrifTen gründen. Eine solciie kann für die Kunst nur 
aus der nllgemeineH i\alur des Gemiilhs St^iti linden. 

Wir unterscheiden drei aligcmeilie Zustände unserer 
Seele, in denen allen ilire sSmrotlichen Krüfte gleich thätig, 
aber in jedem Einer besondeni, als der herrschenden, un» 



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tergeordnet nnd. Wir und entweder mit den .^«tm ffnt^ 
Ordnen und Anwenden bloiser Erfahningskenntnuse, oder 

mH der Anfsucliung von BegrilTen. die von aller Erfahrung 
unabhängig sind, beschäAigt; oder wir leben millen in 4er 
beechiÄnlOeii und endJieben Wiridüehkeit, aber ee ah wai« 
sie lur uns ünbescbrankt und nnendJidu 

Der letztere Zustand kann, das begreift man leicht, 
nur der Einbildungskraft angehören, der einzigen unter un- 
sern Fähigkeiten, welche widersprechende Eigenschaften au 
verimiden im Stände ist. Was in demselfaen vorgehl, mnfs 
eine zwiefache Eigenschaft in sieb vereinigen. Es inufs 

1) ein reines Erzeugnils der Einbildungskraft seyn; und 

2) immer eine gewisse, äuli»re oder innere, Aealttät be» 
isilaen. Ohne das erstere wäre die EinbiJdinigBkraft indit 
herrschend; ohne das andere wSrendie übrigen Kräfte uns- 
rer Seele nicht zugleich thälig- Da aber die Realität, von 
der hier die Rede ist, sich nicht auf ein Oaseya in der 
Wirkliebkeit belieben darf, s# kann dieselbe nur auf Oe« 
setsmSiiigkeit beruhen. 

Aus diesem Zustande nun entsjmu^l das Bediirfmls der 
Kunst 

Daher ist die Kunst die Fertigkeit, die £inbil<- 
dnngskraft nach ^vesetsen piroductiv in machen; 

und dieser ihr einfachster Begriff ist zugleich auch, ihr 
höchster. 

IV. . 

BBbe 4er WIckong, zu d«r lUe Kraul »ich erhebt — ideaiitit — 
Knter BegrilF de« Idealiadiea, ab des Nicht- Wiitfidien« 

CKe Einbildungskraft durch die Einbildungskraft xit ent- 
iQnden, ist das Gebeininils des Kiinsllers. Denn nm-die 

unsrige jXi nöthigen, den Gegenstand, den er ihr achilderty 

2*- 



ff 

vdn m» sich telbH lu erEmigeii, muh deradbe Im ans der 
seinigen hervorgclin. Dftdarrli aber, ^fe jedes Kuntlwerk, 

wie treu es aiicli seinem l i l)iiilc scy, doch als eine voU- 
konimcii neue Scltüpfinig dem Künstler eigen ist, erleidet 
eudi der Gegenstand eine Umiindenlng eeinee WeseiM» 
und wird kii einer andren Höhe erbeben. 

Dns lieicl» der Phantasie ist dem iieiche der Wirklich- 
keit durciiaiis entgegcngcsetzi; und eben so entgegengesetil . 
isl daher auch der Ciiarakier dessen, was dem einen oder 
dem andern dieser beiden Gebiete angehurt. Mit dem Be« 
gi-iÜ des Wirklichen unzertrennhar verhuiulen ist es, dafs 
jede Erscheinung einzeln und für sich da steht, dais keine 
als Grund oder Folge 'von der anderen abhängt Denn nicht 
allein, dals eiae solche Abhängigkeit niemals whrkttch ange- 
schaut,, immer nur durch Schlüsse eingesehen werden kann, 
macht .auch der BegiilT des Wirklichen seihst das Aufsu- 
ehen derselben übeilUissig. Die Erscheinung . ist da: dies 
ist genug, jeden Zweifel aarttcksuweiaen ; wosu btaiieht sie 
sieh noch durch ihre Ursache, oder ihre Wirkung zu recht- 
fertigen ? Sohnid man liingegcn in diis (»ebiot des Mög- 
lichen übergeht, sp besteht niciits mehr, als durcii seine 
Abhängigkeit von^ etwas andrem und alles, -was nidit an* 
ders^ als unter der Bedingung eines durchgängigen inneren 
Zusammenhanges gedacht werden kann, ist daher im streng- 
sten uiul eiiiiachslen Sinne des Worts idealisch. Deau 
es ist in so fern der Wirklichkeit, der Healität, geradesu 
entgegeng^selzL 

Auf diese Weise -idealisirl nitifs daher alles werden, 
was die Hand <lei Kunst in dns reine Cjebiet der Kinbil- 
dungskraft hinüberführt. 

Wohin, der Alensch nur immer seine Blicke richten mag, 
da sm^t er den Begriff eines gegenseitigen Zusammenhan- 
ges, einer iunem Organisation geilend zu machen; üebei> 



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2t 



aU (ieu Zufall zu verbtimieti, zu verbuMlern, dals in <leiii 
<?eMete Beobachtenft umi Denken« er Dicht so l«rr» 
sdbfen scheine, im Gebiele des linMlelna^tttdil hemehe, kl 
das. Stieben der Vernunft. Oaduicit allein schon bewährt 
er, dafs er sieb mit iiechl einer höheren Abkunft rüiinil, 
•la dw öhrigen Gesdiöpfe». 4ßf» er in ein beeseree hrn^ alt 
de« der Wirktichkeii» daifii er in des Lend der Ideen gebort 

Ddhin aucii die ganze Natur, treu und voUsiüiidig beol>* 
nchiet, mi^ skk hinüber zu tragen, d. h. den Sloil seii^ 
^tf^Amm§m den» Umtoge der Weil gleich sii nmeheat} 
4w$e unguhtture Blaaee einiehier und ah^^sacaer ExaAüf 
nungen in eine ungeirennte Einheit und ein erganisirtee 
Ganses zu verwan/dein; und dies durch alle die Orgaoe zu 
thun, die* ihm hiena verliehen nnd, ^ »& das kUte ISiet 
emce inteUedueKen Benülfaeiia. 

Da jedoch diese Betrachtung in ihrer Atlgemeinhmt 
unserm Gegenstände fremd ist, so bleiben wir hier nur bei 
dem AotheiW stehen, den an dieser grofsei^ArlMtii die Ein- 
bUduogßkiiifl lind dar Künstler insbesondere nimml. Wir 
erinnern überhaupt niur davao» um sa xeigen» dafadie Kunal 
mclit zu den mechanischen und untergeordneten Gescl»aUen 
gehört, dui-ch die wij: uns iiusier e^enlUclien ^siimr 
iBung bM> vorbereileOii «fuidcrn «i den hikh^ten' und, pr^ 
.habewicn, durph die> wir sie- sefbat' onmiMelbar erQMeii.. 



Zweiter und liölierer Begritf <lt>8 Idfalisctmn, al» eines Kiwas, das alle 

WirklidikeU ubectriirt 

■ 

' Dadurch, daü» der Diditcr seinen Cjcgensland, selbst 
wenn er ihn, unmittelbar aus der Natur entieiuti,. .doch im- 
mer vm neCiem durch, seine Einbiidm^kr^ill, eraeugt» wird 
die Ucstall beslimml, die er denselben, üb^ seine wirklidj^e 



Besciiaffinilieity oder auch aufeer detselben, giebt. Denn 
«r lilgtr nim jeden Zug in ihm ads, der nur in Zuflttigkei'^ 
ten seinen Grand hat, macht jeden von dem andern, md 

das Ganze nur van sich selbst abhängig; und die Einheit,- 
die dadurch in ihm herrschend wird, ist dennoch keine 
£inlicit deflT Begriffs, sondern dtlrohans nur eine Einheit der 
Form. Denn nw unter der deppellen Bedingung ydttiger 
Selbslbeslimiiiufig und völliger Formnliliil ist die Einbil- 
bungskrafi im Stande, ihn sich selbst zu bilden. Gehngl 
ihm diese Arbeit, so stellt er Buiettt lauter remo Ciiarak« 
terformen .auf, Uofee Gestalten, wefohe die lautre, nieht 
durch einzelne wechselnde Umstände entslellte Natur an 
sicli tragen; so ist jede mit dem Gepräge ihrer Eigenthüm- 
Üdikeit gestempelt, ünd diese Eigenlhümlicbkeit üegt blols 
In der Form, kann nie anders, als durch Ansebanen gefaftt, 
nie aber in einem Uegrifi" ausgcdriickt werden. 

Nun erst wird die Natur durch die Kunst verschont 
und veredelt, nun ent erhält der Begriff des Idealischen 
seine höhere Bedeutung dessen, was- keine Wirklidikeit er- 
reichen und kein Ausdruck erschöpfen kann. 

Auch hier muis man sich indels sorgiäUig in Acht neh- 
men, weder die Art, wie der Künstler hierbei verfahrt, lu 
verkennen, noeh etwa gar in den Irrthum xu verfallen, als 
dörfe et nur grofte, nur fehlerfreie- Charaktere schddem. 
Weiches auch die EigenthümÜchkeit sey, die sie an sich 
tragen, wenn sie nur ganz und allein in ihnen erscheint, 
wenn sie nur als ein reines Objeet der Einbildungskraft be- 
handelt ist — dies ist die einiige Forderung, der ihm 6e* 
niige zu leisten obliegt. Um aber diese zu erfüllen, hat er 
nicht eben Züge wegzulassen oder hinzuzufügen ; wenig- 
stens wird nur seilen gerade darauf das Wesentliche seiner 
Wirkung beruhen. Selbst bei der skl<iv]sdisten Anhänglich- 
keit an die Natur kann er diese noch in ihrem ganzen Um- 



• . . . 

lang erteidien. Denn sie hiingi nichi von emieinen Zfigen» 
einzelnen Umänderungen, nur von der FaH>e, von dem 

Glänze ab, d6n er seinem Werke überhnupt leiht, nur da- 
von, da(s er ihm eine Einheit und eine Fonualitäi giebt, 
4ie .unmittelbar au misrer Phantarie aprichl, ihn nna «mmi^- 
lelbar ds ein reines Werk der fiinbtldangskrafl, und alo* 
vollkommen real, durchaus «bereuistimmend mil den be- 
setzen der Nalur und unsers Gemütlis, also idejihsQh zeigt 
Wodurch er indeCi eigenlUch diese Uehereinstlmmnag 4«r 
Form onsver Einbildungskraft ndt der Form der Natar be- 
wirkt, vermöchte er selbst nicht zu sagen ; und so wie man . ' 
es zu beschreiben versucht, geräth man immer in die Ge- 
fahr, es in eine blola' mechanische Ari>eit tu verwandeh. 

Der Ausdruck,- da& der Dichter die Natur erhBht, mula' 
daher immer mit Behutsamkeil gebraucht werden. Denn 
genau genommen ist er schlechterdings uneigentlich. Das 
Werk des Künallers und das Werk /der Natur stehen nichl 
mehr in demselben Gebiet, und eilänben daher auch nicht 
' mehr denselben Malsstab. 

Der Gebrauch, den man vom Idealischen im Intcllec- 
tuelien und Moralischen macht, verleitet sehr leicht, sich 
darunter immer etwas durch den Verstand Gedachtes, oder 
durch das Herz Empfundenes vorzustellen. Aber dieser Be- 
griff ist ebensowohl aut biois sinnliche Gegenstände an- 
wendbar, und man darC sich nur an das vorhin gegebener 
Beispiel, den emfachsten Fäll der Kunst, die blo&e Nach*- 
.afamung der Natur erinnern, um sieh hiervon au uberzeugen. 

An einer schön gemahllen Frucht bemerkt man ein 
Schwellen der Conture, eine Zartheit des Fleisches, eine 
.- ilaumartige Wetcfaheit der Haut, ein Glühen der Farben, 
das — so 1^ ist es blo£i idealiseh — die Natur nie an - 
erreichen vermag. Man kann darum nicht sagen, dafs die 
gemalte Frucht schöner sey, als die natürlicliei die Natur 



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überhaupt uic s^köii, als ii^oferi) die Pliaiitasie sie sich 
vorsteiiU Man Mni^ nicht sagen , dal« di« Umrisse in der 
Natur weniger voUenddy dief*^r!en minder lebhaft war^; 
(]er l nlerschicd ist allein der, dafs die Wirkitehkeil la den 
Sinnen, die Kunst zu der Phantasie spricht, daCs jene 
j^^e Vü9fi a^uasi^nde Umrisse, dies^ >war immer besün^le^ 
aiier iinpper auich unendliche giebU 

Selbst der nnläugluire Widerspruch, der in diesen bei- 
be^ Eigenschaften enthalien ist, beweist, Jafs alle Wjikun^ 
dfr^ Kirnst nup: durch die; Stimmung des Empfindenden her- 

* Vff|^gebi:^bl wird. Denn s#nst ist es offientinr ktar, da^ 4er 
UiKirils, der bestimmt, zugleich begrenzt, da(s, indem er an- 
giebt, wie weit eine Linie, eine Flache gehen soll, er zu- 

• gijoiiiik alles Ftjrnere ausschlieisl; aber, die PhaiUasic be- 
g^eUft nie, sie gehl immer ins VnendlMiihe fdrt^mid. sobald 
al^Q di« Genie des Künstlers sie begeis^rt, yerl^dl^t sie 
ihre Unendlichkeit mit den Formen, die er ihr vorlegt, ohne 
sich um einen Widerspruch zu bekümmern, der zwar d^ 
Verstand mid die bloOse sinnliche Anseh^mig, nicht abei; 
ftic «ingeht» 

J'Lben daher kommt es aneh, dafs di^ Kirnst ans Immer 
ip i|fis zurück versenkt, da die Wirklichkeit uns aus uns 
lierattsführty nnsre Begierde zum Genufs, unsre TlUitigkeit 
zum Handeln w^kt Das. Werk 4er Kunst ist zu edel für 
den Genufs, und erregt tu sehr die innersten Kräfte des 
i^Ieifschen, uni sie plöUhch in Bewegung zu setzen; es llölsl 
«li^ l>öchsLe mid schönste B^^eist^rung zu groüsen Thatt;n 
ciUr aber erst indem es d^n Manschen . sieh selbst giebt. 
schenkt es ihn der Welt £s spricht gar Glicht zu den^e» 
nigcn rUeÜe ^s^ines \Vesens, mit dem er der Wirklichkeit 
aitgchüiL. 



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25 



Nolliweo4|igL«U, in der «icU. jeder eckt« KunaUer b«üuil«t, itliiner «Im 

Idealiiche so. erreicbea. 

i^obald man di\s Wesen der kunsl in den (jeselsen d^i* 
Phantasie, ivt/xli die sie t^iiftm wirksan» ist, onlBiichl, ge* 
langt nuin notbwendig auf d»^ Begriff des IdeeJiscben. 

Denn so uiiL»egreiflicli alich das VcrüalHcii des Kunst,- 

ist, so gewifs darifi, ininier i^lwas — und gerade das 
Wesentüehe — übrigl^ieibli» dec Di4|l4er seib«|L nickt 
verstehen», dj^r. Krilii^er nie apsyusprecbeA vehnag; so 
ist indefs dpcii immer so viel gewifs, dal's der Künstler 
zu^rAt v^n nichts aii4erm ausgelit, als nur etwas Wirkli- 
ches in. m m vearwandiüi^j dafs aber bald eria^, 
dies nijcht iiidi^rS}^ aJs durch eine^^^^ lebendiger JUit- 
theiluiig, nur dadurch möglicli ist, dafs er gleichsam einen 
clektriscl^n Fmiken aus seiner i^iiantasie in die PluaiU^i^ 
fp^dicei^ ^bi^i^M;öirifBi]i läfst^ und di^s svvajr nipiit unaiilldbart 
son4^ip so> ii^^ er ihn einew Object aolsjer sich einhaucht^ 

Dies Ist der einzige Weg, der ihni offen Ijegt, und ohne 
es irgend zu woUen , blols indem er seinen Dichterberuf 
erfüllt, und dt^ Ausführung seines Geschäfts der Phantasie 
gberl^fst, hebt, er die Natur aus den iSphranhen der Wii;|<* 
lichkeit empor , und. fuhrt sie in das Land der Ideen hii^ 
über, schafft er seii|^: hjidivid|ien iu ic|ca|p utii, 

Nftclialimungr d<ir Na'ttir.' . 

per Begrifl des id«4tH^h^n> als e^^as über die Wifik« 
Ui^kf^t l^rmifsni;n/eri^^t «{aa QeateH d<?n Nachah« 
nmng der Natur, das man bisher gewöhnKch dem Künst- 
ler zoi ii^fjpl^eu gebqt^u^ ja sogar <ds eine p^itipu dev 



üigiiizea by LiüOgle 



26 



Kunst Belbsi angesehen hat In der Thal fa(si er aueh die , 
beiden Hauptbegriffe derselben in sich: den der Realiläl in 

dem Ausdruck der Natur, und den, dafs dieselbe doch 
anders, als sie wirklich ist, dargestellt werden soll, in dem 
der JNachahmung, die tue eine völlige Uehereinkunft mit 
ihrem Vorbilde erhiabt Aber es enthalt euie Unbestimmt- 
heit, die nur dadurch vermieden weiden kann, dafs man das 
Wesen der Kunst nicht (wie man bisher nur zu od gethan 
hat) in der Beschaficnheit ihres Gegenstandes, sondern in 
der Stimmung der Phantane aufsucht 

Zwar hat man sich bemüht, dieser Unbestiüimlheit auf 
eine doppelte Weise abzuhelfen. Man hat dem Künstler 
empfohleni nur die schöne Natur, und diese nur schön 
nachxuahmen. Aliein ^er Begriff des SchSnen veranhifst 
vielerlei Milsverüläudnisse , ist von durchaus unbestimmter* 
Ausdehnung, und läfst immer neue mid höhere Grade bu. 
Der des Idealischen hingegen ist vollkommen bestimmt. 
Denn alles ist ideaHscfa, was die Phantasie in ihrer reinen 
Selbstlhätigkeit erzeugt, was daher vollkommne Phantane- 
Einheit besitzt Diese nun ist immer eine geschlossene 
Grdise, obgleich, da kein Künstler hoffen darf, sie ganz zu 
erreiehen» die Starke der Phantasie in den einzelnen Indi- 
viduen auch hier unzählige Grade jedoch nur in der 
Ausführung, nicht in der Forderung — zuläfst 

Die andre Zweideutigkeit, welche der Ausdruck der 
Nachahmung veranlalsty hat man dadurch vermeiden wollen, 
dafs es keine leidende Nadudimung, sondern eine selbst- - 
thUlige Umwandlung der Natur seyn müsse. Aber 
auch die Grensen und die Art dieser Umwandlung verlang- 
ten neue und, genau au reden, unmögliche Bestimmungen. 

Die einzige Art diesen Sireit xu schlichten, bleibt' da- 
her der subjective Weg, den wir gewählt haben, und der 
dennoch nicht weniger zu einer vollkommen objeclivenDe- 



Digitizod by C 



fii^tkm «ler Kunst lührt Denn da der Künstbr die Nalnic 
(onler der .wit den Inbegriff alks dessen^ was för um Rea« 
Iklt haben kann, verstehen) su di^pn Gegenstände der Phan- 
tasie macht: so ist die Kunst. die Darstellung der Na- 
tur durch die Einbildungskraft; und diese Definitkm 
unleladieidet sich so wenig von der oben (UL) gegebenen» 
dals sie vielmehr nur ein ob j ec Uve r Ausdruck derselben ist 
Diese Diirslellung kann luia niclit anders, als schön 
seyn; denn sie ist ein Werk der EinbiidungskraiL Siemufo 
eine Umwwidlung der Natur enthakten; denn sie verselil 
dieselbe in eine andre Sphäre. Die Definition selbst aber 
fafst die liestimmung in sich , welche Schönheit ihr ange- 
hören, welche Umwandlung die Natur erfaliren soll; keine 
andre neniich^ als welche jene VerseUnng in ein fremdar- 
tiges Medinm von selbst nit sieh bringt. 

vm. 

Zfmilev Vsmns der Kaast m ihrer letsten Voneadong: ToMilS*. — 
ZwiefMher Weg, dieeelbe sa etlMlIen. 

Wir haben nunmehr gezeigt, wie der Dichter zur Idea- 
lität gelangt; aber unsre fiehauptung im Vorigen erstreckte 
sieh noch weiter: wir sägten, dals er allemal auch Tota- 
litat erreiche; wir bedienten uns des Ausdrucks einer 
Well, und dieser Ausdruck sollte keine Metapher seyn. 

Die Welt, als der geschlossene Kreis alles Wirklichen, 
lalst sich auf diie awiefache Weise betrachten: einmal von 
den Gegenständen aus, die sie umfnfst; dann von den Or- 
ganen aus, womil der Mensch dieselben in sich aufnimmt. 
Denn nur insofern er entsprechende Organe besilBt^ kann 
dne Aufoenwelt für ihn vorhanden seyn. 

Der Dichter kann daher die Totalität, nadi der er 
sliebt, auch auf diese dOp])cUe Weise erreichen, indem er 
eutweder den Jireis der Objccte, oder den Kreis der £m- 



4 



S8 

* 

pfinihmgeii dunüilauft, 4ae 9» hervorbringeii. Üb» «raUfft 
H gewdhnlick der Weg des besehreibeaden, d«s ieUtor^ 

der des lyrischen Dichtep, obgleich beide uuch diese Me- 
thode uuitauscben können, da es nicht auf die untntUelbarej 
sondern nur auf die leUie Wirkung ankonuBi^ die «k tu-' ' 
rtieklasseiL 

Auf keinem von beiden. Wegen ist es ihm schwer ^ au 
diesem Ziel zu gelangen. Alle verschiedenen. Zustände des 
nensdiiichen Wesens ^ (und scImmi dasum» weil dies der 
Sifindpanki haH, aus dem wir die Nafair brtw d i te» ) aiiA 
aUe Kräfte der Natair sitid so nahe anl .enaBder ymFandjt, 
hallen und tragen sich so ge^euseilig unter einander, da£^ 
es kaum möglich ist, eine derselben lebendig darzustidki^ 
ohne auch aiigleich den ganien Jüoeis nui in seinen Plan 
auftunehmen. Für den beschreibenden Diehier insbeson'^ 
dere ist das Leben so reich an Verhältnissen, und es wird 
ihm so leicht, dieselben wiederum auf eine für den Men- 
schen bedeutende Weise dänusteUen, dals er iiur eineii 
selbst zufalJig. aufgenommenen Stoff näher su entwickeln, 
nur die angelegten Figuren mehr zu individuaiisireti braucht, 
Uin immerfort auf Lagen m stofsen, die er dem Gemüth 
wichtig machen kfixußf und ui|t bald nach imd iiach dje 
gamie Masse von Gegenständen su erschöpfen, welche sich 
seinem Bück von scmeiu Maiidpunkle aus darbicleii. 

In dieser Kunst, dxtö, Lebeu der Phantasie vor- 

Kufiihren, oder dien gansen lleiischen iiiv seinem Innersten 
zUi erschüttern, und also immer auf einnial alles au umfos* 
sen, was ihn zu rühren vermag, hal niemand die Allen 
übeitroHen. Jede Hymne des Piadar, jeder gtöisere Ch^ 
der Tragiker, jede Ode d^s Horas durchläuft^ nur in mi* 
endUch abwechselnder Mannigfaltigkell, denselben Kreis, 
Immer ist -es die Erhabenheil der Götter, die M^cht des 
Schicksals, 4^ Al^huugigkeil des M^i^schei), aber auch die 



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29 



iiröbe der (icsmuiing und die Höhe des Miillis, durdi % 
welelie. «r sich gegen das ächkksi^l zu behauplen, od«r 
^ öber dusMlbe «ii erheben vertnng, welehe der DiehUr 

schildert. Und wie anders, wie Jel>eii(Jji;oi , reicher, «inif- 
lich- klarer nodi ist eben dies im iiouier gezeichnet! Nicht 
biofs in seinem ganzen Gedicht^ in jedem einzelnen Ge- 
«MngBy last in jeder ^ntdnen SteU« Hegt das ganze Leben 
offen und klar vör uns da, da(s die Seele auf einmal leicht 
und sieher, was wir sind und vecnii>geu, was wir leiden 
gwiefeen, wo wir recht ihun und wo wir iehlen» ent- 
äckcadet 

Daher die beculiigeDde Wirkung, die jedes rein ge- 
stimmte G'emülh bei der Lesung der Allen erfährt; daher, 
da£s sie audi den leidenschaftlichsten Zustand iieftiger Au^ 
Wallung oder erliegender, Verzweifliing attenial zur Rube 
lierab'^ und zum Muthe hinaufstimmen. Denn diese, Kraft 
einhauchende, Ruhe fehlt niemals, suhiild nur der Mensch 
•ein Verhiiltnifs zu der Welt und dem Scliicksale ganz 
uberaieht;. Blo£i wenn er gerade da stehen bleibl, wo die 
anbtve Ulacht sme innere Kraft, oder seine innere Heftig- 
keit das iiufsere Gieicljgewicht zu überwältigen droht, enl- 
steht verzweifelnder Miismuth, md sß günstig ist die ihm 
in der Reihe der Ding^ angewieaene Stelle, dab Harmona« 
und Rulle hiuner sogleicli zurückkehren , als er nur den 
KreiSvder Erscheinungen voJIcutlcl, welcJie il)m die Phmi- 
lasie in diesen Augeubhckcn eine^'.ernöleii Rührung, iu we(r 
eher ei- mit dem Geschidt Rechnung hält, vorfuhrt 

' 4 

IX. ' 

Diese Totalität ist allemal eine noUtwcndige Folge der volikMinMieii ' 
Ueritdiaft der dicbteri^olien fiinbUduiigdUiUl. 

Aber es hfingl nicht bloTs von der oft zufälhgen Wahl 
des Gegenstandes, nicU von der Individualität des Dichters 



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30 



ab, sich dieser Totalität zu .versichern, und auf einnal ai- 
1er £inpfindiingeii seines Zohorers Meisler wa werden. Er 
imils es immer rnid darchaus, sobald er nur im absoliiUai 

Verslande Dichter zu heifsen veidienl, d. i. sobald er es 
versteht, die £iiibildungskrafl herrschend und sellistthätig 
SU madieii. 

Denn weder die ZaM der Objeeie, die er nt seine« 

Plan oufniumit, ist hierbei vorzüglich wichlig, noch auch 
die rSühe, in welcher dieselben zu dem höchsten Interesse 
deir Mensehheil liegen; beideSi wie sehr es auch die Wir- 
kung seiner Arbeil verstärken kann, ist für ihren künstle* 
rischen Werth gleichgültig; alles, was er hierbei zu ihun 
Kät, ist nur seinen Leser in einen Mittelpunkt zu stellen, 
vo;i welchem nach allen Seiten hin Stralen ins Unendliche 
ausgehen, imd von dem er daher alle die. groÜMn und an- 
fachen Naturformen iibersehauen kann, die sogleidi da ste- 
hen, als man die ^virklichen Gegenstände ihrer aufidfige» 
Eigenthüinüchkeiten entkleidet 

£8 kommt daher gar nicht darauf an » alles, was an 
sich unmögOdi wäre, oder auch nur vides, was mandie 
Gattungen der Kunst ausschliefsen würde, wirklich zu zei- 
gen, sondern nur darauf, uns in die Stimmung zu ver- 
seilen, alles tu sehen, £r sanimle nur unser eignes We- 
sen in Einen Punkt, und bestimme es, wie er als K&istler 
immer thun mufs^ sich in einem Gegenstand auiser sich 
selbst hinzustellen (objectiv zu seyn), und es steht unmit- 
telbar (welches dieser Gegenstand auch seyn möchte) eme 
Welt vor uns da. Denn unser ganses Wesen ist dann in 
uns zugleich und in allen seinen Punkten rege, und ist 
schöpferisch; was es in dieser Stimmung hervorbiingt, mufs 
ihm selbst entsprechen, und wieder Eanheit und Totalität 
besitien; nun aber sind es diese beiden Begriifej die wir In 

* 

deni Attsdiuck einer Welt mit dnander vereinigen. 



Es isl iieuilich liier wieder derselbe Fall, den wir vor- 
lain bei der Emiebung des Idealbch«» fanden. Der Di«h« 
tor yerseUje uns^ wie er sdnein ersten und etn&chslen Be* 
rufe nach txi ihun verbunden ist, aulserhnlb den Schranken 
der Wirklichkeit, und wir befinden uns unmittelbar von 
selbst in der Regien, in welcher jeder Punkt das CeoUnrat 
4es Gänsen, und mithin dieses schrankenlos' und unendfich 
ist Abaolttte TotalilSt mufs eben so sehr der unterschei- 
dende Charakter alles Idealischen seyn, als das gerade Ge- 
gentheü davon der unterscheidende Charakter der Wirklidip» 
hmi mbL Sebald also der Dichter nur dahin gelangt» in uns 
jede auf die Kenntmis der Wirklichkeit gerichtete Stim- 
mung zu unterdrüeLen, und alle sonst damit beschälliglen 
Kräfte unarea Geiates aUein der £inbüdungskra(t untenw- 
Qtdnen, so hal er aetnen Zweck, erreicht. Demi nun ial 
diese lelstere aUein herrschend; wm knüpft n» auf eimnal 
aUes zusammen, worin sie eine für sich besiehende Kraft, 
iein eignes Lebenspnncip entdeckt; und da alles i^ositive 
nH cinattder yerwandt und eigentliGh Eins «He Absen« 
denmg von Individuen aber nur durch BmhrMung enir 
nichi, so erfolgt hieraus nothwendig von selbst ein Stieben 
nach einer in sich selbst geschlossenen Voilatäudigkeit Das 
Gemüth dko, auf das der Künstler ao eingewirki hat» ial 
iauner geneigt, von welchem Oljede ea auch auagehen 
möchte, doch den ganzen damit verwandten Kreis zu vol> 
lenden, und immer im eigentliclisleu Verstände eine Well 
von Erscheinungen auf einmal ausammen au fassen. , 

Mehr aber ala daa Gemttth au atimmen ist lucht 
& Absiehl des Dichters, «fie sich überhaupt nie über das 
Subject hinaus erstreckt, und die Gegenstände nie anders 
schildert, als um in ihnen den Menschen darauatelien; und 
ao viel mufa er jedesmal leisten, er mag den einfachaten 
Sloff« einan Sonnenaufgang, einen sdiönen Sommerabendi 



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ii 

oder jede andre einzelne ^aliirsccue besingeu, oder eine 
Itfas, eine Messiade dtchlen* Se imseirtrennfich isi dieM 
Forderung mit seinem Dichter- uni überhaupt mit «einem 

Künsllerbernfc verbunden. 

Auch ist die Erfüllung deiselbeii im genauesten .Ver- 
alande nur das Werk der echten Künstlernatur. Denn statt 
dar» , wie man vietteicht au giauben geneügt ist» «ur der 
ernste, grofse, gehaltreiche Dichter am besten Sne Tota- 
Klät erreicht, führt uns gerad»^ der ilir am nächsten , wel- 
ehetn der Genius der Kunst seine gröfoeste Leiohligkeit 
verliehen hat, der die Einbildungskraft • am aartesten und 
leiseslcn zu bewegen versteht, dessen Tttnen sie M Qf^ 
jiigsten entgegen scbwidl, der sie mit einer unendlichen 
Sehnsucht nach iimiier neuen Verbindungen, immer neuen 
FKigen erföilt Denn darin eben besteht dies AliumCae^ 
sende, das er Ihr mitlheilt, dafs ne nirgends In Bchmw 
auftriltj um sicli an Einer Stelle festzuwurzeln, dals sie im- 
mer weiter und wciler schweift, und doch iuuncr den gan- 
zen Kreis «ugleich beherrscht^ den sie durchstrichen hat| 
dnfs ihre Wonne an Wehnrath, ihre Wehmuth an Wannte, 
gi-änzt; dafs sie nichts mehr jii der Farbe der Wirklichkeit, 
alles nur in dem Glänze erbhckt, mit dem sie es, wie durdl 
einen geheimnifevoiien Zauber, überkhiidet. 

Es ist nicht mehr schwer» eine Welt su bewigen, wemi 
man einen Punkl nufserhalh derselben gefunden hat) mif 
den man mit Sicherheit fufsen kann. 

KinHufi des Moalischen in der Darstellug auf die TotsIttSt. 

Ist <lie 8eele einmal künstlerisch gestimmt, -hat ihr der 
Dichter einmal jene larte fimpD&uglichkeH, jene leise Erreg- 
barkeit milgelbeilt, so hängt es aHein vcw semer Willköhir 



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ub, wie viele einzelne Objecto er ihr wirklidi vorführen, 
wie viele eiiwelne Empfindiingen er in ihr rege nutehen 
will Dies bestilnml die Nalur seiner tiAtlimg, die- Wahl 
seines Moüs, endiich seine Itulividualitiit. D«ils es ihm nicht 
schwer werden kann, aus jeglicliem Stoff eine groüse Man- 
nigfaitigl^eil von Figiwen xu entwickeln, ist schon iin V«* 
rigen gezeigt worden; aber es ist auch noch mehr. Dit 
Art, wie er auch nur eine einzige dichterisch, aufstellen 
mulsj bereitet die Phantasie von selbst zu, nicht blofs meh- 
rere, sondern gerade so viele andre-an diescUie anzukniipfeil^. 
als mit dieser einen geschlossenen Kreis bilden. 

Dadorch, dafs die Einbildungskraft das Aehnliebe mit 
dem Aehniiciien verknüpft, und selbst zwisciien das Uiiähn- 
liehe noch verbindende Mittelglieder einschiebl, bringt sie 
nur ftlannigfaitigkeity nicht Totaütäl, hervor. Zu dieser leta- 
leren vmk sie und ihr Objeet diehlerisch gestimmt und au- 
bereitet seyn, und dici ist der Fall, wenn der Dichter ideo- 
tische Figuren aufstellt. 

Zu beidem, ku- dm Idealischen und* aur Totalität , er- 
hübt er «sieh nur in dem Gebfeie der Einbildungskraft; iHir 
nachdem er das beschränkte und getrennte Daseyn der 
Wirklichkeit, wie durch einen Machtspruch, aufgehoben bat. 
Beides muis daher in genauer Verbindung mit einander ste- 
1^1. Auch beruht das Ideaiische offenbar auf der Möglich- 
keit dfr TotaBtSt^ denn^ das Unterscheidende des Ideals 
besteht gerade darin, dafs es sich alles, aber alles nur auf 
seine Weise, aneignet. Und wiederum begränzt das Idea* 
Hsche die Totalität, da es die Menge der einsehien Bestand* 
theile immer In Massen zusammenschliefst , die^ aus Einem 
Punkt betrachtet, ein Ganzes für den VersUnU oder die 
Anschauung btiden. 

Wir nennen ein Ideal die Darstellung einer Ideo ia ci- 
nem Individuum. Wir fordern daher von demselfai^U eine 
IV. 3 



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34 



Kigenthümlichkeil ohne ii^inseilit^keit. Eine solche a^er er- 
hiilten wir nidii anders, «U indein wir ailes., waS' einem 
gewissen Chartfkler (der jeder id^ayschen Figur tmfner tum 
(irunde Hegen nujls) wesenlhch isl, zusammennehmen; alle« 
hingegen, was er nur zutailig an sich Iriigl, davon abson- 
dern. Alle Ideale eradieineD ihiher vollkommen als das, 
und nur als das, was sie wirklich sind. Dadurch fiilh bei 
mehreren unmiilelbar der Punkt ihrer gemeinsamen -Berüh- 
rung und der Punkt ihres individuellen ( ontrasles ins Auge. 
Aber es kann auch niehl Leicht eine Lücke unausgefülU 
• bleiben. Wo swischen sweien ein Mittelglied 4ehlt, da mufo 
nian es immKtelbar auch gewahr werden. 

Durdi diese Aehniiclikeit, die nie zur Einerleilieil , und 
diese Verschiedenheit, die nie zur Unverträglichkeit ausar- 
tet» sondert^ sich nun die gante • Well vor dem iüealisiren- 
den Blick in eine unendliche Zahl -einselner Massen ab. 
Die Individuen treten in Gini»|»eiK kleinere unter diesen in 
gröfsere, alle in eiu Ganzes zusamnien. Nicht anders er- 
geht es dem Dichter. Auch er zeigl nichts ab Massen. 
S^h ganser Stoff verbindet eine selclie Beweglichkeit mU 
solchem Streben nach Form, dafs er, wof man nur einsohnei- 
det, uberall in organische Massen aus einander flieht j wo 
man v€l4>iiidet, sich wieder zu solchen ztrsanin>enrolU. 

■ An demselben Faden nun, an dem das Genie des Dichr 
ler» diese mannigfaltigen Gruppen aus einander entwickelt, 
an demselben geht die Phantasie seines Lesers von der ei- 
nen wm andern über; und sobald einmal eine einzige idea- 
liscli> geseii^nete Figur da steht, nöthigt sie von selbst, 
andre, und .wieder andre, und so viele herVbrznrufeQ, bis 
sie einen Kreis vollendet hat, der für den jedesmaligen Grad 
der künstlerischen SUmuiung hinlänglich grofe und umias- 
send ist - 

Alle Gestalkti nun-, die der Dichter auifUliren kann. 



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35 

haben einen gemeinsamen Verbindungspunkl , ihre Beiie« 
httäg auf die menschliche Nalur. Von fliesem Mitlelpunkt 
ans kann er schlechterJings alle bewegen und beherrschen. 

Viele aber sind noch he'i weitem näher mit einander ver- 
wandt, und bilden eine noch viel enger geschlossene Spliäre. 

Werni nun beides, die Einbildungskiraft sq gestimmt 
und der Gegenstand so bearbeitet ist , dafs die erstere bei 
kt'iiiem einzelnen Punkt stehen bleiben, und der k'lzlere 
sie auf keinen einzelnen heften will 'y ßo kann nicht anders, 
als erst mit der Vollendung des, ganzen Kreises, mit voll* 
kommner Totalität, Stillstand ur.d Buhe emtrelen. 

Wie ist es z. B. möglich, dns Aller des Jünglings le- 
bendig m schüdeni, ohne dafs der Phantasie zugleich das 
Kind, aus dem er hervorgeht, der Mann, dem seine Kraft 
enigegenreifl , und -der Greis, in dem 'die letalen Funken 
seines auflodernden Feuers verglimmen, gegen wiir Ii g w ären? 
Wie den Helden zu mahlen, der auf dem Schlaciillelde, 
mitten unter Leichnamen, dftn Tod gebeut, und das Ver- 
derben pltfnmafsig anordnet, ohne den ruhigen Denker, der 
ftwiäehen seinen einsamen Wihiden, fern von aller ausüben- 
den Thäfigkeit und den laeignissen des Tages fremd, nur 
W«'dirheiteu naciispäht, die vielleicht erst komnienden Jalir* 
hunderten segenvolle Früchts veraprechen, oder den ruhi* 
gen Pfliiger, der, nur för das Biediirfiiife des Tages besorgt, 
nu» aul den Wechsel der sich immer von neuem aliroUcTi- , 
den Jahrszeiten hesehr.wkt , blofs der künftigen Ernte ge- 
deckt, zugleich vor die 8eele au nifeA? 

Ein Zustand führt «imm^ von selbst die übrigen Xm-i 
bei, durcli welche nur gemeinschaftlich der einzelne Mensch 
' oder che gunse Menscidieit bestehen kann; und dies ist eben 
der grofse Gewinnst, den die künstleriseh geaiimiiite ßii^ 
bildungskraft auch «dem moralisclien MenachSm gewahrt, dafs« 
sie ihn gewisaermafsen alle E|iocfaen des Lebens zu vev«ff< 

3' 



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9f 



Iiigen, die verflossene noch forlzusetzeit und die nächstfol- 
gende schon oAsufangen lehri» ohne dofs er durum doch 
der gegenwjirUgen weniger eigeathiimlich angehört. 



Ueberüiclit des gansen Weges, welchen der Dichter von seinem ar-> 
tpriifiglidieii Zweck l»it tu aeiii«iii liöclislen Ziele xnrücklegt. 

hl keiner Art menschlicher Thütigkeil mi es niögiich 
. das Höchste su erreichen^ als nur hmerhalh der Schranken 
ihrer Galtung. 'Nur dadurch, dafs er dasjenige vollkommen 
geltend macht, was er ist) erreicht der Mensch Oberhatipt, 
lind der Einzelne inshcsoiuli e , seine ietzic allgenitiue und 
individuelle Bestiiniuung. Nicht anders der Dichter. Sein 

' Geschüft ist es, die Einbildungskraft herrschend und pro- 
dttdiv SU machen, und indem er dies Geschäft vollendet, 
gelangt er zn Idealen und erreicht er TotalitäL 

Dies glauben wir im Vorigen bewiesen 9u haben; und 
wenn der Weg, den wir gingen, lang und unsrem nächsten 
Geschäft fremd schien, so wühlten wir ihn dennoch nicfal 
ohne Ursnche. Nichts ist hei Beurllieilungen jeder Art von 
Arbeilen so wichtig, als die Forderungen streng vor Augen 
XU haben, deren genaue Erfüllung man mit Jiechi von ih- 
iien erwarten kann. Zwar isl es nicht ungewöhnlich, vor- 

, auglich ästhetische Werke - mit unbestimmten Lobsprüchen 
zu erheben, sie lud anderen ihrer Gattung zu vergleichen, 
und ilinen gleichsam iiberverdienstliche Tugenden beizule« 
gen. Niehls desto weniger bleibt die einzige richtige Art 
der Bourlheilung immer die, dieselben allein mit dem, was 
sie seyn sollen, mit den Grundsiilzen der Aesthetik und 
dem Ideiri der Kunst xu vergleichen, zu entscheiden, ob sie 
ihre PDicht erfüllen, den gerechten und jnothweudigen An-* 
Sprüche« der Kritik ein Genüge leisten. Ihr absoluter, nicht 



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4 

ihr r«lirtiTer Werth soll bcstimint werden. Bliebe man die- 
sem Wege unverbrilchlieh gelreu, so würden die Bawor« 
ler des Sehdnen; des Erhnbenen, des VortTefflU 

chen sicli voji selbst in die des verständig Gcdacli- 
ten, plannialsig Atigeordaelen, wahr (leschilder- 
len, richlig Empfundenen, pod'lisch DargesteU* 
len verwandeln; man wurde sich begnügen, einfach su ent» 
scheiden, mit welchem Rechte d;is Werk den Namen eines 
jGedichls überhaupt und den der besondeni Gattuug führt, 
der es beigeaählt wird. 

Freilich verlrägl nicht jedes Gedicht eine solche Beur- 
theilung*, aber unverseihKch wurde es seyn, eine andre bei 
demjenigen anzuwenden, welches so grofse nolhwendige 
und wesentliche Tugenden besitzt, und so sehr alles frem- 
den und erborgten Schnuickes entbehrt 

Wir sind bei der Entwickelung des Wesens der 'Kunst 
bisher mehr eiiietn raisonnirenden Gange gefolgt, und ha- 
ben uns nur selten auf die Erfahrung berufen. Um uns 
indeis von den aa^esteUten Behauptungen auch noch auf 
•liie sianliohe Weise su öberzeugen, dürfen wir nur die 
Wirkung in uns zurückrufen, weiche jedes vollendete Kunsl- 
werk immer in uns hervorbringt: die >Stimmung, in die uns 
der 9eivaderisGhe Apoll oder eine Stelle des Homer verselsl. 

Alle Fäden menschlicher Gefühle sind alsdann in uns 
aufgesogen; wir empfinden die menschliche Natin /Ai<;letelj 
in allen ihren Berülirungspunkten j nie gehen wir ieiser von 
einer Empfindung lu einer «ndren über; nie i^t jede, anch 
sonst heftige, Regung so milde und so gehalten; sugieich 
aber spiegell sich alsdann' in uns die Welt , die rnis um- 
gtebt, und setzt dieselbe Stinmmng in uns iovi. Denn die 
Vollendung und Harmonie, die wir vor uns erblicken» ge-' 
heu in uns selbel über, und oflfonboren sich dm^h Rulie 
und Rührung — welche beide man viellcMhl als die all- 



38 



gemeinste W irkung jedes grol'seti Kunstwerks ansehen darf: 
durch Huhe, weil in diesem Zustande nichts Störendes, 
nicht» Mi&kiingendes Statt finden kann; durch Rührung, 
weil es immer das Herz mit Wehmulh ergreift, sa oft wir 
in eine gewisse Tiefe der Natur oder der iMensclilieit blicken. 
Beide zusammen beweisen, däfs wir die Menschheit uikI 
das Schicksal, diese beiden -ungeheuren Gegenstände, die 
auf einmal alles umfassen, was ein menschliches Hers au > 
rühren vermag, nie lebendiger durchsclmuen und energi- 
scher verknüjifen, als in diesen Momenten, in eme soidie 
wunderbare und unbegreifliche Stimmung aber kjann der 
Geist nicht iinders versetzt, in eine solche Tiefe nicht an- 
ders versenkt werden, als wenn man ihn, von aller Wirk- 
lichkeit hinweg, in eine Welt von Idealen hinüberzaubert, 
in der er die Natur nur an ihren Elementen und ihren 
Kräften - wiedererkennt, sonst aber überall blofis eine ihr 
fremde Vollendung und Schrankcnlosigkeit antrifil. 

Wenn man nuiiuiela dun Weg übersieht, welchen der 
Dichter (und mit ihm jeder Künstler) durcldäufi, so er* 
staunt man bei der Betrachtung, von welchem einfachen 
Ziel aus er sich zu welcher unbegreiflichen Höhe schwingt 

Dert wirklichen Uegcnslaad nur gleichsam £iun Spiel 
in ein Object der Phaulasie zu verwandeln, fängt er au, 
und hört damit auf, das gröliieste und schwerste Geschäft, 
was dem Menschen als seine letzte Bestimmung aufgege- 
ben ist, sich iiiicl die Aufsenwell um ihn her auf das m- 
'nigstc mit einander zu vcrknüplen, diese erst als einen 
fremden Gegenstand in sich aufzunehmen, dann aber als 
einen frei und selbst organisirtten wieder ' zurückmgeben, 
auf seine Weise und mit den ihm angewiesenen Organen 
auszulühren. 

Denn den ganzen Stoff, den ihm die Beobachtung- dar- 
reicht, organisirt er zu einer ideatischen Form für die -Ein* 



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2» 

bildungskralV und die Welt uin ihn hei ctschemi thtii aiclil 
anders, aU wie ein durchgungig individueiics , lebendiges, 
harmoDtsefaes, nirgeods beachränktes noch abhängiges, mir 
sich selbst geiiiigeiides Ganzes mannigfailiger Ponnen. So 
hal er seine eigne innerste und beste Natur in sie überge- 
tragen, und sie zu eineui Wesen gemacht, mit dem er nun 
veiU^oinmen su 8ym|)a4hiinren vermag. 

XII. 

Viitmcheititinä, «k'ä hoUt^n uiul e<-lil<m Styls in der Diclitkuii&t von 
* . dem Aiteratyl in derseibeiu 

Ob der Dichter bis zu diesem Gipfel der Kunst ge- 
langt, ob er seine Leser mit sich bis zu dieser Hi)he er> 
• hehl? dies ist also der einaige echte Prüfstein seines wah- 
ren ästhetischen Werths. Denn an diesem Ziele müssen 
sich alle mit einander vereinigen, welche den Namen eines 
Künstlers mit Keclit tragen wollen, wie verschieden auch 
•der Weg sev, den sie, gezwungen durch die Gattung, die 
sie gewählt hahen, oder eingeladen durch die Verschieden- 
fa^ ihrer Individualilat, dahin einschlagen. Eine Nation, 
die nocii nicht lebendig empfindet, dafs dort allein die kiitist- 
lerische Vollendung gesucht werden darf, eine Sprache, die 
es ihren Dichtem nicht leicht macht, diese Dahn mit Glück 
jra veHolgen, sind von dem'grofseti Styl in derPojfsie noch 
eiilfernl, und ^nlbchren noch aller der wohllhatigon Folgen, 
die damit lür die Bildung überhaupt und jden Charakter 
verbunden sind. 

Denn allerdings giebt es aufser jenem grofsen und ho- 
hen Styl in der Kunst noch einen <indern, der dem von 
Natur minder reinen, oder durch Verwöhnung verdorbenen 
Geschmack sogar noch gelailiger selimeichellv itnd daher 
sehr oft mit jenem allein echten verwechselt wird. Ja, da 



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40 

beide getvisseriuaiscii lu zwei verscbietienen Regionen lie- 
gen, so kann Belb«! die Kritik swischen swei Kunstwerken 
ftweifettuili scyn , von denen das eine in jenem minder ho- 
hen Styl uielir leistet, als das andre auf seinem besseren, 

aber auch slcileicn imd gefahrvolleren Pfade. 

Unter allen Künsten aber ist keine der Versuchung, 
ihre eigentliümliche Schönheit durch erboigten SchfBUck 
cu entstellen, so nahe, als die Dichtkunst Denn aufserdem 
(Jals sie, \Vie jede andre Kunst, sUiU die Einbildungskraft 
völlig frei und scibsllhülig zu erhalten , statt sie entschie- 
den zu ndlhigen, ein bestimmtes Object hervorsubrinj;en, 
sie blofs mit angenehmen und gefälligen Bildern erfüllen; 
sie mit ciiitni bunten, aber unbedeutenden 1 ;iibenspiei um- 
geben kann; so hat aic aucii noch einen andren Abweg zu 
fürchten, der nur ihr aliein angehört» Da sie durch die 
Sprache, also durch ein Glittet wirkt, das, urspränglich nur 
lür den Verbland gebildet, erst einer Umarbeitung bedarf, 
um auch bei der Piiantasie Eingang zu linden; so schweift 
sie leicht in das Gebiet der Phikaophie hinüber, und inter- 
esairt unmittelbar den Geist und das Hen^ sUiU Uola auf 
die Einbildungskraft einzuwirken. Mehr, als irgend eino 
ilircr Schwcslerii, im Stande, auch «ocli durch etwas, das 
gar nicht mehr Kuu^l. iäl, zu gelten, findet sie überall die 
' mehresten Anhänger , da hingegen die Musik, die Mahlesei 
und vor allen die Plastik» in deüen aich, vielleicht gerade 
in der hier angegebenen Stufenfolge, der BegHff der Kunst 
immer reiner und enger zusammendr^gt, nur den immer 
seltneren echt ästhetischon Sinn lu fesseln verinögen, . 

Aiif diesen Abwegen nun artet die Dichtkunst von ih- 
rer eigentlichen und höheren rsalui aus; sucht abwechselnd 
durch niahlerische Bilder zu gefallen, und durch glänzende 
und rühreudp Sentenaen m erstaunen und au erschüttern; 
und sinkt von der Geburt des Genies »i .einem hlofiien 



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« 



Werk des Talents iieiab. Zwar isl sie auch so iiocb im- 
laer einiger , und unler den Händen grofser Meisier (die 
num tmh hier nieht verkennen darf) noch sogar einer gro* 
fsen Wirkung fühig ; me kann xugleidi die Einbildungskraft 
in Bewegung seUeii, und üicli des (ieistes und <les Herzens 
bemäcUiigen ^ sie koim durch . BliUe des ücmes Bewunde- 
rung und Hilhrung erregen : * aber imoi^eiE' wird man seine 
erieuciitende und envürinende Fianune entbehren) immer tn 
dem I\Ian&,el jener innigen Begeisterung, jener hohen und 
harmonischen iiulic die Gegenwart der ecli^en Kunst ver- 
missen. 

Denn die Einbildungskraft, die luer nie frei und aUeift 
wirkt, vermag uns nicht aus dem Kreise aller WiHcKdikeii 

hinaus in das I^anU der Ideale zu versetzen, und ohne das 
isly w^che Mittel man auch sonsi anwenden möchte » nie* 
mals eine echt hünstterische Wirkung denkbar. 

xm. ' • 

Anwendung des Vorigen aof Herrinann und Dorotlma. — Reiif« 
Objectivität dieaea Gedichts. — Ente Stufe defselben. 

Wenn wir uns bisher bemühten, den grofsen, oder viel- 
mehr den reinen und echt dichterischen Styl demjenigen 
entgegenauaetaen^ der nur mit Unrecht diesen Namen füfarl; 
ae war es in der That nicht, biofe'zu beweisen, dais das 
vorliegende üetlicht ungezweifell dem ersleren angehört; 
diesen Beweis liülte uns die £m|>iindung des Lesers von 
selbst erlassen. Wir verweilten nur darum ao lange bei 
der Entwicklung des Begriffs der Kunst, bei der Zeiglie- 
derung ihrer Bestinnnnng und der Schilderung ihrer Wir- 
kung, um deslo voller m euiphnden, was es heifst^ dafs 
der allgemeine Charakter aller Kunst so unver- 
fcehnbar in demselben ausgeprägt ist, dafs er. 



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dadurch zu seinem eigeulhüuiiichen u^nd unter- 
scheidenden wird. • 

Was das leiste Ziel jedes kvnsllerischen Beiuüfatns Ui, 
dahin hal dies Gedicht in der Thal ein auffeilendes und < 

entschiedenes Streben, dahin gelangt es mit dem glücklich- 
sten Erfolge. Der cclile Dichter, haben wir gesehn, wir kt 
allein auf die Einbildungskraft; er hesümmt sie, frei und 
gesetsinSfsig einen Gegenstand aus sich selbst zu eneiigen ; 
er slelll einzelne Geslallen vor ihr aut , und zeigt ihr in 
ihnen die Welt und die Menschlieit in ihren letzte» und 
grdfsesten Verbindungen. Gerade dasselbe erfahrt auch der 
Leser Herrmanns und Dorotheens. Von dem ersten 
Gesänge an fühlt er seine PliaiUasie mächtig angezogen; 
die einzelnen Xheile der Handlung, die sich vor ihm be- 
' wegt, gehen wie von selbst aus ihr und aus einander her^ 
vor; er glaubt- sich Thälnehmer des Familienkreises weni- \ 
ger Menschen, und wird zu einer Höhe der Ansicht erho- 
ben^ über die er selbst bewundernd erstaunt. 

Nicht Worte sind es, die seinem Ohre nachhaUen, 
nicht einselne Gedanken und Aussprüche, die sich, aus dem 
Ganzen herausgerissen, seiner Seele eingeprägt haben; so 
vieles ihm aucli davon noch gegenwärtig geblieben ist, das 
die Erinnerung bei ähidichen Vorfüllen des Lebens zurück- 
führen whrd, so sind iii dem Momente, wo er dem Dichter 
bis ans Ende gefolgt ist, es doch nur die Sache, die -Hand- 
Jung, die Personen, die lebendig vor ihm dastehen. 

Er sieht den JüngÜng, dessen Gefühle bis dahin un- ^ 
entfaltet; ihin selbst unbewufst, gebunden schlummerten, 
durch eine plötzUch auflodernde Leidenschaft von den Bon- 
den befreit, die sein Inneres heniiiitcn, sieht, da dieser Zau- 
ber in ihm gelöst ist, die edelsten und höchsten Entschlüsse 
in ihm aufkeimen, sieht ihn beim ersten ßltcke das Mäd- 
chen erkennen, das die Natur für ihn bestimmt hat, ^ind 



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aich mit reincai Veiiraueu dieser Eiiipiinduog überlassen; 
stehe das Mädehen^ das, mulhig und Uiätig, in eigner Be« 
, drängmis noch liülfreieh isi, eiftleo Hoffnungen, nichl trage 
vertraut, in wahrer Noth nicht feige verzweifelt, edJei Liebe 
nicht unem|>ranglich stille \V üiis(Jie im besciieidcucu Busen 
birgl, aber, wenn ihr Ehrgefühl aufgeregt wird, uüi w^b- 
lichem MuUi die verborgensten . Fallen ihres Hersens auf- 
dfeckif sieht die lldenschheit , wie sie in allen ihren Formen 
reine und grolse Cliaiaktcic bew.ilul, wie sie einzeln ver- 
theilty was verbunden in geschlosseneui Kreise innere Vol- 
lendung mit äufserer Zufriedenheit paart; sidht endlich das 
Schicksal y wie es Individuen -und Nationen aus einander- 
sdilcüdci l , aljer nichts gegen die unenniidliche Kraft des 
Menschen vermag, der, wo es ihn hinwirft, imuiei* wieder 
von neuem Fufe fafet, sieh von neueni eine Hütte bauli 
^neiie Bande knüpft, sich ein neu^s Glück und neue Fieu- . 
den scliafll. 

So vollkonnnen objectiv hat der Dichter seinen Stoft 
behandelt. So ist es immer Ein Gegenstand, der ihn be» 
schäfiligt, und« dieser JSne rein ei-zeugl durch die Einbil- 
dungskraft. 

XIV. 

Zweite Stufe itei- Oljectivitüt tinsres Gedichts. — Verwandfocliaft. 
aeiii«s Styls mit dem Styl der bildenden Kunst. 

Kein Bcgiifl ist m der Tiieone der Kunsl so wichtig, 
aU der der ObjectivitUt; keiner erfordert augleich eine so 
genaue und ausführlidie Erörterung. 

Denn eines Theils ist das Ofaject der Kunsl nie ein 
wirkliches Objecl, und tragt daher inuner nur gewissernia- 
fsen uneigetillicli diesen Namen. Die Kunst bleibt .allein 
innerhalb des Kreises der Einbildungskraft,, also innerhalb 
ussres GemüM»; es 'ist ddher inuner nur ein ideides 13e- 



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44 



ziehen derselben Kraft auf die Natur und die Sache, oder 
auf den MeiMcken und die Peivon. Von dieter Seite mufa 
man li^ suertl vor Verwecitalung und frrthum Hilten. 

Dann aber ist dieser Begrifl' auch andren Theils von 
sehr verschiedenem Uintange. Denn obgieich jeder Künst- 
ler« ohne Ausnahme objeetiv seyn mufa, so ist doch dem 
eben dies Gesets- noch strenger vorgescbiteben^ ata dem 
andren; es giebt einige, denen man m*Verglelchting itiH 
andren, sogar die entgegengeselzle Benenn img geben könnte; 
und man muls daher immer genau unterscheiden, in wei« 
cheni Umfange der Begriff der- Objectintäl genommen, 
'wolchem andren er gerade an der Stelle, wo er vorkommt, 
entgei^eiigeselzl isl. 

Diese Vorsicht ist um so nolhwendiger, als jene Viel- 
deutigkeit des Begriffs nicht von onem irrigen Gebrauche 
desselben herrUhrt, sondern in der That in der Sache selbst 
wesentlich gegründet ist. Der Kunsller soll den Menschen 
mit der ISaiur in die engste und mannigfaltigste Verbin- 
dung bringen. Um dies Geschäft ganx xa voltenden, mofa 
er bald den ätifsem Gegenstand, bald die innere Stimmung 
stärker geltend machen. Ja selbst ohne dies zu wollen, 
kann er es kaum vermeiden. Da er, um einen Gegenstand 
durch die £iobildungakraft zu erxeugen, sugleich bildend 
und stimmend verfahren, das Objecl darstellen und das 
Subject zubereilen muls, so kann er in dem Verhültnife, in 
dem er sich swischen dieser doppelten Arbeit vertheill, 
unmöglich immer dieselbe Gleichheit beobachten. Schwer* 
lieh findet man daher nur swei Dichtemaluren, die hierin 
vollkommen mit einander tibereinslimmlen. 

Dennoch müssen sie alle eine gewisse (i ranze hewaii- 
reu. Schon im. Allgemeinen dürfen sie weder den wirkH- 
chen Gegenstand selbst »eigen, noch die Empfindung utt- 
mitielbinr (und anders als durch die Einbildungskraft) be- 



4» 

riilireii; Iin4 Qooli engere Schranken bestimmen ihnen ein-^ 
xfln« Gelungen der Kunst Diese «rflgemeine Aehiitich* 
kett mechi jenen besoadre» Untenchted fein und schwer 

zu entdecken. 

Die^e Betrachtungen war ^es nothwendig vorinissu- 
schicken^ um im Folgenden Mifsdetitungeii vorsubeugen. 
Denn, die Ehtwiekhmg der reinen Objectivitöt unsres Ge- 

tlicJils ist es, die uns jetzt zunäclist beschäftigen mufs. 

Schon die Totalwnkung ilesselbcn beweist, wie emsig 
unser Diehler bemüht ist, blofs und iiUein die Form ßine» 
Ge^nslandes zu seiehnen. Ifti Einzelnen iäfsl sich dies 
nicht vollständiger zeigen, als dadurch dafs man diese Ob- 
jectivität von 6tuie zu Stufe beschreibt, und genauer be- 
schränkt» 

Bisher haben >vir nur der ersten erwähnt, nur deije* 
nigen, anf welcher sich dies Gedicht als ein grofses und 
echtes Kunstwerk, bewiihrt, der Bestimmtheit , mit der es 
einen rein durch die Einbildungskraft erzeugten Gegenstand 
hinstellt 

Aber wie viel mehr ist das, was wir bei genauerer 

Betrachtung gewahr werden! Wenn wir langer bei dem- 
selben verweilen, wann, wir ihm in allen seinen einzelnen 
Theilen folgen» wenn wir dann sehen, wie voUendei aUe 
Umriase sind, wie fest sich jede Gestalt un'srer Phantasie 
einprägt, wie" klar jede sich an die andere stellt, um zu- 
sammen eine scliun geschlossene und. leicht übeirsehbare 
Gruppe XU bilden; dann iönnen war uns nicht verläugnen^ 
dais die Stimmung« mit der wir es verlassen f der Stim- 
mung ähnlich ist, mit welcher sonst ihrer Gattung nach 
ganz verschiedene Kiinste,. mit welcher die Werke der Mah- 
lerei und der Plastik auf uns einwirken. Denselben Chär 
rakter tragt jiuch .die Bewegung an siidi,- die es uns dar- 
stflUt Nii^nds reifst uus dieselbe ^leiclisam in lyrischem 



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46 



Taumel inil s\vh fort; doch überall ist sie .'io lebendig und 
matiaigfallig, dafs wir einer bewegten Welt zuzusehen mey- 
n«n. Ueberau ist Handlung und Gest< \vir fühlen so 

wenig, dafs wir blofs Zuhörer des Dichters sind, dafs wir 
unnuUeibar vor dem üemählde seines Pinsels zu sleiien 
glauben. 

Wir sehen daher hier eine höhere Stufe der Qbje'cli- 
vitäl; wir erblicken die reinen Formen sinnlich'eT 

G egeii st H 11 (1 e ; wir können es als ein ehan\klenstisches 
Merkmahl dieses Gedichts aufstellen, dafs es mehr an 
die Forderungen und das W^sen der Kunst über-- 
haupt und d'er bildenden insbesondre^ als einsei- 
tig an die e igenlhümüche ISalur der Dicltlk iinst 
erinnert. 

Verwandtsehall aller Künste unter einander. Doppeltes V-erhiltniCi 

Jedes Künstlers zur Knnst überhaupt und zn «einer besondren. 

Alle Künste umschlingt em gemeinschaftliches Band; 
alle haben sie dasselbe Ziel , die Phantasie auf den 'Gipfel 

ihrer Kraft und ihrer Eigontluiinliclikeil zu erheben. Sie 
haben sich nur getrennt, weil jede für sich etwas besitzt, 
wodurch sie diese allgemeine Wirkung auf eine eigne Art 
zu erreichen vermag, und was den aAdem, in Vergleichung 
mit ihr, manfjell. So fehlt der Mahlerei die Vollendung der 
Form, der Biidliauerkunsl die Wirkung der Farben, beiden 
die lebendige Bewegung,, der Musik die Schilderung der 
Gestallen, der Dichtkunst die Anschaulichkeit und^die Stärke, 
mit welcher ^e mannigfaltigen BestandHieiie, die. sie in sich 
vereinigt, jeder cuizelii für sicli, erscheinen. 

Der Mensch, dem es daran hegt, die Kunst mit allen 
Sinnen in sich aufsunehmen, muOs es verstehen, stdh in 
eine Mitte von allen zu stellen» mit dichterischem' Sinn da* 



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Weri des Mahteis, mii mahlerischem Auge das Werk des 
£Nchtm ffu betrachten, D^r Künstler, der nicht anders als 
von einem einselnen Punkt aus ^virben darf, inn£i dennoeh 

so das üanze ins Auge fassen, da Ts er immer eigentlich 
dem allgememeu ideal der Kimsl nachsirebt, iitii so, wie 
seine heiondere Gattung besliinmt. Durch diese Bear- 
beitung seiner Kunst nadi den Forderungen aller Kunst 
überhaupt erhall er sich alle Verbindungen mil ihren Schwe- 
sleni — denen er sich nie uiiiniUelbar, sondern iminer nur 
in jenem allgemeinen Verhindongspunkke nahem darf — 
leise mid locker.- Und diese Verbindungen sind es, welche 
die Phantasie wirkhch ehizugeheu versuchen soll; keine 
Kunst soll den Menschen ausächliefshch für sich, jede ihn 
zugleich für aUe andren, für. die Kunst überhaupt stim- 
men ; und in jedem ■ grofsen KunsUverk isl immer ekie 
doppelle Cigenlhümlichkeit nufl'allend: eine durch die es 
der besondren Kunst augehurl, die es schuf^ und eine, durch 
die C8 einen iStyi an sich trägt, der durch alle übrigen 
Künste hindurch: c&ne gleidie Anwendung erlaubt, und so 
sichtbar mit dem Gepräge dieser seiner AUgemeinheil ge- 
stempelt ist, dafs er sogar einladet, diese Anwendung selbst 
in Gedanken zu versuchen. Wem z. B. führt nicht der 
Belvederische Apoll das Wandehi des «üinenden Gottes ii> 
der fiias, wem diese SteUe des Dichters- nicht das göltliche 
Bild in die Seele ziuück? 

Der Künstler lial also zweierlei Ansprüche zu befrie«! 
.diffcn, die Ansprüche der Kunst überhaupt, und die derbe^ 
. sondren, die er gewählt hat. Die erstere vevlangt, dafs er, 
ihre allgemeinen Forderungen slreag im Auge, alle Mittel, 
die seine Kunst ihm in die Hände giebt, nur dazu anwende, 
dieie %u liefried^en, nicht, aber sie seibsl einseitig gllinsen 
tu Iäfl6en;.die letstere fordert dagegen mit gleichem Hecht, 
dafs er alle Vorzüge, die sie iinn darbietet, auch in ihrem 



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48 

gancen Umfange und in ihrer vollen Starke geüend mache. 
Gegen die erslere Regel veratofst der Mahler, %velcher dem 

Coloril ein verhälinifswWrigcs üebergewichl «her die Schön- 
•heii der Formen und die Anordnung des (Manzen erlaubl; 
gegen Äe »weite der, welclier dagegen, das C oloiil vcr- 
nachlfisaigend, die Lebhaftigkeit und Stärke verkennt, welche 
Farbe, Licht und Schalten seinem Werke au geben im 
Stande sind. Endlich kann der Kiinsllci , um die AufBÖh- 
iung der Abwege, welche er, von diesem Standpunkt aus 
betrachtet, au vermad'en h«t, vollatUndig au machen, auch 
dri^ens weder die Kunst überhaupt, noch seine eigne be- 
sondre, sondern eine drille, ihm fremde, einseitig begünsti- 
gen und nachahmen. So giebt es Dichter, die fast durch- 
aus blofo musikalisch wirken, und so kennen wir Mahier, 
deren Figuren mehr den Bildsäulen, als der Natur gleichen. 

So wie der Kiinsller objecliv irren kann, indei9 er da» 
wahre Verhällnifo »wischen der Kunst überhaupt, seiner 
eiguen insbesondre und ihren Schwestern verfehlt, so kann 
er es auch »ubjecliv in Rücksiefat auf das Verhältnila sei- 
ner Individualität, der Nalur des KünsÜers «berhaupl Und 
der Eigenthiimlichkeit anderer Künstler. Kr kann der er- 
Staren au iriel oder au wenig einräumen, oder sie endlich 
ganz aufgebe» und gegen eine fremde vertauschen. 

UebernH, wo er sich au «nseitig blofe auf seinen ein- 
seinen Standpunkt beschränki, da verfällt er ins Manie- 
• rirte, sey es nun ins Manierirte der Kunst, wenn er sei- 
ner Kunst, oder ins , Blanierirte dea Styis, wenn er seiner 
Individualität zu viel einräumt 

Dies smd alle möglichen Abwege, auf welche der Künst- 
ler in Rücksicht auf den allgemeinen Charakter seiner Werke 
geVathen kann, und es war nothw^ndig, dieselben vorher voll- 
ständig aufsuaählen, um Über das Folgende ei« helleres Licht 
zu verbreiten. Wir kehren jetzt zu unsrem Gedicht »urüek,- 



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4» 



XVL 

Miltttt, wQdweli mer Djichter iU«m, der biM^niles Kmnt uli« 
konmteade ObjeeCiTitjtt eriangt. 

Wir haben sefaon oben beuierkl, dab der l>icliier, ^ 
rade weil , er auch «mmllelbar auf den Ventand und daa 

Hera einzowirken vermag , mehr als ein anderer Kttnttier 
Gefahr lauft, weniger ausschliefscnd die GitibiidungsLnift * 
KU bescluifCigen. Wenn er aber auch diesen Fehler ▼tr- 
meidet, und sich streng m dem Gebiete der Kmt erhalt, 
so hat er es doch immer in seiner Gewalt, mehr den Geiat 
und die lunpfindung in Bewegung ku setzen, uiul die leiclile 
und reine Wirkung auf die «!>inne zu verschmalicik Vou 
beiden Seilen betrachtet, kann er sich daher gegen den- 
Künstler überhaupt und gegen den Irildendeo insbesondere 
in einer Art von Gegensat befinden. 

Wir erwähnen hier der Kunsl überhaupt und der hit» 
denden insbesondere als beinahe gleichbedeulend; wiracbeu' 
len uns sehen im Vorigen nicht, den Styl «nsres Dichters 
dem Styl der bildenden Kunst verwandt zu nennen, ohne 
darum den Vorwurf zu fürchten, dafs er, was allemal feh- 
lerbafi ist, eine iimi fremde Galtmfig naclialime. In der 
That aber ist auch die bildende Knnsl mit der Kunsl über- 
haupt äufserst nah, und niher, ids die Dkhtkunsl verwandle 
Denn sie isl rein darstellend und sinnlich; und liieso bei- 
den Kigensehaflen sind auch im allgemeinen ßcgnlTe der 
Kunst die herrsehenden. Wenn man daher von einem Ge* 
gensatze der Poesie mit der Kunst spridit, so kann men 
an keine andren MeiLiu.iiile derselbeii, als an diese beiden, 
also an die Seile denLen, von weicher die Kunsl überhaupt 
der bildenden insbesondere am nächsten kommt. 

Herrmann und Dorothea nun ist niehl blofs von 
mem solchen Gegensätze frei, der reine, echle und allge« 
IV. 4 



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SU 

meine Kiinslsinn, welcher dies GaWcU bcscell, zeigl auch 
vielmehr, dafs das Genie des Dichters, der es schuf, auf 
das iiiuiusie mit dem (leniiis aller Kunsl verwandl, und mil 
dem (Gepräge gcsteiii|>ell ist, welches die Kunst iiberhaupt, 
tuehl diese oder jene euiselne ausschlicfsend, bezeichuet — 
ein Vorsug, welliher Hlun kanllig ( wir dUrfen dies mit Si- 
cherheit von der Gerecbligkek der NaehweU Iwffen) unter 
aiien neueren l>»tlilcrn eiiic vorzügliche Stelle anweisen 
Wird, Denn in der That liat bis jetal keine Nation einen 
andern aurauweisen, der ihm hierin auch nur überhaupt 
nahe käme. 

Unstreitig liegt der rinnul hiervon darin, dafs er mehr, 
als ein andrer, die hiWende Kiafl der Phantasie in Bewe- 
gung SU' setsen,' mehr hioüi den Gegenstand liinxustellen, 
und damit seine ganze Wirkung hervortuhringen versteh«. 
Indefs isL dies innner nocli nicht bestimmt nnd klar genug; 
auch andere DicJiter sind gleich treue iMahier der Natur, 
ohne dafo man ihnen doch darum diesen Vorzug in glei- 
chem Grade einniumen darf« l^bn mufs auch hier auf die 
Stimmung des (icniülhs, in dem Dichter und in seinem Le- 
ser, zurückgehu; iii ihr, in der EinpOndung, mit der wir 
ditoen Dichter und einen andren verlassen, liegt der leuic 
aber wichtige IJnlerscliied. Auch hier zeigt es sich wieder, 
dafs man es als den Qrundirrthum aller bisherigen falschen 

ii^lhelisclirii Hnisonnenicnls anselieu kann, dafs man im Ob- 
jecte aufgesucht hat, was allein im bubjeclc verborgen ist, 
wen^tens nur an die^m eigentlich beschrieben, in jenem 
biofs empfunden werden kami. 

Da, wo ein soldier allgemeiner Kunstsinn vorwallet, 
ist es durchaus klar, heiter, ruhig und leicht in der Seele; 
die Phantasie allein ist thätig, und hier auf den äufsem 
Simi bezogen, wie er, was er vor stdi sieht, treu und slifl 
In sich aufnimmt In diesem Znstande ist sie nie verwirrt, 



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51 



weil sie jeden üinrük deutlich voii dem anderen absondetty 
nie tinruhig oder trübe bewegt, well sie blob beschaut, blofs 

Geslnllen, Leben und iiewegung vor sich erblickt, nie 
schwer oder drückend, weil sie in dieser Verbindung am 
ieiehteslen ihre blofe idealische Natur beibehält. Wo liiu- 
gegen die besondere Natur der Diehtkuiist (insofern die» 
selbe neinlich, wie nun nach dem Vorigen kJai seyn mufe, 
der Kunst ubcrhauj)l cnlgcgengeselzi werden knnn) das 
Uebergewicht hat, da ist die Einbildungskraft entweder wirk- 
lich nicht rein oder allein thiitig, oder sie verliert dock 
durch die enge Verbindung, die sie nun mit dem Geisl oder 
dem Herzen eingeht, von ihrer leichten und biois objccti- 
ven Natur. Das Gemüth ist. nun nicht mehr blols naii dem 
Gegienstande beschälKgl, in- jedem Augenblick wird «igleich 
die eigne Betrachtung oder die Empfindung rege, es ist ein 
uitaiifhörlichcs Liebeigehen zu dem Subjecl, es isL mehr die 
Wirkung des Gegenstandes, als der Gegenstand selbst, des- 
sen wir una ' bewillst sind. 

Das Eigenthümliche der Beliandlung in dem men und 
dem JHidicn Falle zu zeigen, ist, wie wir schon itn Vori- 
gen bemerkten, schwer; indefs giebt es docii Emen hierbei 
ädaerst wichtigen Punkt, der schon bei einiger Aufnierk* 
aamkeit leiclit ins Auge füllt. Wenn man die Poesie ust 
der Sculplur vergleicht, als welche am meisten deui reinen 
BegriiVe der Kunst eiilspricht, so ist Ein Unlersclücd in 
beiden sogleich auf den ersten AnbHck sichtbar. Die Sculp 
für (vorsugfich in dem einfachsten Fall, bei dem wir liier 
stehen bleiben, wo sie blofs eine elnselne Figur aufstellt) 
kann allein durch die Form, und da die Form immer nur 
auf der ganzen Gestalt ruht, allein durch das Ganze wir» 
ken; und wenn bei einer Statue wirklich nur ein einzelner 
Tbeil, ein Arm oder «in Fufs, gut gearbdfot, das Uebrige 
aber vernachlässigt ist, so gilt sie nur als ein schöner Arm, 

4* 



52 

«in schöner Fufsi» um) iler Begriff des Schünet» wird niclil 
von diesem einxeliien Theil auf das Ganse ttbergelragen. 

Der Dichter liingcgcn hr.mclil niclit die ganze Figur 
Einzustellen, er kann nur den Theil zeichnen, und indem 
er die Schilderung iitcsseihen der Empfindung seines Lesers 
wichltg macht, diesen naihigen, das Fehlende aelbst anssa« 
imihlen. Sobald es ihm nun gelingt, i. B. in der SehiMe- 
rung einer weiblichen Gestalt durch einen einzelnen Zug 
das Hern desselben sa gewinnen, so vollendet älsdanu seine 
Phantasie von selbst nnch demselben Mafsslab und in dem- 
selben Charakter auch dte ganze fibrige Figur , und konwil 
also dem Dichlor dadurch auf halbem Wege entgegen. 
Freiiidi ist aber auch die Schilderung dann minder objec- 
tiv i die GeslaK seichnet sich dem B(ick weniger bestimmt, 
die Empfindung ahndet mehr ihren Charakter» als dofe ihre 
Umrisse dem Auge sichtbar winden. 

Was wird daher der Dichter thun müssen, wenn er 
dem allgemeinsleu und reinsten Begriff der Kunst treu blei- 
ben will? Er wird das Ganse und nicht btofe einzehie 
Theile schildern, den Gegenstand zeichnen, nicht die Em- 
pfindung erregen müssen. Zwar thut er dies letztere doch, 
und will es auch thun, allein nur durch den Eindruck des 
G^sen, niclit dnrdi den Effect ctnaelner Theile , nur durch 
den Gegenstand selbst, nicht unmittelbar durch eunelne 
ihm abgewonnene Züge; und gerade dadurch geschiehet 
es reiner und besser. 



XVIL 

Brlilateiung des UcsagUa im der Sditlfterung' der Gestalt Dorotheens. 

Um SA sehen, wie unser Dichter die Aufgabe einer 

Wnhrhaft künstlerisclien Schilderung gelöst hal^ wollen wir 



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«iiiiual das Geiualiltlc vitr^gleichen , Uas er uug vmi Uotq- 
tfaeesr Gestalt giebt. 

Machdem Herrmaim n» nur aai wenigen Zügen (S. 29L) 
60 gezeichnet hat, wie er sie zuerst anlraf, wie sie ihre 
sdiwaogre Verwaiidie rettet, uad die Ochsen leiikly die den 
Wagen liilirctt» hcadireibt er sie (S. 1I& der neuen Aua- 
gabe) «ien Freunden, die unter 'den ulnrigen Att^wander- 
len Naehticht von ihr cinuiziehcQ (digcschickt sind.. 

Und Ihr werdet sie bald, 

sagt er, 

vgr allen andern erkennen: 
Denn wohl tdiwerlicli ist ao Bildung ihr euie vergleichbar. 
Aber ich geb* Eudi noch tlie Zeichen der reinlicheo Kleider. 

Also aur naeh den KJeidehi whnd die Gestalt geschil- 
fert. Dadurch gewinnt der Didiler einen doppelten Vor- 
theil. Er ist gewifs, Mofs dem Auge zu mahlen, durch keine 
Nebenvorsteüung die Aufmerksamkeit von der Gestalt ab- 
«mehen, auf weftche sie gehellet aeyn soll; und sugleieh 
kann er auf diese Weise die ganse Figur in allen ihren 
UflMrissen leiehnen. Wühlte er dagegen die Bildung selbst, 
so konnte er immer nur einzelne Theile schildern, die Ge- 
stalt nur beschreiben, nicht unmittelbar vor die Augen stel- 
len. Auch «eigt er sie uns in der That vom* Haupte bis 
au den Ffifsen; und Avählt lauter solche einiebe Zöge aus, 
welclic die aulsem Umrisse bezeichnen, die Wölbung des 
Busens, die Schlankheit des Wuchses, die Form des Kop- 
les. VoiaiigMch sorgt er dafiir, da^ der Phantasie in dem 
ganxen Conlur scUechlerdnigs keine Lücke bleibe. £^ 
zeichnet genau, wie über der Brust um den Hals sich das 
Hemde zur Krause faltet, wie das Kinn daran anstöfst, und 
sich d^r Kopf darüber erhebt, und auch abwärts vollendet 
er die Figur bis cum Knöchel herunter. 

Alloia dies ist ihm noch^nichi ^cnug^ er wüi sie ^4^r 



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Kinbiiiiungskraft niehi blols zeigen, er wiii sie ihr iinaik»- 
iöftcklich lest einprägen. Er verUnderi «bo die tStettanf^ 
Jetit haben wir sie kn Geben gesdui; em Strecke weiier 
seichnet er sie uns (S. 140.) sitzend. Dieselbe Beschrm* 
bung kehrt mit denselben Worten zurück, nur mit den Ver- 
änderimgen^ welche diese Lage erfordert. Jetzt ist es, «U 
.hatten wir me im Leben wirklich vor uns gesehen^ wo 
«och dieselben Gestalten in mannigfalligen Bewegungen 
erscheinen; jetzt hat sich uns tlies Dild für dio g;inzc i oJge 
des Gedichts fest eingeprägt; wo sie nun aultrilt, steht e» 
vor uns da, begjkitet alle ihise VVorte, Gebehrden und 
Handlungen. 

Die Wirkung, welche nun der Dicliter durch diese ein- 
lache Schilderung hervorbringt, ist uneudiicii grölser, ab 
wenn er unmittelbar in dieseAbe mehr Gehalt gelegt, mehr 
das Helft seines Lesera dafür intereasirl, mehr, wie aonal 
dei* Dichter so oft tluit, bei der üesUit zugleich auch den 
iuuern Charakter beschrieben hätte. Man kann es nicht 
genug wiederholen: die Hoheit, die Grolse, der innre Ge- 
halt, das, was man in einem Gedicht eig«nttich Seele 
iiennl, mufs in dem Ganzen der Erfindung, der Handlung, 
der Personen, der Darstellung und des Tons liegen; es 
iiiufs das Kesultat der lebendigen Sichildening auf - das ge- 
hörig gestimmte Gemulh seyn. 

Der Dichter hal es daher hnmer nur mit diesen bei- 
den i)ingen zu ihun; mit der anschauiichslen Darieguiig 
seines Stoffs « und mit der lebendigsten Stimmung des Le-< 
sers; diese beiden aber erreicht er, sobald er den Leser 
durdiaiis in die Mitte semer Handlung versetzt; um alles 
Lcbrige kann er schlechterdings uiibeküinmcrt bleiben. Er 
ist ja nur dadurch walircr Künsileri dab er gerade das 
Höchste und Beste seines Geschäfts seinem Genie überlas- 
»sen, und sieh lür das, was er eigentlich, sich selbst be- 



V 



56 

• wufst, dabei Ibul, uui mit d«i' versliuidigeii Ajiotdtiutig und 
kttnstniülsigea Ausführung, also nur mit deoi lechni* 
scheu Theile desselben, su heschälligeit braucht. Vor allca 
andren aber gilt dies von dem episdien IMcliler, und. es 
iBufs dem aufmerksamen Leser schon hei dem, Nva^ wir 
voirltta sagten, von selhsi aufgefallen sevu, wie passend eine 
Schilderung, die nur Contufet aber diese in der gröfiMsten 
Vollständigkeit zeichnet, filr eine Galtung der Diehtkunal 
ist, deren ganze Wiritung nur auf nie still stehender ße-. 
wegung und ununterbrochener Stetigkeit heruhL 

£he ym aber diese Stelle verlMen> müssen wir noch 
einen Augenblick bei den eutseben Beiwörtern verwcMen; 
mit welchen die einzelnen Theile der GesUlL bezeichnet 

r 

sind. Kein eins^es derselben hat für sich ein grofses und 
uuverhältiiifsniliisigea Gewiehi; alle sind von der Art^ wie 
sie sich för das blofse ruhige und uneiBgenoninieoe Be- 
schauen lies blofsen Sinnet» schicken; alle zeigen die Bil- 
dung des Alädcheiw nur in reinlicher Zierhchkeil, in treier 
und hefterer Anmuth. . Sothel die Stärke, die, mit der Lctch« 
. li^it verbunden, den Hauptoharakter desselben ausmacht, 
ist gerade dahin verlegt, wo sie nur auf die Rdstigkeit des 
physischen Baus, und ganz und gar auf keine Nebenyor- 
atdllung, führen kann:/in die Wölbung der Brust, die trelf- 
iiche Gröfse, die Länge und Schönheit des Haars. Dadurch 
isl tUe Stimmung, welche diese, so wie überhaupt der Ton 
in allen Schilderungen dieses Gedichts hervorbringt, derje- 
nigen ähnlich, hi der wir gleichsam mit naturhistorischem, 
physiologischem Blick die Natur betrachten; und diese 
Stimmung ist ungleich poeüschei', ab die ihr entgegenge» 
setzte senümentale, hei der wir hi derNaiur eigenüich nur 
uns selbst sehen* Denn sie fülnl eine zwar langsamer, aber 
inniger eindringende Wärme, und eine minder feurige, aber 
.höhere und dauerndere B^eisterung mit sich. 

«» 



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M 

4 

Fragen %vir aber weilev nüch: wie kam der Dichter 
«laBO» dais er gerade diese Ari der Seküderung wUldte? so 
i»t die einfache' Antwort die: iveil es ihm nidit möglich 
war, eine andere «inzuwenden. Herrmann ist es, iler seine 
GeKeUe beschreibt, und er ist der Mensch nicht, dessen 
Herz mit dem Ausdruck semer Empfindung die einfache 
DarBteilmig dessen, was er gesehen oder vernommen hat, 
unterbricht; er beschreibt sie seinen Freunden , um sie si- 
cher und schnell aus dem Haufen herauszufinden, und muls 
daher die Merkmahle auswählen, an denen sie dieselbe ohne 
Fehl wiederzuerkennen im Stande SindL An welchen an- 
dern nun ist dies lichter, ab an den Unarisscn derGestatt, 
dem Sclinilt und der Farbe der Kleidung? • 

Dafs dies aber sa ist, dais Herrmann diesen Charakter 
hat, ist wieder in andren Umständen , in andren CSianikte* 
fen gegründet, und dtcse wieder in andren und in dem 
Ganzen, so dafs die^e einzelne SehiWerung mil itücui mi- 
sammenhangt und durch alles beslnnmt wird. Derselbe 
Geist ako> den sie athmet, beseelt auch da» Ganse, und 
wns wir von ihr bewiesen haben, gilt zugleich von allen • 
übrigen und von dem ganzen iicdichl selbst. 

XVIII. 

In wie fern msdit riiuer Diebter, l>ei amr Verwandtsduilik nie der 
biblend«» KiiMl, die besondren Venuge der DiditkamI geltendt 

Dais der Dichter;, welcher den wesentfichen Forderun- 
gen der Kunst ein Genüge thut, sugleich das Wesen der 
Poesie in ihrem vollen Gehalte benutzt, versieht sich von 
selbst. Denn er liat geleistel, was die Kunst überhaupt 
verlangt, und keine andren Mittel gehabt, als weiche seine 
besondre ihm darboL In so fem bedürfte daher die aufge- 
worfene Frage keiner weitem Erörterung. 



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w 

Alkin dt» Wes^n 4er Dichlktinsl bielel den%jeirig«ii, 
der es gan« zu benulxen versteht, noch so reiche und ei- 

genthüiiiiiche Hülfsquclleii dar, dafs, um das Vcnliwisl des 
Dichlers vollkommen zu schätzen, es nicht möglidi ist, die- 
selben mit Stittschweigen wa übergehen« 

Wir reden jetsi nicht von dem Gehalte, welchen er 
den Geslalten unterlegen kann, die ci gleichsam von der 
bildenden Kunst entlehnt; wir bleiben noch lür jetzt allein 
bei. dem Voraig der Objectivität stehen, weichen er sich 
in einem bei weitem voUltonnnneren Grade, nie jeder andre 
Künäüer, zu verschaffen im Stande is\. 

Die Bildhauerkunst besitzt blofs Formen, die Mahlerei 
nur diese und Colorit; beiden iehlt unmittelbare ßewegung» 
di« sie nie anden, als dwdt eine- Art der Täuschung her- 
vorbringen können. Beide steilen also nur im Raum einen 
Gegenstand dar; iiaben nur Objectivität für die Sinne, die 
im Räume wirken. Durch die Macht, mit der die hlote 
Fonn hervorfriti, erhalt die Sculptor eine fiinfaelihcily die 
an Armuth zu gramen scheint, und selbst der Mahler ist 
nur auf die Vorstellung gewisser Gegenstände, und selbst 
noch in der Darstellung dieser bescluränkt. 

Der Dichtkunst ist die Bewegung so eigmrtlittmlich» 
dals flio' dgentlich keinen Ausdruck für das Stülsteliende 
hat. Nur dadurcli, dafs sie das Auge die Umrisse der Fi- 
gur durchlaufen läfst, kann sie eine Gestalt aeichneo. Die» 
aber pnigi dieselben der Einbildungskraft nur um so fester 
ein, da der Dichter sie nun vor ihr selbst erseugt, sie im 
cigenilichslen Verstände nöthigl, sie selbst zu beschreiben. 
Sie wirkt ganz in der Zeil, greift dadurch tiefer, als die 
immer kältere, bildende Kunst, in unsre Empfindung ein, 
und beseelt ihre Schilderungen mit einem volleren Leben. 
Ihre Gcmäblde sind nicht blols Gruppen, in denen sich Ge- 
stalt, an Gestalt anschliefst; sie gleichen audi volikommen 



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gegliederten KeUen, in welchen Bewegung aus Bewegung, 

Figur aus Figur entspringt 

Der ]Jiclitur venii;ig die (jcsIüII nur eben so uneigenl- 
iich, alä Uer bildende Künstler die Bewegung, zu schildern. 
Aber der wichtige Unierscbied a%vischen beiden ist der, 
dals die Bewegung eioe grSisere Lebhafiigkeil mit sich 
führt, dafs sie daher die Einbildungskraft besser stimuil, je- 
nem Mangel aus eignem Vermögen abzuhelfen, benutzt 
also der Dichter seinen ganzen Vortheil, so erlangt er eine 
griifsere Objectivitäl, als dem bildenden Künstler inögtieh 
ist Denn er bemeistert sich mehr aller Organe, durcii die 
wir einen Gegenstand erfassen, derer, die im KsMm, und 
derer, die in der Zeit wirken. 

Es ist nicht bloft^ da& er Gestalten schildert und Hand- 
lungen beschreibt Sein Schildern der Gestalt ist selbst 
eine Handlung, mid seine Handlung w ird zur Gestalt Demi 
jeder voiige Zug, den dn nachfolgender verdrängt, bleibt 
doch, in der gansen Gruppe stehen. Wir sehen .dun wirk* 
lieh vor uns, was wir hei dem GemaUde inmier nur unr 
vollkonunen hinzu denken, wie nemlich der vorgestellte 
Moment entstanden ist und wobiti er übergeht. 

Selbst die grolse sinnliche .Realität, welche die bildende 
Kunst durch das wurkliche Aufelellen des Objeeies besitil, 
schadet ihr in Absicht auf diese Totalität Denn diese le- 
bendige Öiniiiichkeit schlägt.JMin alles nieder, was die Ein- 
bildungskraft ihr noch hiniü setxen möchte. - 

Wie in jedem Verstände dichterisch nun die Objectivi- 
lät ist, welche in Herrmann und Dorothen herrscht, bedarf 
nicht erst eines eignen Beweises. Nirgeiids ist biofse Be- 
schreibung des Ruhenden f überall Schilderui^ des Fort- 
schrotenden; nirgends ein abgetrenntes, einseb da stehen- 
des Bild, überall eine Reihe von Veränderungen, in welcher 
jede einzelne immci* klar und geäclueden umgreuziist^ und 



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I 



At» .Gatiae uibai glmfai M wenig dem .GeiBählde eiae« 
Uotk kidenden Stotand«») dalü es vielmehr überall ab das 
Zusamiuenwirken einer Menge voa EirtschUassen^ Gedonuii- 

gen und Ereigiiisseu erscheint. 



lÜgeitCbumlichc Natur der Didi^kanttf ab einer ledeitden Kami. 

Wir haben die Dichtkimsi Im vorigen AbschniU mehr, 
10 so fem sie von der bildenden verschieden^ ab in so fem 
sie ihr enlgegengesefait ist, befrachtet. Von dieser feisteren 

Seite könnten wir uucli dieselbe iügtich ganz mit Stillschwei- 
gen übergehen, da sie von dieser das gegenwärtige Gediehi 
nichi berühren kann. Um indeb die g«nie Bfatotie volt- 
slSndiger cu «erschöpfen, scy uns noch diese Abschwdfuog 
erlaubt. Je mehr num die Natur der Dichtkunst, alü einer 
blofs redenden Kunsl, erörtert, desto klarer wird man be- 
greifen^ wie es möglich isft| ne ab faildeode au bebandebi. 

Die Po^e bl die Kunst durch Sprache. In (Beser 
kurzen ßeschreibimg Hegt für denjenigen, welcher den vol- 
kii.Sinn dieser beiden Wörter falst, ihre ganze hohe und 
unbegreiHiehe Natur. Sie soH den Widesspmchy woiin die 
Kunst, welche nur in der £inbildun§^raft lebt und niehts 
als Individuen will, mit der Sprache steht, die blofs iiir den 
Verstand da ist, und alles in allgemeine BegrifTe verwan» 
deit, — diesen Widerspruch soll sie, nicht etwa losen, so, 
dab nichts an die Stelle trete, sondern vereinigen, dafs. 
aus beiden ein Etwas werde, was mehr sey, als jedes 
einzeln für sich war. Ueberall aber, wo im Menschen wi- 
denprediende Eigenschaften zu etwas Neuem verknüpft 
werden, da isl er gewifs, hi seiner höchsten Natur xu er- 
scheinen. Denn diese Eigenschaften widersprechen sich 
schlechterdings so lange, ab seine innere Geistesstinmuuig 



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w 

iler wirklichen Weil um ihn her gieicht» und es gieht kein ^ 
onderes Mittel, sie m vereinigen, ak wenn man ihn «m 

dieser Beschrünklliett hinweg in ein unendliches Feld vef* 
selzl, ihn au der iland der Philosophie iu die Region der 
Ideen hinüberführt, oder auf den Flügeln der Poesie sa 
Idealen erhebet 

Die Sprache ist das Organ des Menschen, die Kunst 
ist am natürlichsten ein Spiegel der Well um ihn her, weil 
die ßinbildungskraft im Gefolge der 8inne am leichtesten 
iiifrre Geslalten surüekföhrt Dadurch ist die Diehtkumt 
unmiltelbar, und in einem weit'bSheren Sinn, als jede an- 
dere Kunst, für zwei ganz verschiedne Gegenstände ge- 
macht: für die äufseren utid die inneren Formen, für die, 
Welt imd den Menschen^ und dadurch kann sie in einer 
iwiefachen, sehr verschiedAen Gestak eradiemen, je nach» 
dem sie sich mehr auf die eine, oder die andere Seite 
hinneigt 

In baden Fällen hat sie die iSdiivierigkeilen der Spradie 
stt überwinden^ und steh der Voniige xu erfreuen, die sie 

gerade dadurch geniefst, dals diese, und daher der Gedanke, 
das Organ ist, durch das sie wirkt ^ allein wenn es die in^ 
neren Formenr sind^ die sie lU ihrem übjecle wählt, dann 
findet sie in der Sprache einen gana eignen Schals neuer 
und vorher unhekannler Mittel. Denn nunmehr ist diese 
der einzige Schlüssel zu dem Gegenstande seihst; die Plian> 
ta«e, die sonst gewöhnlich den «Sinnen folgt, muls sich nun 
an die Vernunft nnschliefiien; und wenn schon auf der ei- 
nen Seile der Geist durch die Gröfse und den Gehalt des 
Gegenstandes hingerissen wird, so muls noch auiserdem 
auch die Kunst einen noch höheren und rascheren Aufflug 
nehmen, um auch noch in diesem Gebiet die fihibildungi- 
kraft olldn herrsdiend zu erhalten, zumal wenn sie nicht 



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• ♦ 

61 

ßiiipnnduiigen, «mdeni Ideen behatideli; und atso mehr, in- 
(ellccUicIl, als setiltmenUil ist. 

Diese GalUmg, in der uns tias 13eisj)icl der Allen fast 
gäntltch vciiürst, ist, sie mag nun rein oder vcmusclit uiii 
andern erscheinen^ der eigentiiclie Gipfel der neueren Poesie, 
und kann ihr eigenlhfiinlich genannt werden. Je entschied- 
ner sich dieselbe jedoch \on der iikIliu Ucuui, desto wei- 
ter entfernt sie sich auch von dciu itüchlefitou und einfacii" 
sten Begriffe der Kunst 

Jeder eclile Dichter nun wird dem einen der beiden 
Wer geschilderten Charaktere eigentliünilicher angehüieii, 
mehr geneigt seyn, entweder die individtielle N.itur der 
S|»rache liir Kunsl, oder die der Kunst durdi die Sprache 
geilend so machen, den geslahldsen, todten Gedanken Form 
und Lehen initzuüiciicn, oder die lehoiidige Wirklichkeit 
bildlich und anschaulicii vor die Einbildungskraft hinzustcU 
len. In beiden Fällen ist er gleich grofser Dichter; aber in 
dem ersteren Jeislet er mehr etwas, das nur dieDichtkunst 
und keine ihrer Schweslern vermag, aseigl er mehr ihr in- 
nerstes eigenthümliciistes Wesen, wandelt er mehr einen 
einsamen, von kelpism andern betretenen Weg, da er ia 
dem leltteren mehr einen* gemeinschafUidieb Pfad mitalleii 
übrigen Künsten, nur auf seine Weise, verfolgt. In jenem 
kann er daher in einem noch engeren Sinne des Woria 
Dichter heifsen, als in diesem. 

In dicaer letaleren ongereif Bedeutmig nun Dichter so 
seyn, ist der Giattnng, zu welcber Herrmann uivd Do« 
rothea gehört, geradezu entgegengesetzt. Dies kaiiu rmr 
der lyrische» didaktische und tragische Dichter, die, nahe 
mit einander venvandt, £ine Chuse anaammea aiumachen, 
aioht der epische. Dieser fordert Gestalten, Leben nnd'Be- 
Weisung, führt den MetisLheü in die Welt hinaus^ uiiil fangt, 
um zuletzt so gut, als jene, sein GeuuUh in seinen mner- 



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CS 



Sien Tiefen xii enchöüem, bei seinen Sinnen und ^n (ie^ 
gensländen, die Ilm umgeben, no. 

♦ 

XX, 

Dritte und letzte Stufe der Olijectivitat de» Gedicht«. 

Wenn man dasjenige, was wir bisher über das Gü- 
ihische Gedicht gesagt haben, mil dem Eindruck ver- 
gleicht, welchen es selbst hervorbringt; eo inufr man nolli- 
wendig . fühlen, . wie weil noch unser -Begriff hinter dem 
letsteren suri&ekgeblieben ist, wie viel noch daran fehlt, dafs 
die Zeichnung seines Charakters die wirkliciie Empiiiidung 
auch nur einiger MeÜsen erreiche. Gerade Aber weil seine 
hohe Schönheit darin besteht, dals es seine grofse uiid all- 
gemeine Wirkung tn der strengsten Individualilat hervor- 
bringt, ist die ßeurllieiiung desselben so schnnertg. Wie 
bei der Scliilderung eines lebendigen und organischen We- 
sens, wird man bei jedem Charakterzug, den man ihm bei- 
legt, immer« lebhaft daran erinnert, dafs num es nie voll- 
ständig und iiciilig zeichnet, sobald man nicht das Ganze 
in der nothwcndigen und unzertrennlichen Verbiuduog aller 
seiner Theile hinsustellen vermag. 

Wir haben im Vorigen seine hohe Objectivität su seliil- 
dern angefangen; wir haben gezeigt, wie es blofe sinnliche 
Gegenstände, und diese in iliren vollständigen Umrissen, in 
den rdnen Formeo der Einbildungskraft seidinet Allein 
wenn es uns auch vollkommen gelungen wäre, dadurch su 
beweisen, dafs es von einem reineren und allgemeineren 
Kunstsinn, als andre, beseelt, sich näher, als sie, an die 
Werke der bildenden Kunst anschiiefst: so sind dadurch 
noch kaum die äufsersten ünien des Charakters desselbea 
geidchnet; so Ist -es noch immer su wenig aus der Ifasse 
beschreibender Gedichte herausgehoben, und so reicht (liea 



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es 

noch bei -Weitem nicht tiin, seine cigentluiuiliclio Wirkung, 
die tiehlTolie Klariieit, sa der es die PhanlaMe» die enei^- 
sehe Ridie, cit der es deS'Gemüth erheb! , mich ninr im 

Ganzen und der Gattung nacii zu erkiüren. 

. Die Objectiviläl der bildenden Künste .überhaupt ist 
nedi sdbst v4n so verscliiedener .Natur; es faerndit s. B. 
offnihar eine so ganz andre in den einfodien Werken der 
Bildhauerkunst und vonEÜglicli in einigen der Malilerci, dafs 
die ailgemeine Verwnndtscliaft des Slyls eines Gedichts nut 
dem Styl der bildenden Kunst diese freien Untersehiede 

^ noch bd weitem nicht beslinmit genug nngiebt 

Wo der höchsle Uiad der Ohjedivitiil erreicht ist. da 
steht schleciUcrdings nur Ein Gegenstand vor der Einbil- 
dungskraft da;^ wie viele sie auch derselben unterscheiden 
möchte, so vereinigl »e sie doch immer mir in Ein Bild; 
da ist der Stoflf bis auf seine kleinsten Theile besiegt; da 
ist alles Form> und durch das Ganze hni nur Ein und eben 
dieselbe. Gleich deutlich kündigt sich diese hohe Trefflich* 
keil durch den EindraSck an, den sie aurückla&L Wir füh- 
len uns von' einer Klarheit umgeben, von der ^vir sonst 
keinen Begriff hoben; wir empfinden eine Ruhe, die nichts 
SU stSren vermag, weil wir alles,, wofür, wir nur irgend 
Siim haben, in diesem '£in«i Gegenstande imd dort in voll- 
kommener Harmonie antreffen; alle Kräfte unsres Gemiitlis 
gehören der Phantasie, und diese ausschliefsend der Einen 
reinen, hohen und idealischen Form an, die aus einem sol* 
dien Kunstwerke uns entgegenstialt 

Am deuüiehsten sehen wir dies bei den Werken der 
Scul|Uur. Wenn die Hand des Bildners den Marmor bear- 
beitet, so verschlingt der kleine Fleck, auf welchem sein 
McifiBel geschäftig ist, sugleich sein^ ganse Aufmerksamkeit. 
Wochen, Monate und Jahre halten ihn diese engen Greu:* 

• sen gefangen; immer das Bild, das er darstellen will, vor 



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04 

Augen, ütMiei er in ihnen eine Welt, welcher aeiiM Kräfte 

nur mit Mühe Genüge leisten, iinil ruhet nicht eher, als 
bis er ganz und vollkommen den Gedanken semer Eiobil- 
bungskraft dein rollen SAem abgewonnen hat 

Der reicheren Mannigfiikigkeit, des. wetteren Unifange ' 
der lebendigen Bewegung endlich^ die seine Kunst ihm dar*- 
bietet, ungeachtet, ist der Dicliter dnes gleich bildenden 
Sinns» sein Werk einer gleich hohen Objectiyitäi föhig. Wo 
er nun einen solchen Sinn besitzt, da ist es ihm nicht ge«> 
bug:, blofs sinnliche Gegensliinde^ Mols reine Formen über- 
hau|)t aufzustellen, da strebt er immer, die Einbildungskraft 
auf ein einsiges Object su heften, nur für dieses zu interes- 
siren, anf dies allein alles andere zurueLsuföhren. Sein 
Charakter besieht dann gane eigentlich darin, nur in der 
vollendeten Darsleiiung dieses Einen Gegen* 
Standes seine volle Befriedigung zu finden* 

Die Einbildungskraft entschieden au- nüthigen,, auf eine 
bestimmte Weise thiitig und productiv «tt seyn, Ist augieich'^ 
seine einfachste Aufgabe und sein höchstes Ziel. Um die- 
ser Forderung Genüge zu leisten, mufs er derselben drei 
mit einander verwandle Eigenschaften augleich mittheilen: 
lebendige Starke, vollkommene Freiheit und durchgängige 
Gosel zmäfsigkeit Zw den beiden Stufen der Objectivilät, 
die wir bis jetzt geschildert haben, sind mehr die beiden 
ersten Stücke erforderlich; zu der dritten aber, die wir 
jetzt naher betraehten, erhebt man sieh nur durch das lets^ 
lere, durch xollkomnine und strenge G es e tz m a fsi gkeil. 

Um nun zu zeigen, dafs unser Gedicht auch diese ielzle 
und hdchste Stufe der Objectivilät erreicht, wollen wir ea 
mit einer zwiefachen Gattung beschreibender Gedichte ver« 
gleichen. Wir werden dadurch noch aufserdem den Vor- 
Iheil gewinnen, dais, wenn wir es bis jetzl nur als ein ech- 
tes Kunstwerk', und als ein beschreibendes Gedicht über- • 



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ifi^ 'ifc — — - - _. _ . 



• 65 

iia«^ diaraklensiiten, wir nun auC den bestiiMien PiaU 
• kommen werden, den es uoler dieaen Ittflleren tnli «u^ 
fldilieislicli lueignel* 

XXL 

Zwie&che Gftttang betcbreibender Gedichte in Rnckfticht auf ihr« 
STtöfsere oder gerisgere ObjeeUvitfit — erKntert «n Homer 

nnd Arioit. 

« 

Alle beechfreibendeit Gedbble slelleo . eine Reihe vdn 

Bildern, ein verbundenes Ganzes von Gestalten anf. Der 
Unterschied, den wir, geleitet die bisherigen betrach- 

timgen, bier unter ibnen fesUusekxen im Begriff sind» be- 
stebt 4ario, ob sie mehr darcb die Mannigfidligkeil und Ver^ 
seldedenheit der Figuren, oder durch die Gestalt der ein* 
zeliien und die Verbindung aller zu einer Einheit z.u wir- 
ken besUttHnt sind, ob der 0ichler seine Gruppen mehr als 
Messen, oder mehr als Ganse behandelt hal, mehr durch 
Farbe und Celorit oder durch Form tu gewinnen strebt? ' 

Auf diese Weise ialsl sich dieser LiUeischied objecliv 
angeben; subjectiv bestiaiint iüuft er darauf hinaus, ob es 
dem Dichter mehr auf eine gewisse bestimmte ThAtigkeit 
der Einbildungskraft, oder nur auf Tbätigkeit überhaupt, an- 
kam? ol) ihm mehr daran lag, dais sie gerade nur dieses 
oder jenes Üüd, oder blots überhaupt in einem gewissen 
. Ton.imd Rhythmus Bilder erzeugte? 

Alan sieht leicht, dafs hier blofs die Frage ist: ob er 
mehr bildend^ oder mehr stimmend (musilcafiseh) wirkt f 
und dafs dieser Unterschied sich blofs daraus ergiebt, dals 
man die allgemeine Einthcihingsformei, nach welcher sich 
alles entweder auf das Erseogte, das Qbject, oder auf das 
Erseugende,- d«s Subject, besieht, auf diesen eniielnen FaH^ 

lY. 5 



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. die versciliecleiw Hägiküikeit der dichterischen DarsteUtiAg 
«ner Uandlinig» anwetidel. 

Um diese suriefache Galtung unmiltelbar in cmem Bei- 
spiel wietlerzuerkennen, vergleiche man den Ariosl und den 
Homer. Dies Beispiel wird gerade darum vorziigtich be- 
weilend seyn, weil es kaum möglich seyn dürfle, bei gleich 
grofser Verschiedenheil, eine gröfsere Aehnlichkeit zwischen 
«wei durcli so viele Jahrhunderle getrennten Dichtem an- 
sulreffen. Wo lebt, seit Homer, in einem anderen Dichter 
eine selche Fülle und ein solcher Reichthum von Geslal- 
ten, wo eine spldie nie atiUstehende, sich iimner wieder 
aus sich selbst erxeugende Bewegung, wo strömt ein sb 
unversiegliclicr Quell e\vig neuer und überraschender Er- 
findungen, als in den Gesangen Ariosis? Welcher andere 
neuere Dichter eischeint nieht, von diesen Seilen aut ihm 
verglichen, arm und dürftige ernst und feierlich, Iroeken 
und schwer? Wenn die höchste ßcNvegirng und die le- 
bendigste Sinnlichkeit das Wesen der Dichtkunst ausma-*. 
dien» und niemand anstehen wird, dem Hemer hierin > den 
Rang einsurSumen; so gebührt dem Ilalianischen Sänger 
unstreitig gleicli die erste Stelle nacli ihm. 

Und doch welche ungeheure YcrschiedeiUieit ; wie stark 
geieichnei voraüglich der eben geschilderte Unterschied! 
Im Homer irüt immer der Gegenstand auf, und der Sanger 
verschwinde!. Achill und Agamcnnion, Patroklus und Hek- 
ior stehen vor uns da; wir sehen sie handeln und wirlien, 
und vergessen^ welche Macht sie aus dem iieiche der Sdiat» 
ten in diese leljiendige Wirklichkeit heraurgerufen hat. Im 
Ariost sind die handelnden Personen uns nicht weniger ge- 
genwärtig ^ aber wir verlieren auch den Dichter nicht aus 
dem Auge, er bleibt immer zugleich mit auf der Bühne, er 
ist. es, der'siip uns äeigt, ihre Reden erzähll, ihre Handlan- 
gen besdureibt Im Homer entsteht Begebenheit aus Be- 



. gebcuheit, alles iiüngt iest mit emander zusauimeu, im4er- 
Mugt «ich teUni aus dttn an^eni. AriMl knöpft iwM 
Faden nidil nur lockrer lupanmieii, tondem wenfi sie auch 

noch so fest verbunden wären, so zeneirst er sie ^elh&l 
wie in inuthwilligein Spiel, und iäfsl immer mehr die Herrr 
achaft seiner Wilikühr, ab die 'Festigkeit sciivss Gewdies» 
Micken; er unterbcidil sich mit Flink, springt von Ge^ 
sdnchle tu Geschichte über, scheint (und darin Jiegt zum 
Theil seine gröfsesle Kunst versleckt) nur nach Laune ati 
eittander zu reihen, ordnet aber im Grunde nach den in«' 
nem Gesellen der Sympathie und des Conirastes der Em^ 
pfindungen, die er in seinem Zuhörer weckt 

Aber dieser Unterschied liegt bei weitem nicht blofs 
iu der Composilion des Ganzen; wir finden ihn eben so 
gut In jedsr eincelnen Schüderung» in jeder eimekien Stanie 
wieder. Homer beschreibt eigentfieh nie; die Phantasie 
seines Lesers beÜadet sich nie in dein Zustande, wo sie, 
wie sonst der. Vei^siand, blols die einzelnen Züge, die ihr 
gmigi werden, aufnimmt ^ an einander reiht und so ein 
Games susammensetzl; wie sie dem Sänger folgt, stehen 
die Gestalten vor ihr da, sie hat sie nicht von ihm em- 
« pfangen und doch auch niciit allein erzeugt; auf eine un- 
eirklärhare AVeise ist beides siigieich und aiif «innud vor 
sich gegangen« Iriost beschniibt immer, zeigt' uns immef ^ 
abflidillich Zng ^lur Zug; und obgleich die Einbildungskraft 
durch ihn gleichfalls frei und lebendig beschäfligt und echt 
dichterisch gesUmml wird: so hat sie doch nie gleich reii;^ 
hlois dfn Geg^taadj und noch bei weitem weniger tmmsr * 
nur das Ganse vor sich; auch der ThetI, andi die dnsel- 
nen Züge des Geaiähides hat iler Dichter so behandelt, dafs 
sie für sich die Phantasie gewinnen, und si^ von dem Gan- 
nan absieben, im Homer ist durchaus blofs die Natur und 
.die Sadie, im Ariosjt inmier .sugleich auch die Kunst und 

5* 



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die Person f sawohl die 4es Dickitrs, «Is ^ des Lmrs. 
Deiui wenn der Leser uch eelbfli versessen soll,. d«rf er 
nicht an den Dichter erinnert weiden. 

Beide besitzen einen hohen Grad der Objectivität, beide 
seichnen sinnliche und lebendige üestalten; aber nur in 
Homer leuclitel das Streben nach der vollendeten Darstel- 
lung Eines Gegenstandes hervor. Beide sind trene Mahler 

der Well und <U'r LSatiir, aber Ariost g^efälli mehr durch 
den Glanz und den Heichlhuin seiner l^arben, Homer zeich- 
net sich mehr durch die Beihheit der Formen, dordb die 
Schönheit der Com))osition aus. 

XXII. 

HiMii«r verUiutet di« ewxeliies TlmUt «eiaor BiohUagtn fetter 

s« emaa Gaaxes. 

Der so eben gesdiilderte Conlrasi uiufs jedem Leser 
Homers und Ariosts auffallend seyn, welcher die-Tolalwir- 
fcimgy die beide Dichter auf ihn machten, in sein Gefftcht^ 

nifs zurückruft. Entwickelt mau nun denselben genauer, so 
findet man den zwiefachen Charakter, den wir oben ange- 
geben haben. 

Homer verbindet eine ungeheure Menge von Gestalten 
in eine einzige Gruppe; Ariost fafst eine vielleicht noch 
gröfsere Anzahl, in vieliache Gruppen verlheill, nur gleich- 
sam in denselben Rahmen ein. Im Homer strebt alles 
durchaus sum Gänsen; es ist überall Einheit: Einheit der 
Handlung, der Charaktere, der Gesinnungen, der Empfin- 
dungen; die Verschiedenheit, die bis in iJire feinsten Züge 
nüancirt ist, wird immer nur als eine Stufenfolge vOn Be- 
stimmungen gezeigt, die sieh in sieh zu einem Ganzen zu* 
sammenschliefst. Ariost kann eben so wenig der Einheit, 
als Homer cles Reichthuivis und der Mannigfaltigkeit, ent- 



I 



bciuren; es ist einmal ohne beides keum dichlenaclie Wir* 
kttng möglich. Aber niobl £eae Einheil, aen^ern nur d» 
BbnnigfaltigkeU wirken sa lasten , iai ihm* wichtig. Däi 
Auge soll von Gestalten zu Gestallen unihei schweifen, und 
ihre Zahl tue übersehen^ die Flüche « ^uf der sie auUrcteOj 
BoU sich immerforty aber nur da^ wo es ihm jedesmal einen 
Augenblick su verweilen gefiUll, nicbl gerade vom Mittel- 
ponkt aus und nach aUen Seiten hin ins Unendliche erwei- 
tern j die Verschiedenheit soll, selbst da, wo wirklich alle 
einieken Glieder zusammen verbunden ein Ganses ausma- 
ehen würden , doch nur als Contrast erscheinen. Denn 
wenn auch, wie vielleiclit nicht schwer su erweisen wSr^, 
die Helden Ariosts eben so als die Helden Homers alle 
Uauptseiten des menschlichen Charakters vollständig dar- 
stellten» so würde man denncMch immer nur in diesen den 
Reichlhnm der Menschheit, in jenen blofe die VeradHedei^ , 
lieil der Menschen zu ^ehen glauben. 

. Gerade aber dann ist ein Charakterunterschied unter . 
«wei Künstlern derselben Gattung echl und fehlerfrei^ wenn 
heidei wie hier, denselben Reichthum besitaen, und ihn nur 
auf verschiedene Weise geltend machen, ihn »u verschie- 
denem Gebrauch und unter verschiedeueui Stempel au:^- 
frägen. 

xxiu. 

Ariost recUnet inelir aut den Kifect; Homer wirkt stäikct liuidi 

die reine Form. 

Wenn Homer sich strenger an das Ganze hält, Ariost 
mehr den einzelnen Theil heraushebt, so mufs der erstere 
ihehr auf die Form, der letstere mehr auf den £ffect rech- 
nen, den in der Verbindung eine Figur mit der andism 

macht. Das aber ist es, was man in der Dichtkunst Licht 



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f§ 

und SdiMlen iMtineii kamt, der Grad, um den eine Gestak 
dadurch hervor- oder «urücktfüt, data eine andre nflli«ii 
ihr sieht. Dies, verbunden mit dem Ton , welcheM der 

Dichler seiner Sprache giebt , mit der eigenthümlichen 
Wichiigkeily die er cleuiselben für sich einräumt, macht sein 
Golorii ans. 

Homer mm arbeitet überall auf die Form; ent in dem 

einzelnen I igiirei», in ihrer Ruhe und ihrer Bewegung, dann 
sn der Verbindung derselben, wo er eine an die andere, 
oder mehrere sutammen, oder «ndlieh. alle in £in Gaiiie«^ 
veiknöpftv Darum llfal sieh die ganie Ulae oder dfe game 
Odyssee am Ende wie eine eincige Statae, oder, wenn 
diese Vergieichung zu kühn ist, wenigstens wie eine ein- 
sige Gruppe betrachten. Bei dieaem Verfahren ist daa Co* 
loni nallirlich uhtergeordnet ; es- richtet «ch gL^chM» 
nach der Ferm, und dient nur, diese mehr lieraiMonheben. 
Ganz anders hingegen wirken Farbe, Licht und Schalten 
da, wo die einzchien Figuren mehr allein und getrennt er- 
adieinen. Denn da gehönm «io wesentlieh nt den Veito« 
dungsmitlebi des Gänsen; und Oberhaupt braucht jedee Ge- 
mählde immer um so viel mehr Colorit, als es an Einheit 
und Harmonie der Formen verliert. So wie die Einbii^ 
dungskraft nicht ganz in ihren Gegenstand versenkt iai, so 
erhält ihre eigne Energie das Uebergewicht ; und so wie 
der Dichter nicht so durch denselben beschäftiget ist, dafs 
er jede Kraft aufbieten mufs, uui ihn nur einfach hiniustel- 
len, so erhöht ^ich unvermerkt und an steh selbst sein Ton, 
und wird reicher und prachtiger, als sein Stoff. 



71 



* 



XXIV. 

4 

Colüril. 

Demi ' WM wirCelorit *) nennen («nd es giel>l in jeder 

Kunsl etwas diesem ßegiifl* EiUsprcdieiiilei.), ist, wcui) wir 

*)J>vt Begriir des Colorits ist liier iik einem ungecclirinkt«» 
Sinne gebraucht. Üm dem MibventSndiittse v4>ixubeMgen» dm 
uttlblitbar entstellen mSlste, wenn man ilim einen allgemeineren 

unterlegte, sey es erlaubt, nocli folgende RrlSuteruitg liinziizufij- 
gen. Die Mahlerei (von der man naUirticb, so oft von Colorit die 
Rede ist, immer ansgrelm nuils) tiat ein zwiefaches Mittel, ihren 
Gegenstand darzusteiien ; «lenUmrils un<l i!ieFarl>e. Die letz- 
tere dient unmittelbar, die Aelinli< likeit »Ics Bililcs auch von die- 
ser Seite zu vermehren; aber in so lern wirkt sie nur auf eine 
untergeordnete Weise. Ihre haujitsäciilichste Wirkung bringt sie 
durch die Stimmung hervor, in weldie sie nnsre Phantasie blofs 
für sich» und unabhängig von aller Natur- Nachahmung versetst. 
Denn geht man (wie bei üsthetiadien Untersuchungen hSn6ger ge- 
schehen sollte) auf die Natur derjenigen Sinne zuriick, welche die 
Kunst zunächst beschäftigt, so iindet man, dafs das Auge sich in 
einer doppelten Beziefmng auf der einen Seite r^^if imsre Iiölieren 
intellectuellen, auf der andern auf die niedrigeren sinnlichen Kräfte 
beündet, und dais seine Vei w andlscliaft nut den ersteren durch 
den Kindruck der Gestalt, die mit den letzteren dureh den Kin- 
' druck der Farbe entsteht. Daher ist die blofse Gestalt (wenn sie 
ohne aHe Farbe, als« auch ohne Licht und Scliatten, möglich 
. wäre) kalt und trocken» die blofse Farbe hingegen (auch durchaus 
formlos) so friüch, lebendig und sinnlich, dafs sie altein Emiilin- 
dungen zu -wecken im Stande ist. In so fern nun der Mahler 
sich dieser beiden Mittel zugleich bedient, schlagt er zugleich ei- 
nen objectiven und suhjectiven Weg ein, siel) unserer KJnbildnngs- 
kraft zu beineistern; und flippe heitren Wefre sind es, die in der 
Tltat inuner /Ji^l» irli iic(i7>(e ii wridni m\iiss< vtimi man ZU einer 
watiiliaft küiisüeiiscken Wiikung gelangen will. Denn oligleich 
. beide, der Ürnrib sowohl, als die Farbe, die Natur des Gegen- 
standes (der beide mit einander verbindet) nachzuahmen dienen, 
so arbeitet der entere dennoch mehr darauf hin, uns denselben zu 
zeigen, die letztere mehr uns selbst lebendig genug zu stimmen, 
ihn vollkommen zu sehen. Tndefs kommen immer beide darin 
oberein, nur ihn allein darzustellen. Wird aber das Gleichgewicht 
zwischen beiden gestört, und dem Colorit ein Vorzug eingeräumt, 
so tiitt alydann der Fall ein, von dem o}>en die Rede ht. In die- 
sem nun bleiben dem Künstler nur noch zwei Wege einzuschlagen 



n 



es allgemeio uad piiiiosophbch in seinen Gründen und sei- 
mr Wirkung anlerauchen, nichts anders, ab das, was die 



«bris, ratwed«r da» 6nme xv etpitsefi, o^cr dit Muitmie 
«of eine, gleietiitm rbylbmUck« Weite zu stimmen. Die IMügücIw 
keit auf «lieie letzte Art zu wirken^ wird aber immer nur änfscrst 
beschränkt »eyn, <la die Natur de« Gegenstandes hivr keine fort- 
schreitende Reih«' (kfinffi steigenden oder fallenden Rhythmus), 
sondern nur eine in sied seihst zurückkehrende erlaubt, und diese 
noch dar.u auf Kininal frrgefjen ist. Ohne also auf die Krregung 
lebhafter oder gar heftiger Km^findangen rechnen zn dürfen, muis 
man sich hier allein an Harmenie and Lieblichlteit begniigen. 

Wenn die I^antasie bei der KinwirKnng der Kunst auf dieselbe 
gana in TbStigkeit geeetat werden soll, so mnfii immer sogieicli 
. übjectiv nnd rabjeedT auf sie 'eingewirkt werden. Man mala ei- 
nen Gegenstand vor ilir bilden und ihre Kraft stnnnien. Darum 
sagten wir, dafs jede Kunst ihr Colorit habe, weil wir das Mit- 
tel, wodurch jede dies letztere aasrichtet, mit Reinem scliickliche- 
ren Namen zu benennen wufstHii, <la in der Tliat die Farbe es 
am vollkommensten und am reinsten /u bewirken vernKirr in der 
Musik ist dies Colorit eine gewisse »chwer zu bestimmende Be- 
handlung der Töne; in der Bildhauerkunst, in welcher die Form 
aonst so auMMsTilielalieh herrseht, scbeint et diejenige fiearbeitung 
det Materials, durch welche der harte nnd todte Stein ISr daa 
Ange Weichheit und Leben erhält. Dehn obgleidi dies nur durch 
Form liervorgebracht werden kann, lo wiikt es doch nicht ^ 
Form, da auch daa Gefühl (auf das wir jedes Werk der Sculptur 
selbst dann, wenn wir es blofs ansehen, doch immer beziehen) in 
einer doppelten Verwandtschaft mit den intellectuellen and sinn- 
lichen Kräften stellt. "VVie mächtig der Unterschied zwischen der 
Musik und der ßihiliuuerkun&t in Absicht auf die Objectivitiit bei- 
der ist, sieht man daran, dafs, da in der letzteren das, was in ihr 
das Colorit aufmacht , nur allein durch Form bewirkt wird, da^e- 
gen in der emteren aicb dasjenige, was eigentlich einen Gegen» 
stand schildert, oder eine bestimmte Empfindung ausdrückt (and 
also dem eotspricbt, was in der darstellenden Kunst dieFonn ist) 
kaum noch nur« überhaupt von demjenigen unterscheiden tiUst, 
was, ohne dies zu tliun, blofs die Phantasie beschäftigt oder daa 
Obr ergötzt. Die Mahlerei stellt in diesem Punkt zwischen bei- 
den in der Mitt^ ; denn in ihr ist Form un<\ Colocit am meisten 
und lieinabe vollkommen von einander geschieden. 

üocii mnls man bei dieser ganzen Materie nie vergessen, daf» 
hier nur xum Behuf der L^ntersuchung getrennt wird , was in der 
. Wirkllehkeit schlechterdings unzertrennlich verbunden ist. 



Digiii^uu L>y CiOOQle 



n 

Thatigkeii der Einbildungskraft ohne einen bestimmten, ge- 
fonnteii Gegenstand beschäftigt, und was sie selbst wie- 
. derum fordert^ so oft sie sieh in emem solchen Zustand be- 
findet. Wenn ihre ThfiHgkeH einmal rege ist, und sie doch 
nicht, bildend, ein beslimiiitcs Objecl erzeugt, so kaiiri sie 
nichts, als gleichsam ihre eigne Kraft immer wieder von 
neuem hervorbringen; und ob sie gleich auch so immer ein 
Etwas haben mufe, woran sie dieselbe übt, so wird dies» 
als unbedeutend und immer wechselnd, verschwinden , und 
nur der Grad und der iih^thmus ihrer eignen Thiitigkeit 
sichtbar bleiben. 

Däfs dieser Begi iff des Colorils in der That der rieh- * 
lige ist, sehen wir, wenn wir ihn da auLsuchen, wo er ur- 
sprünglich hingehorl, in der MalUerei. Die Farbe, wenn 
sie nidtt bio£s die Form besser heraushebt (und wir reden 
hier vom Colorit nur insofeni, als dasselbe sich allein und 
für sich hervordrängt) kann der Phantasie keinen bestimm- 
ten Gegenstand geben ; sie kann nur einzeln ihre Stimmung 
determiniren, und mit mehreren in harmonischer oder dia» 
harmomscher Folge, dieselbe verändern, und durch einen 
gewisse Rhythmus hindurch fuhren. Sie gleicht hierin dem 
Ton, nur dafs dieser durch seine innige Verbindung mit 
unsrem Gemüth, ohne gerade bildend su wirken, doch eir 
nen wirklichen Gegenstimd, die Empfindung, hervoihringt, • 
was die blofse Farbe wenigstens immer nur sehr unvoll- 
kommen zu thun im Stande ist. 

In den x\rbeiten mittelmä(siger i^ldhler drängt sich das 
Colorit blofs hervor, um die Sinne au ergötaen und das - 
Auge SU blenden; aber es gäbe auch einen höheren Styl 
lür die blofs aul das Colorit herechnele Maiiierei, die als-* 
dann nach rhythmischen Gesetzen beiiandelt werden mülate, 
und nocih weit mehr ist dies bei der Oichtkimst der Fall. 

■ • • - 



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74 

XXV- 

Homer iak mdir naiv, Atstfil mdhv «enüineiiteK — Htsttltal det 

« 

Dafs Äriost auch einzelnen Zügen seiner SchUderungen 
eine vom Gänzen unabhängige l¥ichtigkeit einräumt, und 
dftTs er den Ton seines Gesanges vor der Form seines 

SlofTs vorwalten läfst, dies beides komml darin zusammen, 
dafis er, weniger ausschiiefsend mit seinem Gegenstände be- 
sehaftigl, öfter in sich selbst niruckblickt Stott die Wir- 
kung auf das Hers und das Gemülh seiner Zuhörer allein 
am Ende dem Ganzen seines (jeiiiahldes zu überlassen, 
wendet er sich selbst, noch wahrend seines Laufes, immer- 
fort zu ihnen hin, und hat mehr den £ffect, den er auf sie 
macht, als seinen Stoff vor Augen. Daher Ist* es auch sei- 
nem Leser in den meisten Fällen beinah gleichgüllig, wel- 
che Gestalt, welclie Keihe von Begebenheiten er ihm vor- 
fahrt, sobald nur überhaupt dasselbe Leben und dieselbe 
Bewegung bldbt, und im Einzelnen die Nuance des Tons 
foigl, weiche sich an die vorige am leichtesten und natür- 
lichsten anschlielst. 

Wir finden daher hier den allgemeinen ünlerschied al- 
ter und neuer Dichtkunst wieder; aus Homer hÜckt eme 
naivere, aus Ariost eine mehr sentimentale Natur hervor. 
Dentioch wird die Verschiedenheit beider Dichter durch 
dies Merkmahl allein nicht erschöpft. Auch in der völlig 
objectivett Gattung beschreibender Gedichte ist noch die 
imnrittelbare Beriehung des Stoffs auf das Gemuth mögHch, 
die sehr gut mit dem Namen der Sentimentalität bezeich- 
net wird. Was also diese Verschiedenheit begiündet, ist 
aliein die höhere Objecti vital. 

Der' Dicl^r fafst einen Gegenstand auf; von ihm gtht 
seine Begeisterung aus; er ist allein mit demselben beschal- 



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75 



ligt, er strebl nach nichts andfe««, ab ihn m «u kcichnefi, 
vne er in der Natur wirklich ist, oder wie er seyn mfi^, 

wenn er zu ihr gehörte; «r kann nicht ailfhSren, bis der- 
selbe vollendet ist, und ist fertig, sobald er den letzten Pin^ 
setstrieh daran gethon bat. Sein Zuhörer hat, wie er^ seine 
Blicke ntr fest auf denselben geheftet; er interessirt sich 
nur langsam und nach und nach für ihn ; aber mit jeden 
Augenblick steigt die Wärme, mit der er ihn umfafst, bis 
sie xuletal SU der höchsten Innigkeit anwäclist; er glaubt 
hiofs auisef sieh und in ihm tu leben, und bemerkt «rst »i« 
ielst mit frohem Erstaunen, dafs indefs nnd durch ihn in 
ihm selbst eine uiiichlige VeriJnderunp vorE:e£;.ingen , sein 
Geroiith bis in sein Innerstes erschüttert, erhöht und idea- 
hsch umgestimmt ist Oder der .Dichter föhH seine Phan- 
tasie in unruhiger Bewegung; seine Begeisterung geht von 
dieser Reguni; ;ius; er sucht und sciiailt sich einen Gegen- 
stand; indem er ihn ausbildet, folgt er dem Gange dieser 
, innern Stimmung; er kann nicht aufhören, er mufs Stoff 
auk Stoff eneugen, so lange diese fortdauert, und er kann 
nicht fortfahren, sobald sie ihn verlassen hat. Sein Zuhö- 
rer ist von dersieiben Begeisterung unl fortgerissen; eri st 
überhaupt von einem rascheren und gleich anfangs leben- 
digeren Feuer beseelt; diese Regung aber kann nicht durch 
die Folge lündurch hnmer steigend wachsen, sie niuls sich 
in cniem mannigfaltig wechselnden Tanze fortbewegen, und 
endlich nach und nach aufhören; das Ende dieser Laufbahn 
kann nicht mit einer so tiefen und überraschenden Rühp 
rung beseichnet seyn, da das Gemuth nicht so plötzlich in 
sich zurückkehrt, vielnielu immer von innen heraus auf diiD 
Welt übergegangen ist. 

Mit der höheren Objectivität ist eine strengere Ge» 
selsmSfsigkett verbunden. Der Dichter, welcher sich 
l>lofs an den Gegenstand hält, hat ein Geschäft zu voUen- 



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t 

n 

den; der, welcher nur seiner innern iStiftiüiung foJgt, bio^s 
«D Spiel m durchlaufen. »Dieser wird durch eine innere, 
gleichem unwiMköhrliche Nothwendigkeit bestiniiiit; jener 
mufs seinen StolT so anordnen und behandeln, als halle ihn 
der blolse Versland und die kalte Ueberlegung geformt 
Oiee aber kann nicht anders als durch dasseihe Genie ge* 
schehen, das ihn eneugl, und mafs seiner Einbildunge* 
kraft diese Gesetzmäfsigkeit) durch welche sie ihren Idealen 
die vollkommenste Natur -Aehnliohkeil giebt, so ursprüng- 
lich .einyerleibi seyn, da& alle ihre Geburien sie von selbst 
und unmittelbar an sich tragen. Durch diese strenge Ge*- 
selxmärsigkeit nun wird der ietatere endlich tiefer und wohl*- 
thätiger auf das Gemiilh und die Gesinnungen, so \vie der 
erstere durch seine heitre und anmutbige Leichtigkeit auf 
die Stimmung und das Temperament ;einwirken. 

♦ 

1 » 

Blüialii dieser VMaclmdeiiheit l»eadiieibeiidcr Gedickte auf die Wahl . 

der Vemit. 

Diese beiden Gattungen, von Gedichten sind so sehr 
von einander geschieden, dafs jede ihren eignen Versbau 

erfordertj und dies die eigenlliche Grenzlinie ist, wo in be- 
schreibenden Gedichten der Reim und der Griechische 
Vers gebraucht werden mufs. Denn der Reim giebt im* 
mer ein Coloril, das' sich för sich allein' dem Auge vorwaU 
tend aufdrangt, da hins:egen der Hexameter, so wie jedes 
alte Silbenmaais, seinen noch reicheren und glänzenderen 
Farbenscbleier immer nur als ein bescheidnes Gewand um 
die Schönheit der Formen giefsL 



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TT 

xxvu. 

Zm w«loh<v jemf . I>eid«tt Gattuafva ntuwr Hiditisr geliörtf bevewt «r 
dvrcU die Zeidmang seiner Figaren. 

Es bedarf nicbt erat eines Beweises, wekshen von dle^ 
sen beiden Cbarakleren Herrmsn n und Dorelbes sn 

sich trä^l. 

Der Dichter hat es nie mit etwas andrem, als mit sei- 
nem Gegenstände,, xu thun; sein Gang ist lebendig und 
kr&ftig, aber, rahig, gleichfinnig und von immer schnellerer 
steigender Bewegung gegen das Ende dctt Gedichts^, der 
Leser lebt allein in der Begebenheit, die er vor sich sieht, 
er isty wie der Dichter, klar and gleichförmig gestimmt, 
aber «detit tief geruhrl, und von den höchsten Gefühlen 
durchdrungen. Nicht seine Sinne, nicht seihe Leidenschaf- 
ten sind rege^ aber sein Sinn ist beschäftigt, sein Uemüth 
stiJi bewegt; er fühlt nicht sowohl das rasche Feuer, wel- 
ches sonst die. Phantasie* anfacht, als er sich vielmehr der 
lebendigen Klarheit bewufst ist, womit ein reiner und tiefer 
Blick in das Leben und die Menschheil die Seele erhellt. 
Seine Einbildungskraft hat durchaus frei und allein, mit al- 
ler ihrer schöpferischen Kraft » und an ein§m Gegenstande, 
also bildend, gewirkt. 

Davon überzeugt man sich vorzüglich dann, wann man 
die Mittel genauer untersucht, durch welche der Dichter 
seine Gestalten dem Leser in die Seele pi^gt. Wir haben 
schon im Vorigen an einem Beispiel gesehn, dafs er sie 
nicht ängstlich beschreibt, sondern nur ihre Umrisse zeich» 
net; aber selbst das ihut er nur selten, nur da, wo die 
Veranlassung flm schlechterdings dazu nöthigt. Er kennt 
ein andres, tiefer eingreifendes Mitlei sie an^föhren and 
wichtig zu machen; ^e Kunst ncmKch, sie durch den Grund 
herauszulieben, auf dem sie auftreten, die F^inbildungskraft 



• 

durch die gehörige ÖUiuinung zu nöthigeiii sie von selbst 
und in derGröfse jbu erzeugen, die er ilmen- mitiheilen will. 

Dadurch erhSll er ihre Umrisse^ ohne ihrer Beslhmiil« 
heit zu schaden ) de?inoch immer grenzenlos und unend- 
lich : sie wachsen in d<*i 1 hal iuunerfort vor der Phantasie, 
SO wie aUntthlig die ei^no Stiinmung derseftben forteohpfi« 
tend erhöht wird; dds Game knüpft sich.fesler sufMamieiif 
wenn immer ein Theil den andren, und nicht jedesmal der 
Dichter. jeden besonders zu bilden scheint; und die ganze 
Wirkung wird, um so viel dichterischer und künttlerisohery 
ab sie rcöiier uäd aeUwIlliätiger blofo durch die £inhildungi* 
krall voUendei wird. 

XXVIII. 

yerc;l«ichung niiser» Dickten mit Homer in di^m Stuck. — Beitpiet 
an Glnnktts und Diomedes Waffentauscli. 

Dieselbe EigenLliümlichkeit epischer Schilderung finden 
wir auch im Horner und überhaupt in den Alten wiedarc 
Wenn die neueren Dichter alles einxeln ausnahlen, wenn 
sie oft kleine und einzehi interessirende Züge auswählen, 
wenn man bei ihnen überall BeschreiLiuiigen männlicher 
und weiblicher Schönheit findet; so sind diese jenen durch- 
. aus fremd. Aber dagegen verstehen sie ihren Figuren eine 
andere GrÖfse, eine andre Würde, und wahrhaft koiessa«- 
lische Umrisse durch die Art zu geben , wie sie ,dieseibea 
erscheinen lassen, und wie sie durch dies £rscheinett auf 
die Einbildungskrafi einwirken« 

Welche einzelne Scene man etwa aus der Uiade und 
Odyssee herausheben mag, so findet man diese Bemerkung 
bestätigt. &Ian nehme z. B. Glaukus und Diomedes Waf* 
fentaasch. Auf welchem Bodfcn tretep schon diese beMoi^ 
Figucen 4uf| von welchen Gegeosländen sind sie uqugebonl 



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Ein min i^flipfem angefüllies Scbiacblleld, das \vechs«ind* 
G&fick beider Nationett, der twieCidie AntheU der Götter 

an dem Ausgang des Kampfs, das SdiiekMl Trojas, dessen 
kiiofliger Unlergang durch die ganze Anlage des Gedichts 
vorherverkündigt 9 imd auch in diesem einzelnen Stück , in 
dem Contrast der Charaktere des edleren, sanfteren > hei* 
nahe schwermülhigen Lyciers und des wilderen und rau- 
heren Argivers, und in dem Ton ihrer Reden unverkenn- 
bar gezeichnet ist. Oai|n diese Charaktere selbst , echte . 
und reine Heldennoturen , sloli und tapfer, sogar wUd und 
grausam, aber einfach/ fest in einmal geschlossenen Ver- 
bindungen, voll Ehrfurclil iVir ihre Väter, für die Gast- 
freundschaft und die Götter, welche dieselbe beschützen. 

Wie sie die Yerfainduqgen ihrer Väter enähitn, ist 
man plötslich in alle ihre Empfindungen verseltt, weil diese 
Empfindungen insgesamml nur rein menschliche sind; man 
fühlt den muth^en Stolz des Jünglings, den sein Vater er- 
mahnt hal, seines Heldengeschlecbts nicht unwürdig lu 
seyn; man tfaeilt gern Diomedes Elhrfurchl für Gastge- 
schenke, die seine Ahnherren ihm hinterlassen haben, und 
für das Andenken eines Vaters, den sein Ileidenrui ihm, 
noch eh* er ihn kannte, schon entrits. Bei der Geschichte 
der beiden Stamme thut man einen tiefen Blick in das 
Loos der Sterblichen und die Macht des Schicksals; Prö- 
tus leichtgläubiger Argwohn, Beilerophons menschenscheue 
Schwermulh, Tydeus und der Sieben Untergang vor Theben! 

Von allen diesen Büdem auf einmal gerührt, wer b©» 
gleitet sie nicht da, wenn sie nun, nach Handschlag und 
* Waffentausch , sich wieder in das (ictLinimel der 6ciilachl 
versenken, mit wehmütlüger Kührung? wer ist nicht von ' 
dem tiefen Gefiihi für die Gröfse und den ßdelmuth,* aber 
zugleich für die Ohnmacht und Verblertdnng des Menschen 
duiclidiuugen, durch die er mir als eiii leiciites Spiel weri^ 



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80 



in der Hand des übenniichtigan Schicksak ersclieiatl — 
Welche Farben aber leiht diese SiimnMtDg, m weiches ehr« 
würdige «HalbduiiiLel hüllt sie die beiden ffignren , die der 

Dichter blofs daiiureli zu zeichnen versland, dais er sie auf 
das Gemüth einwirken lieis^ noch ehe er sie eigenüich hin- 
gestellt halle! 

Unser Dichter Jiat kmen so grdlsen und glänienden 

•Schauplatz, keine so reiche Anzahl von Nebenfiguren, durch 
.welche die Mauptfigurea von selbst hervortrelen, keine Hei- 
den und Heldengeschlechter, welche die Phantasie vea selbst, 
und ohne dafs es dazu nur eines Winkes bedarf,* in die 
Vergangenheil zuräckführen ; unbekannt, und von Unbe- 
kannten abstammend, müssen die Personen, die er* uns xeigt, 
aUein durch sich selbst gelten^ Wie hat er' es nun änge- 
fiuigen, um ihnen den Adel und die Grofse su geben, ohne 
welche keine tiefe dichterische Wirkung möglich ist? 

Üer glückhche Sänger der Vorzeit konnte vor den 
Sinnen und der Einbildtmgskraft einen, reichgeslickten, far- 
bigen Teppich voM der mannigfaltigsten Gestalten in üppi- 
gem Reichthum abrollen; er, wekher durch seine Zeit, 
seine Sprache uiid seinen Stoff dieses Voraugs entbehrte, 
mufsle seine MilLel mehr in dem Innern des Gemüths und 
der Stimmung desselben aufsuchen: was jener in der Na- 
tur und der Weil fand, mufste dieser unmittelbar m den 
Mensclicn legen. . 

Wo also die Figur auftritt, sie mit dem hohen Styl su 
zeichnen, der die Seele zugleich erstaunt und fesselt; sie 
mit entschiednen und kräftigen Zügen , ohne dafs eine Ab- 
sicht erraLhcn werden kann, auf den Vordergrund des Gan- 
zen hinzustellen^ den Leser durch auffallende Wirkungen, 
die sie hervorgebracht hat, wie durch ein Licht, das, von 
ihr auastralend, ihr Daseyn, noch ehe sie selbst erscheint, 
schon verkündigt, auf sie vorzubereiten; sie selbst selten 



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■ - • 81 

eu zeigen, und doch sogar abwesend ilire Ucgenwart im- 
mer und ununlerbroclien wirksam zu erhallen; ihr BUdda- 
ilarch immer wachsen zu lassen^ dafs die Höhe des Tons 
und der Slinrniimg im Ganzen stuiimmt; und sie überhaupt 
immer mehr in dem Widerschein ihres Wesens, als unmit- 
telbar in diesem selbst, zu zeigen — war alles, was ihm 
unter diesen Umständen übrig blieb, und dies hat er ao 
Irefiich su benulsen verslanden, dafs sich der Leser null 
dennoch der ganzen uatl vullcü \\ itkung erfreut. 

XXIX. 

Sciiilderaiig Herrniaiuis and Dorothoens. 

Herrmann und Dorolhea sind beide durchaus so gehal- 
ten, dafs keine dieser beiden Gestalten vor der andern her- 
vortritt Wie sie in der Handlung, in der sie der Dichter 
zeigt, Eins siftd ; wie ihre ganze Seele nur gegenwärtig mit 
einander beschäftigt ist: so sind sie auch nur gleichsam als 
ein einziges Individuum geschildert Ueberall erscheinen sie 
nur immer in Beziehung auf den andren, überall sieht man 
m dem einen audi den andren zugleich mit, und ihre bei- 
derseitige Natur schinikt eben so fest und voilkoininen zu- 
sammen, als ihre Herzen unzertrennlich verbunden sind. 

Aber (denn auch darin ist die Ordnung der Natur so 
•chSn beobachtet) Herrmann tritt überhaupt mehr, und von 
Anf<Tng allein auf, wir lernen Dorotheen nur dnrcli Hiti ken- 
nen, durch das ganze Gedicht erscheint sie iuuiier nur als 
ihm bestimmt oder angehörend, und wenn sie am Ende ei- 
nen Augenblick eine eigne Selbstständigkeit "gewuint, so ge- 
schieht es nur, um durch diesen Muth und diese Kraft, der 
weibliciien /Anhänglichkeit noch mehr Adel und Würde zu 
geben. Darum 4ileiben wir hier nur bei Dorothea Scbii- 
deruDg stehen. Herrmann, als die Hauptfigur des Gedichts, 
IV.* 6 



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82 

idchiiet Bich von selbsi; indeis werden wir Uoch bald se- 
hen, dafs auch er seine eigenüiche Gröfse von der ßinbii- 
dungskraft de» Leser» nur dadarch gewinnt, dafi wir seine 
Gestalt in Dorolheens Wesen, wie in einem reineren ^^e- 
diuni, wieder erblick.cn. 

So tragen and heben beide Figuren sich immer nur 
gegenseitig; und indem die Phantasie^ den fixen Punkt auf- 
suchend, an dem das Ganse befestigt Ist, immer von der 
einen zur andren hinüherscluvanken mufs, indem das Bild 
beider, wie ein Licht zwischen zwei Spiegein, immerfort 
von der einen in die andre zurückgeworfen wird, erhallen 
sie immer schwellende uml unendliche Umrisse.- 

XXX. 

Kr«te KinfüArung Dorotlieeni dprch Hcmnanni Erzühlan|[; von ilir. 

Was diesem ganzen Gölhischen Gedichl eine so 
grofse Objectivilät giebt, und es so sehr der Gatlung von 
Gedichten aneignet, von der wir hier reden, ist der feste 
' und sichere Grund, welcher dem ganxen, so wie jedem ein-* 
Keinen Theile, jeder Handlung und jeder Schilderung; wenn 
die Metapher erlaubt scheint, gleichsam unlergebaul ist* 
Wie der Werkmeister der Natur den feinsten und spre- 
chendsten Zügen der menscIiUchen Gestalt einen feslon und 
bestimmten Gliederbau unterlegt, und die Festigkeit und 
Starke, die daraus hervorgehl, zu einem Haupteiemente der 
Schönheit macht j so bereitet sein Schüler, der Dichter, der 
fitnbildungskraft einen sichern und unerschütterlichen Bo* 
denj von welchem aus sie, suversichllieh auftretend, einen 
kühnen Aufilug nehmen kann. Nielil ;ilso blofs in der An- 
lage des Ganzen sind alle Theile fest zusammengelügl, son^^ 
dem auch bet einzelnen Schilderungen, vorzüglich bei der 
Zeichnung der Charaktere, sind gerade solche Elemente 



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ausgewühll, welche dem Gänsen Haltung, Kraft und Sicher^ 

heil geben. 

Fast nirgends fällt tlies so lebhnfl ins Auge, nis bei 
dem ersten Erscheinen DoroÜieens. (S. 29.) Ihr Bild ist 
da mit so sichrer Meislerhand hingestellt, dafs es in dem 
Gemülhe, wie festgewurzelt, haftet 

Als ich nun meines Weges die neue Strafüe biiianftufar, 
Fiel mir ein Wagen in« Auge, ron tncliHgen Bäumen gefuget, 
Ton zwei Ocliien gezogen, den grofsten und stärksten des 

Auslands; 

Nebenher aber ging mit starken Schritten ein Mfidclien, 
Lenkte mit langem StaUe die beiden gew<iitigeii Thiert*, 
Trieb sie ao, und bielt sie zurück, sie leitete klüglicli. 

Man glauht eine der hohen Gestallen zu sehen, die man 

bisweilen auf den Werken der Alten , auf geschnillenen 
Steinen, erblickl. Man fühlt sich betroffen, und hüll inne; 
man hegreiA nidit, 'wodurch und womit dies gemacht ist 
Der Dichter, hat blofs die einfache Handlung erzählt; aher 
man kann sich nicht enthalten, dieser Erscheinung noch 
einen Augenblick zuzusehen. Sie steht zu auffallend da. 

Voir der Erzählung im vorigen Gesänge (S. 13.) her, 
ist der Leser nöch von dem Zuge der Ausgewanderten er« 
lullt; er sieht noch das verwirrte Durcheinandertreiben, die 
unbesoiinene Eile, die gegen fremdes Unglück gleichgültige 
Selbstsucht vor Augen. Aus dieser ungeschiedenen Menge 
sondert mch nun eine einselne Gruppe ab: ein Wagen ist 
zurückgehlieben, indefs die tibrigen schon in der Entfernung 
vorauseilen, eine Wöchnerin, von Ochsen gezogen, die ein 
Mädchen lenkt. Dies Mädchen (ritt allein einzeln auf, sie 
allein ruhig, besonnen, hülfreich ; nun mufs alles, die Stärke 
des festgefügten Wagens, die gewallige Grdfse der Thiere, 
selbst das verwirrte Gedränge des Zuges ilu- Bild zu ver- 
grölsern beitragen. Es ist schon so idealisch geworden, die 

6\ 



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Phaniasie ist schon so ^vilitg, es in ganz fremde licgipnen 
SU versetten, dafs wir vergessen ^ dafe der lange lenkende 
iStab i|ichi mehr SiÜe unserer Zeit ist. 

XXXI. 

SeKHdernng der Jongfrao in ihrer Wirkung aal' Herrroann* 

Nach dieser erslen Linliilii iiug isl der zw eite Moment 
des Erscheinens der Jungfr.iii erst in der Stelle, die wir 
im Vorigen genauer geprüft haben. Aber auch indefs ver- 
läfst sie den Schauplatz nicht; Ton diesem ersten Augen- 
blick an bleibt sie dem Leser gegenwärtig, und wirkt von 
ihm in Herrinanns 8eele, in seinen Reden und Entsclilüssen 
fort Ja, noch ehe sie der Dichter wirklich auftreten iiM, 
erschien sie schon in der Umwan<fiung seiner Gestalt und 
seines Wesens, welche die bei seinen RItem versammelten 
Freunde gleich beim Hereintrelen an ihnl beiiioi ken. (S. 27.) , 

Die Schönheil des Moments, wo in der beginnenden 
Reife des Jünglingsalters ein Gegenstand sich plötslich der 
Seele bemeistert, weil in Einem Augenblick eine Leiden- 
Schaft angcfaciil wird, die iVu das ganze übrige Leben forl- 
dauem soll, wird durch diese Stelle und die ganze Schil- 
derung der nun erst erwachenden Gefühle Hermianns ir 
allem ihrem Reixe vor das GemQth des Lesers gebracht. 
Die Veränderung, die er in seinem Wesen errährl, erinnert 
an die wohlthUlige Kraft, mit der Homers Gölter und Göt- 
tinnen ihren Lieblingshelden höhere Schönheit und über- 
menschliche Gröfse verliehen, und vertritt die Stelle des 
Wunderbaren, das in seiner wahren und antiken Gestalt in 
einer Composilion, wie das gegenwiirlige Gedicht ist, iiei- 
nen Platz finden konnte. Aber wenn es nun hier jenen . 
überirdisch slralenden Glanz entbehren mufs, so fährt es 
uns desto tiefer in uns selbst suriick. Wie viel wir auch^ 



4 



85 

m 

sa£:t es uns, an uns bessern und tnodelu, so eraeugl sich 
die . eigentliche Gesiall, die wir annehmen, doch allein und 
uns unbewuTst, aus uns selbst; gerade die Gefölile, die uns 
am nMcfaligsten beherrsehen, schiefsen wie Blitse aus un- 
bekannten Tiefen unsers Ichs hervor, durchslralen unser 
ganzes Wesen so lebendig, nnd heben es so ganz aus den 
gewohnten Kreisen unsers Daseyns heraus, dafs wir durch'- 
aus ais verand^rle Menschen erscheinen. 

Darch eine so wundervolle Umwandhing Hernnanns 
auf ihre nur erst dunkel geahndete ürsach, durch die krafl- 
volien Worte, durch die sein Vater das Schicksal seines 
Vaterlandes und das Glück seiner Familie ($• 22.) in einen 
herüidien Wunsch vereinigt, auf ihn selbst vorbereitet, wie 
tritt da Dorolhcens Gestalt doppelt bedeutend hervor! 

Nachdem Uerrmann seine Erzählung geendigt hat, enl* 
spinnt sich ein Gespräch zwischen ihm, seinen £ltem und 
seinen Freunden. Die Handlung gehl fort: aem Vater macht 
ihm Vorwürfe über sein zu blödes und stilles Betragen; 
der besclieidene Sohn weicht den Vorwürfen aus, und ver- 
läÜBt das Zimmer. Der Leser ist nun in das Interesse ge^ 
sogen; er sieht eine Begebenheil anfangen, die ihm durch 
die darin verwebten Charaktere wichtig wird. Mit inniger 
Theilnahme folgt er der Mutter, wie sie dem Sohne nach- 
geht Sie findet ihn auf dem Hügel, der Grenze iiirer Be*- — 
sitsungen, unter einem Baume sitzend» . 

Dies ist wieder eine der Stellen, in welchen der Dich- 
ter seine Kunst oiTenljart, durch die Stimmung der Einbil- 
dungskraft des Lesers seinen Figuren Grölse und Charak- 
ter zu geben. , Mit dem Kücken gegen die Mutter gekehrt, 
' sitzt Herrmann, auf den Arm gestützt, und scheint in die 
Gegend za schauen, jenseits nach dem Gebirge. Wie er 
sich zur Mutter umwendet, sieht sie ihm Thränen im Auge. 
^ überraschen wir ihn mitten in seinen einsamen 6elbst- 



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86 



beirttchlüDgen, und schon der Orl, auf dem wir ihn antref- 
fen, macht uns diesen Moment bedeutender. Am Ende des 
laugen Weges, den wir, unruhig suchend, uiiL der MuUer 
surückgelegi haben> auf einer Höhe, von der wir auf daa 
Städtchen und die Wohnung hinabschauen, die wir ebeif 
verlit iöLii, mitten in einem kraftig fluleuileii Kornfelde, steht 
ein Bauiu^ dessen Alter sicii schon so weit in die vongen 
Zeiten surückerstreckt, dafs die Hand unbekannt ist, die 
ihn gepflantt. hat Unter ihm sitst Herrmann« 

•Welchem Leser werden hier nicht Augenblicke seines 
Lebens einfallen, wo er sich in ähnlichen Sliinmungen^ in 
ähnlichen Lqgen befand; wer wird sich nicht erinnern, wie 
aJsdann ein Gebirge, das sich am äufsersten Horixont hin- 
aiehl, den Blick einladet, von Gipfel su Gipfd zu schwei- 
fen, wie das bewegle llciz eine unwiderstehliche Sehnsucht 
befölit, auch jenseits liinüberzuschauen, auch jenseits und 
drüben xu seyn, als wäre eine andere und .bessere Well 
durch diese Mauer von uns geschieden! 

Aber es ist nur wenig, wenn der Dichter solche Sliiu- 
niungen und Empündungen in uns weckt; seine hohe und 
meisterhafte Kunst besteht darin, mitt^ aus ihnen . und 
durch sie den Gegenstand in seiner lebendigen Wirklich- 
k«t hervorgehn zu lassen ; und gerade dies hat der uasiige 
hier eneichl. Statt dafs wir Herrwann verlassen, und uns 
Eninnerimgen hingeben sollten, ist er es allein, der vor un<t 
Sern Augen gegenwärtig ist; aber zugleich achwellen jene 
Erinnerungen unsem Busen, erfüllen sie unser Jlerz; wir 
sind uns ihrer nicht einzeln bewufsl, aber ihre Wirkung ist 
in uns lebendig, und trägt sich auf den GegensUnd über. 

So kommt es schlechterdings mir darauf an, welche 
Richtung der Dichter unsrer Eüibildungskraft zuerst gege- 
ben, welchen Ton er angestimmt hat. Isl diese Richtung 
eiimial entschieden objectiv, geht sie gerade darauf hin, Gc- 



87 

slalten zu luulilen, nichl Gefühle zu erwecken, so mag er 
unser Inneres erschütlern, rühren, aufregen, so stark und 
mächtig es nur in seiner Kraft steht; ailes wirkt doch nur 
dahin, die Well, die er uns zeichnet, lebendiger vor uns 
hinzustellen, uns noch tiefer und mit noch mehr entschie- 
dener Selbslvergessenheit in dieselbe zu versenken. 

XXXIL ^ 

Die Wirkung des Mäilcliens auf den Jüngling ist nicht in einer unbe- 
stiiniuten Grufse, sondern in dem bestimmten Uegrii)' der vollkonimnen 
Angeniessenlieit beider Naturen gezeichnet. 

Wenn wir hier einen Augenblick bei dein Kindruck 
verweilten, den Herrmanns Schilderung macht, so entfern- 
ten wir uns darum nicht von Dorolheen. Denn dieser Ein- 
druck, die lieftige Bewegung, die sie in dem Herzen des 
Jünglings hervorgebracht hat, und die furchtbaren Folgen, 
die dies einen Augenblick auf die Huhe und das Glück ei- 
ner Familie zu haben droht, die uns werth geworden ist, 
sind zusammengenommen das kräftigste Mittel, ihr Wesen 
und ihre Gestalt selbst (da beides hier immer Hand in Hand 
geht) mächtig herauszuheben. Es wäre überflüssig, dies 
einzeln auszuführen. Man erlaube mir nur auch hier, an 
die im Vorigen gemachte Bemerkung zu erinnern, dafs der 
Dichter, wie überall, so auch hier, um der höchsten und 
poetischsten Wirkung gewifs zu seyn, nie das Glänzendste 
und Kühnste, sondern immer das Kräftigste und Gehall- 
vollste, ausgewählt hat 

Herrmann ist auf einmal aus allen gewohnten Gleisen 
seines Lebens herausgeworfen; das Erste, nach welchem 
er fafst, als er den engen Kreis seines bisherigen Lebens 
verlälsl, ist auch das Höchste : das Schicksal seines Vater- 
landes, seiner rSalion, der Welt; es ist ihm zuwider, noch 



SS 

femer unlhätig zu seyn, er will wirken; er föhlt, dafii' es 
¥ergeblich seyn wird, aber sein Leben soll auch vergebens 
dahingehn. 

Eine natürliche Wirkung der heftigen Leidenschaft. 
Sobald das bisherige Leben einmal unsehmackhaft gewor- 
den ist, kann eine kräftige Natur nichts andre«?; als das ge- 
rade Gegentlieii wollen; sie darf nichl einmal ihrer Thä- 
ligkeit einen andren^ als einen unglückücben £rfolg wün- 
schen. Sich vergeblich aufaureiben, ist das Streben aller 
Verzweiflung. Sogar der Selbstmörder, der den Faden sei- 
nes Lebens in diesem Zustand abschneidet> thui es nicht, 
um eines Daseyns los zu werden, dessen er müde ist, son<> 
dem um Kräfte, die etwas wirken könnten, und di^ das 
Schicksal nun einmal nichl nach seiner Weise wirken las- 
sen will, nun auch absichtlich umsonst wegzuwerfen. Solche 
Verzweiflung aber erregt bio^s die Unmöglichkeil, dasjenige 
zu erreichen, was uns durchaus gemals ist. Sobald dies 
nicht der Fall ist, giebl uns das Entbehren dessen, was wir 
.umsonst zu besitzen wünschen, wohl eine andere Richtung, 
aber schleudert uns nicht in das gerade Gegentheii hin. 
Dies ist Ein PuqkL 

Ein zweiter ist folgender. Herrmann geht mit seiner 
Alutter zum Vater, dessen Eiuwilligung zur Verbindung mit 
Dorolhcen zu suchen. Wie er die Worte ausgesprochen 
hal: 

die gebt mir, Vater; inein Hers hat 
Rein und sicher gewählt; \ " 

erkennt auch der Geisthche, dafs. diese Worte in einem 
AugcnbHck gesagt sind, der besser, als alle Berathung über 
das Leben und das. Geschick des Menschen, entscheidet. 

Was wir nur mmschen, worüber wir räthschlagen , dessen 

können wir uoeli entbehren. Was uns unenlhchiiich und 
noth wendig ist, was unsre Natur unmittelbar fordert, das 



89 



spricht ein einziger Augenblick aus. Kin solclier isl jeUl 
für Herrniann gekommen. 

Aber bei ihm kann man (und dies ist der dritte Punkt) 
noch sicherer seyn; was er' begehrt, das ist ihm gemäfs, 
und das liäll er fest. 

Wenn es uns gelungen ist, den Leser durch die bishe- 
rigen Betrachtungen auf den rechten Standpunkt zu führeui 
den Charakter dieses Gedichts treu und wahr aufzufassen; 
so mufs derselbe bereits fühlen, dafs unser Dichter nie un- 
bestimmt nach dem Grofsen, Starken, Erhabenen, sondern 
immer nach dem Vollkommnen und Vollendelen strebt, dafs 
er nicht auf die Eireichung eines hohen Grades, sondern 
des Absoluten ausgehl. Dies beweist, mehr als eine andre, 
die hier ausgehobene Stelle. 

Ein anderer Dichter hätte sich begnügt, die Trefflich- 
keit des Mädchens in der blofsen Stärke der Wirkung su 
schildern, die es auf den Jüngling gemacht hat, und dies 
Miltel wäre auf keine Weise verwerflich gewesen. Der 
unsrigc thut zugleich weniger und mehr. Er scheint an- 
fangs wenig darum bekümmert, den Eindruck zu mahlen, 
den llerrmann erfahren hat; er läfst ihn in seiner Erzäh- 
lung keinen Augenblick aus seinem ruhigen, einfachen, be- 
schreibenden Ton herausgehen : aber er führt die Umstände 
so, dafs er unwiderstehhch darlhul, dafs Dorothea ganz und 
gar, und nur sie dem Wesen des JüngHngs angemessen 
ist, dafs sie sein werden mufs, und dafs er aus seiner gan- 
zen Nalur herausgehoben ist, wenn er sie nicht besitzt 

Wie viele Vorlheile gewinnl er nun auf einmal ! Alles, 
wodurch Herrmanns Charakter überhaupt geschilderl ist, 
wirkt nun auf diesen einzigen Moment, und dieser wieder 
darauf zurück. Dorolhea erscheint nicht blofs in einer un- 
beslinnnleu Gröfse, in einer Wirkung, aus der sich der Ge- 
genslnnd, der sie hervorgebracht hal, immer nur schwan- 



M 

kend erkennen iMfei; sie steht in den beslimmtcstcu Uin> 
rissen d«i. Denn wir kennen llernnann, und sie ist d«is 
Mädchen, das ein solcher Jüngling bedarf. Dadurch ist 
sie xiigieich gerade in der Gattung von Trefflichkeit ge- 
zeichnet, die am besten zu dem Geist des ganten Gedichts 
pafst: als eine reine, krallige, sichre Natur, — als die zu- 
verlässige Gattin Herrmanns. Mit wie starken und . leben- 
digen Farben der Dichter die Leidenschaft Uemnanns ge- 
mahlt hätte, so Wörde er (lie das erreicht haben, was er 
jetzt erlangt; wenigstens liätLc er es nicht als epischer 
Dichlcr erreicht. Denn wenn der lyrische das, was über 
alle Wirklichkeit erhäben ist, als das letzte Ziel aller Kunst, 
oft nur durch ein Aufsteigen zu immer höheren Graden in 
der Unendhchkeil aufsuchen darf, so mufs der epische es 
immer in der Totalität eines gesciilossenen Kreises zu lin- 
den verstehn. 

Aber nachdem der Dichter die Umrisse seiner beiden 

Hauptfiguren so besliinml gezeichnet, sie uns so fest dn-* 
geprägt, unser Herz so innig für sie erwärml hat, giebt er 
auf einmal unsrer Einbildungskraft einen kühneren Schwung, 
versetzt er den Gegenstand, der un», noch immer abwe« 
send, so einzig beschäftigt, plötzlich wie in höhere Sphären. - 

mein Vater, ' 

ruft Herrmann aus, 

. sie ist nicht hergelaufen, das Mädclieii, 
Keine, die durch da» Land auf Abeoteuer uuikerftciiweiff, 
Und den Jüngling bestrickt, den unerfabrnen, mit Ränken* 
Nein; da« wilde Geschick des allverderblichen Krieges» 
Das die' Welt zerstört, und manches feste Gebäude 
Schon aus dem firuiule nehohcn, hat auch die Anne vertrieben. 
Streifen nicht herrliche Männer von ]ioher Geburt nun im 

Elend ? 

Hursten fliehen vermummt^ und Könige leben veri>annet. 



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91 



Das Schicksal der Welt knüj)fet sich mm an das ihiige an, 
und leiht ihr einen neuen befremdenden Glanz. 

XXXIII. 

Dorotlieens eignes Erscheinen. 

Die Stelle, wo Dorothea zum erstenmal seihst auftritt, 
und wo wir mit ihr unter den Ihngen verweilen, soll das 
Bild, das wir uns schon von ihr gemacht haben, weder er- 
höhen, noch vergröfsern ; dies ist jetzt noch nicht nöthig, 
und bei dieser Veranlassung nicht mehr möglich; sie soll 
uns nur damit vertraut machen, und es in uns befestigen. 

Das Mädchen, das ^vir bisher blofs in dem Spiegel des 
Eindrucks sahen, den es gem.icht hatte, gUch noch zu sehr 
jenen zauberischen Schnltenbildern , die wie ails einer an- 
dren Welt zu uns herüberstralen; sie soll jetzt zur Wirk- 
lichkeil, ins Leben herabgeführl worden; wir sollen ihr 
näher treten, ihre Schicksale kennen, sie liicht mehr blofs 
mit dem bezauberten Blick der Liebe, sondern mit dem na- 
türlichen Auge des blofsen Beobachters ansehen. Herr- 
maun ist zurückgeblieben, und wir sind nur in der Gesell- 
schaft seiner un])arllieiischcn Freunde. 

Wir linden Dorolheen noch eben so gut und brav, als 
vorher; aber der Zauber ist hinweggenommen, der sie bis 
dahin, wie ein leiser Hauch, überkleidete. Ihre hülfreiche 
Thäiigkeit, die erst etwas Heroisches halte, ist mehr zu 
dienstbarer und gefälliger Geschäftigkeit geworden; sie er- 
scheint als Weib und als Mädchen, da wir sie vorher gern 
in Herrmanns Seele in dei* Sprache Homers gefragt hätten, 
ob sie nicht der Götlimien eine sey, herabgekommen den 
Menschen zu helfen, und ihr Herz zu versuchen? Dadurch 
erhält ihr Bild bei uns eine ganz eigne Wahrheit; es ist 
nun so, wie wir es immer im Leben wirklich antreffen. 



92 

Das Wesen bleibt immer uiul ^Uirchaus in allem seinem 
Wirken und Thim dasselbe; aber es giebt Momenle, wo 
es, von höherer Begeisterung darchsirait, etwas GöUliches 
und Ueberirdisches annimmt. Wir glauben nunmehr dem 
Geliebten, der zwar am meislen durch jene beseligenden 
Augenblicke ungeslürler Einsamkeit entzückt wird, aber 
nach ihnen auch gern seinem Mädchen in den gewöhnli- 
chen Kreis ihres Lebens, in ihre häusliche Geschäftigkeit 
folgt. 

Der Dichter weib, dals der Mensch hnnier das Groüse, 
Erhabene, üebenuenschliche sucht, aber dafs er, um es 
festsuhaiten, es sich aneignen, es menschlich machen mufs; 
darum fuhrt er ihn erst in kühnen Flügen dasu hin , und 
läfsl ihm hernach Zeit, es unter veränderten Formen sich 
näher lu bringen. Er wechselt die Töne, um aus seinem 
Werke ein Ganzes zu machen, das dem wirklichen Leben 
selbst gleich sey. 

XXXIV. 

firublnng des lieroiscbeii MnUii der Jungfrau* Ob dev Diditer gut 
diat, gmde di«Mn Zng uui ihrem Leben henuasnheben? 

Zwar ist es gerade hier, wo die Heldin unsres Ge- 
dichts am meisten heroisch erscheint, wo wir durch die 
Ersahlung des Richters ihrer Gemeine die kühne Entschlos- 
senheit erfahren, mil <Jei sie sich und iine Gespielinnen ge- 
gen die W ildheit zügelloser Krieger vertheidigie. 

Allein wenn diese Stelle dazu bestimmt, wäre, das 
Bild, das wir uns schon bis dahin von ihrem Mulh und 
ihrer Stärke gemacht haben, noch beträchtlich zu vergrö- 
fsem, so hätte sich der Dichter in seiner Berechnung be- 
trogen. Er liat sie uns auf eine ganz andre, bei weitem 
sinnlichere und poetischere Weise in die Einbildungskraft 



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• 93 - 

einzuprägen verslnnden , als dafs eine einzelne Handlung, 
und die wir überdies nur aus dem Munde eines Drillen 
vernehmen, dazu noch viel hinzuzuselzen im Stande wäre. 

Dennoch ist dieser Zug auf keine Weise müfsig. Es 
mufste etwas da seyn , wodurch Dorothea auch gams und 
allein für sich aus der Masse der übrigen Figuren heraus- 
gehoben wurde; wir mufslen sie sehen vor der Haupt- 
liandlung des Gedichts, vor ihrer Auswanderung, handeln 
und wirken sehen. Ihre Vereinigung mit Herrmann hülle 
nicht das Leben, die Fesligkeil und Schönheil vor der 
Phantasie gewinnen können, wenn man nur Eine, nicht 
beide Figuren, auch vorher und einzeln gesehen hätte; es 
hätte nur H^rrmann, nicht Herrmann und Dorolhea, heifsen 
dürfen. Es sind zwei verschiedene Elemenle, zwei ver- 
schiedene Menschengallungen , zwei eigne Welten, die mit 
einander in Verbindung treten sollen : die, in der Herrmann, 
,und die, in der Dorolhea einheimisch ist. Uns in die letz- 
tere zu versetzen, dienen alle Scenen unler der Gemeine; 
und da Dorothea in diesen die Hauptrolle spielt, so mufste 
auch ihr in derselben etwas eigenthümhch und besonders 
angehören. Dazu hat der Dichter hauptsächhch drei Züge 
gewählt, von denen der eine ihren Mulh, der andre, die 
Pflege ihres allen Verwandten, ihre hülfreiche Güte zeigt, 
und der dritte, ihre frühere Verlobung mit dem unglück- 
lichen Beschützer der Freiheit, die an höhere Ideen, eine 
andere Cullur und wichtigere Begebenheilen anschliefst, 
und sie uns nun auch noch durch ein eignes schwärmeri- 
sches Interesse, das sie uns einflöfsl, wichtiger macht. 

So unläugbar es indefs auch nothwendig war, Doro- 
iheen durch einen eigcnthümlichen Zug hier herauszuheben, 
so ist es doch eine andere Frage, ob der Dichter hierin 
den rechten gewählt hat? Wenigstens müssen wir offen- 
herzig gestehen, dafs, so oft wir noch diese Stelle (S. 137.) 



94 



lasen, sie uns jetlosinai üeu glciclüüriuigen 6lrom zu un- 
terbrechen schien, in dem sonst das ganze übrige Gedicht 
hinfliefst. Es ist nicht, dafs diese Handlung^ auclt aufser- 
dem dafs sie in den 13ogcbci)heilen unsrer Zeil wirklich . 
gewesen isl, nichl auch die vollkouiiiienste poelische Wahr- 
heil hätte; nicht 4^1^ eine falsche, und dem Geiste dieses 
Gedichts gams und gar xuwiderlaufen.de Delicatease das 
Blutvergiefsen durch die Hand eines Mädchens unerträglich 
madile. Aber jener Eindruck ist einmal niclit wegzuliiug- 
nen; es haben ihn mehrere Leser erfahren, und er scheint 
daher nicht blofs subjecliv su seyn. Vielleicht lälst er sich 
durch folgende zwei Grunde wenigstens bis auf emen ge- 
wissen Grad erklären. 

1. Die Einbildungskraft kann nichl anders, als sich das 
Bild der Handlung vorstellen wollen, in der die Jungfrau 
geseigt üvird. Sie tnufs sie, .den Säbel in der Hand, die 
Feinde verl reibend, vor sich hinzeichnen. Zu diesem Bilde 
aber von demjenigen, das sie bisher von ihr gehabt hat, 
.übersugehen, und von da aus tu diesem, sorücksukehren,. 
macht ihr , AI lihe; sie findet etwas Grelles, einen Sprung 
darin. Und wenn dies wirklich der Fall ist, so hat auch 
der Dichter gefehlt. Denn die dichterische und voi-züglich 
die epische Wirkung beruhet gerade darauf, dafis man in 
allen verschiednen Lagen und Stellungen derselben Figur 
immer sie selbst klar wiedererkennt, dafs es wirklich nur 
dieselbe Geslalt isl, die sich blofs verschiedentlich bewegt, 
und dafs die Einbildungskraft mit vollkommen ungelünder- 
ter Leiciitigkttt immer von jeder auf alle übergehen kamu 
Dadurch allein erlangt sie wahrhaft unendliche Umrisse, 
verbindet sie alles Wechselnde und Mannigfaltige in Ein 
Bild, dafs sie, sich immer im ftlitlelpunkte erhaltend, von 
da aus diese Uebergänge ^virklich veiaucht, und überall 



« 

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zwar besliiiiinl, al>cr leise, überall fesl, aber mit schon wie- 
der Weiler gleilendem Fufse, auftritt. 

i 2. Der weibliche Heroismus ist überhaupl, und beson- 
ders in unserer Zeit, schwer und zart zu behandeln. Zwar 
wäre es vielleicht möglich, auch noch jetzt eigentliche 
Amazoncncharaklere mit dennoch rein bewahrter Weiblich- 
keit zu zeichnen ; aber zu diesen gehört Dorothea nicht- 
Dorothea kann einen Mord, selbst den eines iibermüthigen 
Feindes, nie im mindesten aus freiem Entschlufs, immer 
nur durch die Uufserste Noth getrieben, begehen, und dies 
springl zu klar und auffallend in die Augen. Handhmgen 
. aber, die nur die INoth bewirkt, in denen mehr der Drang 
der Umstände, als die Energie des Charakters das thälige 
Motiv ist, sind sehr wenig zu einer poetischen Behandlung 
lauglich. 

XXXV. 

Dorotilcong Zusammenkunft mit Herrmann — erst am Brunnen, itann 

auf dem Wege zu seinen Kitern. 

Bis hierher hat der Dichter seine Hauplwirkung nur 
vorbcreilel; jetzt heben erst seine höchsten und glänzend- 
sten Momente an, jetzt auch kann erst Dorotheens (jestalt 
in dem ganzen Reiz ihrer Schönheil erscheinen. 

Dieser Punkt ist durch ein vollkommen neues und treff- 
liches Glcichnifs auf eine bedeutende Weise bezeichnet. 
Wie der Wandrer das Bild der sinkenden Sonne, noch nach 
ihrem Verschwinden, vor seinen Augen schweben sieht, so 
sieht Herrmann das Bild seiner Geliel^len, und wie er sich 
umdreht, steht sie selbst vor ihm da. 

Diese so natürliche, und doch so nahe ans Wunder- 
bare grenzende Erscheinung versetzt den Leser auf einmal 
in eine höhere, mehr phantastische Stimmung, die nun bis 



96 



ans Ende des Ge^ichU, nur iamier steigend und wediseind, 
fortdauert. So wie er hier ihr Sctieinbild und ihre wahre 
Gestalt dicht neben einander erblickt, so wird sie ihm nun 
immerfort bald in der ruhigen Besonnenheil ^ in der thäli- 
gen Gewandtheit, dje heiter und glücklich durchs Leben 
führt, bald in der schwärinetischen GrÖfse, in der hohen 
Begeisterung gezeigt, die über das Leben hinausgeht. 

Der Ton, den der Dichter jetzt, da er noch reiner und 
stärker, als bisher, auf die blofse Phantasie einwirken will, 
zuerst anstimuii, isi der der Heiterkeit und Anniuth» Da* 
durch erhält er sie leicht und künstlerisch bewegt, dadurch 
macht er, dafs, wenn er zuletst kühner in die Saiten sei- 
ner Leier eingreift, vollere und mächtigere Accorde an- 
schlägt, sein Lied doch nur immer ein schönes Spiel der 
Kunst bleibt, nie im drückenden Wahrheit wird. 

Am Brunnen sehen wir das liebende Paar; 

den ^rolüero Krug uud einen kieiueiu am Henkel 
Tragend in jeglicJier Hand, 

erscheint die Jungfrau; auf der Mauer des Quells sitzend, 
sehen sie sich im Spiegel des Wassers , und grufsen sich 

dreister und freundlicher in tliesem Bilde, ah ihre wakli- 
chen Bücke es wagen. Welche Wahrheit und Lieblichkeit 
in dieser Schilderung! welche schöne Bilder ruft diese Zu- 
sammenkunft am Brunnen aus jener patriarchalischen Zeit 
zurück, wo FÖrstentöchter selbst Wasser zu schöpfen ka- 
men, und der Bund der Liebe und Lhe oft am rieseindeu 
Quell geschlossen wurde! 

In diesem Ton ist auch die ganze Unterredung gehal- 
ten. Vorzüglich ersq^ieint immer das Mädchen leidbt, ge- 
wandt und besonnen; sie kommt dem Jüngling immer ge- 
fallig und freundlich zuvor; aber wo er, dessen Herz im- , 
mer von seinen Gefühlen schwer und geprefet ist, seine 
Empfindungen reden lassen wilf, da schneidet sie ihm im- . 



1»^ 

ttier, imd immer natürlich und gerade, ohne künstlich aiw- 
»iwdcheD, auf wie laii;ie^ heitre und verständige Welse 
den Weg dnu ab. Es ist Um tmmSgtidi« von Liebe «i 

sprechen; 

ihr Auge blickte nicht Liebe, 
Aber heiieu Verstand, und gebot verständig zu reden. 

WMm traffenda ScfaUdenuig der sefadneD htaM^uSi 
das waibficfaen Qiarakien, mit wdeher die Weiber, durch 
ihr ganaes Wesen idealischer und künstlerischer gestimmt, 
die Liebe nur wie ein anmuthiges S|»iel behandeln, und an 
dies Spiel dennoch relDar und wahrer ihr 'ganua Daseyn 
hingeben, als der scfawerfiilligera Mann an den iaiarikhen 
Emst seiner Gefühle. 

Haben wir Dorotheen bis hierher rüstig und thätig, 
mathYoU und entsditossem, MebÜeh und heiter gesdien^ so 
tritt sie nun grofe und erhaben auf. Nicht dafs der Dich- 
ter ihreni Bilde gerade neue Züge luiizulügte : aber er wciis 
unsrer Einbildungskraft einen andren Schwtmg zu geben. 
Der Tag neigt sich cum Abend» die Sonne geht unter» Ge- 
vritterwolken hängen drohend vom Himmel herd>» und, wie 
die Natur um sie her, werden auch die Gefühle der beiden 
Liebenden düstrer und schwerer. Hier wachsen liure Ge- 
stalten vor unsren Augen von Sfhritt au Schritt, ein schö- 
ner Moment, eine grolse und manlerisdia Schildaiung Mgt 
auf die andre : erst wie sie, entgegen der ttnkenden Sonne, 
durch das hohe wankende Korn gehn; dann wie sie, unter 
dem Baume sitzend, unter welchem Herrmann am Morgan 
noch um seinie Yeririebne gewmt hatte» auf die Wohnung 
seiner Eltern, auf das Fenster am Giebel hinabschauen; 
endlich wie sie, ausgleitend auf den Stufen des Weinbergs, 
ihm auf die Schulter sinkt, und er mit dem Arme die FaU 
lande emporhäit 

Jede dieser Schiiderungen ist über allen Ausdruck dich- 
IV. 7 



teriflch, und in allen xusammeu lebt eine so echt darslel- 
lende Kunst» dafs aae den Gegenstand nkhi allein in allen 
seinen Umrissen, sondern sogldch immer in der Gröfse und 
der Farbe mahlen, welche die Stimmung der Einbiiduugs- 
kraft in dem jedesmaligen Augenblick fordert. Alle drei 
sind von den herrlichsten Naturbeschreibungen begleitet; 
erst stralfc noch die Sonne hier und da aus dem Wolken* 
Schleier, in den sie verhiffit ist, hervor, und vntü mit glü- 
henden Blicken eine ahndungsvolle Beleuchtung über das 
Feld; dann in dem Augenblick, wo sie ruhig unter dem 
Biinbaum sitwn, ist es Nacht, aber der Mond glänat voll 
vom Hhnmel herunter, mid in Massen geschieden liegen 
Lichter, hell wie der Tag, und Schalten dunkeler Nachle; 
endlich überblickt, auch dieser sie nur noch mit schwan- 
kenden lachterny und lälst sie «iletit, vom Gewitier um- 
hüUt, in völligem Dunkel 

In diesem lelzlen Mouienl, wo die Gefüliie der beiden 
Liebenden, die überhaupt im Menschen so gern und leicht 
die Farbe des Tags und der Natur annehmen > den Sufser* 
sIen Gipfel emicht haben; Hernnami mit qualvoller Unge- 
duld der Entscheidung seines Schicksals und der Auflösung 
der Verwirrung, die er angerichtet hat, entgegensieht j Do- 
rothea durch die Stille ^r Natur um sie her, und das 
freundliche Gesprach mit ^em JüngUng» den sie liebt, ihre 
sdmsudhtsvfdisten Hoffirangen belebt iählt, kommt aOes zu- 
gleich zusammen, auch das (jeunUli des Lesers aufs höchste 
KU Spannen und in seinem Innersten su bewegen. Man 
sieht nicht mehr Uemnann und Dorotheen allein, man er- 
h&Ai in ihnen die männliche und weibliche Grdlse selbst, 
in ihren vollsten Üeiüiiien, von den höchsten KriiAen ge- 
lialten. 



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91» 



XXXVl. 

Eintritt der beiden Liebenden in das Zimmer der Eltern. — DorotUeent 
Benehmen bii snm Schlüsse det Gedicht». — Anmf der Muse. 

So wie in dciu ietzlen Augenblick auf den Stufen des 
Weinbergs das Dunkel der Nacht die beiden Liebenden 
umgiebty fo liegt aueh über ihnn Gefiihlen seLbet me dumffe 
Schwermiith verbreitet. Der Moment, in welchem sie, der 
eigentüciien Entwicklung zueilend, in das Haus der Ellern 
treten« nuila sie in ÜefatvoUer Klavbeü zeigen; und dieser 
kemmt nun heran. 

Eine solche Klarheit plötzlich um sie zu giefsen, macht 
der Dichter eine Pause, und ändert den Ton seines Gesan- 
ges. Dals der Eindruck jener ietsten Situation nicht an 
drückend werde, dals er nicht ans jdem Gebiete der Kdkiat 
und der Einbildungskrail herausgehe, ruft er die Musen, 
diese Wesen der Phantasie, an; und der Stärke gewifs, uiit 
der er sich des Zuhörers bemächügi hat, scheut er sieh 
nicht» ihn selbst daran au erinnenii dals es nieht Wahrheit^ 
sondern nur ein Spielwerk der Kunst ist, was er ibor zeigt. 
Hierauf läfst er ein Gespräch im Hause der EHem folgen, 
und setzt an das Ende desselben eine herrliche Stelle über 
den Werth und die Fülle des Lebens in der Natur — den 
Ausdruck der schönen und menschlichen Geonnung, die in 
aliea r^ei icnicri des Alters nur das aufsucht, was sie zu hö- 
herem und vollerem Wirken vereinigen , wodurch sidi Le- 
ben im Leben yoUenden kann. 

. Bei diesen Worten betritt das Paar die Schwelle. Nun 
drängt sich in der Einbildungskraft des Lesers auf Einmal 
alles zusammen, sie in hchtvoller Gröfse hinzustellen; nun 
scheint die Thüre zu klein, die hohen Gestalten einzuhis- 
sen. Zi^eich aber sieht man sie so sehr fiir emander be» 
stimmt und geschaffen, dals das Höchste, was der Dichter 

7* 



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IM 

Uber die Bilduog der Braut «i sagen weifs, nur das ist, 
daft sio des ßrilntigaiiu Bildung vergleichimr sey. 

In dieser Einfachheit liegt in der That etwas erstaun- 
lich Erhabenes. SlalL uns durch eine andre Vergleichung 
von den beiden Figuren, die uns allein beschäftigen sollen, 
I« entfernen, drängt er uns mit Gewalt su ihnen Muück; 
md indem er, wie die Nalttr aeUmt, den Mann lum Maft- 
slabe annimmt , führt er uns gleich- au der wahrsten und 
einfachslen Ansicht der Menschheil, und entfernt jede klein- 
yehe VofsteUnng, welche eine verzärtelte Culttar uns ae 
oft über das Verhältnila beidar Geschlediter an eiMHider 
einAö[sl. 

Aber weniger izrofs und erhaben durfle er uns auch 
Dorotheen nicht darstellen, wenn der letzte Theil der Be- 
gebenheil, welcher das ganae Gedicht beachlie&t, seine volle 
Wirkung ausüben, wenn neben dem Adel und der Grobe 
der Gesinnungen, welclie Dorothea ausspricht, und bei der 
erschtHtecnden Nalurscene, die uns der Dichter zugleich 
ac^äifert, dam rottenden Donner, den heiabschli^enden Re4 
gangosaen, dem aaosenden Sturm, nicht das Mädchen selbst 
und seine Gestalt vor unsrer Einbildungskraft verschwin- 
den sollte* 

XXXVII. 

Itvne V«|(gl«icliiiag dieier Sohitdemag aiit dem im Voiigen Gesagte«. 
Reine Objectiritit denelben so vie des g&men Gedichts. 

Wer nach dieser Schilderung Dorotheens, der -wir mit 
Flafs Schritt für Schritt gefolgt sind, ihr Bild in den ver- 

schicdncn Momenten, die wir bezeichnet haben, zurückruft, 
und sich dann an dasjenige erinnert, was wir diesem Ge- 
dicht eigenthömJich nannten, der wird Mch nicht enthalten 
können, unare Behauptung aufo punktlidiate und genaueste 

wahr zu finden. 



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m 

Der Diditor faal dlie G««tall des Mädchens wr^eads 
eigentlieh beschrieben; er hat sie selbst rot uns hingeslellt 

Er liat nie einzelne Theiie für sich lierausgehoben, soniiei n 
immer nur auf die Schilderung des Ganzen huigearbeüel» 
er hat nirgends ühecflässige Farben au%etrageny sondern 
immer nur die .Umrisse der* Poemen geseidwet; er hal nie 
gesucht, Viel und Mannigfaltiges , sondern immer nur Eins 
nnd ein Ganzes, darzustellen. Dadurch hat er die Einbil- 
dungskralt seines Lesers genölhigl, sich ganz in den Ge- 
genstand stt versenke»! und ihr weder Freibeil nooh Zeit 
gelassen, neh mit etwas andrem, oder mit sich selbet tu 
beschäftigen; sie gezwungen, denselben durchaus rein und 
allein aus sich selbst zu erzeugen. 

Um dies Lelstere in ürellem Maise »i err^chet^ hat er 
ihr den Grad und die Farbe ihrer Stimmung von Augen- 
blick zu Augen!)iick vorgeschrieben, und doch dabei ver- 
standen, wedjsr sich selbst je von seinem Stoff zu entfer- 
nen> noch auch sie je von demselbmi ab in sich aurilcksik 
ilihren« Denn etatt, wie der lyrische Dichter, da, wo er 
Schilderungen braucht, zu thun pflegt, unmiltelbar Empfin- 
dungen zu erregen, die aul die Schüdcrung selbst zurück- 
wirken, stimmt er seinen Leser viehnehr immer nur durch 
andere Bilder, immer durch Gestalten und Hondlungeo, die 
er jenen an die Seite stellt, oder vor ihnen vorausgehn lÜlsl, 
und indem er auf diese Weise durchaus objectiv bleibt, ver- 
webt er alle einzelne Theiie seiner Composilion aufs le- 
stesle in einander. 

Die Kunst, wodurch er der Einlnldnngskraft seines 
Lesers diese voUkommne Objectiviläl und (jcselzmäfsigkeit 
einflölst, und doch eigentlich mehr sie zu stunmen, als sei- 
nen Gegenstand äng&thch und Zug für Zug xu beschretbefi 
beschäfligt ist, besteht blols darin, seine eigne su erwär- 
men und zu begeistern. Sobald seine Natur dichterisch 



las 

genug ist, d. h. objectiv genug, um geinem Gegenstand, 
auch dann noeh, wenn er ^ib gana aaa der Wirktiebkeil 
heraushebt, die Form derselben xu erhalten ' (die Form , in 

welcher allein er (Jurohaus sinnlich angeschaut werden kann); 
gesetzmäfsig genug, um in der unruhigsLen ionern Be- 
wegung doch noch den Bedtngungen getreu au hkihen, 
welchen alles wirkKehe Daseyn unterwerfen iat,' und mäch- 
tig genug, um in seine ei^iio Begeisterung auch andre mit 
forlzureifsen — so entflamnU seine Eiitbiidungskraft (und 
dies ist das unbegreittehe Geheimni£i der Kunst) von sdbst 
die seines Zuhörers, nicht blofe überhaupt auch schöpfe* 
risch, sondern es gerade aul dieselbe Weise zu seyn. In- 
dem er ollen, die sich ihm nähern, denselben Zauber tmt- 
theilt» der ihn selbst fesselt, hat er es eigentlich nur för 
sieh und mit seinem Gegenstande lu thun, ihn nur aus sieh 
zu erzeugen und auf sich wirken zu lassen. 

Dadurch gelangt er zu der reinen und hohen Objecti- 
Vität^ die wir nun stidieirweis beschrieben haben; daduceh 
nlHhigt er unsre Einbildungskraft, nicbl bbls iibeihau|»t 
bildend zu verfahren, nicht blofs überhaupt sinnliche Ge- 
stalten hervorzurufen, sondern ununterbrochen fort aileiaaa 
der Erzeugung des Einen Gegenstandes au arbeiten« der 
ihn selbst begeistett, und sich mit ihm nur durdi die vol- 
lendete Darstellung dieser Einen Form lu befriedigen. 

XXXVIII. 

, Schlt«bte Hinfalt aad naturliebe WabriMit tuiBrea Gedichts. 

Die erste Eigenschaft, die wir bis jetzt vorzugsweise 
an dem Göthischen Gedichte gewahr wurden, war 
seine reine und vollendete Objeetivität; wir fügen nunmehr 
eine zweite hinzu, seine sdillchte Einfalt und seine natür- 

liclie Wahrheit. 



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103 



Beide siiid gewissermafsen inil einander verwandt Die 
erslere beruht auf einem rein beobachtenden und bestimmt 
bildenden Sinn, auf der Fähigkeit, die Natur in aller ihrer 
Wahrheit aufzufassen, und in der ganzen Bestimmtheit ih- 
rer Formen, der ganzen Festigkeit ihres Zusammenhanges 
wieder darzustellen. Einem solchen äu£sern Sinn mufs ein 
ähnlicher innrer entsprechen. So wie jener sich in der äu- 
fsern Natur vorzugsweise an ihrer Gesetzuiäfsigkeit und 
ihrer ReaÜlät erfreut; so mufs dieser dieselben Eigenschaf- 
ten in dem Innern des Geuiüths und dem Charakter der 
Menschheit aufsuchen. Er kann daher nur bei ihren grö- 
fsesten, einfachsten und wesentlichsten Formen verweilen.^ 
. Wer sich in dieser Stimmung befindet, wird überall 
nur die Natur mahlen, nur sie in ilirem imiern Charakter 
und ihrer äufsern Gestalt. Er wird daher auch den Men- 
sehen am Hebsten von den Seiten betrachten, von weichen 
er geradezu mit ihr übereinstimmt, lieber da, wo er als 
Gattung erscheint, als da, wo er in einer entschiedenen Ei- 
genthümlichkeit auftritt. Die Einfachlieit des Stoffs, den er 
schildert, wird auf seine Schilderung selbst übergehen. Er 
wird immer innerhalb des Tons ruliiger Darstellung blei- 
ben; immer nur, indem er einen Theil an den andern an- 
fügt, das Ganze hinzustellen bemüht seyn; nie mit seinem 
Ausdruck hinler der Sache zurückbleiben, aber auch nie 
mit demselben darüber hinausgehn. Er wird immer den 
treffendsten und kräftigsten in seiner Macht haben ; nie aber 
einen blofs kühnen oder glänzenden suchen. j 

Das Gepräge einer solchen Einfachheil und Walirheil 
nun trägt das gegenwärtige Gedicht m einem auffallenden 
Grade an sich. Es ist überall nur die Sache, die wir vor 
uns erblicken, und sie immer in ihrer wahren und nackten 
GeslalL Aber noch mehr, als im Ton und der Sprache, falit 
diese Einfachheit in den Gesinnungen und Charakteren auf. 




104 

£s ist kaum mögiicb, eki einidoes Beispiel füjr eine 
Behauptung heraiu»tiheben> för die ^gentlich alles luglddi 
spricht Allein wenn es deniM^eh eitles • Bdtpieles bedarf, 

so erinnere man sich an die äcliildcrung der Mutter Herr- 
manns. Unter allem > was in der Natur einfach genannt 
werden lumn, ist kaum etwas andres, was diesen Namen ki 
höherem Grade verdiente, als ^ Liebe einer Maller zu 

ihrem Kinde. Aus der natürlichsten Verbindung entsprun- 
gen, durch die natürlichsten Verhältnisse fortgepflanzt, auf 
die naturlichsle Sorglidt tiir unmiUeibares Glück und un-< 
mittelbare Zufriedenheit besdirankl, bielel sie, — so ehr- 
würdig und schön sie auch in der Wirklichkeit erscheint — 
der dichterischen Einbildungskraft kaum eine einzige Seite 
dar» von weicher sie dieselbe durch eine hervorstechende 
Eigenthümlichkeil auszeichnen könnte. Nur der Diehter, ' 
der seiner Stärke gewifs ist, die Natur biois als Na luv gel- 
tend zu machen^ darf sich an die Schilderung eines Gefühls 
wagen, das er nur, indem er es in seiner ganzen Grdise, 
in seiner durchgängigen Wahrheil auffa&l, aus dem G^ 
wohnlichen heraus zu heben und dichterisch zu halten im 
Stande ist. Dean unter allen andren ist keins, was so sehr, 
als dies, entweder jede dichterische Behandlung verschmäht, 
oder nur in dem reinsten und höchsten Sl^e der Kunsl 
eine glfickfiehe Wirkung verspricht 

Aber wie viel einfacher wird dieses Bild mütterlicher 
Zärtlichkeit noch unter den Händen unseres Dichters! Er 
schildert nicht den Zustand heftiger Leidenschaft, nicht die 
qualvolle Furchl vor einem drohenden, oder den zerrei- 
fsenden Schuierz über einen erlitlnen Verlust; auch bei 
ihm ist das mütterliche Herz um das Glück des Sohnes 
besorgl, aber diese Besorgni£i entspring! mehr aus der 
AengsÜichkeil der Liebe, als aus der dringenden Lage der 
Umstände, l^i zeigt uns nicht die Sorgfalt für die ersten 



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4 



16S 



Jahre der Kindheit, filr den erst rtamnebden Säugliiig — 
eine Lage, die durch die sarte Untchuld, die liehlidie An- 

uuilh, die abhängige Hülflosigkeit dieses Alters einen ei- 
genthümiichen Heiz gewinnt. £r schiiderl uns die Mutter 
mit dem erwaehaeiien Sohn, aJao in VeriuUtaiBsen und £m* 
t>lmdttngen, 4fie> um unsrem Henen wichiig au werden, 
nichts als ihre einfache Wahrheit, ihre tiefe Innigkeit be- 
sitzen. In dem Charakter dieser Mutter selbst hat er aUe 
Einfalt einer eehönen- und reinen, aber aefalichten Natur 
▼ereinigt; sie üherall sonst nur als die hOifreiehe Gattin, 
die geschäftige Hausfrau, gezeichnet; ui)d dies Bild noch 
durch die Züge verstärkt, die er von einei^ gewissen kin« 
dischen Naivetät in ihrer früheren Jugend eraShlt. 

Gerade aber durch diese Köhnheit, seinen Gegenstand 
schlechterdings da aufzunehmen, wo er blofs Natur i^t, lühit 
er ihn auf eine Stufe einfacher Erhabenheit, von der wir 
sonst kaum einen Begriff haben. W^gstens erinnern wir 
uns bei keinem .andren Dichter einer Schilderung einer 
Mutter, die an Natur und Wahrheit, an Gröfse und Schön- 
heit der Gesinnung mit dieser vergUchen werden dürlte. 
Wie grols und edel irgend einer der in diesem Gedichte 
aufgestellten Charaktere erscheinen ma^ so darf diese Mut- 
ter keinem derselben weichen. Sie ist durdiaus gut, durch- 
aus veislandig, durchaus zart und fein empfindend; nirgends 
zeigt sie einen Mangel, nirgends einen Mifsklang. Ihr Cha- 
rakter ist ganx idealiseh: denn nirgends wird man eine ein- 
engende Schranke in demselben gewahr; und er ist au- 
gleich ganz natürlich: denn sein Wesen bestellt blofs in 
dem, was dem Menschen zugleich mit der Menschheit ein- 
gepflanzt ist. 

Darum ist die Liebe dieaer Mutter nicht blols stark 

und innig, sondern zugleich auch so zart; darum ihr Sinn 
so fein, die innersten Gefühle ihres Herruianns mitten aus 



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m 

seiiien halb versleUten, halb verwirrten Worlen zu enträUi- 
seln; darum ihre Schonung für jede Denk im csart so schöa; 
ihr Sil» für jede fiigenthiimliehfceit in der Menschheit so 
gro6 und menschlich. Zu der LihereUlSt, die sonsi nur 
Philosopliic und iNachdenkeii ; zu der Feinheil, die nurmüh- 
sam erworbene MenschenkennLnils verschaÜt^ gelangt sie 
aliein auf dem Wege der ein»i|;en £mpfindupg> welcher sie 
gern und ausschlie&lich angehört 

Einer solchen Liebe der Mutter mufs eine gleiche Zäi L- 
lichkeit des iSolines entsprechen. Diese hat uns auch der 
Dichter geseicfanet; MÖr sehen seine starke Anhänglichkeit» 
sein gro&es und xuveisichtliches Vertranc»; aber er scheut 
sich fiogar nidht, uns hier in das kleinste Detail einzufüh- 
ren, uns zu erzählen, dais z. B. der Sohn sich nie vom 
Hause entfernte» ohne 8«ne Mutter vorher davon au un-* 
terrichten. r 

Dafii Ztige dieser Art nicht kleinfich, nicht gemein wer- 
den, ist das Verdienst der Kunst, und hierin besteht ilne 
Gröise. Zwar pflegt man das Einfache an sich groüs zu 
nenwm. Aber ea ist dies nie von selbst, immer allein 
dordi ^e Ansteht oder die Behandlung, immer nur dadurch, 
dafs man es als iSalur, also in der Wahrheit, der Realität, 
dem Zusammenhange darstellt, welche dieser eigen sind. 

Wovon wir also auerst ausgingen, darauf alldn>konunt 
alles an, überaU, im AeuCsem und Innern, in den sinnlichen 
Formen und m den Veränderungen uiii>res üemiiths nur 
die Natur aufzusuchen und darzustellen. 

Dadurch nun, daia unser Dichter, immer hiermit be- 
acfaaitigt, das menschliche Gemfith und seine Gesinnungen 
so klar und offen darlegt, erlangt er eine Einfachheit und 
Wahrheit, bringt er uns seinen Stoff mit einer Innigkeit 
ans Herz, die nur ihm alldn angehört Cr greift in unsre 
eigensten Gedanken und Empfindungen ein, und indem er 



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alle Falten unsres ilcrzens auldeckl, uud uns in den Kreis 
imares gewobalicheii AiUagalftbens zu begUdien scheiiit, er- 
bäU er sich immer auf der nothwendigen poStuchen UHlie. 
Nur seilen hat em andrer unter den Neuem so sehr die 
strenge Wahrheit und die schhchte Einfalt der Natur mit 
der vollkoai mengten Begeiaieruog der Kunst gepaart, und 
nie ^ könnte man sagen — ^ igt einer in einem so durch- 
aus prosaischen Gange in so hohem Grade poetitch 
gewesen. 

Wir bleiben schlechterdings in demselben Kreise^ in 
welchem wir einmal an lehen gewohnt sind ; aber wir wer- 
den mit diesem gansen Kreise auf eine ungewohnte Hohe 

eihobcii: die W irküchkciL in und um- uns IcideL kaum eine 
Veränderung in ihrer Beschafleniieit^ aber sie ist gar nicht 
mehr Wirkliehkot,. sie ist nur. reines Erzeiignils der ^ dkh- 
teriadben Einbildungskraft. 

XXXIX. 

Die Yerbindang reiaer Obj^cävität mit emCiichcr Walubeit aadit «Ues 
Gedicht den Werken 6n Alten ihnlich. 

Die Voliendeie Darstellung der Menschheit durch die 
Einbiklungakralt kann nicht anders, aU mü Hülfe der bei- 
de« Eigenschaften .gefiogen, die wir bis jelit helraditet ha- 
ben, nicht ohne einen ruhig bildenden Sinn und eine ge- 
wisse Anhänglichkeit an die einfache Wahrheit der Natur. 
Auf diesen beiden Stöcken beruht daber vorsöglich aller 

Diese glückliche Dichteranlage nun, dieser echte Kunst- 
sinn, der sich, wo er seihst ist, auch auf Andre iorterzeugt, 
war keinem Volk in so hohem Grade,- als den GnecheOi 
eigenihfimlich. Er ist es, der sidi-in ihren Werken, vor- 
sftglich durch Totalität und Ebenmaafs, auisert. Wer den 



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106 



ApoU betrachtel oder den Homer btti, fühlt sich, wie er 
auch vorher hätte geatiiiiint ityn mdgeiiy ttt demselben an- 
gefeuert; die Ehiheit ednes imiem Wesens in diesen Au- 
genblicken, und die Einheil des Werks, d^ vor seinen Au- 
gen dasteht, schmelzen gleichsam in Eins zusammen, und 
wachsen^ indem sie sich über die ganie Natur, so wie wir 
dieselbe alsdann ansehen, verbreiten, ni etwm tlnentf* 
chem an. 

Das undurchdringliche Geheimnifs der Kunst, man 
möchte sagen, die Technik, wodurch die Alten diese Wir* 
kung so Wege brachten, lafel sich freilidi nicht mit Wor- 
ten beschreiben; aber sie beruht doch giöistenlheils auf ei- 
ner dreifachen Eigen Ihiunlichkeit ihrer Künstlermelhode : 

1. aul der natürlichen Zusammenfugung alier Theile 
Bum Gänsen, in der, wie in der organischen Schdpfang 
selbst, jeder aus dem andern frei und doch nolhwendig 
hervorgeht ; " 

2. auf der Grd&e und Reinheit der, Elemente, aus 
welcher sie ihre Formen susammensetsten; und endlich 

3. auf einer gewissen kühnen Manier, mit der sie nie 
kleinlich und ängstlich dem Auge malüten, sondern viel- 
mehr die Phantasie nur mit Begeisterong und Kraft aus- 
rt&steten, den hloh angelegten Umrils selbst au volienaen* 

Die E%ibildungskrafl war so mächtig in ihnen, so nnt 
ihrer ganzen Natur in Eiiis verschmolzen, dafs, wenn sie 
sich bei uns so oft durch die Heftigkeit der Begeisterung 
und dn gewissermalsen gewaltsames Feuer ankündigt , sie 
bei ihnen mit allen den Eigenschaften verscfawistert war, 
welche den Menschen weise und ruhig durch das Leben 
führen, mit dem streng organisirenden Verstände, dem ru- 
hig aulhehmenden Bück und dem schdnen Gleichgewichl 
aller Neigungen und Gemathskräfte. 

Da£s dieser Geist, mehr als in irgend emem aadreii 



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IM 

neueren- Gedicht, in dem gegenwärtigen herrscht, ttaben 
wir im Vorigen bcwiesmi. Schon ^e Btieke, die wir bis- 
iier aul «niebe Thoile desselben geworlen haben , reiohsn 
hin, die Einheit des Plans, die reine und volle Natur, die 
aus allen dann handeinJen Charakteren und dem Geiste 
des Ganzen spricht, und die Festigkeit der Zeichnung, in 
^ der so oft dn einadnes Beiwort auf einmal ein gamesBild 
au voUenden genug ist, im Allgemeinen au letgen. Dia 
sichere Kraft, die zugleich auf einem ruhig beobachtenden 
Sinn und einem überlegt anordnenden Verstände beruht, 
und die innige Wärmey die nur dann da iaty wum sieh das 
ganxe Herz gerührt fuUt» sind äberaü gkkh sichtbar und 

wirksam. 

Wie Homer und die Alten, wirkt unser Dichter nur 
durch das» was er in seinem Werk wirklich ist, durch die 
Gestalt und das Wesen, in welchem er nch ruhig und an- 
spruchslos vor den Zuschauer hinstellt; nicht aber wie die 
neueren, und besonderä jene oben näher betrachteten, mehr 
romantischen, als epischen Dichter» durch das, was er in 
siditbarer Beaiehung auf ihn> unmittelbar ihut, singt und 
beschreibt 

XL. 

Yeitduedenheit aiuves Gedidits tob des Werken der Allen. — 
Mangel mi »iaaliehem Reiththoia. 

Wenn wir so eben von einer gewissen Aehnlichkeil 
dieses GölhiscKen Gedichts mit den Werken der Al- 
ten redeten, so ist es unmöglich, nur irgend lange bei <Jei - 
selben zu verweilen, ohne noch stärker an den mächtigen 
Contrast erinnert au werden, in welchem es mit denselben 
steht Zwar ist es unläugbar in einem hohen und edit 
antiken Style gedichtet; allein dies hindert nicht, dafs es 



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110 



nicht sowohl in der Behandlung de^ Mafls, als seibsl in 
der Art der Darstelluag den Charakter unserer Zeit auf 
eine gfeij^ onverkeimbare Weiie an sich trägt Vieknelir 
finden wir, wenn wir genauer in dieäe Vergleichung ein- 
dringen, stall einer Mofsen ISachahmung des Alleiiliums, 
eine überrascliend schöne Vereinigung der wesenllichslcn 
Voixüge der alten Kunst mü den Fortschritten und Verfei- 
nerungen neuerer Zeiten. 

Den ersten Unlerschied treffen wir in der Art der 
Darstellung und dem Tone des Vortrags, an. 

Die Alten leichnen last durchaus nur Gestalten, Be- 
wegung und Handlung ; ihre ganse Kunst Iii leben^g, mMi- 
nigfallig und sinnlich. Die Uegebcnheiten, welche sie schil- 
dern, haben immer etwas Grofses und Glänzeiides; sie rei- 
Isen durdi das Heroische in den Unternehmungen und die 
Wichtigkdl des Erislgs su enthusiastischer Bewundening 
mit sich forU Der Glanz, worin sie schon dadLii ch erschei- 
nen, wird noch durch die beständige Mitwirkung überir- 
discher Mächte, erhöht. Menschen und Götter sind auC dem» 
seihen Schauplatz mit einander vermischt; der natürliche 
Lauf der Ereignisse wird alle Augenblicke durch überra- 
schende NVundcr unterbrochen; und als wäre der Olymp 
selbst noch nicht grols und mächtig genug, so schwebt noch 
über Menschen und Göttern das furchtbare Schicksal» des- 
sen Aussprüchen beide gehorchen müssoi. 

Die Personen, die sie aufführen, (heilen nicht allein 
groüsentheils zugleich denselben Glanz, sind Heroen , die 
zwischen dem Olymp und der Sterblichkeit in der Mitte 
stehen, sondern sie sind auch meistentheik nur nach ihren 
äulsern Gestalten, ihren Handlungen, iluen licden indivi- 
duaüsirl» nicht, wie so oft bei den neueren Dichtern, nach 
ihren innem Charakterformeu und Gesinnungen. Dadurch 
besitst s. B. Homer eine so grolse Menge von Figuren» 



Ui 

ohoe gerade eine gleich groise Anzahl heslimmt imterechie- 
dcner Gluiniktere aidiNisteUoii. Was diese ieUteren selbtt 
betrifll» 80 sekluien die Alten entweder nur sehr stark und 
wesentlich von emander nnterscliiedene, nur die Hauptse»» 
ten der Menschheit, oder, wo sie in feinere Nuancen ein* 
gehn, unterscheiden sie dieselben wieder nur nach der äu<^ 
fseren Bildung. So findet man s. B,, wenn man die Reihe 
ideallfldier Formen in den Werken ihrer Bildhauer duroh- 
geht, die Hauplßguren, einen Apoll und llacchiis, eine Ve- 
nus und Diana, selbst noch einen Jupiter und Neptun durch 
die wesentlichsteD und aofialkndsteo Charaklennge vod 
einander gesondert; aber vergideht man hernach diejeni« 
gen, welche näher zusammen gehören^ z. B. die Helden- 
statuen, so kennt man wohl ihre Züge wieder, aber ihren 
Chsrakter würde man vergeblich in hinlänglicher Bestimmt» 
heit einsehi ansugeben Tersudien. Indefii werden wir auch 
zu diesem Versuche durch sie nichi eingebulen; nur ihre 
Züge sollen zu unsrer Einbildungskraft, mchl ihr Ausdruck 
gerade bu unsrem Geiste sprechen. 

Könnte indels den Allen auch so noch etwas an ahm- 
lichem Glanz und Reiehthum mangeln, so wäre ihre Sprache 
allein meiir als hinlänglich, es zu ersetzen* 80 mahlerisch 
ist dieselbe in allen ihren Ausdrücken» so voll und üppig 
in dem Flufe ihrer Perioden, so wohlklingend in ihren rhytb* 
mischen Verhallnissen. 

Alles dies zusammengenommen giebt der alten Kunst 
ein Leben und eine Fülle, eine sinnliche und einfache Grüüse, 
eine so helle und glänaende Beleuchtung, dais ihr hierin 
die neuere niemals gleich su kommen vermag, wenn aie 
uns auch vielleicht dafür durch einen reicheren Gehalt für 
den Versland und die EnipHndung, eine feinere geistige 
lodividnaÜtät und durch Töne, die unmittelbarer in unser 
Inneres eingreifen, entschädigen sollte. 



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112 



Zwar kennen wir einige neuere Dichter^ und unter 
diesen slehi wiederum Ariosl an der SpiUe, welche in der 
Minnigfaitigkeit ihrer Figuren und der Bewegung ihrer 
Handlung vielleicht mit Recht mit den Alten wetteifern 
können. Allein in ihnen wird diese lebendige Sinnlichkeit 
durch das Feuer geweckt» von welchem ihre Empfindung 
entflammt ist. Sie sind mehr eigenm&cfatige Sdiöpfer einer 
bunten und gestalt^irmofaen Feenwelt, als treue MaUer ei- 
ner reichen Natur. Es fehlt ihnen selbst an dem ruhig 
Inldenden Sinn, ihren Werken an der reinen Objectivität, 
an der innem Nothwendigkeü der Formen. 

Um den Vortug dieser Objectivität, dieser Bestimmt- 
heil und lichtvollen Klarheit der Schildenmgen nun kann 
unser Dichter mit jedem andren streiten^ mit jedem hält 
er in diesem Punkt die Vergieichung aus; Aber stellen 
wir ihn unmittelbar demjenigen zur Seite , an den seine 
Gattung und sein Ton sonst am nächsten erinnert, dem 
Homer, so enlbeln i er freilich jenes heiler straienden Glan- 
ses, jener unaufhörlich strömenden Fülle ¥on Leben und 
Bewegung. 

Er hat nicht Götter und Heroen, er hat nur Menschen 
hinzustellen j er hat keine Handlung, die das Glück von 
Nationen^ von' versdiiedenen Völkerstämmen» da« Schicksal 
der gansen bekannten Welt entscheidet, an der Himmel und 
Erde zugleich Theil nehmen, und über die der Olymp selbst 
sich in Parteien spaltet; was in seinem Stoff groüs und 
weltverändernd ist» sind Begebenheiten, das, worin er 
Würde und Erhabenheit legen kann, Gesinnungen. Zwi- 
schen beiden steht eine Handlung mitten inne, und seine 
Kunst muis nur suchen, von dem Glänze der ersteren der- 
selben wa . borgen, und die Gröfse der letiteiren (damit sie 
lebendig und objectiv erscheinen) in derselben ausiupriigen* 
Nicht so>yohl also in der Welt, als in dem Inneren des 



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113 



Menschen mufs er seine Slärke finden, und da dadurch unsre 
ganze Slimmung eine andre Richtung erhält, so tritt auch 
nun das Schicksal, dieser übermenschliche Gegenstand, 
ohne den keine dichterische Wirkung möglich ist, in ver- 
änderter Gestalt auf. Wenn dasselbe bei den Alten aus 
einer unsichtbaren Höhe herab mit seinen Schlägen Men- 
schen und Götter überrascht, so gleicht es hier mehr einer 
Macht, die aus dem Innern der Menschheit, aber aus ihren 
nie ergründeten Tiefen, entspringt, und flöfst uns einen um 
so geheimnifsvolleren Schauder ein, als wir es näher mit 
uns verwandt fühlen. 

In den Personen, welche der Dichter uns darstellt, 
herrscht zwar ßestimmlheil der Zeichnung und Mannigfal- 
tigkeit der Gestalten. Aber nicht allein dafs jede einzelne 
sich in ein anspruchloseres und bescheidneres Gewand hül- 
len mufs, so kann er auch überhaupt nicht nur keine grofse 
Anzahl derselben in Handlung setzen, sondern, indem er 
auf Reichthum der Figuren Verzicht thun mufs, auch nur 
eine schöne Stufenfolge von Charakteren schildern. 

Seine Sprache endlich ist zwar durchaus dichterisch 
und ausdrucksvoll, und wo der Gegenstand es verlangt, 
auch grofs und kühn; aber der Reichthum und die Pracht 
ihrer älteren Schwestern bleibt ihr darum nicht weniger ^* 
fremd. 

Vermag er indefs nicht, den Alten gleich, durch sinn- 
lichen Reichthum zu glänzen, so hat er es in seiner Ge- 
walt, desto mehr durch einfache Wahrheit zu gelten; kann ^ 
er die Sinne nicht gleich mächtig reizen, so kann er seine 
Dichtung desto liefer in unsre Empfindung verweben, und 
wie viel er durch diesen Vorzug wiedergewinnt, werden 
wir gleich sehen, wenn wir nur erst noch jenen wenigstens 
scheinbaren Mangel in einem einzelnen Beispiel näher be- 
trachtet haben. Dann wird sich zugleich unfehlbar zeigen, 
IV. 8 • 



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114 



wie diew leiztere gerade durch jene höhere Vortrefllich- 
keit nur nodi aichihArer henrortreten imils. 

XLI. 

Oieifr Afottgel an aiMütebrai Reiditliaiii seigt sieh anfiiiQMul in der 

Behandlang dei Wonderhann.^ 

Seinen gröfsesten und sinnlichsten Glanz erhält der 

• 

«piiohe Dichter dureh die Einmischung des Wunderba- 
ren. Er kann Ansre Einbildungskraft nidit lebendiger rüh- 
ren, als duith diese plötzlichen Ereignisse, die, ohne von 
Menschen gewirkt zu seyn, ihre Handlungen auf einmal 
nnteibrechen, gerade in dem Augenblick der Entscheidung 
den einen parteiisch begünstigen, und den andren danieder- 
schlagen. Zwar hat man erinnert, dafs diese Dazwischen- 
kunfl auTserordentlicher Mächte die eigne Kraft der llelJeii 
verdunkelt AUeinr wenn sie dadurch an menschlicher GröliBe 
verlieren, so werden sie dafür in Olympischen GJam ge- 
kleidet, und es giebt offenbar em gewisses Glück, das der 
Stimmung, welche der Diciiter bewirken will, bei weitem 
günstiger ist, als das wahre und innre Verdienst 
- Auch unser Dichter hat sich* dies Wunderbare m ei- 
gen gemacht Zwar konnte es nicht gebrauchen, um 
seinem SiofT dadurch Würde und Grolse zu geben. Aber 
er konnte es nicht entbehren, weil der Mensch, dessen 
Schilderung sein Geschäft ist, nicht ohne dasselbe seyn 
kann, weil er der Empfodung, die es hervorbringt, so sehr 
bedarf, dafs sie bei jedem, mitten in dem ejnfachsten Le- 
benskreise, nur seltner oder öfter zurückkehrt. 

Das Leben wäre von der langweiligsten Einförmigkeit, 
wenn, sich- immer in einer voraussusehenden Reihe Bege- 
henheit aus Ikgohenheit entwickelte und wenn vorher nicht 
berechnete, plötzliche Zufalle diese einförmige Kette nicht 



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115 

unlerbräelten. Diirch diese Zulalle nun, dadurch, dals ein 

grofser Theil der Thäügkeil unsrer Seele in seinem Detail 
aufser dem Kreis unsres ßewufsUeyus liegt, dafs Gedanken 
und Empfindungen I wie aus unbekannten Tiefen, hervor- 
sdneCsen,- daftf femer eben ditfse, uns unbewufsben Vorstel- 
lungen gleichsam mit d#n ßegebenheiten im Bunde stehen, 
unsren Mienen, Reden und Handlungen Modificationen ge- 
ben, die, ohne dafs wir es bemerken, andere Folgen nikch 
sieh stehen, so dafs wir nun dn Zusammentreffen in den 
Whricnngen wahrnehmen, ohne sugleieh eine Verbindung in 
den Ursachen zu erblicken — durch dies alles zusammen- 
genommen entstehen die Ueberraschungen, die wir, je nach- 
dem unsere Phantasie - anders und anders gestimmt ist, mehr 
-oder weniger suin Wunderbaren ausmahlen. - 

Dies hat unser Dichter zu benutzen verslanden, und 
wenn nun bei anderen neueren Dichtem das Wunderbare 
infimer kalt und unnatürlich is^ . weil es sieh auf Kräfte be- 
'lieht, die uns fabelhafi oder kindisdi erscheinen, so hat er 
es unmittelbar aus uns selbst geschüjifl, und ihm dadurch 
nichts von seiner überrascheilden Wirkung benommen. Al- 
lein freilich verliert es dadurch an der Grdlse und dem 
Glans, den es sonst vor der- Phantarie besitst, und bleibt 
seiner eigenllichcn Natur nur noch in seinem ursprüngli- 
chen Begriff, in dem des Grundlosen, treu. Auch kann 
er es nur bei' kldneren Vorfällen, weniger^ bedeutenden 
Wentoigen seiner ErxShdung gebrauchen. Die grolsen und 
wahrhaft wunderbaren Begebenheiten, die er aufführt , darf 
er so wenig als Wunder darstellen, dafs sie vielmehr durch- 
aus' nur als die unvermeidliche Nothwendigkeit des Schick*- 
säls erscheinen müasen. 

Wir haben schon im Vorigen zwei Stellen berührt, wo 
das eben Gesagte sehr sichtbar ist, die Umwandlung, die 
d^ Geisthcfae in Hemnanns Wesen bemerkt, und die plöts- 

8» 



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116 

liehe EfscfaeittUDg Dorokfaeens am BruniHm. Aber es iai 
noch eine dritte (S. 194.)» nodi mehr in den Faden der 

Erxählüng verwebte übrig: die, wo Dorothea auf den Stu- 
fen des Weinbergs ausgleitet, und die üble Vorbedeutung^ 
die sie dnr4us. sieht, durch die Venviming bei ihrem Ein- 
tritt ins Haus erföUl wird. Wie wir es in läglidiea Le^ 
ben so oft selbst empfinden, so sehen wir es hier vor Au- 
gen. Wenn die Gefüliie aufs höchste steigen, wenn der 
Attgenbiici^ der Entscheidiing wichtiger Ereignisse da ist^ 
so ▼erwirren sich unsre Gedanken; was wir vomelmieny 
mifsräth uns, alle widrigen Umstände -scheinen 'auf einmal 
Eusammenzutrefifen, weil wir alle ungeschickt behandein; 
und da wir dies selbst bemerken, und schon trübe gestiamit 
sind, so üehen Wir mig^nsUge AhndmigeD daraus,, die dann 
auch noth wendig eintreffen müssen. - Aber gerade, wie es 
im Leben geschieht, dafs alle, auch die kleinsten ZuTäUc, 
Sich dann so zusammenschieben, dafs jeder einzehie Schritt 
gern netUrlick ist, und ger nicht mehr wunderber endieint, 
gerade so hat es auch der IMcfater gemahlt Doch fies zu 
entwickeln, wüide uns zu ^veil führen, und jeder Leser 
mufs es, sobald er die Stelle noch. einmal überliest, von 
selbst aufs lebendigste föhlen. 

Was die Alfen also auiserhslb der Grensen der Erde 
im Oiymp aufsuchen, das ist unser Dichter genö^higt^ um 
es dem Alitagskreise der Begebenheiten su entiieken, in 
die gleich verbor^pen Tiden unsies Geqiuths^ ni versenken. 
Indefs irerliert es durch dSe kjQttstlerische ßehandhmg, durcii 
die Leichligkeit der Darstellung, durch die Vergleichung, 
die wir so natürlich z. ß. zwischen einer solchen Vorbe- 
deutung und den Weissagungen im Homer und de^ Alten 
anstellen, Ton dem feierlichen Emst der Wirklichkeit, und 
gewinnt eine gewisse iiebliche und zierliche Anmuth. 



117 

XLII. 

]>«r Cirtomthied dictes Gedichts von den Werken der Atten «iffeabMrt 
■teil audi in einem ibn «gentbamliclien Vermiß 

Wer Herr mann und ]>orothea m Stunden liest, 
in wekfaen flein Hen der Wirkung de« Dichieis offen ieC» 
der miife unUiogbar erkennen » daft darin noch ei« anderer 

(ieist, als in den Werken der Al^ herrscht. Er wird den* 
selben mcht |;erade grdfser und besser, aber verschieden, 

. iiod, nul> in einer andern Ari^ gleich, trefflich finden; er 
wird sich yen ihm nichl mächtiger an.geMgen9 aber inniger 
dnrcKdrangen lÖMen. 

Wenn er den geringeren sinnlichen Reichthum, von 
dem wir im Vorigen redeten, iiichi als einen störenden 
Mangel empfindet» so wird er daran erkennen, dafii der Dich- 
ter Bich auf einem andern Gebiet, als die Alten, befindet, 
dafe er (so viel dies nemlich die allgemeine Cjleicliheil des 
Dichlerberufs erlaubt) von anderen Punkten ausgeht, und 
einem andern Ziele nachstrebl^ und dafis er eben dadurch 
auch ilm nothwendig in eine- andere Sphäre veraettl. 

Und dies ist in der Tluit auch der Fall. Wenn tliö 
Alten mehr die Natur in ihrer sinnlichen Pracht und Gröfse 
mahlen, ao legt er mehr das innre der Menschh^t dar. 
Beide Gegenstände haben eine unwidersprechfiche Grdfre, 
der ersteie ist aufserdein dem Wesen der Kunst mehr an- 
gemessen-, aber wenn dieselbe auch in dem letzleren iiire 

' gaiwe Schönheit erhält, so besitst dies für uns, die wir 
mehr itt.Ge^hfceii und Empfindungen, ab in Anschauungen 
und Handlungen leben, vielleicht einen noch eigenlhumli* 
cheren Reiz. 

Was unser Gemülh beständig beschäftigt, den Gedan- 
Iben und das Gefühl, finden wir hier auf euie wunderbar 
greise Weise behandelt und ausgebildet. Ueber die wich* 



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118 



tigslen menschlichen Verhältnisse hüien wir enlgcgtnge- 
setate Meinupgen mit einander audgl^ehen; das Erhaben- 
lAi», was über die Begebeaheiteii unserer Zeit gededil wer- 
den kann, finden wir in semer ganzen anfachen Grdfse und 
volikonuuen dichleiiscli auügedrückl; unser Geist schwingt 
flft^h Ml einer Höhe der Gedanken, die, man muls ea offen- 
henig geat^eoy den AUeo schlediterdiogs freaid war. £a 
ist nicht, da& wir sie je in dem Gehalle gediegener Wda- 
heil übertreffen , je die lelzteii ilüsullate besser und fester 
lusammenknüpfea kö&ntcn» abe^ e» ist nur, da£» sie den 
Gedanktn» der- doeh auch ao einer voHkommen künatkri- 
adien Behandlung fähig ist, nie rein und liir sich verfolgen, 
und daher auch unserer 6eelü niclu den intellectuellen 
Schwung miUutheiieu vermögen, von wokhem diea immer 
begteilel ist. 

Auf eine ähnliche Weise veidtält es sieh mit der Eo»- 

pfindung. Wenn wir llerrmüim uiul Doiuthca auf ilnem 
Wege £ur Woiuiung der Eitern begleiten; wie innig gehen 
wir da ia ihre Gefühle ein» wie durchdringen wir sie bis 
auf die innersten. Falten ihres Herzens , und wie lief fuhrt 
uns dies in unsra eigne Brust, in die ganze Mensciiheil zu- 
rück! iSieuiand kommt den Alten la der Wahrheit und 
Stärke gleich, mit der sie Gefühle und Leidenachaftea achii'- 
dem. Aber wieder weil sie sich auch in dies Gebiet -nichl 
so einsam einschliefsen , weil sie die Empfindung mehr im 
Ganj&en und in ihren Aeufserungen zeich^ea^ ala im Ein- 
«elnen, und für sich. entwickeln, so versetaeu sie uns akbt 
in . die sarle, leise, verwundbare Stimmung, deren wir uns 
hier nicht erwehren kOrnien. 

Dadurch sind zugleich alle Charaktere, nicht s^war in 
Rücksicht auf die natürliche Kr^ und Schönheit, aber in 
Rücksicht auf eine gewisse fanere Bildung, um dne Stufe 
höher gestellt So einfach und edil antik B. DoroUiea 



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m 

geschiJdert ist, so besitzt das Alterthutn dennoch keine weib- 
liche Gestail, die ihr an iimerer Zartheit gleich käme. 
äeliMt ia HeffoiaiiD ist elWM, wofür die -Uekieii der Ak«i 
keinen Sinn haben wurden; und Wenn die Mutter adiöner 
und gröfiser gehalten ist, als wir es in irgend einem andern 
alten oder neueren Dichter finden, wodurch ist dies ge> 
;schehe%ju«^s^.44d«urQh,»id«l& ihr ein larlerer und ^oek gieie^ 
€«miABglpM^^*W inlergdegt jai? . > 

, fijii^k'«ski4^arum <#eiftielAf«^ zu beliaupienv dafs die- 

iser uiodeiiie CharakUi^ an sich genommen, einen \ or/,ug 

'wü^xdem «äliken beii^f^nd necJi mehr, dais diee >« Aa^ 
tflMV|$p>4eiMd^i^i^B^^ der Fall wäre;.-j Aber, 

vdavdeiMclben geiiw&>iiwilv.fieine bessere iind ledtftigcre, 
Wold aber eine höhere und feinere uienschhchc iSatur aui- 

Tgestsllt wird , und 7^ ypgfeinpriwng auf- dem Wege -M«^» 
dtn ^^ Schicksal nnsrer AusbiUui^ vorgescichnel hal, so 

.▼erdient er, wenn er nur (wiHrauff es iminer sueret anh- 
komuiL) die Ansprüche der KuiisL voilkammen hefriedigt, 
eine eigenthüuiiiche SieUe, und würde mit Hecht sogar eine 
votsüfjjliclMre verlangen, wenn es ihm nicht dabei augieich 
an andren Voniigen m angelt e , 

XLin; 

Erläuterung des Vorigen durch einige 'Beispiele. 

Um gewiis zu seyn, dafs wir unserem DicIiLlm- niclil 
etwas Fremdes untersclüeben, seine rein antike Dichtung 
nicht blois mit modernem Sinne betrachten, wollen wir,sur. 
BestaUgung nnsrer Behauptung^ noch ein Paar «inaehie 
.Stellen aus dem Ganzen herausbeben. 

Wir haben im Vorigen gesehen, daüs der Unterschied 
des antiken und modernen Charakters, von dem wir hier 
reden, vonüglidi darin besliht, dals in diesem lelktefen 



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130 

4as Feld der Betrachtung und der Empündung mehr abge- 
tMidert bearbeilet wird, wodurch denn naiüiücfa die hier- 
«uf geriehleten' Klüfte eoie Köliere un4 mehr mi^gMie 
ThStigkeil erlangen. Dadurch aber wird zugleidi der in- 
nere Mensch von der äufsern Wirkiichkcil geUennt, es wird 
swischen beiden eine Grem« gesogen, so da(is es mm auch 
|enB«ta derselben ein eignea und neuea Gebiel giebL 

Beide nun , die über das Leben und die onintltaUiare 
Wirklichkeit hinausgehende Belrachtung und Empündung, 
waion in dem gegenwärtigen Gedichte schwer und zart au 
beliaiidehL Der Slolf aowohl, «la die Penenea deaaeUMpi 
aind gana und gar aus der bioften und wahren Nalar ge- 
nommen, es sind reine und kraftvolle, aber iinmer und ganz 
- kl der äuisern Wirklichkeit lebende Charaktere; was zur 
«gwitichen Cullur gehüri, durfte nur in gewiaaeni Grade 
darin Pkto finden; auch hStte allea, waa darauf hinausge- 
gangen wäre, den iMenschen in einer Art von üegensalz 
nut der Natur zu zeigen, gegen das Wesen der epischen 
Diehtang veratolaeny die gerade diese^ beiden Gegenalinde 
harmoniaeh lu verknöpfen beatämmi ist, nie, wie die lyri- 
sche, plötzlich abbrechen darf, sondern alle aufgeregten Be- 
wegungen wieder beruhigen, alle angeschlagenen Milskiange 
auflösen mnfs. Wo sich also der Dichter in dieser Gat- 
tung sum Idealischen erhebt» da mufs er es immer snr 
iVirldichk^t curückführen, und dadurch verknüpft er die 
innere IdeaHlät zugleich mit der äulseren Wahrheit 

£8 giebt vielleicht keine riärendere und erhabnere Stelle» 
kerne» aus welcher die.Erfohrung aller Jahrhunderte und 
die Eigenthfimlichkeit unserer Zeit deutlicher spricht, als 
die Worte, weiche der Dichter dem ungKicklichen irüherea 
Verlobt^ Dorotfaeens über die weltersehiittemden Bewe- 
gungen» von denen wir in diesen letaten Jahren Augenseu- 
gen SeweaeD rind» (^r ^ ) »M'^ ^ 



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„sich einmal/' sagt er; „keine Form, wie heilig sie sey, 
„k«iD fiand, wie fesl FraandiclMilk oder Liebe et- geknttpft 
^be, ist nMlir dauerhaft. Damm selae Überall 
„den beweglichen Fufs auf; darum schätze das Leben nicht 
„höher, als ein anderes Gut, und alle (niter sind trüglicb.** 
Wekbe natiiitiche und rübrende Betrachtung! die aber firel- 
ück nur dem gelauig aeyn kamiy der mebr i» Ideeiii ab 
itt dar Wirklichkeit lebt, deiy erhaben über die Freuden des 
Lebens und die Güter der Welt, sein Glück niclil auf die 
Dauer des eralerai und an denGenu£i der ktsteren knüpft^ 
und leicbt bereit, das, was er beaals, l&r elwaa Neuea auf* 
angeben, jenea mit minder rüstigem Nuthe bewahrt und 
vertheidigt. Wer wird läugnen, dafs dies eine schöne und 
erhabene Gesinnung iai? aber wer ajuch erkennt nicht| data 
eben dieae jene fiirchteiliebe Bewegung theUa out berroT" 
gebracht, tbeUa onterhdten und forlgelaitel bat? 

Wie schön niiimiL Herrmann dies auf, wie rein läisi 
er alles daran fahren, was seiner kraftvollen Natur nieht 
gamiia iat» und bült aicb allein an daa £ine feat, woduich 
der Mensch aieh diehl an die Wirkliehkeit anaehllefaen, 
seine Foidcrungen mit den Fügungen deä 6clucks<ils ver- 
einigen kann! 

Der BfeDfcb, - 

sagt er, 

• ' der lur ichwiinkendeD Zeit noch schwankend 

gesinnt ist, 

Der vermehret das Ueliei, und breitet ea weiter und weiter; 
Aber wer fest auf dem Sinne beharrt, der bildet die Welt sich« 

„Nicht also mit Kummer zu bewahren, und mit Sorge zu 
„genielsen geziemt sich, sondern mit ^Iiith und Jüraft zu 
„▼ertheidigen» waa man beaitst." Wie treffiieh paart aich 
nun in ihm und Derotheen dieser männliche Muth mil |e- 

ner sanfteren, aber gleich hohen Gesinnung, die jedes Glück 



m 



dankbar ergreift, aber keineni vertraut, und andre und bes- 
sere Güter kenut, als deren BeaUz trügiich, und deren Dar 
aeya vergänglich iaii. 

YoD dan aantimeiitalcii Stelkn hcäiaii wir nur itwtf 
aus, über die unstreitig jeder Leser mit uns einig seyn 
wird, daü» sie in einem alten Diditer keinen Platz geto- 
den hätten« . . ^ 

Die etate tal die, wo Hecrmenn in dem GeaprSche mit 
awner Mütter (S. 89.) die Einsamkeit und die Leere schU- 
derty 4lie sein Herz oft, von tSehnsuchi geprel&l^ em^tiiudeL 

Aber, acli ! nicht das Sparen allein, um spät zu geniefsen, 
Macht das Glück, es macht nicht das Glück der Hauie beim 

Haiifea, 

Nicht der Acker am Acker, so sch^a sich die Guter auch 

^cUiefiwi. 

Denn der Vater irird alt, und mit fln akero die Sohas^ 

Ohne die Freude des Tags, und mit der Sorge liir morgen, 
isagt mir, und schaut hinab, wie herrlich liegen die schöoen 
Reichen Gebreite nicht da, und uutea Weinbei:g und Garten, 
Dort die ScbauDeD und Ställe« die ichooe Aethe der Guter! 
. Aber seh' idi dann dort das Hinterhaus, wo an deia Giebel 
, Sich das. Fenster uns zeigt von meinem Stäbchen im Dache; 
Denk' ich die 'Zeiten zurftck, wie manche Nacht ich dea Mond 

schon 

Dort erwartet, und schon so manchen Morgen die Sonne, 
. Wenn der gesunde Schlaf mir nur wenige Stunden genügte : 
Ach ! da hommt mir m einsam vor, wie die Kammer, der üo£ 

und 

. Garten, das herrliche Feld, das ubeir dieHägel sich hinstreckt; 

Alles liegt so öde vor mir — 
Aber dafs man nicht Empfindungen, vermulhe , welche dem 
^hne der Natur fremd sind, nicht aus d^ Charakter der 
Fersen und dea Gedichts herausgehe^ so achMdem die un- 
mitl«HMir hierauf folgenden Worte: 



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— ich entbehre der Gattin, 

äiif mmäi , gmue £iii£fiGlih«ii und Natüiüclikeit scum 
Wiitiflelies. Sie raid-tifli so auidniebvoUer, ab flie, ver- 
bunden iml tieui Vorhergehemlen , die Empfindungen scJiil- 
dem, die £r niit einem VerhäiLoüs verknüpft, dessen Ent- 
behren Uion jeden Genofii «nd sein ganiee Leben unsebmaek- 
haft macbty und ida iie eein. Jiöberee^ larteM» idcafisehe* 
res Wesen in Vergieichung mit seinem Väter seigen, der, 
iß, 8. 40. 46.) eine Irohe, gutmülhige und thätige, aber ge- 
webttlicheiüe Natur, in dem A^genbliek^ da er das Mädchen 
•ah> das ihm gefiel, den CttteeUullf es su bteitaeb &firte, 
und denselb^ mit munterem Sehen auch^sogleidi ausM»- 
lÜhren begann. 

Diese schwennüthige Stinunung einer uneriuUten, nch 
selbsl nichl. mht^ ventiMliehan «Sefansaeht war den Allen, 
und besonders den Grieehenr^ fremd. BfA ihnen, m ihrer 
mehr sinnlichen und gemeCsenden Natur, in ihrem freieren 
und leichteren Leben, . entstand immer die Begierde nur 
sug^eich mifc dem Gegenstande, oder föhrte denselben docii 
in glüdJiehem -Bunde immer unmittelbar mit heihei, und 
wenn es vielleicht davon Ausnahmen gab, so konnten sie 
4eoi Dichter nicht vorschweben, der, immer nur hell und 
ireondlicfa beleuchtete - und grolseHlaasen im Auge, nur auf 
die Natur und die Wel^ nie emseiBg in sieh surüek bückte. 
Dafs iii uns Gedanken imd Eiiiplmdungen sich uüiuhiger 
drängen, da£s unsre äuisere Lage uns öiter Hindernisse und 
Arbeit entgegensetzt, als uns leichten und frohen Genula 
gfebt, und uns Sfter mit strengem • Emst in uns surtl'ek« 
scheucht, dies richtet zwischen unsrem Gemüth und der 
W elt eine oit uniibersiejgliche und undurchdringliche Scheide* 
wand aut 

Die zweite. Steile, die wir anfülfaren wollten, ist von 

ganz anderer Natur. Sie i6l mchl den Alien überhaupt^ 



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nur ihren frühesten Mui>lern freuid, und mülsie, wenn der 
Dicker sie wohl so fest 4em Genen ebverisibi Inlle, mi 
der GsMaog der spi elenden yililt werden. Wir mU 
ncn hier den Augenblick, wo die beiden Liebenden sicli in 
dem Spiegel des Brunnens zuwinken, den der Dichter <se- 
g^r iweiinai» niohi oluw eine gewissemiafiMn absidiÜielM 
Symmelrte, beim Anfange und am Ende ihres Oes(NrSehs 
beiiulzt hat. (S: 165. 171.) 

Dieser Einfall, ein Medium dazwischen zu schieben, in 
welchem, sieh, die Blicke des JflngKngs und des MildchjHis 
dreister, als in der. Wirklichkeil, .begegnen, beruhl sehen 
auf etwas Aehnlichem mit dem, was wir so eben ausführ- 
ten, auf einer gewissen Schüchternheit, einer Ungewifsheit 
des Gehngens; es ist sehen etwas, das aus der btefiMn Nt^ 
lur fainausgehl, und eine eigne Stimnmng der EinbÜdungs- 
kraft voraussetzt Die späteren Griechen und liömer, z. 6. 
Ovid, behandeln Sailen dieser Art, die in ihnen sogar häufig 
voikoinmen, anC eine gewissermalsen tändehide Weise, hiefr 
ab »erlicbe Jülder, als gaföUige Spiele der Phantasie; Un- 
ser Dichter aber hat diesen Moment so gut aus der Em- 
pfindung der beiden Personen hervorgeiien lassen, und ihn 
SO glücklich motivirt, dals er ihm dadurch einen viel- gre- 
iseren Gehalt, und eine viel wichtigere Wirkung verschafft. 

Allan Stellen dieser Art kdnnten nicht anders, als <fie 
Einheit des Ganzen stören, wenn nicht dies selbst eine 
solche eben beschriebene fUchtmig hätte. Diese Richtung 
aber ist. durchaus unverkennbar. Wie wir im Verigen ifie 
Schilderung Derotheens vom Ai^ge bis snm Ende des 
Gedichts verfolgten, stie£sen wir eigentlich nur immer auf 
andre und andre Entwicklungen ihres Charakters; und so 
ist es Überali nichts anders, als das innere und geistige 
Wesen der versehiednen Penonen, das ttberall, nur immer 
lebendig und immer sinnlich gestallet, vor uns da steht. 



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m 

£s sind nicht so sehr ihre Hanillungen, an und für sieSi 
geiMinifin, «s sind melir ihre Ckoraklere^ ilie» aber iammt 
Utk in (£eMii HMidliaigen) um »neheiH ms auf & vaiw 
schiednen Formen der Menschheit überhaupt, auf das^ was 
sie unterscheidet, und wieder zu einem Ganzen zusammen- 
•otiliefiit» aber kniner mit der reiven TJiätigkeit unsrer Ein« 
büdungikrafi» immer voHkonmien kfimlloriicfa and bildend 
gestimmt, überföhrt. 

Wenn sich daher unser Dichter der vollkommenen Ob- 
jjecÜYÜät der AHen, der gansen Bestinmiilicil ihrer Formen 
bemeistert hat, so kleidet, ler in dies Gewand einen Gehai^ 
weteher ihnen so wenig eigen ist, dafe sie tu» nidit eininal 
veraniasseoi denselben bei ihnen zu suchen. 

xuv. 

Reicher Gshatt dies«* Gedichts loir den Geist lud die Enpfindaiig. — 
BidentbSjiilicbe BehMidlnng deitelben. 

Je- mehr wir imftre inlelleeliiellen Krifte aof ^e Be- 
trachtung und Bearbeitung der Welt auTser uns anwenden, 
je mehr wir tmsre geistige I^atur auf sie übertngen, desto 
mdir vervielflltigen 'wir «nsre fienehungen auf dieselbe. 
Pie GegenslSnde um uns her endieinen uns nur ab das, 
was unser Versland in ihnen unterscheidet; selbst unsre 
tSione bedürfen erst seiner Leitung, mit der Erweiterung 
unsrer £änncht wüchst daher anch das Gelnet denelben; 
ip der Thal ist die Nalnr mit jedem Jahrhundert reieher 
an Individuen für uns geworden, und wenn der Ungebil- 
deie in einer ganzen Menge von Objecten nur eine einför* 
mige und ungeschiedene Masse erUiekty so «Mmisiieidet 
der kennbiffsveUe Beobachter in einem einzigen Punkt nodi 
eine ganze Welt von Erscheinungen. 



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m 

So wie diese Thätigkeit unsrer geisügen Kräfte das 
annliehe Gebiet ier Natur erweitert, eben so bereichert 
mt innerludb imsres GemüllM die Messe uiisrer Gedanken 
und EmpfindunjGfen. Auch liior steht es in unserer Will- 
kühr, die Manoigiaitigkeit der Verhältnisse bis ins Unend-* 
Jiehe Ibii xu vermehren; wir dfirfen nur auch* hier immer 
das Zusammengesetate in seine Destafndlheile aufMfoen, nur 
auch hier das Einzelne immer in andre und andre Verbin- 
dungen bringen. Was in der Walur und vor unsren Sin- 
nen eiiOfach erfeoheint» können- vür dureh den Gedanken 
leilegen, und Ittr daa Resultat, das 'wir anf diesem, blöfe 
intellectuellen Wege erhallen, dennoch wieder unsre Em- 
piiiidung erwärmen, da diese sich eben so leicht auf un- 
sinnliche, als auf sinnliche Gegenstände beaeht, Mit der 
Empfindung kann sich die Einbildungskraft verbinden', und 
so können wir uns durch die Hülfe von beiden eine eigene 
Welt schaffen, die, durchaus unabhängig von der Wirklich- 
keit und den Sinnen, doch eben so, als jene, auf uns ein- 
wirkt, durchaus nur unsre eigne Schöpfung ist, aber den- 
noch für uns die vollkommne Realität der Natur besttct 

Wir geben diesem ganzen Verfahren unsres Verstan- 
des den Namen der Verfeiiierung, und dies ist in der 
That auch der passendste^ den wir demselben beilegen kann- 
ten. Denn es bestisht wirklich darin, dafs das Einfoche ge- 
spalten, das Grobe verfeinert wird; es ist ferner, da wir 
alle unsre natilriichen Bedürteisse aiueh ohne dasselbe be« 
Ifiedigen kömileny gleichsam em Luxus unsrer^ Natur, aber 
ein solcher, so dem wir i^ht aU<»n nothwendig durch dii^ 
Organisation imsres Geistes gezwungen sind, sondern olu^e 
den wir auch nie die höchsten findzwecke der Menschheit 
Sil erftUen im Stande wären. 

Diese Verfehierung hat mit den frähslen Z^Üen der 
Menschheit angefangen, sie ist immer noth wendig zugleich 



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mit dem Begriffe derselben gegeben : aber es ist Ein Funkt 
kl derselben» der^sidi so merklich darin imler8dieidet>'dafe 
er allein venngsweise diesen* Namen an aldi trägt. 

Der Mensch kann nemKdi entweder in harmoniscdetri 
Bunde mit der Natur fortgehen, seinen Geist luit ihrer Beob- 
achtung, seine fiinbUdungBkFafi mit ihren Formen beschXf- 
i\gen)>*iii^ittt ^&af§i^j^^ richten, die sie 

ihm darbietet, die Befriedigune seiner Neigune^en ganz und 
allein in iiu finden; oder er kann sich einsamer in sein Ge» 
mttth:yi9ri^^ abgesonderter besehäf- 

Iwalefe fift Aii dldigi ft iffl ft M mM 'ädi efeeni Slois nähren, 
den er allein aus sich selbst nimmt, seiner Enipündung ei- 
gen geschailene Gegenstände ben. Natürlich werden als- 
dann seine Neigungen auch nicht selten auf etwas gerich- 
tet /fil^,^WMr''yififr Belnedigung darbie- 
tet, und'^€*t**%tlr^'^Ä6gar iliittc ein Ziel verfolgen kön- 
nen, was ihm in üir zu erreichen unmöglich ist. Diese 
Absonderung unsres Wesens und der Natur ist eine aatur« 
lidHr Fo%9 d«i'%Mlteirf9häiiglM# onsies Gttstes, welche^ 
difj^'^HäfllftiullwIrFÖi'ii^R^^NMi^llif^ aHem an-den^ Tei* 
nen Gcdiinken halt, Afiei sie wiid zugleich manchmal durch 
zufällige, nicht inmier günstige Umstände veranlalsL £iHe 
minder helle, freundliche, glückliche Slwimung lumn uns 
gleichsam geswungen -in -uns solbst vertchliefoen, und dieee 
beiden Gründe wirken nothwendig ziisamtnen , sobald die 
Menschheit ihr erstes Jünglingsalter verlaisL Aus diesem 
Zustande nuh entspringt die Empfindung 'und die Sthnnung, 
die man, im Gegensata der nBiTen,'d)e -sentimevtale 
nennt, und hier ist es, wo der Charakter der Alten und 
. Neueren von einander abweicht. 

Diese Trennung konnte nicht anders, ala * auch auf die 
Kunst einen etttsdiiedenen ESinfluls ai]s$ib«i; sie mubte ei- 
nen modernen Charakter annehmen, wenn sie von modern 



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128 



gebildeten Individuen bearbeitet wurde. Auch wäre es ein 
nMenehiagwider Gedanke,, wenn die Folge -eo vieler und 
thfttenreielier JeMmnderle uns tnehlt lenteriaaeen faStte^ 

wodurch auch wir an uDfirem Theile die Kunst zu berei- 
chern im Stande wären. 

Wenn daher in imsrein Gedichte ein eigentfadniBdiery 
und in seiner GatUmg niehl minder If efiKeher Gelet, als der 
ist, welchen wir in den Alten wahrnehmen, widtet, so ist 
dies eben jene höhere und ieinere Sentimentalität , jener 
reichere GelMtk für den Versland und die EmpGndnngy der 
uns £tt einem freieren Schwünge der GedenJoen he geirtert 
und unato GeföM leiser und earter bewegi. Dies ist der 
moderne Charakter, den es deothch und unverkennbar an 
der Stirn trägt 

Dieser Chacakfter isl unserm Dichter so sa^gentbömiieh^ 
daft w ihn in allen seinen Werken wiedererkennen; aber 
er weifs ihn auf eine so grofse und wunderbare Weise zu 
bell an dein, ihn wiederum so dicht an den der Alten ^mau- 
aehüefiMn, dafii er ea WBfjpa kenntet ^ aogar eineni echt 
antiken Siel( aeiner Iphigenie, aufiradrücken/ohne dafs wir 
darin einen störenden Mifsklang vernehmen. Und diese Be- 
handlung ist es, die hier noch einige Erörterung verdient 

Daa £rale| was bei der Verfeinennig dea Gedankens 
und der Empfindung au Idden Geiahr lauft, isl die natdr* 
liehe Wahrheit und die schlichte EiniüiL Doch sind es 
gerade diese beiden Eigeaachaften , welche Göthe in ei- 
nem unverkennbmi Grade an aich trägt Wie hat er et 
nun angefangen y lurei eo veraeiMeniii%e Dinge eo eng 
mit einander zu verknüpfen? 

Was wir mit Hecht Verfeinerung nennen, kann an sich 
ntchl der Natur widersprechen^ nichia iat ao natürlich , als 
was rein menachlidi iat, und' es ist der Menschheit wesent- 
lich eingepflanzt, sich vo;i der hbls smnlichen Ansicht der 



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Dinge zu einer höheren zu erlieben. Wenn es der Verfei- 
nenmg also an NaUir zu mangeln scheint, so ist « wir^ 
V«l wir in ihr nidii gleich die RMÜtal wahinehmeD, 4» 
uns «n dieser ins Auge flIIU, weÜ ihr nicht geradeia ein 
sinnlicher Gegenstand entspricht, weil sie mehr das Werk 
der Energie einzelner menachiicher Kräfte, vielleicht nur in 
ftin n ^lnwi StimnuniflMi. de der nensdiliehen Netur über» 
henpt icheiiily und weil wir nichl eogkidi ebeehen, wie 
der Weg, auf den sie tiihrl, mit dem allgemeinen Wege 
der Natur und der Menschheit zusamtnentreite» zu dem- 
flfllhen Ziele eeLancen It*»»^ ii£e'konMBk diner nur ^mmäL 
«Qk ihr dieee RealiUit ni veruhlffign» m iwirhftffh nbrnW 
nur als eine höhere und wahrhaft verfeinerte, aufzustellen. 

Wir halben im Vorigen (XX^VIU-) gesehen, dafs unser 
Dichter einta rein beobachtenden und beetinunt bildenden 
Sinn heeitat; wir haben gefunden, dafii anem solchen iu^ 
dem ein ähnlicher innerer entspredien muh, der diesdbe 
Wahrheit und Festigkeit in dem innem Charakter suchl^ 
welche jener in der äulseren Natur wahcnimmt Daüs der* 
selbe nun difMen Sinn mil jener Veifeineningi jjmer hohen 
Sentlnentalitill ydlhindet, darauf beruht eeine Eigenihfini- 
liehkeit; darauf das GeheimnlTs, dafs er um einen echt mo- 
dernen Charakter., zeigt, ohne dafs wir darum in ünn dae 
eehöne GqNräge antiker fiplaehhsit und Wahrheil vmn«MiL 
Zwar acliemk in dieser Verbindung auf den ersten An» 
blick etwas Widersprecheudes zu liegen. Jener Sinn sucht 
die groDscn und hellen Mafisen der Natur, also im Men- 
schen, was der Gattung, der gymien Menschheit angehöit. 
Diese sentimentale Stimnumg sIeigt in die duhkefai Tiefen, 
des Gemüths hinab, verweilt innerhalb der engen Grenzen 
eines kleinen Gebiets, und sogar vorzugsweise bei dem, 
was nur Einxdnen eigen i^t Aber c< konunfc mr darauf 
an, dici letatere ffc& gen^g au hehapdelnj un diesen Wi« 
IV. / 9 



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1^ 



dmprach sogleich wieder aufsuheben, und dies ii^l es, was 
inuem Dichter Vor anderen auszeichnet 

Wo er den Zustand des GemOihs' darlegt (und eigenl^ 
lieh ist er ül»t l all damit beschäftigt), wo er auch den un- 
gewöhnlichsten und leideoscliafllichslen schildeii, verfährt 
er dennoch, gerade wie bei der Beechreibmig der dulsem 
Natur, immer mhig und bildend, und fdgt alle einseinen 
Theile des (lanzcn fest in ein^mder. Fr I ifst die Indivi- 
dualität, die er darstellt , aus allen Kräften der «Seele zu- 
h«rvemhMi> verwebt sie m alle Gedanken, alle Em- 
^pUndungen, l&w^AMilerungen des Charakters, zeigt densel- 
ben Charakter in Verbindung mit .indem ; luid führt ihn* 
unsrer Einbildungskraft so in seinem ganzen 6eyn und \Ve- 
den vor, data wir ihn nicht bloTs ia einem ehnelnen Au- 
genblicki einer einzelnen' Stimmung j* eondetn io erblieken; 
wie er tiberhampt immer ist, »eine Ent^vicklung^n verfolgen, 
senie Fortschritte beurtheilen können. Er läfst nicht nach, 
genau und vollkommen zu erforschen, wie eine ungewöhn- 
Mib fiigenthömlichkeil, die sich ihm auf seinem- Weg« dich- 
ttiiadier Erfindung darinetei; m cmem* ■ meiisehMchen Gemö<* 
the als reine Wahrheil bU üiend fortdauern, wie sie sich «u 
den übrigen oothwendigen und rein menschlichen Empfiu* 
dmigeii verhalt«»^ wie siek an andfre EigenihfimlHcfakeitett 
anfddieften , wie dur<ih die Verbindung mit ihnen -imd ihr 
eignes natürliches Fortschreiten umgestaUeii kann, und er 
ruht nicht eher, als bi» auch wir dies in seiner Darstellung 
denttck wieder - erkenne». £r bleibt daher nie^iiiaehi bei 
ihr iteben, sondern erweitert sie* auf eine nn€toiliehe Fliehe, 
und stellt sich immer in den Mittelpunkt, in dem sich doch 
^diich alles, was nur irgend menschlich heifsen kann, nolh- 
weodig mit einander Tereifligen muüs. Dadurch wird sie 
IN», wie ung^Ohnlleh sie -auch an sich- aeyn möchte, m 
seiner S^Mderung wirklich zur Natur, erscheint weder als 



131 



die Fruciit einer au^enbiickliclicn Uebcrspanniuig der Ein- 
biiduDgskraft, könstileki iUMr§tftri«biieil Empindung, 

noch ab die Folge einoB S ci wwm get des Gciilee m mer 
Hohe, auf der er sich nicht zu haHen Tcrmag; sondern als 
das wahre Resultat aller GeuiüÜiskraite in ihrem reinen 
Zusammeowirken. 

£a kommt nur darauf an,- recht menschlich geatynrnt 
KU seyn, um das Äufserordentlichste und das Einfaehste in 
deiiseibeii Kreis einzuschliefsen. Nur für den, vvelclieni es, 
■wie bei den Alten noihwendig nocli der Fall aeyn mulate, 
an HwchthuM und ManugMigkaiit der iniiem Erfahrung 
fehlt, Uegea gewisee Bichtimgen, welche die Empfindung 
manchnnal nimmt, aufsei den Schranken der nalüriiclien 
Wahrheit; nur der, welchem es, wie so oft uns Neuerei^ 
an jener hohen £inlachheit des £»innea mangelly weUs jenes 
aefaieii« Execheinungen keinen allgemein veratändlichen Aua^ 
druck zu geben. Darum ist unaer Dichter in einem höhe- 
ren Grade y als irgend ein andrer, wahrhaft meuschiich 
m-noMien^ weil kern anderer noch sugieieb ia sa minnjg* 
fkdligan, liohea.imd ung««rUinlicheiiy und dooh a» en^obei» 
Tönen lu «naram Heraen apncii. 

Wer einzelne ßeispiele für diese, nur ihm angehörende 
ESgeMthümhghkftitr veciangl, der erinnere ai^b» in welphem 
vadier'.nttkaksimliii. Sim er .den Umgang, mit 4et Nyitnv 
gescIiildeTt, weUen neuen Charakter -«r der liebe, wel(j|ff 
Tiefe Lind Zarlheil der Weiblichkeil gegeben; wie er das 
Gdicmimis verstanden hat, in VVerlliers Charakter die Uü^ 
gtow&fanliehate iStörkOr-imd ftvaharkeit dea Gefühls^ eine so 
saline und. sehwarmerisohe JUebs^ sie das ]Lf ben selbst 
ihren EmpHndungen aufopfert, mit dem natürlichsten und 
einfachsten Sinn, mit der treueaten und naivsten Anhäng- 
lichkeit 4a die Schönbeifc der Nabir und die bannUaen Freu- 
den des kindischen Alters zu paaren. ^ • 

9* 



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13? 



In keinem allen Dichter wird man diese liohe, feine 
vnd klealiflcke Sentisiept^likiik» ki keinem neuem ^ verbun- 
den mit dieMO Yantig«ii, dim scUicbte Natur , dica^ ein« 
lache Wahrheit, dieae iMialicfae Innigkeit antielüeii. 



XLV. 

Kigenthuinliclikeit anaret Geilichte- in der Veibindnttg di«iei iniihrb&ft 
moderneii Gehalts mit jener echt antiken Faroi. 

Wir haben nunmehr die einaeiaen- Eigensoliallan des 

Gedichts entwickelt, von dessen Wirkung wir Rechenschad 
SU geben versuchen. Wir haben gefunden, dafs es ia der 
rein objectiven DarsteUung den Werken der AUan giaich 
kommt,, dafo ea in dieae Feim Men för dcii Goiat und die 
Empfindung so reiehefn G^ialt kleidet, als wir* ihn nur b^ 
neueren Dichtem anzutreffen gewohnt sind, dais es aber 
daii8eU»en dennoch wieder durehaoa zu der einfachen und 
nataHidien Waliriieit der AMen lortkkMrt Wir kfandicit 
jetat nnr diese einaeinen Bestaodtlieile mit eiaMHider zwar- 
binden , um den ganzen Charakicr desselben voUkommen 
darzustellen. 

Jeder epiache, oder auch nur ühMhaofit beaehrdbaa^a 
Dichter mCifef e aieh die rein kfinalieriBehe Form au ei|^ 

machen, die wir im Anfange dieses Aufsatzes so auslühr- 
lich geschildert haben; jeder neuere müisLe streben, nnaern 
Geist und unser Hera auf die Weise au beaehittgeu » bh& 
den Ideen und Empfindungen wa niliren , die unaerer Zeil^ 
den Erfahrungen, die wir gesammelt, den ForUchritten, die 
wir gemacht haben, angemessen sind. Aber in der Art, 
wie unser Dichter beides thnt^ Üegt aueh, mittea in Aeaer 
atlgemainen IVefllidikeit sein individueller und unlemdMt- 
dender Charakter. 



t8S 



Zuerst ist er ganz und allein wahrer Künstler. Seioe 
Poerie »1 rein dftnteUendy «ie kt motk mehr ab ate 
ist voHkommen episch; sie Meibt dem aUgemeiiiefi Befriffe 
der Kunst, einen Gegenslund durch die EinhildungskrafL zu 
erzeugen, immer voUkomnien nah; sie i^i mit dem Style 
der bildend«!! eng versekwistcri^ und beuiitst «ägieicb alle 
ihr selbst doreb Bewcgutig und Ausdruck cigentiuiaibcbc 
Vorzüge. Die Gedanken und Emplindun^cii, weiche siu 
schildert, sind nur die 6eeie seiner Gestalten, dienen nur> 
ihnen Leben und Sprache einznbaucbe«. 

Indctti wir ab(sr nur diesen Gestalten Mimsebfn glau- 
ben, und überall .Bewegung und Umrisse vor uns erblicken, 
^ werden wir dennocli eigentlich nur von ihrem Innern gei- 
stigen Wesen gieiifart; wh: fühlen unsren Busen lebbafler, 
ab bei einem andren Dichter bewegly dringen tiefer in uo- 
aer inneres ein; werden rmer und menschlicher gestimmt. 
Jene Gestalten scheinen uns jetzt nur der zarige bildete 
Körper der 5eele, die so lebendig aus ihnen hervorstralt. 

Dadurch dafs' Gestalt und Charakter in ihnen immer 
se genau filr einamler passen, dab bald jener nur um die- 
ses, htild dieser nur um jenes willen da zu stehen scheint, 
sehen wir bei ihnen immer den ganzen Menschen in seiner 
natMiclMii Wahrheit & nimmt ilm in ssiner besten und 
hichstwi EigenthAmMcfakal auf, und giebt dann dicBett 
Stoff das sichtbarste Gepräge der Kuii^L, da er ilm durch 
ein doppeltes Verfahren den Werken der Aden ähnlich 
rnacbti einmal indem er ihn zu der eiBfachea Wahrheit der 
Natur Mriicklilhtli und dann, ludernder ihm jene rein dar- 
stallende Olyeelivüiit ndtHieat. 

Wer den Wertlier, den Götz und dies Gedicht 
lebendig in der Seele ge^^wärtig hat, der wird die Wabr- 
heit des eben Gesagten von selbst empinden. Aber um 
sich au überseugen, dab man nicht blob unentwickelte Ge- 



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134 

liiUe, sondern klare und sichere Resultate aus dem Sta- 
imm des Dlehters mitgebracht hat, kt e» nothwaadig, ea 
nodi amnal in bestimirte und ekifache Resollale bumih* 

menznfassen. Löst man daher das, was wir ihm hier ei- 
geiiihümlich nennen, und wodurch er die Wirkung hervor- 
facingt, in der gewöhnlich alle Leaer mit einaflder übcreia- 
kommen, in seine ffleniente auf, so atflfrt man vorzüglich 

aui iolgctide diei rutikte: ■ ' " 

1. Er ist nicht biois ckirebaus objectiv und echt künst- 
lerisch, sondern auch im genaueaton Verstände immer bii** 
dend und episob, was- er anehnel» iai ^Sesildi und Bewe- 
gung; ist sinnlich anschaulich; ein reines Erzieugniis deit 
bildenden Phantasie. 

2, Sein Stoff, jdaa, was sieh- in otMian Sebüderangeii 
eigentÜch daratelll, - was ana ifanen> wie aus dbwra faIncBi 
Schleier, immer hervorbii^l, was wir unmeiwbrt, 'abetr me 
anders, als in sinnhclier Gestalt und in lebendiger Bewe* 
gung sehen, ist die innere Menschheit, die Masse rm 6^ 
danken und Gefühlen, au denen daa Gomfitk gelaagt^wenn 
es in aeinon voUen KjrMften sieh 'Solhsl und die ^fartur ao- 
fser sich umfafst; die Menschheit in ihrer höchsten Vollen- 
dung und ihrer einfachsten Wahrheit 

3b Die hohe Wirkung, die einerseila dnrch Gehabt 
den der Dichter in seinen Stoff legt; andin^rseits durck dad 
Dichterische der Darstellung entsteht, wird noch dadurch 
verstärkt, daüs für die letztere nichts mehr gellian ist, als 
die Tollkdmmene Objectiviiät erfordojrty liingends .aber -ein 
tiherilüssiges. Ooloril aufgetragen i8t> woSiorch imn Atoilsi 
die Formen reiner und bestimmter hervortreten, tlieils der 
Slofl' selbst emen um so tieferen und rührenderen li^indruck 
macht, als er nackler und einfacher encheint 

Verliert nun unser Dichter, wie . wir in einem der vo- 
rigen. Abschnüte (XL.) gesdgl haben, auf der einen Seite 



133 

gegea die W erke der Alten an sinnlichem KeicliLhum, 99 
erlangt er dies auf der andren in gieicitew Grade, und zwar 
dnccb eitle &Uhoheit wiedefi ^urch die er auf euuial aUe« 
aufitugebeoi scheint* . Demi nichU ^obt auf den enteil An- 
blick aller Kunst so grofee Gefahr, als die schlichte Wahr- 
heit, die so leicht zu dem blofs Prosaischen herunlersinkt, 
als di$ iiinigkeit, die zu tief in uns herahsusteigen, ku sehr 
in unser; wiricJiehe« Gefühl ^einnigrsifen scheint^ um |ifih 
von da su einem idealischeiv and künstlerischen 
zu erheben. Gerade hier aber zeigt sich die öluike des 
Dichters» und das ger^phie Yertraueu zu seiner Kraft. Nicht 
indem er seiner. Stimmung einen heftigen nnd^leidenschafU 
Ddien Schwung giebt, sondern indem er seinem Gegen- 
slaiide dadarcli, dalrf er alles in ihm zusaaunenfafst, eine 
unendliche Ausdehnung ertlieilt, hebt er ihn aus der Wirk- 
lichkeit empor; nicht dadurch, daDs er ihn von der Matur 
^Ifemti sondern dadurch, da(s er Ihn ganz in^ ihr, aber sie 
«elbst mit ihm in ihrer wahren und ursprtinghchen Gestalt 
auffa&t, erhält ^r ilin iime;rha|b des Gebiets der Einbilr 
duf^pluraft. 

XLin. . 

Vaterländischer Cliarakter nnsres Dichters, in seiner Vcraleiclmiig nüt 

den alten und den neueren Dichtern andrer ISationei]^ gezeigt. 

m 

Um die besondre Stelle kennen zu ^rnen, die wir selbst 

eiiiuehnien, haben wir inuiicr zugleich auf zwei Punkte zu 
.sehen: auf da^ Aiierthum und das Ausland. Es sey uns 
4irlaiibl^ audb .unsem Dichter , noch einen Ainenbück in die- 
.ser doppelten Begehung zu: betrachten. . - 

Er verweilt, wie wir gesehen haben, nicht nur vor- 
zugsweise bei der Schilderung des inneren Menschen, des 
Gemülhs in seinen Gedanken und Empfindungen; sondern 



9 



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136 



er zeigt es uns auch so, wie es etwas Andres und Höhe- 
res begehrt, als dessen Befriedigung unmittelbar in der Na- 
tur aufser uns liegt, etwas Idealisches, das über die äuCsre 
Thäligkeit und den äufsren Genufs des Lebens hinausgeht; 
wie es endlich überhaupt ein iimres Daseyn in sich selbst 
dem äufsren in der Welt entgegensetzt, in jenem oft etwas 
verfolgt, was diesem fremd ist, und nicht gleich dort das- 
jenige aufgiebl, was hier zu erreichen unmöglich ist. Da- 
durch unterscheidet er sich von den Alten, die den Men- 
schen immer mehr in der Begleitung der Natur, als im 
Gegensatz mit derselben darstellen, und dies hat er mit den 
meisten neueren Dichtern gemein. 

Aber die inneren Regungen des Geistes und des Her- 
zens sind sehr verschiedener Töne fähig, und unter diesen 
zeichnen sich vorzüglich zwei aus, die gleichsam zwei Ex- 
treme bilden — der hohe und starke, und der stille und 
sanft gehaltene. Der Gedanke gewinnt eine andre Gestalt, 
wenn er aus dem blofsen, von keiner äufsern Erfahrung 
unterstützten Nachdenken hervorgeht, oder durch die Phan- 
iasie geformt, als glänzende Sentenz auftritt, und wenn er 
in einfacher Wahrheit eine Menge von Erfahrungen zusam- 
menfafst, und daraus gediegene Weisheit zieht. Das Herz 
fühlt andre Regungen, wenn es von heftigen Leidenschaf- 
ten durchslürmt, und wenn es, nachdem es alles, was es 
nuf von der Natur zu erfassen vermag, in seinen Kreis ge- 
zogen hat, von lauter mächtigen und unendlichen, aber im- 
mer mit einander zusammenstimmenden Gefühlen harmo- 
nisch durchdrungen, still aber tief bewegt ist. Diese letz- 
tere Stimmung ist es, in der uns Gothe immer das Ge- 
müth schildert; und wenn er Leidenschaften hervorruft, so 
erheben sie sich, gleich Wellen auf dem unendlichen Meere, 
auf einem so zubereiteten Grunde, und lagern sich wieder 
auf die klare, nirgends umgrenzte, in allen ihren Punkten 



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leicbt bewegiiehe Fläche. Dadurch unterscheidet er sich 
von den neueren Dichtern andrer Nationen, die 
4iireliatiB mehr Leidensdiaft, als Seele maUeiiy mehr Hef« 
tlgkeit und Feuer, ab Imiigkeit und Wüme beniaeii, mid 
dadurch tritt er wieder dem schonen Ghnchgewtchl, der 
atiUeii Harmonie der Alten Bäher, 

0ieaer zwiefache GegioiaaU ynlkaitt, man fcami ea mH 
«tober Freude Mwupten, adfieii Devtacben Charabler. 
Denn eine siclitbare Neigung zur abgesonderten Beschäfti- 
gung des Geistes und des Herzens, und ein stärkerer Hang 
Bach Wabiiieit «i4 Imagheii in beiden, ala, naeh in di* 
Augen fallendem Glam und leidenaehafUicher HeiügkeiC, 
sind Hauptzüge der Eigenthümlichkeit unsrer Nation, weiche 
ihre besten philosophischen und dichterischen Producte un- 
veikennbar an awli tirag^ und durch die» wemi das Genie 
daa KQuallara hinauknmmt, amne Weike xugleidi einen 
reichhaltigeren Stoff und eine grOfsere imtere Fealigkait 
eriADgen. 

Wenn wir indefr bier diesem Ge di ch t und der neneren 
PaMe nbcdhaopt elwaa maalrabcn, ivua iie w dar IM»-, 
ren au sa et chn et; ao iil dwa Im Venug, der dae Wesen 

der f^unst angeht. In diesem bleiben die Allen immer die 
Meister, und werden me auch nnr erreicht, viel weniger 
4iberliiilfan werden. Daa • eigenlUhniebe Yerdienat, von 
dem wir hier reden, ist nur, die Balm Mffnel an hdben, 

den ganzen Heichthum an Gedanken und Einpiindungsge- 
hali der neueren Zeit in das echt künstlerische Gewand zu 
kleideD^ daa man aonat nur bei ihnen antrüu 



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188 



XVLII. 

Kipfl'ffa dec- gesdüldeiten Ki^entliümlidikeU de» («edicllti^aiif die 

ToUlwwkung deuelbeii. 

■ 

Auf Darstellung, auf DarsleüUQg durch die Einbildungs- 
kraft, auf Darstellung det ganzen Menaehan in seiner äu- 
bm Gcalalt und seinetti inBm W«8en, gtkL uutm Dkk« 
ter ans, und diesen Zweck erreiehl er* m einen bewvn* 
dernswürdigen Grade. Er ist nie bemüht, unsre Phantasie 
abaiehtlich weder zu ergötzen, nock zu fijpaaaeiiy neck ükec- 
kaupt aa£ dieae oder jene .Weiee n .bewngen; er bat ein 
.wakrea rnid eigenüiebee; ein grofiMS und imermefefiebM 
Geschäft, das alle äeinc Kräfte, seine ganze Energie an sich 
reifst — die Menschheit und die Natur, die seinem kiinst- 
lerifichen Blieb €»iäiai nickt anders» als dnfcbans diokteiisck 
l*efonnl etockeint» aiick uns wieder in.deraelkan Gestallt 
zu zeigen. r 

Dadurch weckt er zuerst und hauptsächlich unsern bü» 
4endiea ßma; wir sucken und finden ükeraii- Festigkeit, 
Or^nngy ZuseHunenhang; wur acknfistt'iais eine duMhaas 
übereinstimmende, durchaus organisirte Natur; die aufsem 
Formeti, die wir vor uns erblicken, iiaben voükommne An- 
iM^hauUchkeit, die innem durebgMigige Wakrkeii; überall 
erkebt aick die Begeisterung unarir Enbikhnigskrall und 
nnsers Gefiikls von einem fest, eubereitelefl Grunde« Nia* 
gends ist etwas Verwirrtes oder Ueberspanntsa ; alles ist 
.voHkommen klar und natürlich. 

Aber es ist auck nock mekr. Die Usnptwirkung^ je- 
des Kunstwerks beruht auf der Verbindung sdner Gestalt 
mit seinem Charakter. Gerade darin liegt am meisten das- 
jenige, was sicli niemals aussprechen oder erklären läfst» 
weil es allein von dem einfachen Gedanken abhängt, den 
der Künstler auf eine unbegreiClicke Weise sdnem Werk 



139 

«infwägi, mid dadurch zugleicii au£ uns hmüliertragt. Oaüi 
itom in maswM G«dichi die Maan und kmcrfa Fwruftf« 
* eng auf ehfAnder patsen, dals-Äe äch gerade gegenaea- 

tig nur bekltidcn und erfüIJen, dadurch wird der Charak- 
ter desselben iii dein reinsten und voUsteo iSiune, reiner 
als bei andern, medemeo, imd voUer ab bei den alten Dieb» 
ile»i£&!i4ifjitfMieit, Walirheil wd Nalar. Dm meiiwik- 
liche Gemüth ist darin in einer gewissen Nacktheit dar- 
geiegl^>wadurpb- es auf eine innigere und rührendere 
Weiie auf ina einwirkt^ als wir es bei irgend einem, ai^ 
.deren Dicbter eilahren, 

♦ 

XLVIII. 

Resultate. — Allgemeiner Ciuxrakter ufisii's.DitvUtcis. 

Wir sind jetat bei dem SSide angelaii^ dlis wir durch 

die bisherigen Betrachiungen zu erreichen slrcbteu; wir 
•hahen den Cliarakter des Göihischeft Gedioiitfi nreJU- 
.affiadig geaoinlderl, und die Steile angegebeo» die. ee in 
■RüdLAebt auf die Kmwt übedkiupl, und in Vengieiflihung 
mit andern Gedichten ähnlicher Art, beliüiiptel. Wir wer- 
fen jetzt neck einmal einen flüchtigen Blick auf den Weg, 
den wir «mckgeiegt- haben. . 

Zweierlfli VorzCige eind es, dereb deren. iniii|^ Ver- 
binduiig die IManiei uiisres Dichters ihre uül<iugbare Ei- 
genlhümlicbkeit erhält: 

1* die £infaehbeit» nüt der er immer biefa bei dem- 
janlgen eieben an bleiben ecbeini, waa« die- Kunst scÜIedb- 
terdings und nothwendig leisten mufs, sobald sie nur über- 
haupt Kunst zu heifsen verdienen soll; 

2. die Stärke der Wirkung, die er dadnreb henror- 
'bringl, daia er seiner Peesie ab viel Gehalt unditeele giebl, 
ala nur innnec einer sinnlichen Darstellung fähig ist. 



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140 



Seinen Stoff zu einem reinen Erzeugnifs der dichteri- 
scheo, und zwar der bildenden Einbildungskraft zu machen, 
kl fem ganses und emxigea Beatveben. Daher die feile 
Zoaaimiieiifugung aller Tliefle nim Garnen; die GrtMba md 
Einfachheit der Züge; die objective, rein darstellende Ma- 
nier, und eben daher der [\langel alles fremden Schmucks, 
aller niefat untnllelbar durch die Sache aelbal hewifklen 
Erhehungy alles öberflflsngen Colerite. 

Kr nimmt aber seinen Stoff immer so , wie er einen 
tiberwiegend grofsen Gehalt für den tuneru Smn liut und 
doch augleich für den äulaem voilkenanen gülig ist Von 
dem Menschen und der Matnr mahll er die Seele, aher sie 
immer gestaltet und lebendig. Daher seine Senümentaü- 
tat, das mehr sanfte als glänzende Licht seiner Gemählde, 
ihre grdfeere Wirkung auf den Geist und das Heis. 

Durch beides, dadurch» dafr er die Natur da «olmniml, 
wo ihr Zusammenhang am festesten, die Verwandtschaft 
ihrer Elemente am sichtbarsten ist (in ihrer geistigen Ge- 
atalt) und dati er sie dam ganz objectiv behandelt, wird 
er im eminenteo Verslande fafldteid, im eaainentien Ver- 
atande nach Bestimratheit der Umrisse, Einheit des GanMs 
und Ebenmaafä der Theile strebend. Denn er geht mit 
aller seiner Kraft blofs darauf aus, die Formen eines gro- 
Isen Ideals auibustellea, eines Ideals , das dem Geist der 
Mensehhdt und der Natur (der im Grunde nur Eiper und 
ebenderselbe ist) gleich sey. 

Von den Mustern des Alterthums unterscheidet er sich 
durch einen gering ercn Gehalt fiir die Sinne und die Phan» 
tasie, aber durch einen vielfacheren und fsineren fär den 
Geist und die Liiii)findung; und wenn er dies mehr oder 
weniger mit allen neueren Dichtern gemein hat, so zeich« 
net er sich von diesen wieder dadurch ans, dalii er in die> 
ser Verschiedenheit selbst durch Objectivilät, Hamumie und 



141 



Totaliläl, die sich in dem Leser durcli Ruhe «akiiiidigty ^ 
4ciB Alten uofjMm näher kamni^ ahi ui^end enwr von jenea 

Üiß SeHe tdnce Chmkien» veo welchar aus dnpMhe 
zum Fehlerhaften ausarten kann, und wirklich vieUeioht 
manchmal darein verlaüt, ist die Einfachheit seiner Mit^ 
lei Was man. ihm daher vielleicht hie und da verwerfen 
k^le, .ist Afaagel. an VieMMhheit der Handhing und Be- 
wegung, Blannigfaltigkeit der Gestalleny FiiUe uadAhwedw- 
lung der Diction und des Wohlklangs, mit Einem Wort 
Mangel an sinnUcheiu Reichthum; was ilm aber auch 
hier wieder charakteviairt) ist daia dies nie lum Maogel aock 
an sinnüclwr JndividualitSt ausschll^ Denn der Be- 
stimmtheit der Umrisse und der Stetigkeit der Bewegung 
fehlt nie aucli nur das Mindeste. 

Wenn er in der Reinheit der Formell und dem SeeUsi- 
Vellen des Ausdrui^^ eine auffidlende Aehnficfakeh mil Rar 
plia ei darsLcllt, so eiinnert er an ihn auch durch ein manch-, 
iuai jdürikig scheinendes Pokuit. 

XLIX. 

> 

Reditfertignng des bei der Zeichmwg dieses Charsklan geiriUiIteii 

Ganges. 

Um diesen Charakter unsers Dichters so kurz und be- 
stimmt, als es unsre Absicht war, zeichnen, und diese Schii- 
denmg zugleich rechtfertigen in können, gkuihten wir den 
langeii Weg eipfchlagen «i müssen» dea mk nnnmehr 
fttckgelegt hahen. Da whr auf demselben vorsüghch swei 
Dinge zu erörtern hatten, den einfachen Kunstsinn und den 
hohen inteücctueilen und sentimentalen Gehalt des Dichters^ 
so widmeten wir naliirltch dem jBrstefen» als dem Wesenl- 
liehslen, mersi und a^i sjHsfilhriichsten unflBs Sergialtr 



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143 



Wir gingen daher von dem Wesen aller Kunst übep-* • 
haapl aus, und da dies In mdits andrem besieht, als in der 
Aufittsttng'der Aufgabe: das Wfatiiclie in ein Bild eu ▼er* 

wandeln; so siichlen wir diejenige dichterische Melhode 
auf, welche die Einbildungskraft am entschieden* 
sten ndthigt, ein gewisses und awar in allen sei- 
nen Formen beslimmtes Bild frei und r-ein' aus 
sich selbst zu eizcugen. 

Zu diesem Behuf schränkten wir die verschiedene Mög« 
lidikeil, dieser Forderung Genüge su leisten, nach und- nadi 
ein, und setzten: 

1. den echt künstlerischen Siyi, welcher die Ein- 
bildungskraft wirklich productiv macht, und nach Ideahlat 
und Totalität strebt, dem Aflerstyle entgegen, /wekher ent« 
tireder nicht reift Uels auf* sie, oder nicht stark genug auf 
dieselbe einwirkt, und nur zu gefallen .eder zu glänzen be- 
müht ist; (IL — XXII.) 

% denjenigen dichterischen,' der, da er gana md 
Gestalt und Bewegung, mithin auf Objectivität hinausgeht, 
sicli nah an das Wesen der bild^den Künste anscfaliefet, 
demjenigen, welcher mehr die ausschliefslichen Vorzüge der 
redenden, (die unmittelbare Darstellung des Gedankens und 
der Empfindung) geltend macht; (XÜL — XIX.) 

3.^ denjenigen epischen, der, indem er den Leeer mü 
seinem GegensUiüde gleichsam allein läfst, und die Erinne- 
rung an den Dichtei* entfernt, und indem er das Bild mehr 
aus der Phantasie des Zuhttrer» rm aeibei ' h«nFOVl»ete 
macht, als es ihr vormahll*, den höehstan Grad der €Ni|bo-' 
tivitat erreicht, — demjenigen, der durch die enlgegenge^ 
setzte Methode dieselbe mehr überhaupt zu Bildern, als zu 
Einem besümmten, mehr frei «nd lebendig, al»gese>imifsig 
stimmt, (XX. - XXXVII.) ... 

Nachdem wir darauf bei jedem dieser drei Punkte mit 



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143 

Beispielen bewiesen halten, welcher dieser Style dem ge* 
genwärtigen Gedicht eigen ist, und hierin, so wie in der 

einfachen Wahrheit des Vortrags ( XXX VHF. — XXXIX.) 
seine Aehnliciikeit den Werken der Alten gezeigt hat- 
ten; -80 konnten wir nnnmehr von d^r Art sanes SioS», 
von der' Eigenifafinifichkeit reden, durch die es sich wieder 
von jenen unielvcheidel (XL. — XLVII.) und dattifc die 
Schilderung seines individuellen Charakters vollenden. 

, ■ - ■ ' * ■ 

FlOebtigfV BttQk tirf dair Ic^rUlAiift öm -OlfinUeffi unten Didifaii' 

ubecbaupt zu dem besondem dieses GedidiU. . 

' Vielleicht aber scheint es, als hätten wir uns' in dem 

Vorigen zu viel mit dem Rdnslier überhaupt, und mehr als' 
mit 'seinem neuesten vorliegenden Werke, beschäftigt. Wenn 
dieser Vorwurf gegründet ist, so zeigt er nur, wie rein sich 
die ganze Individualität desselben gerade in diesem seinem 
Werke spiegelt - Und dies ist in der That der Fall Kein 
andres der Gölhischen Cit dichte stellt den ganzen InbegriflT 
seines Dichlerchnraklers so sichtbar dar, obgleich einzelne 
Seiten desselben in andern natürlich, und gerade darum,' 
weit es die früheren waren; stärker und glänzehder erschei- 
nen. Allein wenn jenes Ganze selbst auftreten sollte, niufste 
es sich durch die Zeit und mannigfaltige Uebung sammeln' 
und reinigen, und die Stimmung, welche dies Product her- ' 
vorzubringen vermochle , ' mulste erst durch Erfahrung und 
Reife vorbereitet werden. ' Difes föhlt mari sehr deutlich, * 
sobald man sich diese Stiniinung auch nur einiger Malseu 
vorzustellen versuefaL 

Denn wenn es je einen Mann gab, dem <he Nätur eiki' 
oflhes Auge verliehen hatte, ailes, was ihn umgicbt, rein* 
und klar und gleichsam mit dem Bück des Nalurforsciiers 



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144 

aufzunehmen, der in allen Gegenständen des Nachdenkens 
und der Empfindung nur Wahrheit und gediegenen Gehalt 
schätzt, und vor dem kein Kunstwerk, dem nicht verstän- 
dige und regelmiifsige Anordnung, kein Raisonnement, dem 
nicht geprüfte Beobachtung, keine Handlung besteht, der 
nicht consequente Maximen zum Grunde liegen; wenn die- 
ser Mann dann durch sein ganzes Wesen zum Dichter be- 
stinmit, und sein ganzer Charakter so durchaus mit dieser 
Bestimmung Eins geworden ist, dafs seine Dichtung selbst 
überall das Gepräge jener Grundsätze und Gesinnungen an 
der Stirn trägt ; wenn derselbe endlich eine Reihe von Jah- 
ren durchlebt hat, wenn er, mit dem classischen Geiste der 
Alten vertraut, und von dem besten der Neueren durch- 
drungen, zugleich so individuell gebildet ist, dafs er nur 
unter seiner Nation und in seiner Zeit emporkommen konnte, 
dafs alles Fremde, was er sich aneignet, danach sich um-- 
gestaltet, und er sich nur in seiner vaterländischen Sprache 
darzustellen vermag, in jeder andern aber, und zwar gerade 
für seine Eigenthümlichkeit, schlechterdings unübersetzbar 
bleibt; wenn es ihm nun so gelingt, die Resultate seiner 
Erfahrungen über Menschenleben und Menschenglück in 
eine dichterische Idee zusammenzufassen, und diese Idee^ 
vollkommen auszuführen — dann mufste, und nur so konnte 
ein Gedicht, wie das gegenwärtige ist, entstehen. Denn so 
unzertrennbar vereint ist der so eben geschilderte Charak-^ 
ter darin ausgedrückt, dafs es nicht möglich ist, einen ein- 
zelnen Zug davon allein herauszuheben : so innig verknüpft 
es den einfachen Sinn des Alterthums mit der fortschrei- 
tenden Cultur neuerer Zeit; und so durchaus scheint es 
aus einem Geiste geflossen, der in der ganzen Individuali- 
tät der wirklichen Verhältnisse, die ihn umgeben, alle Haupt- 
formen menschlichen Daseyns rein und wahr in sich auf- 



, Google 



146l 

fMUHiiimii, lnl| and tm dem bIcIi wietowii illt> wie mm 
EäMDi BillellHmkt, aUateti laneii. 

Auch konnte ein solches Product nur aus der Reife ei- 
nes erfahruDgsreichen Lebens hervorgehn; was so geschil- 
dert iaty mufe mü eignen Augen gesdin seyn, and was hier- 
bei venOgEch fiewnndeniDg eiregt, ist, mit dieeer Reife 
zugleich diese jugendliche Frische der Phantasie, dies Le- 
ben in der Darstellung, diese Zartheit und Lieblichkeit in 
dar SchildeniDg von Empfiadungieft gepaart anautreffen. 

Zwieiaclie BeurtUeilung eines kuostwerius. 

Von der swieiacben Art derBeurthefiliing, weldier man 

jedes Kunstwerk unterwerfen sollte, haben wir imnmehr Uie 
nne vollendet j es bleibt uns jetzt noch die andre übrig. 

Jedes KunstweriL nemlieh kann, wie der Künstler selbst^ 
der es hevrelrbtingt, ab ein dgnes bdMdanm angesehen 
werden. Es ist ein lebendiges Ganzes, es hat eine eigne 
innere Kraft, ein Lebensprincip, durch welches es eine be- 
stmimte Wirkung äufoert So haben wir Herr mann und 
Dorothea bis hierher betrachtet Ohne ans noch in die 
Erörterung seiner einzelnen Theile einzulassen, ohne es 
festgesetzten Kegeln anzupassen, haben wir blofs die Wir- 
kung gesc^deri, die es henrorbringt, die Ursachen dersel- 
ben aufgesucht, und dadurch nur seme Natur im Allgeme^ 
nen, ihrem Grade nnd ihrer Gattung nach, bestimmt. 

Aber au£ser dieser seiner innem Natur gehört jedes 
Gedicht audi nochj seiner äufeem Beschaffenheit nach, su 
einer besondem Gattung von Kunstwerken^ und hat in die- 
ser Hmsieht besondren Forderungen Genüge tu leisten, be- 
sondre Regein zu befolgen. Mit diesen Regeln haben wir 
didier das unsrige noch jetxt zu vergleichen. Denn nur 
IV. 10 



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14« 

beides zusammengenommen, sein innrer Charakter und seine 
aaSsre Kegelmädugkeii» beBÜoinil die VortnPkUieü de»- 
wlbeit. 

Die ei slere Art der Beurtheilung kann man bei KunsU 
werken, in eiaetn vorzüglicheren 6iane dieses Worts ^ die 
äatkeiische Qeimii» de «e den ej^pratiithea KuMl-Olia* 
rakter ihres Gegenstasdea, aeulett echi kteUerisdien Wertiv 
sein Verhäitnifs Eum Ideale bestimmt; die leletere die tech* 
nische^ da sie denselben niciii uut einem Ideal, das nie 
gant erreichl werden kann» sondern mit Regehi und Ge-> 
seilen yergleiciit, die sträng und vollkommen erf&lU wer- 
den müssen. 

Dafs man beide zu seilen mit einander verbindet, ist 
grofiienllieUs «n einer gewissen äslhelisohen Eiivieiligkeii 
^uld. Denn die mechanischen IfJi^s iMche hur fi^r 
Regeln Sinn haben, vernachlässigen hmner den ursprüng- 
lichen Gehalt an Originalität und Kraft, und die heftigen 
und regellosen setzen sich heatänd^ über die .^thwendigi^ 
Achtuiig der Teohn^ hina«i8. 

LH. 

Bpiscb« Diebtang. — UnbestiniinUieit des gewöhnlichen Begrilb . 
* dmelben« 

Da^ Herrmann undj^orothea überhaupt genom- 
men »ir; Gattung der c|iisdien Gedichte gehörig ist so o€* 
fenbar, dafii wir es «udb schon doreb.das gmiso hiilierig« 
Ruiäonnement hindurch stillschweigend vorausgesetst haben* 
Niemand kann abläu|pien, dafs es die Darstellung einer 
ilsQdhii^ und swar die duief Handlung von Atem Anfange 
bis zu iJirem Ende ist. Aber von einem epischen Gediehl 
bis zur eigentlichen Epopee ist noch heinah eben so wett« 
als von einem blois irai^sclien |4ir Iragödiei und wir k<Mn* 



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147 



men daher 'erat jetst lu der genaueren Untersuehiing, in 

wie fern es auch diesen letzloren slolzeren Namen verdient? 

Was äslhetische Beurlheiiungen in der Thal schwierig 
machl^ ist der Mangel ToUsUindigen, gar nicht (daa 
wäre cu viel veilangt) allgemeingültigen, al»er nur eonse- 
quenlen, und mit den gerechten Ansprüchen eines echlen 
Kunstsinns zusammenstimmenden Aesthetik, auf deren Ge- 
seUe man sich mit wenigen Worten beziehen könnte. So 
lange man eine solche eiitbehrt, befindet man sich immer 
in der unangenehmen Verlegenheit, die einzelne ßeurlhei- 
lung durch die Entwicklung theoretischer Grundsätze un- 
ierbrechen zu miiasen, und so müssen auch Wir hier der 
Theorie de« epischen Gedichts elae eigne Toilaufige 
Erörterung widmen. Um uns aber durch diese Abschwei- 
fung nicht zu weit von unsrem Gegenstand zu entfernen, 
werden wir uns begnügen , bio& den Begriff desselben iv 
h^tinmien/ und aus demselben nur sdne höciisien an4 
daraus iiaiächst herfliefsenden Gesetee abiuleiten. 

Fast bei keiner andern Diclitungsart ist man so sehr 
tan ^ne genügende Definition verlegen, als bei der epi- 
schen. Die nannigialligen Gattungen en&hlender und be* 
«efaieibender Oedkhte sind so nahe mit einander vcf wandf^ 
und scheinen sich durch so wenig wesentliche Merkmale 
von einander au unterscheiden , dafs es schwer ist , dasje- 
nige zm bestimmen, was die eigentliohe Epopee charakle* 
risiil Diese Sdiwierigiosit wichst noch dädufeh, da6 die 
vorhandenen Miisler dieser Dichiungsart genau genommen 
so wenig mit einander gemein haben, und höchstens blols 
dkoMy dads sie tnsgesammt Erzählungen von Handliingen 
sind; kaum aber nur darin, dafe jedes derselben nach nur 
die Darstellung einer einzigen wiire, mit einander überein- 
kommen. Man hat daher von jeher andre und andre, und 
netsteniheils bJola minder wesenthche Nebenbegrüe» wie 

10* 



148 



s. fi. die Mitwirkung der Götter, den Gebrauch des Wun- 
derbaren, die Nolhwendigkeit heroischer Personen, die sehr 

unbeslimmte Vorstellung der Grölse und Wichligkeil der 
Handlung u. s. L der Deünition mit beigemischt, und da« 
gegen nicht genug dasjenige herausgehoben^ worin eigent- 
lich das Wesen der Epopee besteht, und woraus die wich- 
tigsten Gesetze dieser Dichtungsarl herflieiseu. 

f _ * 

LIU. 

Method« der Alileitaig der TenditodtBen DkshtiiHgMvtea. 

Aber diese Unbestimuilheit,. die wir so. eben rügten, 
war auch auf dem Wege, den man bisher immer emschlug^ 
nicht leicht su vermeiden. Man blieb nendkh immer nur 
bei dem Objecle, bei dem Producte des Dichters stehen, 
und wir haben schon im Vorigen bemerkt, und mit einigen 
Beispielen bewiesen, dad man bei ästhetischen Untmuchun- 
gen sich vielineiir an die Sümmungr seines Geistes und an 
die Natur der Einbildungskraft wenden niufs. 

Besonders aber sollte man sicli . bei verschiednen Gat- 
tungen von Gedichten oder Dichternaturen sehlechterdingii 
i^cfat begnügen, die Erldarungen derselben aus wiildiclwn 
vorhandencu Mustern zu beweisen. Diese Musler selbst 
müssen ja erst nach ihnen geprüft und beurtheilt werden. 
Sie können den Titel, ihrer Rechtmälaigkeit, als eigne 
Gattungen uberhaiifity und al» diese so und so bestimmte 
insbesondre, aus nichts andrem, als aus der Natur der Ein- 
bildungskraft und der versclüedenen Rlogüchkeit dichteri- 
scher Wirkungen ableiten. Denn nor in so lam es der all- 
gemeinen Besdiaffenheit untrer Phantasie nach eine dich- 
terische Stimmung giebt, die von allen andren wesentlich 
verschieden ist, kann derselben eine eigne Gattung entspre«* 
eben, sey es eine eigne Dichtungsart, oder eine eigne DidH 



ui^u\^cö by Googl 



14t 

1 

ter^In^vidttalüftt» je nachdem jetw Stiuimung ein ver* 
wtkMBM, oder nur ^nie (aubioctiv) vcracJaediie Beluuidfauig 
4mmAm Objecto vetioigt. 

Dies also ist die Quelle, zu welcher man immer zu- 
rückkehren mufs. Der Eintheiluiigsgrund alier wesenUich 
veviofaiediien DicfatangsarteD ist allein S/t Natur der dicb- 
leriacJien EmlMlduBgskraft und des allgemeinen Ztulendea 
der Seele, den sie in jeder einzelnen bearbeitet. Die Un- 
tersuchung dieser beiden Stücke, für sich und in ihrer Ver« 
iMndnng, giebt den Charakter jeder woelnen Diefaliingparly. 
die sttbjeclive Stimmung, ana der sie enlatebt, imd 
die sie wiederum hervorbringt, und aus dieaer lafsi sich 
cUe obj ec U V e D efini tiott -ahieiiten. 

UV. 

Allgemeiner Charakter der Epopee. — Aus welcUcr Stimmung der 
Seele da« Bedürfhifs zur epischen Dichtung herflie£st? 

Wenden ivir diese eben beschriebene Methode auf un- 

seni üegeiJiüLand an, so sind die Hauplbestandtheile der 
Wirkung, weiche der epische Dichter hervorbringt, leben- 
dige sinnliche Tbätigkeit^ fortreüseades Interesse «n der: 
Entwicklung der dargestellten Begebenheit, uneigennafzigo- 
Kulie^ und ein weiter und grofser üeberblick über diu Na- 
tur und die i^ienschheit, und ihr gegenseitiges YerhaitoiliB 
gegen einander. . • 

Daher verlangt man objecüv eine wichtige «md meik- 
würdige Handlung, welche eine Masse von Individuen in 
grolse Bewegung setzt, heroische Personen und Tiieiinahme 
höherer Naturen» .wodurch der EinbüdungskraA der nölhi^ 
Schwung ertfaeilt wird, und einen gewissen Umfang 
Plans, innerhalb dessen man duicii eine gewisse I^Ienge 
von Objecto geführt wird» Dm Uharaktenstische der e^ 



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IM 

scheu Dichtung scheint also darin m liegen, ckis sie uns 
iknm Gcynatand auf das lebend^gsie und sinnlielHte 4ir* 
stellt, dafs sie . durch denselben unsem Büek grofre «|yd- 
weile Anssiefaten er9ffiiet| und uns in eiMr leldken Höhe 
über denselben erhält, in der wir nur iheilnehmende Beob-. 
achter sind, ihn seUisi aber immer als etwas Fremdet a»- 
Iser uns ansehen* 

Alles dies nun iriflft in derjenigen SliauBung KusaamieD, 
in welcher sich unser Geiiiülh in dem Zustande ruhiger 
aber lebendiger Bescbauuog befindet-, dieser Zustand ist es, 
daker, 4er .in dem epischen GedkU seine Befriedigung 
such«, und wir dürfen leiglich nni Recht bi^en , durch die 
genauere Untersuchung des&elben unscrm Ziele näher zu 
kommen. 

LV. 

Zustand allgemeiner Bescliaunnp: cnt^<>p;('ngesetzt dem Zustande einer 

bestimiuteii Kmpündung. , 

Ei -gi^ offenbar in dem menschlichen Gemüllie zwei 
Zustände, welche sowohl in iiiicksicht auf ihren Gegen* 
stand, 4ÜS in RüoksiGht auf die Yeräodcnii^en, £e «e in 
UM heryoihiittgen, unter allen am weiteste» von einander 
verschieden sind, und alle übrigen, deren dasselbe fähig ist, 
wie unter zwei greise Classen wisammenordnen: den Zu- 
stand allgemeiner Beschauung, und den -«einer he«*, 
stimmten Empfindung. 

.In dem einen herrscht das Object, in dem andern das 
SubjecL Jener, in seiner grölsestcn Vollkommenheit ge- 
nommen,, entsteht durch .die Verbindung der .talsern Sinne 
mft Unstern Intelkctueiien Vermogei», das mit ihne» darin 
fihereukommt, dafs es sieh von. dem Gegenstände vollkom- 
men, scharf und deutlich absondert» und diesen leUteren 



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151 

blofs in Heziehufig auf ihn selbst, und ohne alle eigennützige 
Ahmekk auf eigenen Gebraneh oder Genula helraciilet IKe-» 
•er entspringt aiift der veriNUidetten Tb&tigkek des Geffthk 
und des Begehruni;sveimü£;ens, und alle Objecle werden 
in demselben auf das eigne Bedürfnifs oder die eigne Nei«^ 
gang belogen. Jener teilet sich in Aüekaicbl auf den 
Gegenstand dnreh ümUmg und TotatitiÜ, in Rftdosiehl auf 
die innere Stinimnn^ dmc Ii liulit^ aus ; wer sich m dem- 
selben beiindet, sucht in der Menge der Objccte durch Be- 
seiriNlnktin^ttdniF.Y«in«i»« lUiid^^ di»^«rilletii«* dM^iadnidueUo 
Faeii eines jed^ inülweii yBriH*»J^'g'NiMfc"»W«*»*"8V^w 
iliiiu iic/icliuiii^cii Wechselwirkung, in ihrem Seyn und 
Wesen iiberhaupl \V irkiichkei V und durvli die i' esii::koit 
ihm I jygrtwei(iybi¥iiiliindttiyin^Pih<§eieiii 4»edingtgrKo|jb. 
wendigkeil. Die Empfindung Itingegon, die inuner tod den 
bestimmten Yerhällnifs ihres Zwecks zu ihrer Begierde aus- 
geht, flieht alle Beschrünkung, kennt nur Einen Ge|;eustaQd, 
wMtaa «ttes andre weichen muk, strebt naeh «nsepliger 
Bnifiedigung, kbt in der M«g|iefakeH» und anohfe bM 
Wirklichkeit. 

In dem Zustande der Beschauung hegt von selbst im- 
nwr olwas AUfaneinea und MenMaehea» da vnaro inftettec^ 
tnelle Natur, die nio räf etwas andres lunaingebcin kann^ 

darin hauptsächlich tbiftig isL Die Eia^ßmimg behält aueh 
dann noch, weua sie durch die praktische Vernunft oder 
die Einhiidunfflkraft nu voMkommner Reinheit gelÜntert ia^ 
wenigstens die Form ibres nt^prtinflyfheo Gbamktenk' Denn 
die Beaiebnng auf das SnbjeOt Ueibt darin »^unlor jeghcher 
Umwandlung, immer dieselbe. ' ' 

Wenn daber die Kunst diese beiden Zustünde dichte* 
iiseb benntseiii will» so bat sie in jedem iweierlei xu ver- 
tilgen ; b dem ersimn: das pros a i s c he Detail der Ton Phan* 
tasie entblöfsten Beobachtung und die Trockenheit der in* 



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m 

UilltiUM Um Ansicht; in dem leUlew. die eigemuilaige 
BeneliiiBg; auf den wiridiolMii BcäU, und die daravA «It- 
stehende Besebrinkuiig des Geganrtiitdfti MHMt J M im 

mufs sie die lebendige Sinnlichkeit , diesem die id e alis che 
Lcichtigl^t der PhanUae cinhauch/RB. 

LVI. 

Besondere Scbilderang jenes allgemeiii betcbaoefldea ZüttMdes, 

Wem wir den Znttand der fieselMNamg als tmuk iie- 

sondren vor demjenigen allgemeinen, in wckhem um libelv* 
haupt die Kenntnifs der Natur aulser uns beschäftigt , her- 
aushebt»!; so ist es, wett er mtk durch awei nur ibes 
genlliiuiiliehe Merfcmaliie Yen allen fifanlidieii mlefaeheidcl 
durch die glekslimfithige Stimmung der 8^Ie, nntwet" 
eher dieselbe, allein durch das allgemeine Interesse des 
Objeets gdeilet» ihre beobachtende Aufmerksamkeit gl^ehr 
m&Gag auf alle Pmkte verUiailt» .mid dmch 4iai Vwamg 
der Ansicht, da wir alsdann jeden Gegenstand, und jede 
Masse von Gegenständen, und so nach und nach das Ganze 
bis ztt ieinen äuiaersten Giemen verfolgen. Daher ist er 
eb«i so sehr von dem Zustande dfer Untersadnnigy in- daia 
wir immer anf einen einsdnen bestimmten Ponki lesgefan, 
und mehr in eine Tiefe eindringen, als uns über eine Fläche 
verbreiten, als von demjenigen Terscliiedsn> wo wir die 
Natur, durch einen Zulill oder einen besltqsniten Zwe^ 
geführt, mir Aeilweise erforschen. 

hl allen djiesen Modificationen sind unsere Sinne auf 
versckiedne Weise gesttnunt^ und dies nnlerseheidet sehen 
der gew^hnÜdie Sprachgebmueh durch «dir bMleutendi 
Ausdrücke. Denn wer gern in der Natur lehtj sie mit kla- 
rem, ruhigem und heitrem Auge überschaut, auf Formen, 
li4nheit.uad UaraMMiie acfalet» dem sehreiben wir Lebendig* 



. ij.i^cd by 



153 

keit des Sinns; dem emsigen Untersucher, der sich seinen 
Weg abnehllieh «114 metho^sch vorher Tmekfaiiei wni 
46b Lücken uasfer KenntnÜt auf eine gewissermaafren ay** 
slemaiische Weise ausfüllt, einen scharfen und ein« 
dringenden Blick; demjenigen endlich, der den sinnli- 
Geoiifii^ oder wentg^tens die VorateUmg deaseUMii in 
der Flwntane fiebt, oder neh an dem Sfh}, der Bewegung, 
der Mannigfalligkeit erfreut, welche immer die Beschäfti- 
gnng der Sinnlichkeit begleiten, Feuer der Sinne 
iadem wir una Itterliei mehr die Materie, ak die Form der 
sinnlichen Objeete, oder doch üe WhrkuDg aller sinnliGlMl 
Thätigkeit fH>eriuiupt auf die Empfindung denken. In der 
That mahlt auch in Naturen^ zu deren Charakter einer die^ 
acr Zustände wesentlich gehört, schon der Ausdruck 4/im 
Auges diese Yeiechiedenheit auf dne, ihren Beseicfanungen 
sehr analoge Wdae ; wie jeder sich leicht überzeugen wird, 
der sich auch nur Einmal den nihigen, klaren, männlich 
festen und prüfenden Bück des blöken Beobachters mit 
ilem scharfen, durchdringenden; unruhig suchenden des ei* 
gentfichen Forschers, und beide mit dem feurigen, glSnsen- 
den und bewegliehen des sinnlichen Menschen verglichen 
itt habeil erinnert* 

ParteiJosigkeitund Allgemeinheit smd daher die 
Merkmahle, weiche jmen Zustand der Beaehauung Tor al« 
Jen andern, üim ahnhchen charakterisiren ; und durch beide 
erhebt er sich zu den höchsten und besten, in weldien der 
Mensch sich befinden kann. Denn da unsre Thfiligkeit in 
demselben wedeir auf an BedMnft, noch auf eine emsefaie 
Absicht bezogen wird, so ist sie von aller Bedingung, die 
nicht unmittelbar in ihr selbst läge, frei, eine reine Anwen* 
dung aller derjenigen unsrer Kräfte, weiche der Objectivi- 
tü, d. b. der Vorstdfung äu&rer Gegenstände, fähig sind, 
aul das Ganze der Nalur. 



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154 



Auf diese Weise bcsiimml, kann tlieseibe eigeiUlich 
uicbl mehr, als zwei verschiedene Gegenstände habe», die 
pbysitche und dw mondiMhe W«U| ^ JNfttur und ät^ 
MenfdifaeHl; und aaf beide «ngewaMlt, briagl iie Emk W»- 
senschaflen, die Nalurbeschruibuiii; und die Geschichte 2U 
Ötaude. Denn der Geschichtschreiber, der sehr wohl von 
dem GeeofaiGlitsfociclier und dem bloieen £nihier gcecfaehe- 
uut ßegebenheiten tu unlerKheideii iet, nrafii^ gerade wi» 
wir es in jeiiern Zustande schildeilen, das Ganze seines 
SiQSiB überseilen, alle Verbindungen desselben auisudbeB, 
wmierforl luiparieüsch vop ibm lUelelifty «nd §at eUe omni» 
nigfaltigen meiisefalkiieii Empfindungen und . Lagen Ittui 
haben, um jede, die er vor sich erblickt, in ihrer £igeu- 
tbüudichkeit 2U verstehen. 

r * 

Lvn. 

Y«rbimiung des Zustandes allgemeiner Bescliauung mit der Thätigkeit 
der dicht^rkclieji Kiubildungskraft — finUt^Uiuig des eyj^i^cbeji 

Gedichts. 

Wenn nun die dichterisch gestimmte Einbildungskraft 
einen solchen, so wesentlich von allen anderen unlerschie* 
ienmUf so bestimmt charaklerisirtan ZustamI in der ßeele . 
vorfindet, so kann sie nicht andiersi ab venneben, diesem 
in ihrem Gebiet eme entsprechende boini zu scbaffenj und 
dieser Versuch ist es, durch welchen dars epische Ge« 
dicbt entsieht - Denn wir dürfisn uns nur vorsteUen^- wns 
die Ktinsl aus diesem Zustande, wenn sie sieh desselbtB 
ganz Utk] einzig bcmeisterl, machen kann, um sogleich auf 
aUe wesentliche Destandtlieiie der Epopee zn kommen. 

Objectivitäty Farteiiosigkeit und Umfang der Ansicht 
wafen die Hauptmerkmahle jener beschaueniden Stimmung 
unsres Gemülhs. 80 lange dasselbe es aber biois mit wirk» 



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ttS 

Utimn Gegenständen zu thun hat; fühlt es immer einen 
rtwufmihon 4m «ima in RikUdil anC mime i»- 

teH0clnrikiil dal» er ni« alfe Seilm mims OI|ecls Obtr^ 

sehen, nie alle Verbindungen tlaran auffinden, es nie als 
«D nur durch sich selbst bestehendas, von aUm wdreu 
«••bhängigea Gankts betraditan kann — Aen wadxm m 
RflaUiebl auf die SiimlielikaH — Mb wallt aUcin die Beatn 
achtung iimnuiloii Lücken liifst, welche nur der Versland 
durch Schlüsse ausfüUea kann, sondern dals auch die Ver* 
bindvig des Gammi immer mar auf einem Zusammeiüiaaf 
Bach Begnfien, niehi auf akmliciier Blnlieil beraht 

Diesen beiden Mängeln hilft die dichterische Einbil- 
dungskraft auF einmal ab, indem sie den Gegenstand, ika 
ai^eich dar .Wirkliefakcifc und dem Befps^ eoieieheod, a« 
einem idcafieeke» Gaaaeti macht Da mm niehts mehr 
übrig blcilicn kann, was nicht durcliüus sinnlich wäre, und 
nichts m^r, was nicht, als Theil des Ganzen, mit aUem 
Ueheigen in Verbmdmig alände: a6 findei jene beeehaaende ' 
GemaihestomuDg nirgends so sehr, ab in #ir, ihre vett^ 
kommnc und genügende Befriedigung. 

Die höchste Objectivität fordert die lebendigste tSinn- 
liahkeit» «id jene Allgemeinheit der üebersieht ist mwvltg^ 
lidi, ^Rnenn man^ skli nicfal au einer gewissen HMie üher 
seineu (jegtnsland erhebt, und ihn von da aus gleichsam 
beherrscht. Daher sind die beiden Hauplbcslandliieiie in 
dem Begriff der Epepee: Handlung und ßraühtung. 
Nur wo Handlung is^ ist aAeb Laben nnd Bewegung, und 
durcli Erzählung, dadurch dafs der, auf welchen eiiigcw ii kt 
werden soll, nur Zuhörer, nicht Zuschauer ist, wird der 
Gegenstand unmitteUiar vor - den Sinnr und den Verstand 
gebraeht), wni- kann die Empfindung nuraret, wenn er durch 
dies Gebiet hindurchgegangen isl, berühren. 

Der Begrill der Handlung ist dem e|iischen Gcdichi 



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156 



80 wesentlich, dals wir noch einen Augenblick bei demsel« 
hen verweilen müssen. Er ist auf der einen Seite dem ei« 
Bet bioltcn Zutlandes» «til der audtm dem einer Begi»» 
benheil entgegengesetet Die blelse Beschreiliiuig eiaee 
Gegenstandes hat immer etwas Kaltes und Einförmiges; da 
bei üir der Stoil ohoc alle Bewegung ist, so kann sie diese 
mar durch die Beheadiang eriialAea. . Aber ^ hktimSM 
#egung afiein iti- neck- bei wMfen mdA hinrniiihiii^i'Wti 
das hüclisle L ben und die höchste Sinnlichkeit gefordert 
'wird, da muls man eine bestimmte Ki'aft in Thatigkeil er- 
bJicken; da imifs Sirebea aa«^ einem beelianvli^^^ 
verbandea teya^niae anec^lir 4eB gelingiiniUiii iij||li>fc| 
schlagenden Erfolg im Voraus besorgt macht. Dies ist es, 
was dem Begriii der Begebeiiheit mapgeU. Schon der un>^ 
persfokehe Auedruck des Begebene kCndigt aam ittelba r 
einen Vorfafl an, der niebl durdi Eine, wenigsteae aiebft 
durch eine bekannte Ursache, sondern mehr durch Zufall, 
durch das Zusammenkooimen vieler, einzeln nicht bemerk- 
barer Umstände bewirkt worden isl. Nicht allein nun dafi» 
die £rtahluDg eiaes aolefaea EreignisBes nicht das Lebaa» 
die sinnliche Bewegung der Erzählung einer wirklichen 
Handlung besitzen kann; so ist sie auch nicht, wie diese, 
tbna gleich diditerischea Eiakleidung fSHu^ Um die Ein« 
Mt henreriabringea, welche der Kunst allMnal dgen iet, 
mufs in dem Stoff selbst schon eine gewisse Anlage be- 
findlich seyn, für sich ein abgesondertes Ganzes zu bilden; 
weugptena, muis derselbe eine beslimmie Kraft in skk ent» 
ballen, deren Richluagen der-Dicbler verfeigea kann. 

Daher kommt es, dais der Komnn, der immer Bege- 
benheiten darstellt, ob er gleich in Absicht seines Umfange 
und der Verknüpfung seiaer Theile xum-Ganaea eine un- 
verkennbare Aehaliohfcttt imt dem^ epischen Gedidit an sich 
tragt, dennoch so wesentlich von demselben verschieden 



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m 

IbI, ialK 4« «if Mchsten ^ufe alfer HwmtiUBAm 

FoMe sieht, c£» von ilini Aocii miauigviiuMihl isly ob er mir 

iiberlinupl ein wahres Gedicht und cia reines Kunstwerk 
genannt werden kann Wenigstens wird man nicht lait 

li>e4oiiki> et» mk dei»NW4«entlkiMp^ Bedingung jedoi,^ 

diclib, mit einer rhythmischen Einkleiduns^, schlechterdings 
«Hirei^äglich ist, und eiii Komd^.in V«r^xei];^;.^g%- 
- ^ WeNefc kfe ßm^ghutr^wif^mHMh Jff wtff o ft i ff di^tsgy»- 

pee zu verfehlen, als wenn man die Nolhwendigkeit der 
Handlung in ihr ablöugnel, und üu statt derselben ßfl§e- 
bosheiiflii Hfttenehieiieii will 

Wie mm «bor dieee Hamiking und die EriaUoiig der- 
selben so individualisirt, dals sie die Epopee vor allen übri- 
gen Gattungen erzählender Gedichte in ihrer Eigenthümlich- 
kmi beaeidmen, ist die Natur jener beschauendea 
Stimmung des Gemütha. md der dichte riaehen 
Einbildungskraft, und die Weehaelwirkung, in 
welche beide hier mit einander treten. Diese drei »^iück^ 
haben wir daher noeh besoodara au uoteiauehen. 

Lvm. 

Eigenschaften des Zustandes allgemeiner Bescliauang. 

Wenn der Kilnatler die.inmre Harmenae die Gemütha 
nicht durch liGMdinge atilren wiU, ae darf er smen Ge- 
genstand auf keine andre, als auf eine, der Stimmung, auf 
die er überhaupt hinarbeitet, analoge Weise behandehi» 
Dfeae mm iat hei dem epiachen Gedieh! der Zualand Jcbh 
rer, ruhiger, aber ahmlicher BelaadituBg. Je aimilicher die« 
selbe ist (und davon liängt dodi ihr künstlerischer Werth 
al^ desto mehr mufa. sie Leben; Bewcgwig wA HaflMfamg 



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15» 

«adwii; aber indtem flie anTfler sidi TlMgfcdt m sdieii 
veriangt, kann rie k«me andere lordem, als die,'welciie in 

üir, zugleich neben ihr selbst, ohne sie zu zerstören, beste- 
hen könnte. Es miifs daher eine solche seyn, die entwe- 
der Aber die ihr im Wege liegenden Hindernsae den Sieg 
wkä^ oder sich wenigstens, wenn sie audi nnleiliegly nielill 
in allem ihrem Beginnen gehemmt, sondern nur eine andre 
Rtditung zu nehmen genöthigt fühlt. Der Kampf, in wei- 
diem der episdie Diehter den Menaehen mH dem Sdaek^ 
sei seigt, und ohne den es me eine greise ainnlielie Bewe- 
gung giebl, mufs sich in Sieg, oder in Frieden und Veh- 
söhnung, nicht in Niederlage und Verzweiflung endigen. 
Denn sonst wird die Ruhe aufgehoben, weiche die erste 
Bedingung jenes refai besehauMiden Zntandes ist; des ogne 
Gemülh niiiHiiL einen überwiegenden AnÜieil, wir steigen 
von der Höiie herab, die uns über unserm Gegenstand er- 
halten sdlte^ imd mischen uns sdbst ab Theihiehmer im- 
ter ^ Inndehiden PerseeMm. 

Allein wenn der epische Dichter sieh hüten mufs, jene 
Kuhe zu zerslüreu, so mufs er sich noch mehr in Acht 
nehmen, sie gar mcht in Gefahr nn bringen. Denn gerade 
fieselbe energisch su maehen, aus der Verbindung dersel- 
ben mit lebendiger ThStsgkeit mSmifichen Muth hervorgefan 
zu lassen, ist er vorzugsweise vor allen andren bestimmt. 
Was wir vorhin sagten, braucht er daher nur im Gänsen 
tu emiefaen; im fiiiuehien kann er seme Leser erschüt* 
ieni, wie stark und nidi er will an den Abgrund der Fnreht 
und des Entsetzens fähren; vielmehr, je besser er dies zu 
thuA venteht, desto stärker ist seine letzte endliche Wir- 
kung. '6eine Kunst, das Geoaiith au beruhigen^ mufii ei- 
gentKch die seyn, es mannigfaltig genug m erSchottern, 
es von einer Bewegung zur andern zu fahren, eine Km- 
pfadimc duroh die andre su modüiciren, und so jede ein- 



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IM 

■eine m bkdM, mcU dea Gemitfa» aiissfibüeÜBtich m iio«> 

Aus der Totalität sdner Darstellung muls die RbIm» 
er bewirkt, hervorgehn, und tliese Tolalilal ist also das 
zweii« Ecfofdernifs seiner GalloDg. Wir haben schon im 
Am6m%9 dieser littite gaseben, di^ jeder Didiler über* 
hm^ motixwm^g koner, sohaid er nur rein and aUein anf 
die Einbildungskraft einwirkt, eine gc\v)sse Tolalitiit erreicht, 
indem er uns nemiich seine Gegenstände in eine Weit lüu- 
ftbMrlfäg^aB weidnr« sie daa fiaaeitiga ind AusecUiettehe 
«erHerssy das sie in der WidcKeUieifc eoWeUt AUein der 
epische Dichter braiicIiL diese Eigeiiscliaft noch in einem 
andren vUod engeren Sinn. Er muis uosera Blick wirklich 
an vvA nrnfiMsead- «d aUgenkni^ als nar iaiaser awgtiaih 
nuKiisn, ün imner aof die gao^ l^ag^ der MenacIdMit in 
der ISalur richten. Indefs kommt es auch bei ihm nicht 
darauf an, wie groik gerade der ^^ejs von Gegeusländen 
9Bf, den er imManft, aebald.ar nur die fiitomung htt- 
vmMrn^ A wir aben Waehriebdi Jiabett: die Stinttnauag^ 
in der wir für alle Objecte offen sind, für alle Sinn haben, 
und durch ein überwiegendes und aÜ^jemeioes Interesse zur 
i>ioisea Betrachtung binyangen werden^- Denn in dieser 
Winwnng faeirsciitö von seliiat die Kcafte, wafaho ihubiIp 
telbar für sich Totalität mit sieh führen. . > ' 

LtX. 

Bigemchaftea dw ^^ickteDielieB Biakildiuiapkfliil ia BMiehniig asf . 

jenen Znstaad. 

Dm diditerisciie fiinfattdua^iknia liat dem SM den 
ap iwi icn IKehler», an ihn in aeiner gann» Slirke wiilM 
an lassen, swei Eigenschaften mitzutheilen: Sinnlichkeit 
und Einheit. Beide, werden in denjenigen Mpdifitfatianfini 



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MO 

die sie zu episclier Siaalidikeii und epischer Einheit ma- 
chen, durch den aUgemeinen Gdet dieeer Diefaf — ger». be- 
atinint 

Dieser besieht darin, dem Zuhörer die Weit kl ihrem 
ganzen Zuaaminenhange vor die Augen zu legen, in ihm 
•Ueiii aeine hee chimo fe n iürüle hcmclieDd lu firiwiHin, 
iKeeelhtm aber lu der höchsten Stitrfce und lu , velHrnmme 
ner Harmonie anzuspannen, und dies alles endlich allein 
durch die EinbÜdungskrait aussuükhren. Er hat daher nur 
Gealalt and Bewegnng an aueben, darf akk nieht «mm! 
begnügen, nur lÜa eine oder dia andre» B a ndan i om^b laa^ 
mer beide mit einander vereint, lauter bewegte Gestallen 
aufsteilen , mula immer allein für das Auge und den Sinn 

§en HM iSpiel aiabl, dncb ibra Wirkung «unarjaMniHaMpl* 

eindruck unterordnen. 

Aber das Auge wiU nicht blofe durch bestimmte For* 
■Mn» dnrab aarglakig gewridmala Unuisia f^f% ^eleila^ 
aa will aneh balebl wefdea. fir nnifr dabar dBa Tknekan- 
heit einer blofsen Zeichnung vermeiden, Licht und Schat- 
ten, Farben, mit Einem Wort Colorit suchen, aber diea 
Calatii wieder nnr der Kigmthwnbfihkcit aaner GaUung 
gamtta gabranchan. Dar Sinn» wann er apiieb gaeHwimt 
ist, lebt in der freien, heitren Natur; der epische Dichter 
kann also nie genug Licht, genug Sonne, nie eine hiniäng- 
bebe FüUa von Gestalten, nie genug lebendige Bewegung 
darealban» nie g<»iug reiche und mannigfaltige Farbangaboag 
erlangen. Aber mitten in diesem üppigsten Reichthum mufii 
nicht nur überhaupt die Form, sondern in ihm selbst auch 
dmcl^ängige Uacmonia banaoban; ein Tani nnila den an- 
dern rniUem; kamar mak aicb ecbraiand bervordiingan ; 
die Sinne müssen ergötzt, aber nicht in verwirrendem Tan* 
mel mit fortgerissen werden. Der e^iaciie Dichter hat da- 



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161 



her «Um Buate mA Sdamtde, «ttm Greifte imd Contmti» 
rMde m venaeideB. 

Aliein dies, wovon wir bis jetzt redeten, sind nur erst 
die einzelnen Züge zu seinem Gemähide; die groise Kunst 
besieht darin, dies Gemähide selbst sosenuiieintuetMQ. 
ifiedb« ladefr • btanclieii wir nefal weiter nt ▼erweHen. 
IMeee Kunst ist eben das, wenril wir uns in dem ersten 
Theil dieses Aufsatzes so auäfiilirlicli beschUAigt haben, die 
reine Objectivität, die den Gegenstand in seiner ganxen 
baldigen Gestalt vor «ne binetelit Wir haben gesehen, 
dali - dieselbe verzüglich, dordi die nmartertroehene Stetig- 
keit der Umrisse bewirkt wird, und das Gesetz dieser Ste- 
tigkeit ist daher dem epischen Dichter ^mehr als irgend ei- 
nem andern vorgeschrieben. 

* Der blofe'ond ruhig beschauende Sinn ist nie, da er 
nie von einer einzelnen Absiclil, noch einer einzelnen Em- 
pfindung 'ausgeht, auf Einen Gegenstand ausschliefsend ge- 
heftet; er schweift immer auf andre, immer auf alles ttber, 
was er zugleich vor sich erblickt^ sucht immer eine Menge 
von Objecten, oder, wenn er in seiner besten Stimmung 
ist, immer ein Ganzes derselben. Das Weri^ des epischen 
Didileffs muls daher^ indem es bestimmt ist» auf die ganne 
Natur eine freie Aussicht so öfinen,- eine Men^e von Ob» 
jectcn, eine Mannigfaltigkeit einzelner Gruppen umfassen, 
und in diesen mufs nun jede Gestalt in ihren einzelnen 
Theilen, jede Gru^e in ihren einzelnen Gestalten, endlich 
das Ganse in seinen einzehen Gmj^pen dureh ntrgends uih 
terbrochene Umrisse eine eimigeFerm bilden. Aber diese 
Stetigkeit wird auch noch aufserdem durch die erforder- 
liche Bewegmig nothweodig* Denn jede Unterbrechung 
deraelben würde eben so gut inn^ StiHstsid in dieser, alt 
eine LSehe in der Gestalt seyn. 

Jedes epische Gedicht mufs daher am Knde eine voll- 

IV. 11 



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162 

kommene Einheil aufslellen ; und da dies keine Einheit nach 
Begriffen (wie in der Naturbescfarmbung und Geachicfaie) 
seyn dacf, «o tuak es «n» Einlbeil der GfilaU und der 
Handlung seyn. Es darf daher nicht mehr als Eine Han- 
dlung, und muis diese als ein sinnliches, durch sich aliein 
volliUiBdig«09 von «ufiwr aieb BBabhüngigfs Ganses 
Mbttdemi. 

Wie Siek dBe epische Einheit noeh h^onders ym der 
Einheit andrer Dichlungsarteu unterscheidet, ilies können 
wir bequemer in der Folge entwickela, als hier, wo wir 
ea noch niebl avwoU mü den GeaelaeQ» ab nur mii da« 
Begriff das apiadien Gadidita au Uiun haban. 

LX. 

In der Vprfiindnng: <!<'» Zitstandes allfremeiner Besclianung und <\er 
HichtPriscIiPn l.inhildunj^skraft treten der Form nach gleicliartige Ei- 
genschaften iJ>it tinunüer in Wechseiwirknng. — Eintlu£g, weldien 
di<», auf die epische Stimmung ausübt. 

Wenn, wie wir im Vorigen gezeigt haben, jede eigne 
Dichtungsart dadurch entsteht, dafs sich in dem niensch- 
liehen Geoiölh dne eigne Stiatnming vorfiodeii deraa aiek 
Hör die dichtarisehe Einbildungskraft au ihrem Gebraiidie 
bedient (obgleich in dem Augenblick, wo dies geschieht, 
immer sie es ist, weldie dieselbe hervorruft), so kann das 
ToUe Wesen derselben nioht anders, als durdi die Ver- 
bindung dieaar beiden filemanta nditbar wavden. 

■ 

Wir hoben jetzt in Rücksicht auf £e Epopee beide: 
die beschauende Stimmung des Gemülha und die auf sie 
beaogona Einbildungskraft, «naaln uAlaraudil; Die erakam 
Beidmete sieh düreh ObjecaviUU, durdi Telalilai und dui^ 
Einheit, die aber freilieh ehie fimheit nadi Begriffen war, 
aus; die letztere trug im Ganzen denselben Charakter an 



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m 



«ch, Mdi ^MÜMUit, «ttch Totalität, auch Einheit, Dtir 
aber eine annlidiey un^ nur aUe diese fii|peiMcliafleii, d« 
sie es nicht mit der, inuiwr m mek beteliiäiiklen und uns 

nie ganz irersländlichen Wuküehkcit zu Üiua hat« in' grö- 
isercr Vollkommenheit und Reinheit. 

Da ^ako die EiafailduBgsknili him mte Stiiiiwig da» 
Gonfilks -bearMlel, itt thrar eigiien Natur tchon von oallMl 

nahe kommt, so ist es nalürJich , <icirs alle jene Eieenschaf- 
len in doppelter Stärke auflretea müssen; aber das Wicb- 
ttgpte ist dabei dasy was gerade aus dem Umstände selbst 
entspringt, dafs sie sich an einm, ihr selbst der Form 
nach ähnlichen Stoff versucht. Da von dieser Seite 
ganz und gar kein Mifsklang entstehen kann, so hat si^ 
indem sie ihre Fotm gellend macht» keine Schwierigkeit xu 
bekämpfen, keinen Streit lu sehlichten, keinen Widersprudi 
aufzulüsen. Es iiauSs also von allen Seilen Ruhe her- 
vorgehn: 

1) ans dec Parteüeeigkeit, welche jeder ble£i betraeh* 
tettden Stunranng eigen ist-, 

2) aus der Idealität und der Einheit der Kunst; 

' . ^ endlich aus der Anwendung der Jiunst auf jene 
iSlimmungy ab einen ihr ähiMiehen Stofl. 

Aber in Rücksiefat der Materie ist diese Aehalichkeit 
nicht in gleichem Grade vorhattden, da die heschauende 
•Stifouiung vermöge des darin zugleich herrschenden intel« 
kcfcneUen VermSfens nieht durchaus sinnlieb, und durah 
ibre Uola abjeolive ParlaUoaigkett und AUgemdnheiC ga» 
wisser Ma&en kalt und troeken ist. Die Eünlnklungskraft 
muia demseiljen also von ihrer 6mnhchkeil und ihrem Feuer 
Isihan, und sich daher zu einer Kraft stimmen, wekhe niciit 
dar rüilageQ ynd fnnshlbareii glaiabt, mit dar HindaniiaBe 
MtSrnpft, aovdtrn der waUtbäligan und üppigen, mit der 

Ii* 



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IM 

naies Dasejn hervorgebracht» oder schon vorhaadaM gOr 
BiSrkt'aiid gotUOirt wird. 

Die Tolie imd ruhige Krafk isi woldie 4m Le- 
ben erhält und erhöht. Denn sie kann nicht aus Armath 
erschöpft, und niclit durch Widerstand aufgerieben werden. 
Keinem andren Dichlor kann man daher mit fteoht ip viel 
Lehen suichreihen, alt dem epischen; und wo finde mmi 
auch wohl ein hölieres, regeres, sinnlicheres, als in der 
lEas und Odyssee? 

LXL 

Weitere 8cbild«rang einer rein epischen Stimmung. 

So wie del* epische Dichter von dem httehalan Loben 
beeeeh isi, so mahH er auch eigentlich die ganie Dauer 

<!esselbcn, da hingegen der lyrische (um unter diesem Na- 
men alles zusammenzufassen, was jenem entgegensteht) nur 
eiDzelne Zustände sohiidert Denn er allein' bringjt eine 
Stimmung hervor, weiche durch das ganze Leben fort" 

dauern kann. 

Wie wir es in unsrer eignen Erfalirung wirklich, aber 
nur dann antreffen, wann wir eine längere Zeit in miave 
: Erinnerung suruckrufen, so giebt es murer Empfindung 
immer neue ModiHcationcii, lüfst dieselben durch die leise- 
sten Uebergänge aufeinander folgen, und versteht die Kunst, 
uns die ganse Tonleiter des Gefühls von Saite cu Smio 
dmrchzuführen, abstechende Töne- durch Zwischenldne m 
mildern, erschütternde allmälig vorzubci eilen und ruhig ver- 
hallen £u lassen. Sowohl objectiv in seinem Gegenstande, 
als aubjecliv in unsrer Einbildungskraft und Empfindmig 
bringt er eine oteligo mid iinunterhiodien auaammenhäii- 
gende Folge hervor. Wenn der lyrische und tragische 
Dichter (welche in so fern in Eine Classe gehören) uns 



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oft slofeweise führen > lUMt uns zulelzt piöUÜeh 4iBf eiii«r 
•tetteB Hdhe verlai86n; «o jarehlägft «r 4^ gamanKreisr« 
lauf, sowohl objedhran det Lebens, alg den «iljedivcii 

der Empfindung:, mil uns. Denn er wüi nicht durch Einen 
plötzlichen und enUcheidenden 5treich Rührung und £r- 
BobiMeniag, aondoni dureh EkeamA und TntaÜlftl de« 
GaiiMn Efhebong und Ruhe bewirken. Wes- dso dlie Le- 
ben als eine 1 oli;e , und eine Folge mannigfaltiger Ereig- 
nisse, als em Ganzes charakterisirt, dies findet man iu ihm 
ToUsfeändig» aber in einer • einsigen Handlung dargestellt^ 
wieder. 

Line entschiedene lüchtung zur epischen Dichtkunst 
kann daher niemand, als demjenigen eigen seyn, der lieber 
in der äuüsem Wirklichkeit, ak abgesondert und surückge- 
lOgm in «eh lebt, der eieh mehr mit dem wirklichen sinn- 
Hchen Daseyn der Dinge, als mil dem abgezogenen Ge- 
danken und der von aller untnitlelbaren sinnlichen Gültig- 
k»i e n t b lößten Empfindung beschädigt; und wiederum« wer 
hierzu «neu entschiedeneh Hang hat, und damit dichteri- 
sches Genie verbindet, dessen Hichtung konn nicht anders, 
als gleichfcdis entschieden episch genannt werden. Dadurch 
begreift, man noch besser, wie sich in dem epischen Ge- 
bebt auf einmal alles vereinigt, woraus die klarste Objec- 
trrität, die lebendigste Sinnlichkeit, der tliäligste Math, die 
gröfsesle Fülle der Kraft, die allgeiueinsle Harmonie her- 
vorgeht, und wie sich diese Gattung nothwendig ^auf den 
tJmlsng der Welt und die Dauer des ganxen Lebena. aus- 
dehnt Denn die auf Einen bestimmten Punkt gerichtete 
Empfindung (um die Natur der epischen Slinimung an der- 
jenigen, die ihr geradezu entgegengesetzt ist, zu^ aeigen) ist 
immer ein Zustand der Spannung und Anstrengung, der 
aiebt andein^ als nur Momente lang wäu-en kann. 

Wenn man das epische Gedicht seines dichterischen 



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IM 



Gewandes entkleidet, so bleibt dasjenige übhg, was die 
GcfdiMite in ihrer f^eistvolbten Behandlapg, md die N*> 
lurbeechreibttng in ihrer grSlsteii AUgenicinlieit gewülut — 

ein vollkommner üeberbiick über die Menschheit und die 
Natur in ihrer Verbindung. Der wesentliche Lnlerschied 
liegt nur in dem> wes ein reines . Werk der EinUldongs*- 
kmft ist, darin nemlich, dafe der Dichter, um sü ^nem so 

allgeaiciiicn Ueberbück zu führen, lüchl, wie jene, wirklich 
der ganzen Vollständigkeit der Objecte bedarf, sondern ei»» 
nen subjectiven Weg kennt, aach ▼ermiUelst eines einiigeii' 
Objecis gerade dasselbe und in der That noch mehr lo lei» 
slen, da er das Gcmülh in eine gleichsam unendliche Stim- 
mung versetat, in der sie über jede, möglicherweise gege- 
bne Anzahl von Objecten hinausgeht Unter allen Dieh^ 
t»m steht daher der episdie auf dem hödisten Standpunet, 
und geniefst der weitesten Aussicht , und jmler allen Dich* 
tungsarten ist die epische am meisten fähig, den Menschen 
mit dem Leben au vemShnen, und ihn für das Lel>en taug-.. 
Üch' Btt machen. 

Zugleich aber kommt keine andre Dichtungsart dem 
einfachsten und remslen begriff der Kunst, der bildüchea 
Darstellung der Natur> so nahe, und verbindet damit so 
vollkommen auch den eigenthunüichen Vorsug der DichW 
honst, die Schilderung der Folge der Erscheinungen und 
der Innern iSalur der Gegenstände. Mehr als irgend eine 
andre giebt sie augleieh der. Musik Gestalt, und den bil- 
deaden Künsten Bewegung und Sprache. 

Aber «Sese Bewegung ist isuner nur in dem €regen- 
stande, sie reiist nicht auch zugleich den Dichter und den 
Leser mit sieh fort. Daher ist die Stimmung in betdea 
immer mehr verweilend, mehr bildend; da hingegen der 
lyrische Dichter noch in einem bttchstäblicheren Sinn, ala 
in welchem Pindar diese Worte braucht, von sich aus- 



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UT 

Kern Mdoer bift idi! 

Nkht riiWc logenid neui Wirk 

«nf welteftden Fulsgoirtell; 

Bdii! nrft vollen Segeln, 

«tf eilendem Nachen 

wallet mein Lied dahin I 

Denn in der That folgt er selbst dem Wirbel der Empfin» 

dung, tien er schildert, und eill, statt bei einzelnen zu ver- 
weilen, iaimer von ,6ild zu Bild, von Emptindung zu Km» 
p&uiiing fort Der epische Biditer hält «liee, das, woresi 
er echon vorüberge gangen ist, und das, woiu er eben erst 
gelangt, zugleich iesl, und vereiijii;t es in Ein Gianzes, der 
lyrische bewahrt das, was er hiüler sich zurücklafst, nur 
noch -in der Wirkwig aiif> die es aiif daü iimäohai Fol*- 
gende «uaübi 

LAU. 

* I 

DeiuütioB der Epope«. 

\\u glauben jetzt die Stimmung, aus welcher die Epo- 
pee entsteht, und die sie hervorbringt, hinlänglich geschil- 
dert SU haben; es bJeibl uns jeUt nur noch übrig, daraus 
eme objective Definition derselben ausamnienxusetzen. ^ 

Aber darin gerade liegt eine nicht geringe Schwierig- 
keit Zwar ist es oifenbar, da£s die Epopee die dichteri- 
sche Darstellung einer Handlung durch £nählung ist, auch 
könnte man noch leicht die Bestimmung hinsufilgen, dalis 
die Handlung als ein «innliches, liir steh selbst bestehendes, 
von aliem aulser sich unabliangiges Ganzes gesciiildert seyn 
mufo, wenn dies nicht von selbst achon in den Worten: 
diehterisehe Darstellung, enthalten ¥rMre. 

Aber immer fehlt noeh gerade dasjenige darin, was die 
epische Stimmung eigenlhümlich charakterisirt, das rein 



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168 



DarsteUende, die TolafilSty die Frdhdt von dem Ueberge- 

wicht einer einzelnen, alleinherrschenderi Ein])lindiing. Alle 
diese Eigenschaften sind au£s höchste nur dunkel in dem 
einiigeii Ausdruck: Ersählung^ «ithallen; und seUiat wemi 
man sich damit begnügen wollle, to ist daa epische Ge- 
dicht dadurch wohl von der Idylle und der Tragödie, noch 
gar nicht aber von allen übrigen poetischen fj^nählungea 
abgeMndert 

Jenen ^genllieh epischen C%arakler durdi objective 

nähere Bestimmungen der epischen Haiidlunc: und der epi- 
schen Erziihiung auszudrücken, scheint unmögiicL Denn 
die lelatere hai ia diesor Hinsicht nicht, was sich einselii 
ida eine objective Eigenschaft angeben fiefse; und bei der 
crsteren kommt es nicht sowohl aui die Art ( dn wir baid 
seilen werden, dais man jede, sogar mnc entschieden tragi* 
ache, benutaen kann), als allein auf die Behandlung an. Es 
bleibt also nichts übrig, ab die eigenUiümliche aubjective 
Wirkung eben so in die Deiinition des epischen Gedichts 
mit aufzunehmen, als man dieselbe in der Deiinilion der 
Tragödie in der Erregung der Furcht und des Mitleids 
adion lange zu sehen gewohnt isL 

Hiernach könnte man daher das epische Gedicht als 
eine solche dichterische Darstellung einer Hand- 
lung durch Eraählung definuren^ welche (nicht be- 
stimmt^ einseitig eine gewisse Empfindung zu erregen) un* 
ser Gemüth in denZustand der lebendigsten und 
allgemeinsten sinnlichen Betrachtung versetzt 
Denn mm braucht van nur diesen Zustand genau in 
entwickeln, um, sogleich lu allen jenen wesentlichen Eigan- 
schaften der Epopee: der reinen Objectivität, der lebendi- 
gen Sinnlichkeit, der vollkommenen Totalität, und der Ab- 
wesenheit aller soIcJier Parteilichkeit^ welche die Freiheit 
4er Ansicht verhinderte^ von selbal an- gelangen. 



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IM 

• Dkl Uaupimerkmahle in dieser DefiDiüou siod, wie man 
kiebi gewahr ¥fird, dar Bagiiff der Uandluog und der 
Ersihlung. VorzOglicli ist der ielitere iviclitig^ vm welr 
chem auch die ganze Gattung ihren Namen erhallen hat 
Streng genommen häUe man aus diesem zugleich ihr gan- 
«ea. WeacD ableiten kdmien. , Denn wat nur enählt wird, 
das- wird schon dadurch yon sdbat in eine gewisae Feme 
gestellt; das kann daher nicht so unmittelbar auf ^e Em«* 
plindung einwirken; das wird mehr in das Gebiet des Ver- 
standes und der blolsen Betrachtung gesogen; das sieh! 
man daher nni gröberer Unparteilichkat, mii mehr Ruhe 
an ; da\m kann man endlich, da es ein abgesondertes Gan- 
ges für sich ausmaclil, mehr Verbindung, mehr Totalität 
aiitochen. AUein es hätte wilikührlich scheinen können, 
ao viel aus einem ainsigen Begriff absulatan» und auf alle 
FSUe war es methodischer, auf allgemeine Quelle aller 
ästhetischen Wildungen , ;ui{ die Natur des Gemülhs und 
der Einbildungskraft, zurückzugehen. 

Lvm. 

Üntenchied zwiacben der Kpopee und der TiagÖdie. 

Unter den ülirigen Diditungsarten giebt es vorsüglich 
drei, welche leichl mit der Ep<^e verwechseli werden köiH 

nen: die Tragödie, die mit derselben im Begriff der 
Handlung, die Idylle, die damit im Begriff der Krzäh- 
Iung> und die ganxe übrige Classe erxählender, aber 
nicht epischer Gelohte, die in beiden mit ihr xusammen* 
kommen. 

Die Tragödie hat man, wenigstens eine lange Zeit 
hindurchi für so nahe mit ihr verwandt gehalten , dafe man 
sie zum Theil sogar eine nur unmittelbar in Handlung ge* 

seizlc Lpopee genannt hat; und so lange man gewohnt 



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170 



war^ alle ästhetischen GrundsuUe allem aus den Mustern 
der Allen sa entwickeln, konnte e» diMtr Meimiag mekt 
an Anhängern fehlen. Denn bei den Griechen «ntftaad die 

Tiagüdie nicht allein in der That aus dem Epos, sondern 
sie blieb auch in ihrer höchsten Vollkommenheit noch im- 
mer .in hohem Grade episch, so "wie die dichterische Stirn* 
mung der Alten sieh überhaupt auf eine sehr flberwiegende 
Weise zu dieser Seite hinneigt. Untersucht man aber da* 
Wesen der Tragödie zugleich tiefer und allgemeiner, und 
sieht man vorsüglich auf die Forderungen, welche dieselbe 
an die Natur und die Stimmung des Dichters macht; so 
überzeugt man sich leicht, dafs nirgends sonst BWei sich 
übrigens ähnliche DichUutgsailen so weit auseinandergehen, 
und sich so geradezu enlgegengesetst sind, dals das Wesen 
der einen nie sichtbarer, als durch eine Vergleichung mit 
der andern ins Auge fallt Diese Hoffnung, ein noch hel- 
leres Licht über die Natur der Epopee zu verbreiten, ist 
es, die uns einladet, hier noch bei der Tragödie einen Au- 
genblick SU verweilen. 

üeber den Begriff der Tragödie ist man ungleich frü- 
her, als über den der Epopee, einig gewesen. Dafs die 
tragische Handlung auf eine einzige Katastrophe hingeht, 
da£i diese Katastrophe den Menschen im Kampf mit dem 
Schicksale zeigt, und in dem Zuschauer Furcht und Ifit- 
leid zu erregen bestimmt ist, sind fast allgemein angenom- 
mene Merknijihle desselben. Offenbar war indels der be- 
griif der Tragödie auch leichter tu entdecken, als der de« 
epischen Gedichts, da jener sich hur auf die Stimmung des 
Gemülhs zu einer einzelnen Eniplmdung, dieser aiü^ einen 
ganzen allgemeinen Zustand desselben gründet 

Denn darin liegt gerade der grodse und mächtige Un- 
terschied , dafs die Tragi^die auf Einen Punkt y^rsammelt, 
was der epische Dichter auf eine unendliche Fläche aus- 



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17i 



UmU. ßekb kommen im Begriff der Handlung, und foig« 
licli der 0b|6ctivilät, beid« in d«a aligeoieiiieii Fonfenrngtn 
d«r Ktmit mit einander ülberein ; um abo » ihren Restdta« 

ten 80 weil auseinanderzugehen , müssen sie in der ur- 
sprünglichen GemüUisstiiuniung versclüeden scyn, weiche 
die fiinbiidniigaknift nur dichleiiscfa bearbeiUt* und g^erede 
de iat es auch in der Thal, wa ^hre oonliMtir«nde Indin- 
dualität allein anzutreffen isl. 

Dem epischen Gedicht haben wir den Zustand der 
sinnlichen Betrachtung, also einen objectiveui ruhi- 
gen und mehr intelleclaellen, augeeignel. Indels ist ea na« 
türlich, tiais tlaiuia in dnj sein Zustand die Empfindung nicht 
schweigt; dflTs sie vielmehr in ihrer grüfseslen Energie zu- 
gleieh mit rege wird. Und wie. sollte sie es nicht? da s» 
gvelae und uns so nahe liegende Gegenslände, ab dai Schick- 
sal und die Menscliheil, alsdann vor uns da stehn, und 
H^Qh unser Blick so erhellt und gestärkt ist, dafs er sie 
in ihrer reinsten und eigenthümlichsten Gestalt durchschaut 
Wir haben dies im Vorigen nicht besonders herausgehoben, 
weil es nch in der That von selbst Tersleht; diesen An- 
theii der Empfindung an der Wirkung des epischen Ge« 
dichte nicht besonders mit in Anschlag gebracht weil er ia 
einer schon ursprünglich sinniichen, und noch datu alleia 
durdi die Hand der Kunst suberdteten Stimmung unmög- 
lich fehlen kann. Aber jelzl da der Tragödie die Em- 
pfindung gewisser Mafsen, als ein ihr ausschlieüdich an- 
gehörendes Gebiet angewiesen werden soll, ist es notb« 
wendig dies genauer auseinandersusetEen. Alierdmgs wvd 
also duicli den epischen Dichter die Eiiipfimlung erregt, er 
hürie auf JJichter zu seyn, wenn er nicht sogar seine Haupi- 
wttkuog darauf hinrichlen wollte; allein was durch ihn in 
Bewegung kommt, ist der ganse empfindende Mensch, nicht 
eine eni^elne Empiiudung; es ist ferner keine, die wir auf 



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172 



Ufifiern gegenwarligen augenblicklichen Zustand, vielmehr 
eioe^ die wir, da ne dureh einen, in eine giawiBse Feme 
gestellten Gegenstand enregt wird, aligemeiner auf nnsre 
ganze Lage, unser ganzes Daseyn beziehen ; es isl endlich 
noch weniger eine, die unmittelbar durdi die Gegenwart 
des Objeds geweckt wird, es ist immer eine dritte Person^ 
der Enillder, noeh iwischen diesem wid uns-, und so gekl 
auch alles in uns erst durc h unser intelleclucUes Vermögen 
hindurch, ehe es unser Gefühl zu berühren im Stande ist 

Dieser Unterschied ist überaus fühlbar, wenn wir die 
Erwartung vergleichen, welche die Losung des forchftareii 
iütthseis, woran Ocdipus Schicksal hängt, und welche der 
Kampf Hektors und Achills in uns erregt. Wie migleich 
ängstlicher und qualvoller ist jene, wie vielmehr blofii ruh-, 
rend und wehmütfaig diese! In beiden Ffilien ist misie 
Furcht, unser Mitleid gleich stark. Aber der Ton dieser 
£mplindung ist anders, da in jenem der Ausgang noch nicht 
entschieden ist, noch er selbst, in diesem nur seine £raäh- 
Inng erwartet wird, er selbst aber längst da gewesen ist 
Hat der Dichter in diesen beiden Fällen diese Verschieden- 
heit wohl zu benutzen verstanden; so belinden wir uns in 
den ersteren in der vollkommensten Ungewüsheit, selbst 
dann, wann der Erfolg uns schon vorher bekannt war, und 
empfinden in dem letzteren, auch noch völlig unbekannt 
mit der Begebenheit, nur die sanfte Schwermuth, in die 
ans eme traurige Vergangenheit versenkt, wenn, die £rin^ 
nemng aie wieder surückruft. 

Diese verschiedene Einwirkung erklart sich natürlich 
aus der verschiedenen Form beider Dichtungsarten, dafs 
die eine uns aum Zuschauer ihres Gegenstandes macht, die 
andre ihn uns nur, wie aus einer beträchtlichen Feme, 
durch Ueberlieferung auföhrt. Aber dafe gerade diese For- 
men ihnen beiden nothwendig und wescnliich sind, dies ist 



tfl^ wiui ihren Charakter besiimmt. Denn in der Tluii la»> 
§m sich alle Rigenachaften der Tragödie am leichteateo 
aua dem Begriff der lebendigen Gegenwart, in die ne 

ihren Stoff v ersetzt, abl* Hen, so wie sich aus dem derEr- 
aählung alle diejenigen entwickeln lassen, weiche daa 
qiiacfae Gedidkl von ihr unleracheiden. Da alier nichl 
gleich gut auch seine übrigen Eigenlhilmlichkeiton darauf 

herHiefsen, so WcU' es besser, eine aiidre Methode des Rai- 

■sonnemcnto» als diese» su erwählen. 

r 

LJILIV. 

Die Tragödie erregt eine bestimmte Kmpfirulung, and iüt daher lyrisch. 

Der ZmUnd einer beetimmten Empfindung itt abe 
derjenige, auf welchen der tragische Dichter hinarbeitet, 
und die Tragödie ist in so lern nur eine besondre, aber 
Bogieich die höchste* Gattung der lyrischen Poesie"); eine 



*) Es wild befremdend scheinen, die Tragödie hier so diclit an die 
lynsdie Poesie aagesckloasen za sehen. Allein man erisBere sich, 
ilafs ich fon ihr Itier nur im Gegensats gegen die epische ledi^ 
nnd dals der Weig meiner Untemuchvng mich gerade aof den 
Pnnfct fahrt, in weldieni der Untencbied zwischen bdden am 
schärfsten ins Auge fallt. Ich habe nemlidi die Dkhtangsarten 
nicht sowohl nach ihrer äiifsern Form, als nach der Stfaumnng 
unt<'rscIii< <U n , die sie in dem Dichter voraussetzen und in dem 
Leser hervorhringeii. Nim ist der einfachste Unterscliied zwischen 
der Kpopre niu\ Tragödie unstreitig: die vergangene und die 
gegen w ärtijje Zeit. Jene erlaubt Klarheit, Freiheit, Gleich- 
gültigkeit; diese bringt Erwartung, Ungeduld, pathologisches In- 
tensae herfor. Daher drängt dio letatere das Gen&fh in ak& 
aelhst zur&ck, da die Bpopee den Menschen viehndii in die Klai^ 
heit der Gestalten heranafuhrt. Dadnrdi nun eignet sich die Tra* 
gddie offenbar der lyrischen Gattong an. üebilgena aber lit äe, 
als die Daiatellong einer Handlung, elken so sehr als daa Epos 
nnd Yollkommen plastisch. Die Hauptgesetze derselben werden 
sogar nur a\)8 ihrer plastischen Natur hergeleitet werden 1^önnpn; 
aber da sie alle darch den lyrischen Zweck, die Erregung derKov» 



174 



betondhre, weil sie eine gewisse einzelne Empfindung ku 
erregen streU; fie httehste, weil sie dieie Wirkung dvtftk 
einen äufseren Gegenetand, toeh <Ue Danrteli«mg eiver 

HandluDg, erreicht 

Da die Empfindung überhaupt in jeder dichterischen 
Stimmang so stark und so allgemein ala niSglick wirksam 
seyn mufs; so kfilt man den Untersdried der beiden Oe- 

mülhszustände, welche den epischen und tragischen Di( liter 

bilden, am besten daran fest^ dafs in jenem mehr das Ob-» 

je et, in diesem zugleicb stärker das Subject herrscht. 

In jenem suchen ^r Gegenstände, und verknüpfen ne so 

• 

einem Ganzen; obgleich dies Ganze nothwendig Eindrücke 
in uns zurückläfst, so heften wir uns weniger an ihnen, als 
«n ihrer Ursache, fest In diesem baaiehen wir, was wir 
sehen, unmittelbar auf unsre Empfindung, «ne Neigung, 
eine Leidensthnft wird rege, und sie bestimmt nun allein 
den Antboii, den wir an der Begobenlicil nehmen, die sich 
vor unsem Augen abrollt Daher geht- in der Tragödie al- 
les auf einen einsigen entscheidenden Punkt, gleiehsam auf 
eine Spitze, hin: der Gaiii^ ist nicht hlofs ununterbrochen, 
sondern rasch, die Entsciieidung ist plöUlich und abgebro- 

m II ■ ». 

pfiMdvngr. modificirt seyn müssen, so irwdon die Getetke der 

sehen Poesie gar keine Anwendung auf sie fuidea; da sie hinge- 
gen mit den Gesetzen der lyrischen Diclitunfr in (hircligang^igcr 
Uebereinstimnuing stehen müssen. So lange man dalu r hlofs epi- 
sche und lyrische Poesie unterscheidet, mufs die riagudie wiik^ 
, lieh mehr der letzteren, als der erstertn beigeicäldt werderi. Ln- 
sti^itig aber vSie'es besser» alle Poesie in plastische and ly- 
riBcKe, «od die eistcfe uried^r in. epiecbe «nd drämatieche 
(unter der icb hioh die Im^ehe Tentdie, da die Kemedie 
eine gann eigne Brörternng fordert) abautiieilen« Abdann wirden 
■He Gesetz« der plaatiachen Dielitang zwar angteieb i&r die Tra> 
gödie gtlten{ ab«r wum würde bestimoit fiiblen, wie mit dem Be« 
griff der ppfrenwärtigen Handlung unmittelbar auch der Begriff der 
Empfindung und nntitwendige Rücksicht auf die allgemein lyri-* 
sehen Uesetoe gegeben ist«. 



Digitizod by C<.jv.' .ic 



176 

cheii, da iungegeu in der Epopee alles gleidtsam in sidi 
«urödkkehrly immer dnen geacbloMeii»! Kreis durchläuft. 

In der Tragödie hemeht inuiier Eine Art des Cha» 
raklers, clei' ücsiiiiiimg, lier Ilandiungsweise ; wenn meK- 
rere auftreten, so erscheinen sie im Kampf, jede will ihr 
Reciit in dem Gemüthe des Zusdiauers allein bebaupten^ 
und die lassen es am Ende auf Sieg oder Niederlage an- 
kommen. In der Epopee erhebt ihr mannigfaltiges Entge- 
genwirken den Zuhörer über sie alie^ statt ihn zum Theil- 
nehmer an einer einseinen Partei su machen, and ihn selbst 
in den Kampf mit herab»ieiehen. In der Epopee werden 
ferner nach einander alle Arten der Empfindung en cgL, das 
Lächerliche und das Tragische, das Sanfte und das Erha- . 
hmOf das Furchtbare und das Liebliche, alles steht harmo- 
nisdi neben einand^, und wir umCssien und bewahren aW 
ks tugleich, d. h. t^ser Gemfith befindet sich in ein«r 
Lage, in welcher es keinem dieser Lindrücke gana ange- 
hört, sondern eigentlich nur für alle Sinn hat, allen oflea 
sMit. Die Tragödie hat, wenn sie vollkommen ist, den» 
soiben Umfang der Töne, aber jeder föUt onsre Seele in 
dem Augenblick, wo er erschallt , ganz un<J ungetlieilt ; sie 
wirken nicht nebeu, sie wirken nach eioaDder, das Resultat 
ist kein Ganzes, worin aUe diese Elemenle sv^leich vor- 
handen sind, es ist etwas Neues, bewirkt dureh eine Rdht 
durch sie successiv hervorgebrachter iModificationen, 

Die Epope« b^chäftigt zwar zugleich uusre ^inne und 
unsre Empfindung; aber da sie uns überhaupt nur lur Be- 
schauung und Betrachtung einladet, so lafet sie uns in ver^ 
weilender und ruhiger Mufse. Die Tragödie reifst uns in 
ihren Gegenstand mit fort, zwingt uns zur Theiinahme an 
ihrer Haoittwig selbst. I>ie erster» nährt und bciekfeert 
daher unser Vermögen, unser Wesen im Gänsen; die Jejksi* 
tere stählt vorzüghch die Fähigkeit, dies Vermögen aurei- 



* - 



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m 

nen einzelnen Punkt zu richten, unsre Krafl zum Entschlufe 
und Sur That. Die Epopee führt uns in die Welt hinaas, 
in eine freie heitre und eonnichte Natur; die Tregödie drängt 
uns in uns seibel zurück, und mit denudben Schwert, mü 
dem sie ihren Knoten zerhaut, trennt sie auch uns auf ei- 
nen Augenblick von der Wirklichkeit und dem Leben , das 
sie uns überhaupt weniger su Meben^ als mit Mulh su eni- 
bduren iehrt. 



LXV. 

Worin bdde lÜchtuiigsarCen mit «iiAttder nbereiiikmnnenY aad woiia 

•ie Ton einftiider abweicben? 

Will man ouninehr den Unter:: clii cd beider Dichtungs- 
arten ^ nachdem man sich desseiben im Aligemeinen nach 
der Erfahrung und dem wirldicfaen Eindruck versichert hat, 
auf durchaus bestimmte Begriffe zunickführen, so nuils man 
zuerst auf die Entstehung jeder Dichtungsart, darauf nem- 
üchj dalB die dichterische EanbiidungdLraft einen Zustand 
bearbeitet, den sie in dem Gemfitfae schon vorfindet, 
rückgehn, und hernach gcuau ditsjcuigc al>süiuleiii, was 
beide^ sowolii in der ihnen zum Grunde liegenden Ötitu- 
mung, als in ihren ietaten Resultaten» mit einander gemm 
haben. Denn nicht darauf, * dafs die eine einseitiger oder 
weniger vermögend wäre, sondern nur darauf, dals bei bei- 
den in dem gleichen Umfang und der gleichen Wirkung 
dieselben Bestandtheile anders gemischt sind» beruhet ihr 
Unterschied. 

Mit einander gemein nun haben beide: 
1. dafo, wenn die Sluumung, aus^ der sie hervorgehn, 
▼ollkommen seyn soll» in derselben der ganze Mensch» sein 
empfindendes Wesen eben so wohl» als sein betraohteodes» 
thätig seyn muis; 




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m 



2. Mb e» dieselbe ^hhüdnogakraft» dieselbe Kanal isl^ 

welche beide bildet^ und deren Gepräge sie gleich stark an 
sicii tragen soUen. 

Verschieden aber sind sie hingegen dadurch: 

1. ' dalky obgleich beide alle ' unsre KiSfte in Bewegung 
setzen, ^ese doch bei jeder in andrem VerhültniTs ond anf 
andre Weise gemischt sind, jeder also ein verschiedner Ge- 
müthszusland, der Epopee der der Besdiauung, in dem das 
Objeciy der Tragödie ein in einer bestimmten Empfin- 
dung determinifter, in dem das Subject herrscblj tum 
Grunde liegt; 

2. dafs diese beiden^ so wie sie an sich verschieden sind, 
eben so lidi auch verschieden lu der Natur der Kunsl 
▼erhalten I und'ddier, von ihr bearbeitet , wieder verschie» 
dene Resultate geben. 

J>er Zustand der blofsen Betrachtung führt nothwendig 
Ruhe» und (in so fem als unser Verstand darin eine be- 
deutende Rolle spielt) ein Streben nach ToiaBtSt mit sich; 
aber er Uilst unser Gefühl sehr unbeschäftigt; unsre Sinne 
selbst wirken nicht lebendig, unter ihnen vorzüglich nur 
der kälteste, das Auge» mit. 

In dem Zustande der Empiitidung haben wir unmittel- 
bar Einen Gegenstand im Auge, und befinden uns noth- 
wendig in einer gewissen Spannung und Unruhe; aber der 
game sinnliche Theil unsres Wesens ist m steriler und le- 
bendiger Mitwirkung. 

Wenn nun iäe EinbildungskrafI diese beiden Zustände 
in dichterische Stimmungen umwandeln will, so hat sie dem 
ersteren ihre Sinnlichkeit, dem letzteren ihre Ideali- 
tät au leihen. 

Denn der erstere ist ihr der Form nach Üfanlidi, der 
Materie nach aber unähnlich; sie mufs ihn daher mit neuer 
Kraft ausrüsten; aber die Ruhe und Totahtäi, die sie im* 
IV, 12 



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m 



uer mit si«li fuiul^ gelieii doj^^li sUik uud fiUUiiar da- 
rauf hervor. 

Beide aber soU aie auch in dem andern, der, gerade 

umgekehrt, in der Materie ihr ühnlich) aber in der Form 
ihr entgegengesetzt ist, geltend machen. Hier braucht sie 
alao eine andre Art der Kraft» eine aolche» weiche aus yn- 
derapreebenden EUementen telbat, eiwaa Neuea ta acbaffen 

vermag. 

Hierbei müssen also auch durchaus andre Resultate 
entstehen. 

Um neben der unabänderlichen Einseiligkek der Em- 
pfindung nicht ihre Anforderungen an Totalität aufzuge- 
ben, muis sie, st^tt eine unendliche Fläche vor uns auszu- 
breiten , einen einaehien Punkt so gleichsam achwimgera» 
dafs in ihm allein alles enthalten sey; statt iden Menschen 
mid die Weit eigentlich darzustellen, einen solchen Zustand 
der Empiuiduiig hervorbringen, iu welchen der volle Ein- 
4lrttck ven beiden überg^angen ist, und aus dem das innigpa 
Gefiihl fiir beid^ gleich leicht und voU auaatrömen kann. 

Um bei der unruhigen Anspannung, die mit der Em- 
pfindung immer verbunden ist, noch die ihr eigenthümliche 
Ruhe tu behaupten, muis sie den verwegnen Schritt wa- 
gen, den Menadien und £e Welt, die aie nicht mehr s|i 
aehliehten und «u versdhuen v im Stande ist, durch einen 
kühnen Streich auf einmal von einander zu treimen, und 
dem ersteren dadurch seine Ruhe wiederxugehen, dafs aie 
ihn, alle, seine Kraft -in ihm seibat versammcM/ unabhän- 
gig und aelbstthatig macht. 

Da nemlich hier in dem ursprüogüchen Zustande des 
Gemütlis, und in dem, welchen die Kunst herrschend mao 
eben wÜl, nichts wie bat dem epischen Dichter, von selbst 
Harmonie vorhanden ist, so k^nen beide nur durch die 
Lösung des Widerspruchs verbunden werden, in dem sie 



179 



stehen, und in der Slimmung, die hierdurch bewu'kt wird, 
bleibt immer etwas Gewaltsames und Heftiges übrig. Dies 
aber wird in dem Grade gemildert werden, in welchem der 
Dichter mehr seine Natur, als jenen ursprünglichen Zustand, 
die Heftigkeit der Leidenschaft, heraushebt ; und wie sehr es 
ihm hierin gelingen kann, lehrt uns das Beispiel der Alten. 

LXVI. ^ 

Warum die Werke der Alten vorzugsweise eine so groCse Rohe 

hervorbringen? < 

■ r 

Ein scharfsinniger und geistvoller Kritiker hat bemerkt, 
dafs die Werke der Alten eine hohe und würdige Ruhe 
hervorbringen, da uns die der Neuern hingegen in einer 
unruhigen Spannung lassen; und diese Bemerkung ist, wenn 
sie sich auch nicht so durchgängig beslätigt finden sollte, 
da man wohl Sophokles Oedipus gegen das Erstere, und 
Götlie's Iphigenia gegen das Letztere anführen könnte, im 
Ganzen gewifs äufserst wahr. 

Die Allen bringen allerdings mehr Harmonie und Ruhe 
hervor: ^ 

1. weil sie durchaus mehr episch, als lyrisch sind; 

2. weil sie die reine Natur der Kunst vollkommner dar- 
stellen ; - 

3. weil sie sich diese Arbeit weniger, als die Neueren, 
durch einen an Gedanken - und Empfindungs - Gehalt zu 
reichen Stoff erschweren. ^ - * 

Lxvn. 

Unterschied zwischen der Epopee und der Idylle. — Charakter der 
letzteren in Rücksicht auf die Stimmung, aus der sie lierfliefst. 

Noch weniger als die Tragödie, ist die Idylle bisher 
von der Epopee durch sichre und zugleich wesentliche 

12* 



16« 

Merkmahle tnlersehiedeii worden. Die erttere konnle^ da 
sie eine ihr allein eigenthOn^ehe^Form hal, wenigstens nie 

mit derselben verwechselt werden; die Grenzen der iris- 
ieren hingegen scheinen mit denen des epischen Gedichts 
wenigstens in einielnen Fällen w ia einander wa laufen^ 
dafs man niehi sowohl fragen darf, wie? als vielmehr ob 
beide nur überhaupt so wesentlich von einander verschie- 
den sind, dafs sie in l^einerlei Ausdehnuns^ (die man ihnen 
beiden I und swar innerhalb ihres Begriffes, stt geben im 
Stande ist) mit einander susammentreffen? Um dies ge- 
hörig zu untersuchen, wollen wir von dem gewöhnlichen 
Begriff beider Dichtungsarten ausgehen, und sehen, wohin 
uns die genauere Entwicklung desselben (Uhren wird. 

Unter dem Namen der Idylle pflegt man den ganzen 
Tlieil der Poesie zusammenzufassen, welcher mefir ein häus- 
liches Familienleben, als eine Existenz in gröfseren Ver- 
hältnissen, mehr ruhige ab unternehmende Charaktere, mehr 
sanfte und friedliche Gesinnungen/ als heftige Aufwallungen 
und Leidenschaften schildert, und vorzugsweise bei der 
Freude an der Natur und in dem engen, aber lieblichen 
Kreise unsehuldiger Sitten und einfacher Tugenden ver- 
weilt. Wo also diese Einfalt und Unschuld herrscht, da- 
hin versetzt uns der Idyllendichler, in das Erstiingsaller der 
Menschheit, in die Well der Hirten und Pflüger. Mit der 
£popee hingegen verbinden wir vor allem nur den Begriff 
der Darstellung einer Handlung, und verbannen jene em-» 
fache Unschuld so wenig aus derselben, dafs sogar einige 
der lieblichsten und anmuthigsten Id^ llenscenen in epischen 
Gedichten enthalten sind , wie s. B. die Hochseit der Kin-* 
der Menelaos in der Odyssee, und die Ankunft Eminias 
bei der Hirtenfamilie im Tasso. 

Die einzigen Unterschiede, die sich hiemach festsetzen 
liefsen, wäreu also blofs die, dab die Idylle wenigstens nio 



181 



wen heroischen Stol^ oder herokwii» Charaktere aufnimoM» 
und ilafii sie nidit, wie dw £popQ«| juidiwesdig Uandkaf; 
Imittcht. AUein aueh von dem epwdleii Gedidit isl eBw«-- 

nigstens noch nicht ausgemacht (und wir werden diesen 
Punkt gleich in der oige berühreu), oh es eolhwendig ei- 
nen litroiadien Stoff dareieüeti mui»; und die Idylle kenn 
durcbans vell Hendlung seyn, ohne daram Weniger IdyÜe 
zu bleiben. Um daher auf völlig bestimmte Gieiizeii zu 
kommen, muis maa eioeo aadren und mehr -methodischen 
Weg einschkigcii. 

Des Anediucks der Idylle beiyent man sich nidit hiolsy 
um eine eigne Diciilungsart zu bezeicJmen, man ge- 
braucht ihn auch, um damit eine gewisse Gesinnung» eine 
Empfind ungs weise amudeulen. Man redet von Idyllen» 
•ÜBunungen,. IdyUennaturetL Die Eigcntkfinüichkcü der 
Idylle mufs sich daher auf eine innere besondre Eigenthüm- 
hohkeit des Gemuths beziehen, scy es nun eine vorüber- 
gdiende, eder eine bleibende^ die aich dem Charakter aeih#t 
b^igennseht liat Dadmch also unterodieidei sie aich luerst 
von der Epopee, dafo sie immer ans einer eimehien imd 
einseitigen y die letztere hingegen aus der allgemeinsten 
Stimnanig des Geistes ent^ringt ; und gerade in demselben 
Vobäbnisse siebt sie auch «ur TragiMie. Denn die Tra- 
gödie erhält, wenigstens in ihrer höchsten Vollkommenheil» 
gleichfalls der Seele die Freiheit, sich gleich lebendig nacli 
allen Seiten hin zu bewegen^ weckt alle Kräfte im Men- 
schen sugleich/ob. sie schon ihr Verhältmfs sn einander 
anders, als der e|MScfae Dichter bestimmt Die Idylle bin* 
gegen schneidet willkührlich einen Theil der Welt ab, uiu 
sich allein in den übrigen einzuachlielfien, hemmt wilikühr- 
bch Eine iUdäiuig uosrer Kräfie, wn allein in der andepn 
ihre Befiaedigmig zu finden. - 

Wo wir dies im Leben wirklich auireÜeii, da er^clit^ail 



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m 

es uns aig eM Üeschränkung , obgleich ^ da sie gerade die 
JMticbtle anwalhiifte Seite der MmMkkml, ihn Vep^ 
wmdtedhaft nni der Netitr) herrerlreten mmkk, allemal ab 

eine solche, die lmh gewisses rührendes Vergnügen gewährt. 
Die Kunst aber tilgt auch das selbst, was «Inrnn Beschrän- 
Inmg B|l^ noch ans,- indem aie diee £iii»chiie£Beii in eiMB 
enget es Kreie nielil blofii aus freiem Willen, eendem aap 
der innersten Natur selbst hervoriielicii l.ilst, aus einer In- 
nigkeit und Naivetät der Ernpüudung, die sonst aiebi ua* 
gestört ausströmen könnte. 

D^nn offenliar sind in dem moraHschen Menschen svrei 
verschiedene Naturen sichtbar, eine, die mit seinem physi- 
schen Daseyn geradezu übereinstimait^ und eine, die sich 
xuersl von demselben losmacht^ mn rmcher und gebildeter 
teu inrÖeksnkehreB. Vermöge der ersteren ist er gjneli- 
»am im dem Boden ieslgewurzelt, der ihn erzeugt hat, und 
gehört selbst als ein Glied zur physischen Natur, nur dafs 
er nicht ans Noth an sie gefesselt, sendem freiivälig durdi 
Liebe n>l ihr verbunden ist Die Idylle nun behandelt nie 
mehr als die erstere, so wie sie immer nur aus einer ihr 
angehörenden Stimmung entspringt Sie hat daher einen 
«gcran Kreis^ in den sie aber dannn nicfat weniger GebaH 
Ar däa Oebt and die Empfindung, nicht weniger Seele «m 
kgen vermag. 

Outtikter der Idjtl» 1a ftiuksidit auf 4«n Ckigenitaaa, d«a sie 

tchililert 

Diesem Untemcfalede in der Wirkung/ weiche beide 
Dichtungsarien hei^orbringen , entspricht xngleich ein ana- 
loger in ihren Objecleni oder wenigstens ui der Behandlung 
derselben; 



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183 

Das Nalur-i^aseyn des Menschen kann sich niclit durch 
eimekKe Handlungen , sondern nur dureh den ganzen Kreit 
d«r gefwfibnlMlMi TMligkeil, dinreh die gMiM Ali dM 
bens beweben. Der PMiiff^r, der Hirt, der füHe Befwolner 
einer friediichen Hülle übeiliaupl, kann nur seilen ( und 
d«iio geht er achon immer aus diesem Kreise heraus) auf 
OMefaie -bedeiileiide Unteraehimingen 8lo6en; was ihn Im- 
g etc h net', ist nidit, dab er heute* dieses iNler jenes gelhan 
hat, sondern dafs er es morgen wiederlioU, dafs er so eu 
leben und zu handeln gewohnt ist; man kann nicht von 
ihn eKjUüen, man mufii ihn beschreiben. Das Object der 
Idylle ist daher immer ein Zustand, das der Epo[vee eine 
Handlung des Menschen; jene ist innner nur hescli rei- 
ben d, diese durchaus erzählend. 

Daher ist alles, was nur dureh gewalteaoie Untenisli- 
mtangen «i Stande kommt, so wie alles, was aus dem ge* 
Wülinlichen Kreise der Existenz und des Ivcbens heraus- 
geht, Krieg und Blutvergielseu, jede heitige LeidcuschaH, 
die unruhige Thäiigkeü der Wilsbeg^rde, ja der gtnne 
Fevsdnmgsgeist fiherlMupt, wieldier der Kennlnifii der 
gensliiiide manclimal ihr Daseyn aufzuopfern bereit ist, der 
Idyllenstimmung suiwid«'.. Wie soille der ^iensch, dessen 
geniee Wesen in der reinsten Harmonie mit sich selbst, 
sdnen Brildem und der Natur besteht, aneh nur des Geh 
dankens an eigenmächtige Zerstörung fähig seyn? wie sollte 
er, der alles, dessen er bedarf, m der Nähe um sich herum 
findet, unruhig in eine weite Feme sdiweifen? was könnte 
er endlich noch bedürfen, au&er dem ruhigen Daseyn, dem 
Genufs und der Freude am Leben, und dem stillen Be* 
Wtt&tseyn eines schuldlosen und unbefleckten Gewissens, 
aufeer dem GlüdL überhaupt, welches die Natur und sein 
eignes Gemuth ihm von selbst und üreiwälig datbielen? 
Wie die Natur selbst, mufii sein Daseyn in ununlerbroche* 



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184 

ner Regelmäfsigkeit liinfliefsen , wie die Jahrszeiten selbst, 
uuiuen alle Periodea seines Lebens sich von selbst die 
«IM «ua 4«r Mdeni mimMa, und wie grafii der Reidi» 
tküBi laid die üannigfalti^eil Gedenken und Einpin» 
düngen sey, die er in diesem einfachen Kreise zu bewah- 
ren weifs, go mxiis doch darin die Haiinonie das Ueberge- 
wicht iMheoplen, die sich nie in «ner einzelnett Aeufiwrusig 
leigt, sondern deren Gepräge inraier nur den genneii Le- 
hen, dem aanzen Daseyn aufgedrückt ist. 

Der idyilendichter schildert dalier immer, seiner I^atur 
nach, nur Eine Seile der Menaehheü, und sobald er uns 
kl den Standpunkt eteUl, von dem wir anch die andre gleieh 
klar übersehen, geht er aus seinem Gebiet her.aus, und je 
nachdem er mehr einen ruhigen und allgemeinen lieber« 
blick« oder durch die Yergieichnng beider eine bestinunte 
Eni|ilindung erregt, in daa der Epopee, 4>der das der Satyr« 
über. Denn diese beiden Gallungen, die Idylle und die 
Satyre, die auf den ersten Anblick einander gerade entge« 
geogeaetat acheinen, aipd auf gewisse Weise nahe mit. ein* 
ander irerwandt; und gerade in Satjrrcndidileni findet tnnn 
die rührendsten und schönsten Stellen über die Kcinheit 
und Unschuld des einfachen Naturlebens, die sonst allein 
der Idylle eiganihümlich sind. Beide, die ddjftte aowohl 
als die Salyre, schildern daa Verhältnils unsna Wesens lur 
Natur, (nur dafs die erstere beide in Harmonie, die letztere 
in Widerspruch zeigt) und beide schiidem diesYerhält^ 
nüi» fiir die Empfindung. 

Denn der Idyllandichter steht (und dies bildet wiede» 
rum einen mächtigen Unterschied zwischen ihm und dem 
epischen) ofienbar dem lyrischen näher. Da er Einer Seile 
der Menschheit einen paiteüacben Vonng vor der an- 
dm aithcUt, so erregt er dadutdi mehr die Empfindung, 
als er daa uitallecliieHe Vennftgen in Thätigkeit setzt, das. 



185 



immer aiigeaiem uiid uuparlheüsch, immer auch ein Gan- 
zes ufioiaisti « 

LXIX. 

Unlencbled cwischen der Hpopee und andeni enihleaden, mbcr nidit 

epii^n GedidiCen* 

Je melir wir tüe Epopee von ^ojenlgen IHcbtungsar- 
ten^ absondern, welche mit ihr in gewiesen- Punkten fiber- 

einkommen, desto reiner erhalten wir ihren eignen Begriff, 
desto klarer springt ihre Bestimmung ins Auge, dsfi Gemülh 
in dem Zustandet sinnlieher Betrachlungi und iwar in ^ 
nem Solchen «i befriedigen, in welofaem diese Betrachtung 
sich das weiteste Feld gewählt hat, und die dichterische Ein- 
bildungskraft ihren Gegenstand auf das sinnlichste darstelil. 

Die Tiagddie vnd Idylle unterscheiden sich yon ihr 
der Gattung nach , indem ne auf eine beslinmile Empfi»- 
dung hinaibcilen ; andre gkiclifalls erzählende Dichtungs- 
arten Üieils eben dadurch, theils nur gleichsam dem Grade 
nach durch ihren geringeren Umfang und ihre geringer« 
diditefis^ Individualität Bei diesen leteteren müssen wir 
um so mehr nocli einen Augenblick stehen bleiben, als wir 
seihst von einem Gedichte zu reden haben, das sich von 
der grolsea- und heroischen Epopee lu sichtbar «itfeml^ 
um nidit von Vielen dieser eben genannten Gattung bloÜMr 
Erzählungen beit;esclirieljeii zu werden. 

Diese Gattung nun ist ihrer Natur nach so grols, und 
umfiMsi M> venchiedene Arten von Gedieht^, dafo es schwer 
istt dieselben unter Eänen allgemeinen Begriff au bringen. 
Allein da die meisten derselben, wie z. Ii. die Ballade, Ro- 
manze,. Legende, die bU>rse Erzählung u. s. f. so himmel- 
waü von der Epopee verschiedm sind^ dals sie- auf keine 
Weise damü verwechseH werden kdn&en; so brauchen wir 



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IM 

hier nur hm Eum Art dersel^ gtektn ui b lt ib tn » im . 
der uns die Alten venäglicli einige Muster hmterlaMeD Imh 
ben, und die man bald Fragmente aus grdiaeren epiidien 

Gedichten, bald kleine Epopeen selbst nennt, wie z. B. ei- 
nige Theokrilische Stücke, llero und Leander, und andre 
mehr* Diese kommen in der Versart, in dem Ten der Er- 
sSblung, in der Behandlung überhaupt so sehr mit eimsel- 
nen Stellen der eigentlich epischen Gedichte überein, dafs 
sie sich, wenn nieht einige unter ihnen wirkliche Bruch- 
stücke verloren gegangener £popeefi «sind, mir, wie wir 
eben sagten, durch ihren geringeren Umfang davon su un- 
terscheiden scheiiiüii. Da sich indefs auch für die eigent- 
liche Epopee kein absolutes Mais der Lange oder der Gröise 
überhaupt bestimmen läOit, so mufii diesem Untenokiede 
noch etwas Wesentlicheres sum Grunde liegen. 

Wir haben im Vorigen epische Gedicht niil der 
Geschichle verglichen; wir haben zu hnden geglaubt, dafs 
der Zustand des Gemüths, in welchem es ein Bedüifnüs 
der Geseiiichte $m eigentlichsten und höchsten Sinne die- 
ses Worls) empfindet, clcaijüiiigcn ähnlich l^I, in weichem 
mit Hülfe der Einbildungskraft und der Kunst die Epopee 
entsteht. Wie sich nun dlie Geschicble (welche ihren Sieff 
immer als em Gances behandelt) von der blofsen histori* 
sehen Erzählung (welche sich begnügt, die Begebenheiten 
als eine bioise Keihe darzustellen) unterscheidet, so unter- 
scheidet sich die Epopee von dem • bleüs historischen Ge- 
dieht I^es klstere, das der ersten und hdehsten Bedin- 
gun<!j jedes Kunstwerks, ein in sicli vollendetes, unabhün- 
giges Ganze su seyn, widerspricht, konnte sich nicht über 
die Kmdlieit der Poi»sie hinaus etbalten, und hat i^adiher 
immer nur in den Zeiten des Verfaiis des •Gesehmacka 
nige seltne Anhänger gefunden. Iis steht ungelatu auf der 
gleichen Stufe mit denjenigen Gedichten ^ die mau phdoso- 



Digitizod by C<.jv.' .ic 



1§7 

pliische oder wissetiftchaftiiche nennen kasii, wie wir s. & 
»eclB einige Fragmente aas den Werken alter PlnlMopheii 
bentaen, und die sieh eben so wesentlich ifwi- der cHdakti- 

sehen, einer Gattung, deren Wesen bis jeUL üücIi fast gar 
nicht erörtert ist, unterscheiden. 

So lange jene hisioriacfaen Gedichte noch das reine 
Werk der Natar, nicht das Product emea ausgearteten Ge- 
schmacks waren, so lange besafsen sie einen eii;nün ixciz 
und eine eigne Schönheit. Dies sehen wir noch jetzt an 
Uesiodus Theogonie und seinem Schild des Herkules, i£e 
man, obgleich ihr Inhalt eigentlidi mythisch ist, schweriieh 
zu einer andern (laltung rechnen kann , da sie sich weder 
der allgemeinen, noch der dichterischen Behandlung des 
Stoffs naeh, au dem Range der Epopee erheben. Vongiei* 
eher Art waren vermuthlich eine nicht geinnge Ansahl von 
leren gegangener Gediclite, und namentlich dasjenige ^ wel- 
ches die iiuckkunli der griechischen Heiden aus Troja 
beeohneb. 

Um mon dem kislorischen Gedichte cur Epopee ttber-^ 

EUgehen, bedm ile es vieileichl nur eines freundhcheren Him<* 
meis, einer glücklicheren Organisation^ eines heileren Blicks, 
eines mehr durch die Natur begünstigten Dicfatergenies, und 
viefleicht war nur dies der Unterschied twisehen dem glück« 
liehen Sohne loniciis und dem Bewohner des traurigen 
Askra, das, „im Winter beschwerlich und be- 
acKwerlieh im Sommer/' dem Genius der Kunst kei- 
nen gleich freien Auflhig verstatlete. Nur das epische Ge- 
dicht stellt sich auf eine Höhe, von welcher herab es sei- 
nen Gegenstand zugleich übersieht und beherrscht; nur der 
epische Dichter fafst aUed, was die Weit und die ftlensch- 
holt enthält, mit Einem Blicke zusammen ; nur- er beschäf- 
tigt nicht blofs die WifsbcgienJe, sondern die nachdenkende 
Betrachtung; nur er weckt daher die Thätigkeit der Kräfte, 



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im 

durch die wir über den Üreis der Wirklichkeit hioausgeheu« 
film darum abw, weil er^ auch 9chon ohiia auf Miua küntU 
leriflche Bettinunung wa Mien, «ine weitere Sfdiare wlUla 

erfüllt er auch jene liestimmung besser, und stellt auch in 
kimsüerischer Hiosichl eiu grölseres und mehr voiiendetea 
Games aul 



LXX. 

Diese Gftttuiig beschreil»eailer Gedidito hat eiaea beschranfctene 
Zweck, mle die Bpopee, and steht ihr in dichteascher 

VoUewInng nadi. 

\yer blofs erzälüt, hat mehr oder weniger nur die Ab- 
•ichty eine fiegebenheü- vor die Augen au ateHen; er "ver- 
bindet damit allen&Ua noch die andre, entweder eine Lehre 

einzuschärfen, und dann nähert sich die Erzaldung der Fa- 
bel, oder eine bestimmte £mphodung zu erregen, und dann 
iat sie mehr iyiisch. Aber er geht auf nicht» AUgemcinei^ 
auf nicfata, was dem Menschen irgend das Ganse semer 
Lage und seiner Bestimmung vor die Seele führen könnte, - 
am allerwenigsten darauf lüoauSi auf eine dichteiiaehe Weise 
den Zustand reiner Betrachtung au. wecken. 

Dies nun finden wir auch in allen den Gedichtoi, von 
denen wir eben sprachen, bcslatigt. In Hero und Lean- 
der wird die Geschichte zweier Liebenden erzählt, die 
Kühnheit, mit welcher der Geliebte die Gefahren der Nacht 
und des Meeres verachtet, um su dem Gegenstand seiner 
Liebe zu gelangen, die Giausauikeit des Schicksals, das ihn 
den \V eüea zur Beute giebt. So viel Grolses und Sch öne » 
aneh in diesem Stoffe .liegt, so erregt er schon unsre fim» 
pindung zu stark, um un» die Buhe su erlauben, welcher 
unser Geist immer bedarf, wenn er sich zu der Höhe der 
Betrachtung schwingen» wenn er einen voUkommnen aüge- 



18» 

meinen Uebeiiilick gewhiiien mH. Bfai Midier Sieff kann 

nicht anders als auf eine spielende, kalte, blois zierliche, 
und daher immer kleinliche Manier, ^vie der griechische 
Dickter es wirklieh gethan hat, oder erhaben und rührend^ 
und also wdirhaft tragiscii, behandelt werden. In dem er* 
steren Falle liat er iiichl iVic Nalur und die Wahrheil, in 
dem letzteren nicht die Ruhe, und mithin in keinem von 
beiden die 6H)fse und den UmCang des epiaehen Gedieht^ 
Noch weniger aber dürfen aich mit diesem die kleineren 
l^rziililuiigen messen, die man nur gleichsam Bruchslücke 
nennen kann, und die oft weniger den Namen epischer, als 
blofa historischer Fragmente verdienen* Sie schiidem ein- 

'veloe Handlungen, x, B. Herkules LSwenkampf, oder eine 
andre ähnliche Begebenheit, sie stellen dieselben als ein- 
zelne Gemahlde auf, versetzen uns zwar ganz und leben- 
dig in* ihre Gegenwart, aber halten uns auch in diesem 
langen Kreise gleichsam gefangen, ohne uns darüber himMts 
auf einen höhern Standpunkt zu führen. 

Indefs erfordert die gerechte Beurth eilung dieser ein- 
zelnen Stücke eine nicht geringe Vorsicht Da die Einheit 
der Epopee, wie wir gleich noch näher sehen werden, von 
der Art ist, dafs dieselbe eben so wohl aus einzelnen, vor- 
her für sich bestehenden Tiieilen zusammengesetzt, als auf 
einmal als ein Ganses gebildet werden kann; «da es mehir 

. als wahrsdieinlich ist, dafs selbst die vorsägliGhsten epi- 
schen Gedichte, die wir besitzen, die Homerischen, auf diese 
Weise entstanden sind : so kann der epische Charakter je- 
ner einzelnen Stücke gro&entheils erst doroh ihre Zusam* 
mensetsung entspringen, oder wenigstens {^wfls erst in ihr 
vollkommen riehtbar werden. Zwar mds der geübte Tact 
des Kenners auch schon in dem einzelnen Theil, ja in we- 
nigen Versen, diese TaugEchkeil, ein Glied in der Organi* 
sation dnes epischen Ganzen abzugeben, zu benrtheften im 



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IM 



6iande seyo, und wo sie so deuUich ms Auge fällt, wie 
I, B. ia d«a gHUMren Uomerischea HyviM«, da wird 
nie» auch von dam minder ErfafanieDy verkannt werdan; Je 

schwächer sie sich hingegen ankündigt, deslo mehr giiA 
natürlicli diese Krilik ins Feine und Ungewisse, 

Bei eolelieii nicht apifichan Enähkoigan ist niiii — 
und dicü ükhrt nw aaf den sweilan Untereeliied da wolW i i 
von der Epopee — der Dichter in dem Augenblick, da 
ame Pbanlasie sie hervorbringt , nicht von der hohen Be- 
gdst^ruiig hingeriaean» welelie^ die gama Seele nnt eicli 
erhebend, ihr nicht mehr erlaubt, bei einaelnan Geeüdtea 
stehen zu bleiben, sondern ihr erst, wenn sie das Ganze 
mit ihrem Sinn und ihrer Empfindung umfafst, eiue eoar- 
giache Ruhe gewährt Wo der Dichter wirkte ist ee tm^ 
mer die Einbilduiigskraft, die alleia gesehäftig ist, welche 
die Stimmung seiner Seele hervorruft, die ihr selbst analog 
ist, che ihn höher hinaufführt, oder auf einer aiedrigeraa 
Stufe verweilen läfst Wenn wir im Vorigen bei Geiegeiir 
Mt der Methode dar Ableihing tSkr IHebtnngBaiten den 
Zustand der Seele im Allgemeinen von derjenigen Modifi- 
catioA absonderten, welche ihm die Einbildungskraft und die 
Kunst giebt; so darf nHui sich darum nieht vorstelien, dala 
dieselbe diesen Zustand sdhon vorfand und nur beaibeitete. 
Vieluielir ist sie es allein, welche ihn hervorbringt, aber 
freilich darin der individuellen INatur des Gemüths folgte 
die eben dadurch auch die ihrige isi 

^Kam eraählendas Gedicht, das, wie wir im Vorigen 
sagten, unter der Epopee steht, wird daher die hohe dich- 
terisclie Schönheit besitzen, welche dieser immer eigen isl^ 
kains in diesem Varstande ein voUkomflsnes, in siefa -ga» 
sehlossenes Gänse bilden. Zwar wird ihm die Eänhait 
nicht fehlen tUufen, welche jedes Kunstwerk erst zu einem 
achten Froduct der Einhiiduogskraft macht; aber es wird 



IH 

nidii eine m vo%ii49le> «o sorgfiiUig «uifilHliete, in albn 
ihm Thfliien organlsirie Gruppe darsteUeiiy es wird nicbt 

ia dem reineu mid hohen objecliven Sinne gearbeitet seyn, 
weil es^ .oicht aus einer so reinen und hohen objectiven 
Stimmung enispnngt» 

Zwiflehen dieser ginien Gattung eruhlmiiler Gedidite 
und der £popee ist daher ein fester und bestiinmler Unter- 
schied. Sie sollen das Gemüth blols belehren, rühren, er- 
gdtsen^ oder beaduüügcn; aber sie sind weder hertiaunt 
noch fähig» es ia den Zustand hoher und reiner siMÜcher 
Deirachtung zu versetzen, welcher allein das Werti d^s 
epischen Dichters seyn kann» 

m ■ 

LXXI. 

Einwurf gegen die Anwendung des Bcgriirs der Epopee anf du 

gegenwärtige Gedicht* 

Wir heben nunmehr den Begriff des ep^M^eii Gedadht$ 

luBlänglich entwiciwlty um mm audi die Frage, in wie fern 
Herr mann und Dorothea dieser Gattung beigezählt 
werden darf, auf eine genügende Wei(»e an beantworte 
Vietteioht aber ist uns^ indafe wir bisher nur die MaiecMi» 
itcB Btt dieser Untersuchung voraubereiten beschäftigt wa* 
ren, das Urlheil der Leser bereits vorausgeeilt; viell^iicht 
haben sie schon entschieden, was uns erst eine genamro 
Prüfung zu verdienen schi^ 

,,Herrmann und Doro^thea lu der Zidii der Epe- 
peen rechnen, heifsl es der lliade und Odyssee, dem 
verlornen Paradiese und Klo.patocks Messlaj», den 
lleisterwerJcen Tasso^s und Ariosta 9ß. die 3^ slelhm» 
Wie darf die Erzählung der Sehicksale zweier Liebenden 
uiil der Darsleiiung von Handlungen verglichen werden^ 
die einen Xheil des Mensfthw^escbiechts seihst in Oewe« 



IM 

gong teteten^ dk schon ab merkwürdige £pocheii in der 
Gefldnchle unmr Tfaeiinahme und untrer Bewunderung 

gewifs sind, und dem epischen .Sanger selbst durch das 
Gepräge des Heroismus, das sie an sich tragen, schon ei^ 
nen poiStiscfa xnbereiteten Boden darbieten^ aof den er mk 
2uveraefal «nftreten kann? Was kennen die Begebenliei- 
ten zweier Unbekannten so Grofses und Bedeutendes ent- 
halten, das sie der hohen Begeisterung werlh macht, mit 
welcher der epische Singer > mehr als jeder andere Plcb- 
ter,' schon in dem Augenblick, da er seme Stimme erhebt, 
der allgemeinen Aufmerksamkeil gewifs ist, des slolzen 
Vertrauens, mit dem er, mehr als jeder andre, sein Lied 
der Welt und der Nachwell weiht? Warum dies Gedieht 
aus der Classe herausheben, in die es seiner Natur nach 
gehört, aus der Mittelgattung zwischen der Epopee und 
Idylle, welche mit der letzleren die Aelmlichkeit des Stois 
md der Charaktere, mit der ersleren die miunlerbrochene 
ErsShimig einer einsigen Handlung gemeb hat? Oder 
heifst es nicht in der TIkiI, die Aesthelik, welche dem Sinn 
eines jeden ofien stehen sollte, in das Gebiet eioer dunkeln 
Melqihysik hinüberuehen , wenn man die venclnedenea 
Diefalungsarten ihrer Sulsem, in die Augen fallenden Merk- 
mahle beraubt, die, wenn sie sich auch vor der philoso- 
phischen Prüfung nicht als allgemein geltend bewähren 
^äten, doch wenigstens s^ gnl^ ffir den praktischen Ge- 
brauch sur Unterscheidung dienen? heifirt es nicht ihre 
äufsre und lebendige Gestalt verdunkeln, um ein gewisses 
inneres schwer zu erkennendes Wesen tiefer zu erforschen?" 

£ine solche oder eine ähnliche Sprache dürfte ein gfo» 
fror Theil unsrer Leser iltfiren, und diese Einwürfe, die auf 
einmal die ganze Untersuchung über eine Frage abschnei- 
den würden^ die sich hiernach auf den ersten Anblick von 
selbsl enlscheide^ sind su wichtige um sie mit StiUschwen 



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1«S 

gen sa Bber^hen* Sie ▼erzenen vielmehr in mehr ab Et« 
ner Hinncht eine strenge und ausfilhriiche Prüfung, d» es 

eben so wenig gleichg^ültific ist, blofs um leicht erkennbare 
Merkmahle zu bekommen^ unwesenlliche in die Definition 
der Diehimigftarlen mtfinmehmen, als ein 6e£cht> das sich 
gerade dnreh i&ne trefliche innere Organisalion ausaeieli» 
nely SU einer blolsen Millelgaltung herabzuwürdigen. 

LXXII. 

- 4 

Bfeantwortnng di«f«i Binwarfr. — Bagziff da« BimMtmu 

MuTs die Epopee nothwendig einen heroischen Stoff be- 
faandefai? und an welchen eichren und untrüglichen Kemn 
leichen IXlst mch dn* selcher von jedem andern unterscHei« 
den? ' — dies sind, sieht man leicht, die beiden Fragen, auf 
wel^e allein alles hinauslauft Denn der Maogel heroi- 
scher CharakleFe mid Handlungen ist das Einzige^ wodurch 
sich H^rrmann und Dorothea sichtbar von den inni- 
gen Epopeen unterscheidet. 

Der Ausdruck des Heroischen ist ohne hinzugefügte 
nShere Beslimmmig mehr ab £iner Deutong föhig; er kann 
theils mehr- auf die dnnKdie Grdfi^, th^ mehr 'auf die 
innere Erhabenheit bezogen werden; er läfst ferner ver- 
schiedene Grada zu. Allgemein kann man den Heroiß- 
mus auf erschöpfende Weise durch • diejenige innere 
Stimmung deliniren, m welcher, was sonst allein das Ge* 
scliält des reinen Willens ist, durch die Einbildungskraft, 
aber nach eben den Gesetzen ausgeführt wird, nach wel- 
chen auch jener gehandelt haben würde. Er unterscheidet 
sich alsdann von der heröischen Schwärmerei dadurch, dafii 
in dieser die Einbildungskraft nicht gesetzmafsig, sondern 
wilikührlich verfährt. Je nachdem nun dieselbe mehr auf 
die änfoeren, oder auf den innern 8inn bezogen ist; je nach* 
IV. 13 



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« 

dem sie mehv das Sinnliche, üroise und Glänzende , odei: 
4as Clrbaheae. «idtt^ entoiekt jene doppelte Act de&Uerok* 
musy die» wie überhaupt , so aueh-fOc den didutarischan 

Gebrauch sehr veiscliitden ist. 

' Der moralische iieroiaiiMis liegt ganz in der Gesin- 
ma^ er hat aeioea eigvuNi inneren . Werth, iiod iat vim alr 
lern, «ifaer der Binpfindungy auf der er eatapringt, «nah- 
hängig; er versetzt uns in eine ernslc, aber tiefe Rührung, 
und führt uns in uns selbst und unser Geuiüth zurück. 
Der sinnliche Heroismus hat keinen, bestimmten moraU- 
schen Werth (ur sich selbst; was er hervorbringt, ist im- 
mer giofs und glänzend, aber nicht immer auch gut und 
nützlich; er hängt dalier oft von ZufäUigkciten ab, uudkanu 
sich manchmal auf einen blois blendenden Scl)ein>.auf wirk- 
liche Vorurtlieile gründen; er versetat uns in einen gewia-. 
ßen sinnlichen Schwung, weclvt alle Kräfte in uns, die dazu 
mit\virken können, und umgiebt. uns mit allen den Gegen- 
atiuideni mit welcbena wir, sey es mit Recht oder mit Uo- 
recht, den Begriff des Greifen, des .GÜinaepden; jdes Feiw^ 
iiciieti vciLinden, 

Jene ersiere Galtiipg ist immer uothvvendjg in der Tra- 
gödie in Handlung ge8eta^ in der bärgerlichei^ Mwohit afn 
in der eigenltich Woisch. geoanntea; in dieser kommt nur 
auch die zweite zugleich hinzu. Diese letzteie aber ist es, 
die wir, aUein oder zugleich mit der ei:8leren, in aiteu be- 
kannten Epopeen anti^c^en} nnd in mases» Dichter ^rad» 
vernassen. 

Lxxm. 

GewölmUoher Begiilf «1er grofst^n Kpoi>ee. — Seiner Unbeatiuuntkeit 
angeaclitet, liegt ihm Wahrheit zum Griinde. 

Bei Diiigeu, die mehr durch Zui iil, als nach Grund- 
sätzen entstanden sind, cnUerut wau ml\ immer von deoi 



» 

Qmg fio tUßdt, wen man fimm in ^ B«griff einifiltf ; ml 
90 mM mich- wir hier, gerade da w dem Weeen der Bpe^ 

pee, so wie es uns die Erfahrung giebt; nahe LI« ihen ^voll- 
leHy wieder davon abgekommen. . Denn die Anhänger des 
gewöbnÜchea äskbeikche» Systeina wütdeA mil dem dten 
aufgeeCeliton Begriff des eiimlichen .HeMiemus, ala cme 
Merkmahls der^Epopee, noch eben so sehr, als vielleichl 
mit unsrer ganzen bisherigen Entwicklung, unzuhieden seyo. 
Die Metma^dcbeDy an welchen ei e das epieofae Gedielit wie* 
dererkennen, haben, wemi sie aueh weniger besUmmt ae^ 
seilten, in der That das Verdienst, klarer und iiandgreihi- 
eher zu seyn. 

&e verbrngcn eine Handiimg, die aua d» GeicMrte 
enllehnt ny, eine grofte innere Wickligkeit und- einen be-* 

trächtUchen äufsern Umfang habe, feiner Voifalle, welche 
viel sinnhche Bewegung mit sich führen, starke und man« 
nigfalüge Leidenachalten in ThiUigMi ^aetaeo, mithin fibeiu 
liMtpt emen Stoff > bei dem weniger Individuen, ala Nati«»*^ 
nen und die Menachb^ überhaupt, interossirt sind, wodurch 
die handelnden Hauptpersonen natürlich zu Üünigen und 
Fürsten, überhaupt air aeichen - werden müssen, die auf daa 
Jßduekaal andrer einen nifichi%en Einfiola auallbc»; aie veru 
kmgen an6erdem -(wenn auch wenis^er einstimmig) tiie Mit- 
wirkung höherer Wesen, die Eiunuschung der Fabel und 
des Wunderbaren^ und endiidi waa, wie wir gieidi ntt- 
her aeigen werden, nicht weniger hierher gehört — die 
Ankündigung des Gegenstandes und den Anruf der den Ge- 
aang beschützenden Gottheit in dem Eingange des Gedichts« 
Alle diese Eigenschaften^ die leiste allein ausgenom- 
men, sind indela gewissermaisen unbestimmt, und einige 
unter denaelben tragen unläugbar das Gepräge des LMwe- 
seni liehen und Zufälligen an sich. Der aus der Geschichte 
entlehnte blo& kann mehr oisr mnder bekannt seytk, in 



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Aem leliteren Kali nähert er sich eineai bloi's von dem 
XMcliter erfundenen; die Wichtigkeil and Grdüie der Uan* 
dtimg, die sinnUehe Bewegung ihrer eimelnen Theile ist 
durchaus relativ; die Einmischung der Fabel und des Wun- 
der|>aren kann doch nicht anders, als durch die Siinunuiig^ 
uMen, die «e benrorbriogly durch die höliere Feterlicbketty 
dorch die greisere Ehrfurcht, die sie in der Seele des Le- 
sers weckl, und es hängt also von der Zeil, in welcher, 
von den Menschen, zu welchen man redet, ab,, wie viel 
•der wenig dadurch eoU bewirkt werden können. 

Dieser UnbesÜmmtheit ungeachtel, ist indefe die Wich- 
ti^keil aller dieser Stücke zusammengenommen nicht zu 
läugnen; es gieht der Seele ollenbar einen höheren Schwung, 
wenn sie sich euch sinnüch gro£M Massen vor ihren Angm 
bewegen sieht, wenn der Dichter sie auf einen groite nftd 
weiten Schauplatz führt, wenn er ihr zugleich den blenden- 
den Glanz des Olymps und die fmchtbaren Tiefen des. Ere- 
bns aufschlielsl; es simml sie su einer höhenn Begeistniiy, 
als wenn das, was er ihr vevfilhrt, blofii ans unsrem cignev 
Kreise, ans unsieiu laglicheu und gewölirilicheii Leben ge- 
nommen ist. Es macht zugleich auch eine reinere kiinslie- 
fische Wirkung; denn gerade weil das,' was näher mit uns 
verwandt^ist, auch noch tiefer in imser He» eingreift, so 
läfst es die Einbildungskraft weniger frei, so drückt es sie 
nieder und sieht sie Imrab. 

LXXIV. , 

Beweis des Clesagten dorch ein Beispiel »QS 4er niade- 

Es kann schwerlich je eine grjjlsere und mehr epische 

Situation gedacht werden, als die ist, mit welcher der drei- 
zeliote Gesang der iiias anhebt. 



Digiiii.uü üy 



Zeus sHeI auf dem Gipfel des Ida. Er lial eben den 

Wafferiglaek ^ Kampf bei dem Lager der Grieehen eine 
andre Richtung gegeben, Hektorn und den Troern Ruhe 
verliehen. Jetzt wendet er sein Angesicht von diesen blu- 
tigen Scenen Mnweg, lAid bBckl auf die Iriediiclieii Vdi- 
kerschaflen der TKrakier und Hippomoigen, die, sehuMiee 
und gerecht, nur von MiJch leben, und jede Gewaitthälig- 
keil scheuen. Wie ist es möglich, so grofee und erhaben« 
G^enstande in dasselbe Bild rasammenadfasseiiy ohne sehen 
seinen Stoff so glüeklich gewählt sa haben, dafs man s«- 
gleicli Völkerschaften, die um das Sciiicksai der W eil käm- 
pfen, Nationen, die ein friedliches und schuldloses Hirten- 
leben fahren, und einen Gott der Götter darin antritt, der 
von'^dem Gipfel eines Berges beide Sberscbatit, bdde rick- 
let und beherrscht, aber lieber und williger bei dem An- 
blick des Friedens^ als auf dem Schauplatz der Ehrauohl 
und des Mordes TorweilL 

' Derselbe Gedanke, die beiden Extreme der nusisekli- 

chen Natur, die heftige und unruiugc Thäligkeit, mit wei- 
ter der Mensch immer nach etwa» Nenem und Höheren 
strebt, und die stüle Genfigsamkeil', mit der er sich immer 
nur in demselben Kreise hemmdrefat, ttnd mir diesen mü 
Segen und Gedeihen zu erfüllen strebt, unmittelbar neben 
einander aufzustellen, und sich seli>st und den Leser su^ 
gleich Bu der Höhe su erheben, bdde in ihre» Verbindwh- 
gen, ond mit ihnen, da die eine oder die andre alle» ent- 
halten miiis , ^vas Menschen zu denken und zu empfinden 
im Stande sind, die ganze Welt zu überschauen — .lieia 
sich gewils auf sehr verschiedene Weise ausführen, und - 
muls sogar gewissermaalsen in dem Plan jedes epischen 
Dichlers liegen; aber nie war es möglich, ihn auf eine mehr 
sinnliche, prachtige, erhabene, und in jedem Verstände epi^ 
sehe Weise dariustelleo. 



m 

LXXV. 

leiier anb«atiMite Begpff dw Ep9fw» wird .beillml, mMÜA mw Um 
auf den des 'ÖeioiBcheii smiickfMlirt. 

ist dafafr uullugbar g«wi£r: die Sphäre» woraus der 
Sloff^ die IhndluDg, die Personen der Epopee gefiomoHm 
sind, ist für die Wirkung auf den Leaer auf keine Weite 

gleichgüilig. 

Aber wenn dies nicb( auf einen iuib«atiininten Begriff 
Ton kiele relativer Gröfee der fiegi^nkeii und Manniglal« 

tigkeit der Be^vegung hinauslaufen, oder der Dichter nidit 
gezwungen seyn ^il, blofs und allein die vorhandenen Mur 
sfcer naehauahmen» and achiechteränga dieaeiben ft&Uei, ne 
mügen nun jeUt noch dieselbe Krafl* der Wirkung bepiisen 
•der nicht, zu gebrauchen; wenn es möglich seyn soli, dem 
Merkmal des Heroischen, das hier der Epopee beigelegt 
wirdi dnen bestimmten Begriff uatenttsofaieben> welehen 
jeder Dichter auf verseliiedene Wei^e und durch mannig- 
faHige Mittel Genüge leisten kann: so mufe man sich nicht 
au solclie einzelne Eigenschaften des 8ioäs, sondcm an 
die Sümorang halten» welahe er hervorbrin^ aolt^ und 
dann wird man nothwendig an dem ainnlidMU Heroisnuis 
gelangen, den wir im Vorigen genauer bestimmt haben« • » 
Und in der That ist es dieser Heroismus, zu welchen^ 
die «niachsten und höchsten Muster der Epopee, die Iliaa 
und" Odyssee, begeistern; man fiUiU sich in ein ehrwürdi» 
ges Heldenalter zurück versetzt, mau sieht die Erde und 
den Olymp zugleich in Bewegung, der gröiscstc Theü des 
MenschengeacfalechtSy die .verschiedensten Völkerstänune ge- 
hen dem Blick vorüber» man sieht lauter grolae, lauter hell 
beleuchtete, lauter so sinnlich gcbildele Massen, dafs sie 
wieder auch in der Phantasie nur (ieslaiten, nur Bewe- 
gung, nur sinnliche Objecto erregen; man empfindet es leb- 



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> 



IM 

hoft, 4$h ikr Siuificv gagMubt Hai» ▼<» dem wieliüg«ton 
Ercignifii ecdner ZeH erfölll sa 8«yn, und dictm auCdie 

allgenicinsle TlieilnAhine rcehncn , mit dem gerechlesien 
Ötoize uuiUcteii zu dürfen. 

LXXVI. . 

Ankuntygur^ des Gegeutandes und Anraf der JUwe In d»r Kpo^etv 

Nicfals diaraklerkirt 4ea qiisdiea SBiigtr 60 tehr» ab 
4ie Gewifiilietl, inü der er auftritt; und in dieser Rueknckt 

^chörl, wenn man einmal blofs von der giofscn und heroi- 
schen Epopce spricht, die Aukiiadigung des Gegenslaudes 
imd der Anruf der Milse toi Eingänge des Gediehis gar 
nicht so sekr sii den unwesentlichen Erfordembsen dersel- 
ben, als es viellciclil scltenieii küiiiile. 

Ni^t blofe dais der Dichter die Aufmerksamkeit des 
l^eseie stftricer erregt ^ je feierlicher es beginnt, .und dals 
diese Znversiciit' selbst seinen Sängerberuf bewShrl, so ntuili 
er auch von selbst, crfüllL von einer grofscn, folgenreichen, 
alJgeniein bekannten Begebenheit, und ia der Stimmung der 
Embüdungsknifty in der sie alles ins Grobe, ins Giünsende, 
ins reieh*i9innKehe malt, und lauter Gegenstände um steh 
versammelt, die dicker ßehandliing fähig sind, auf vi- 
nen solchen Eingang gerathen. £r mufs nicht genug eilen 
können, das aussnsprechen, wovon er selbst überströmt^ 
und ehe er iüe ' einseinen Theile seines - Gemahldes beson- 
ders schildert, wenigstens zuerst nur mit ikn llan|>liimris- 
sen das Ganze iiin^ustellen. Millen miter dieser Füüe von 
Gegenständen, und in dem Drange seiner Empfindung mufs 
er Beistand and Hülle, aber er kann sie nur bei der Geil- 
heit suchen, mit der er wirklich in dicsctn Au^cuhlickc na- 
her verwandt ist, da er, wie sie, über der Welt und der 
Mensc hheit, über der Vorzeit und der Gegenwart sehwebt 



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Auchjund alle eigeoUich sogenannlen epischön Dicklar 
Iderin dem B«i9piel Hooiers geifolgi; und wie nalie diMor 
EingMig mit der individueUMi SÜwnuiiig des Singe» 

eammenhängt, sieht man besonders deullich an Ariost. 
Da er in der That nicht sowohl durch eiae eipzehie Haiid« 

, luDg oder Begebenheit begeistert war» aondeFn- eieli nw 
mehr von dem Feuer belebt fühlte, in das die Phnetaiie 
versetct wird, wenn sich ihr eine zahlreiche IMoiige i ^wi- 
iiigfailiger Gruppen, ein weites und reichbesUetes Feld zeigt, 
.^^aie.dunchlaufeii ^nn; ao kündigt er bei weitem nicAit 
ao .aehr seinen ägeiitUchen Stoff, als vielmehr die manniig^ 
falligen Gegenstände an, die sich in dem gan/.eii Utiifaiige 
f^einer Gesänge finden \Y^den, und gesteht schon dadurdi 
3rQ|t/>aeibst zu, dals er vor allem nur diurcb (HtfwugWtjlM^ 
und Abwe^slmig su i^teressiren vermag. . ^ n^ülur mm. 

^nser Dichter befindet sich in einem nocli cindcrn Fall. 
Sein Stoff ist von der Art, da£s er ihm .mit Sicherheit die 
Theilnahme jedes gefühlvollen Xesers . versprieht, ab^ er 

* ti%t diese nicht unmittelbar an der Stirii, man mufs erst 
tiefer in ihn eingehn, um mit ihm vertraut zu werden ^ ihn 
erst kennen lernen , um ihn lieb zu gewinnen. Nach und 
nach also mid schrittweise mu& der Dichter den Leser in 
sein Interesse verweben, einfach und. anspruchlos beginnen, 
.um sich am -Schlosse desto gewisser des vollen Siegs zu 
erfreuen. Selbst der Anruf an die Muse konnte ihm daher 
weder eine holdere Kraft au erlangen, noch die, welche er 
besitzt, a« bewähren dienen; er konnte ihn, wie wir im Vo* 
rigen gesehn haben, nur dazu brauchen, seinen Stoff inner- 
lialb des Gebietes der Kunst in dem AugeubÜck zu erhal- 
ten, da er in das der Wirklichkeit überaugehen droht, seine 
physische Wirkung zu schwach«»,, um seine Jatbetiaeitt 
XU erhöhen. 

Indeis bringt er doch auch bei Um uniäugbar zugieidi 



SM 

1 

noch ww Mrfre whI dem episciien GeiMil nMhr eigen* 
Üifiiiiiiche Wirkung hervor. Dadurch dafe er die Handlang 

einen x\ugenl)hck in ihren ununterbrochenen Fortschritten 
auhäity dals der Dichter an dieser Stelle in wenige Worte 
■nsan teMunl ifa t» -«wae^«*»» WflhnE geleiatet hat, nnd waaünn 
nndi; ^ hemmgm ^Mft-IM»^ bildet flieh, der Stoff des 

dichU vor uiisrer l.iiibildiiugskraft sinnlicher als ein Gan* 
zes, das einem bL-.>[jtiiniieu Zi^le zueilt. Dadurch, dals er 
cj niil nA ii ^ B n li iehn ane r u i w i i i^und 1^ lüräile aannneln mnfe, 
ddb 'e<r>niw<n?fB Biata fcdng ^än«ibedflrfen glaubt, am nun Ziel 
zn p^elnimeii, erscheiiil sein Geschalt uns bedeutender, die 
Bewegung, in der er sich belindet, gröiiBer und lebendiger. « 
Selbst die VorsteUmi^ der Mme, iram wir uns nucb not« 
diesem Namen nicht mehr jene ehrwürdige Gottheit ies 
Alterlhums denken, wenn wir es auch klar empfinden, dafs 
«ch der Dichter blols an seine eigne Begeisterung wendet^ 
«md 'dieser nur jene sinnKohe Einkleidung leiht, trägt don- 
noch dara bei, den dichteiriacheo Sehwnng unsrer Stirn, 
mung zu erhöhen. Denn erkennen wir gleich nicht mehr 
die Ehrfurcht erweckende GrÖfse einer Bewohnerin des 
Ofymps in ihr, so bleibt sie uns doch immer -,die holde und 
heblicbe Tochter der Phantaiie« 

LXXYU. 

Zwiefache Gattung der E^opee. 

♦ 

Dals also zwischen allen übrigen bisher bekannten epi- 
adm Gedicbtai und unsrem gegenwärtigen in der Thal 
ein wichtiger Unterschied Vorhanden ist, dals d^raelbe in 

dem heroischen Charakter liegt, welcher jenen eii^cn ist, 
und diesem fehlt, und dais . dieser Charakter allerdings da* 
an beiträgi, dw dlgentlich epische Wirkung su modi£ciien 



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UnteraudttiBg. 

Dttidi dwte aber wird der bisher feitgcselBle' ßegrißf 

der Epopee keinesweges umgesloüäen. Dieseui ist schlech- 
terdings (icnüge geleisiei, sobald unser GemüUi aul eiae 
diditenselie Weise ia dMi Zuslaad kbeiidiger und iJüg^ 
ttdner ttnidicfaar Betrachtung versetil ist Niemand viM 
leugnen köuneo, dafs dies eben so wolil durch einen bür- 
gerlichen, als einen Iieroischeu 6tali, durch eine erdiciileley 
i|ls durdt eine aUgemein bduuinte und wckhietoos«^ Be« 
^ebenhttl, durch fireignisae, die nur dnige wenige Perst»» 
nen belrefTeii, als ilurch solche, die ganze Nationen in Be-- 
wegung setzen, geschehen kann^ wenn es auch in dem el- 
iMaFaiie kiciiter ^jeÜngen sollte^ aJs in dem andern. . Wei- 
dito Ge^matand er audi «ir Bearbeitung wäbll, eo tank 
der Dichter immer von ihm aus aui ciaca allgemeinen Sland- 
pmikt führen können ; wenn ikm auch sein. Stoff wenig sinn* 
lieben fieiehthum darinetei, mxufM er ihm doek innler G»* 
slali und Bewegung, alse sinaliohes Leben, ndttheüea köa» 
nen. Alsdaiia abur hat er scia Geschäft vollendet, und die 
epische Wirkung ist unläugbar vorhaoUen. Verbindet man 
mit der Epopee Nebenbegriffe .ven dem Uiiifaii|;e. des Ger- 
ichts, und der Grofse der Handlung, mischt man unwe- 
sentliche Dinge, wie die Fabel und das Wunderbare hinein, 
80 ist das allein der Fehler der Kiilik. Alle diese Forde- 
rungen fliefsen nicht aus dem Wesen des epischen Gedichts, 
sie sind bla(s von den vorhandenen Mustern, welche un- 
möglich allen künftigen Er^veiterungen Grenzen voisclirei- 
hen können, hergenoDunen, und sind endlich nicht einmal 
ab mid liir sidi lest und sicher bestimmt. 

Indels fessen sich ^eselben demioch^ auf elwas Be- 
stimmtes zurückführen; sie koiiuneii alle darin überein, dals 
der StoU der £popec ins Glänzende» siunlich -bleiche beai^ 



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MS 

bdlet wetdm mabi %faA swlich«! einm Gedidit, m w«l* 
diem dies geschehen isl, und^einein ttidrai, in dem, wie 

%, B. in dem iinsrigen, eine gröfsere Einfachheit, und ein 
geringerer sinnlicher Beichlhum herrscht, ist ein anverkeno» 
hmx \ ^ t fetu chW » T tWena* M iAoh weh Uoehi Itt^ jen^ 
Atrfwdeiiittgtti ^ tiliw i i 2MüelHMifMi»eD, und es soKUr mit 
Recht liicherlicli zu machen, wenn man nur ivouige und 
IleldeBynund diese in einem feierlichen und Bfujefitttwchfii 
A^l^ :mt^^i4m ^ M ia üp ia ty.deedPiditeBi sehen will» $• • 
fcWi t «es»?4eülpaf '«i^>»ert ger gewifs, dals, wenn der Didfr- 
Icr sich mit lauter sinnlich j^rorseii CiegenslUnden umgieUt, 
er aucii iinsrg J^diaiiildimgBkrifcft >»ieiüen höheren und sinn* 
licheren SdmMgi^iiitiMtk^r^iAMsk ^ eieh «kht ülnr 
den ge \y 8iii i< ahtof i& »i i l f WMiie Lehmas erhebt. Sobald man 
sich an diese verscliiedone Sliaunung der Phantasie hält, 
und nicht . igfii-adiS auf diesfi^ j^odeiß) jene BeschaÜenheit des 
$l9iei|<d#g^, M»f/wi^^ imt ^Stoben Untendned imdev 

im, wie wiciiüg es isi, heidc lüchl mit eumuaer zu ver- 
^iie«to»lHh m t)K i, 

Giage diesef^ Unterschied .dan Begaff des episehea 
Gedieh(s inoht weiter an, beträte er hlofs die Wiikuog das* 
seihen üherhaupt, nicht gerade seine epische insbesondre, 
so wäre es minder noLhwendig, denselben herauszuheben. 
^ Aber wenn die Epopee airf der einen Seite nie gamig lie- 
ben, Bewegimg and sinnKdien Glans erhalAan kMm, und 
auf der andern den allgemeinsten UebcrWick, die tiefste 
Ersieht in die gcsammte Natur verlangt ^ so müssM awei 
Alten dar fiearbattmig^ Ton weUian die- eine- v tn w ig»w e8ee 
den ersteren, die endie weniger «BeaeiH nbmr danmi (weil 
in der That die inneren Formen immer reiner hervortreteiip 
je einfacher die äulsem hcliandeit sind) vielleidit nor noch 
veUkommner den ielstercn Endiweok eneidil, auch swei 



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eigne (jatiungen ^mlben tttden, iiti4 die miere muis ao*- 
gar, da sie das eftische Gedicbl noch aichtbarer, ab dn 

Maximum der darslellenden Kunst zeigt, in dieser Hinsicht 
einen Vorsug verdieneo. Wenigstens müssen wir uns sehr 
Hillen, dieäelbe au vemachiäaaigen, oder, gar germgfUfichiU 
zen, da der Charakter imarer Zeit schon darauf hinausgeht, 
überall den heroischen Glanz wegzuwischen, mit dem wir 
4ie Geachiehte der Vorweil so zauberisch überkleidet se- 
ilen, und aueh unare £unai akh ofienbar hinneigt, von je- 
ner sinnHehen Hdhe der Einlnidmigakrafi ( die me oft nur 
darum zu verschmähen scheint, weil sie dieselbe nicht zu 
-erreichen vermag) zu einer Wahrheit und Natur herabzu- 
ainken, die kaum noch kdnsllensch heifim darf. 

Wenn wir daher audi unaam Begriff derEpopee selbal 
nicht umzuändern brauchen, so müssen wir doch zwei we- 
aenlMeh verschiedene Gattungen derselben unterscheiden, 
von .disnen wir taur die eine, gwade weil es- au Mustern 
derselben feMte-, noch nicht »gehörig zu ' nennen im Stande 
waren. So wie es ein bürgerliches 1 rauersjiiel im Gegen- 
aais des heroischen giebt, eben so und noch mehr, da dte- 
acr mehr snwliche Miwung der Phantasie, nvie wir gese- 
hen, haben, in der That den Begriff der £popee naher an« 
geht, als den Bejs^riff der Tragödie, müssen wir auch eine 
ähnücbe Art der Epopee annehmen; und eine spldie ist 
Uerrmann^nd DorotheiL 

Dieae beiden Gattungen nun kommen in dem wesent- 
lichen ßegriff des epischen Gedichts schlechterdings mit 
.einander überein, gehen b«de von der DarsteUung einer 
einaefaiei^ Handhmg aus, aeigen beide den Menschen und 
4ie Welt in ihrer Verbindung,- und versetsen beide daa Oe* 
mfith in den Zustand der sinnhchsten, aber allgemeinsten 
Betrachtung, sind aber in der Art, wie sie diese Wirkung 
erretefa^, von einander' veraehieden. 



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805 



Die heroische £pof»ee jiemlich wählt iluen (iegcn- 
rtMd- afk, «dafe er .eine mSglichsl glüineDde Aulfieaseite het» 
■ad lafc vonitgsw«lse beschäftigt, die9e ni sekliittp; bm 
naUt ins dnnfich- Reiche, GUnsende, Pr^htige, sie vm^ 
setzt (um sie noch hesUmoiter zu charaktcnsircn) die Ein- 
bildungskraft in eine Stimmungy wo dieaeibe aieb 
der lehifaafteaieti -Mitwirkung der äafaarii' Sinn^e 
erfreut. ObjecÜv^ wird ne sieb dncx^ einen $m der Ge- 
schichte enllelmten, allgemein bekannten Stoti (denn sciiwer- 
äieh dürfte je ein erdichteter ilaren Fordefungeiv genügen), 
durch ttne gröfeere Menge, solcher Begebeoheken^ die ninr 
daa Öffendtehe Leben der Vdlker unter einionder, als a«}- 
eher, welche eine ruhige und gewöhnliche Privaicxistenz 
darbietet, darch eine feierHche Ankihidigung ihres Gegen- 
Standes, (die ihr unentbehrlich scheint) überhaupt aber durch 
den Bimchthum und den Glans der Sdiilderungen und des 
Vortrags auszeichnen. 

Die bürgerliche £popee (denn, so unangenehm und 
unpasaend auch dicaer Auadrock ist, so finden 'wir doch 
Uncn, weldier den Begriff nur gleich gut erföUle) fuhrl 
zu einem gleich allgemeinen Ueberbiicic über das 6chicii- 
sai und die Menschheit, und besitzt dieselbe simtiche Indi^ 
vidnalitat, dieaeibe jkünstlerisehe Vottendang. Daa cinaige^ 
was dnr mangelt, Üt nur auch ■^'derselbe- simAche Rcicb« 
thum. Aber sie entschädigt daiür durch emen groiseren 
Gehalt an Gedanken und Empfindungen, und setzt dahn 
die fiinbildttiigskraft in nähere Verhiaidungr naii 
dem blofs biidenden Silin, mit dem Geist und dess 
Gefiihl. Denn das vefgifst man gewöhnlich, dafs es au-* 
fser dem Gebiete der i^iminüchiweit noch das Gebiet der Em-» 
pfinduayii und GenmuBipen 4|;iebt, wekbes dem 0iebler 
eben so gut eu Gebote st<iht, und gerade auch in hohem 
ürade gemacht lüt, j^ne epische Vyirkuog hervorzubrmgea, 



sobald er nur verstehl, es in der nolhwendigen Aligemeiii^ 
heit SU im^asfen. Indem mr alto ifliier GedkU ÜmtK 
Gattung zoacfareibeDy räumen vm iSim dtdocdi nnmiltelbiir 

eine liolic und ciuciithümliche Schönheit ein, eine innere 
Trefflichkeit, die jenen höheren Gkns, jene reichere Prachl 
wtnigiten« nirgends mit Bedouem xu vermnian ecUnUt. 
Wir s n g t cn im Vmgeliy da£i da» epuche Gedieh!, mefa 

als jede audre Dichlungsarl , den (bestallen, die sonst aus» 
achhelsend der bildenden Kunai augehören, Bewegung 
«ad SpracJie mütheUl. Wenn mm dife hecoisdie Epopan 
Mmen dne raacliere, mehr nat sieh foftreifeeiide, vicifoei»!« 

ije\vei;ung leiht; so giebt ihnen die unsrige eine reiciiere, 
tieler eindringende und seelenvollere Sprache. 

Bigenthumliche GrölÄe Aeä Gegcnttandes nnsres Gedichli. ' 

' Des Beweiaea, dafe-Herrmann and Dorothea mebl 

der heroischen Epopee beigezählt ^\^e^(Jen daii, werden uns 
unsre Leser leicht überheben. Es liegt von se(bst am Tage, 
und ist-iMcii mehr durch • da^enige idar, was war bei der 
aMgemeinen Prufong des Geialea, in weldieilt es gedusUel 
ist, über seinen geringeren sinnlichen Reichihum, und sei- 
nen überwiegend größeren Gehalt für den Geist und die 
finpfindiuig faaagt- haben. Eb iai uaveflmnbar^ dafii, ad 
Min. bUdend tß aadi den Shm und die Rnibilibitykraft ba* 
schaftigt, es doch diese lelzlerc und die Sinne nicht in den 
lebhaften Schwung versetzt, in welchem uns z. B. l:lomer 
doreh den Gian» und den Beichtham aeiner- DiebUingaa 
nul aieli larlreiiiL Aber deato nMiger vnvA es aeyn, ei* 
nige Wolle über die Gföl^e und Wichligkeii des Gegea- 

ataades, den es darsteUti liiaauaiiiugeny und es gegen, den 



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m 

Varwurf zu reUen, dafs es nur die unbedeulcndeo Schick« 
a4e HanoMttiiia und .Dovoiheins AChüderL 

Es ist aaUirlidi) dafe dim GrSÜie mdA lA enl«i Ai^ 
genblick in die Augen fallen kann, dafa sie sogar eben des- 
wegen, weil sich ilir Jbild erst nach uud nach vor unseriil 
Geiste ^tsteUei, «üie eigen nodi&drie fUnpfindung kervor- 
biingL Es ist gan» etw^ anders^ mit der Ankündigung ^ 
nes schon vorher bekannten Gegenstandes , oder uut der 
&aeke. selbst an^ulieben; ganz etwas anders, als epischer 
Sänger, als lebendiges Organ des Ru£i und der Geschiclile^ 
oder als einladier EniUiier, als hb&er Diditer an&otreko* 
In dem ersteren, Fall erhebt »ich die E^nbUdvngskraft des 
Lesers auf den bloisen ioii_, den sie anstimmen hört, wird^ 
nach ohne daCi der Gegenetand seihet wirk^ ven den Feuer 
nii ergriffen, das den Dichter begeistert; in dem letateiw 
muCs erst der Geist und das Hera den Stoff selbst umfas- 
sen, che das Interesse daran sich ihr ganz inilzutlteileu ver- 
miß r^atürlieh mufs also dort das Gelüld einer glanxen» 
4eren, mehr phantastischen, aber eben so natürlich hier das 
einer gehaltvolleren und innigeren Grölse entstehen. Und 
so linden wir es auch in der That Die ersten Verse des 
Dichters wecken hlefs Neugierde und Theihiahme in uns, 
abnr bei den letsten Gesangen smd wir. vnn dem Hitehsten 
• und Besten dofdulningen , -was ^vir je in unaem glücklich^ 
Sien Moiueuteu daclxteu oder eiu[)iandeii. 

I>as gröüseste GeheknniCs besonders des epischen Diiob; 
IMS bestellt in der ÜLiinsly den Beuden minbereiten» an£ wnU 
ehem seine Figuren ertcheinett« ihnen den {fintergrund «9 
geben, vor dem aie bei vortreten sollen. Diese Kunst liat 
unser DiditeF auf. eine ausnehmende Weise verstandsn. 
Dis-Femenen seines Gedichts sind nUsin sein .W^i sin 
Üben keinen andern Wertl^ keine andere Wichtigkeit, als 
die er ihnen uutgetheiit hat, aha die lie^benheiten« din 



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40119 

Zeilumstände, in die er ihre Schicksale verwebt, das, was 
er eigentlich durch sie darstellt, was, indeTs wir sie sehen» 
in ihrer Oestidt, in ihren Handlöngen auf uhs einwirkt, das 

hat für sich, und unabhängig von seiner Bearbeitung^ am 
grofses, ein aUgemeines, ein hinreißendes Interesse. - ^ 

Gkich in dem ersten Gesänge veigen sieh w xwai 
bedeutende» sichtbar von eiMinder gescyadener-^hnippen^; 
im Vordergründe einige einzelne (^hnrakter^, Menschen, die 
Gleichheit des Wohuorts, der Bescliafligung, der Gesinnung 
gen in einen engen Kreis mit «»ander verbindei^ düpiil 
der Feme ein Zug von Ausgewanderten, diHrelt'Jkieg 
bürgerliche Unruhen aus ihrer Heiiii.ith vcrliieben. Oleich 
hier also steht die Menschheil und das iSciücksal vor uns 
da, jene in reinen, festen > ideahsehen und sugleioh durch- 
aus mdividueUen Formen, dieses in emer Staaten erschuf 
lemden, wirklichen und historischen Begebenheit. Die Ruhe 
einer FamiÜe contrasiirt gegen die Bewegung eines Volks^ 
das Glück Einzehier gegen den Unteraehmungsgeist A^eter. 

H&uplÜienia des GedickU. 

Mit diesem Contraat ist zugleich das Haupttbema des 

ganzen Gedichts aufgegeben. Wie ist inteiiecitieiies , mo- 
raiisches und politisehes Fortschreiten mit Zufriedenheit ua4 
Ruhe? wie dasjenige, wonach die Menschheit^ als nach ei- 
nem allgemeinen Zide, streben soH, mit der natfiiticheii 
Individi^aÜtät eines jeden? wie das Betragen Einzelner mit 
dem Strom der Zeit und der Ereignisse? wie endÜch über- 
kwgjfi das, wns der Mensch seihst in sicfa schaffen und wtk^ 
wandefai iumn; nrit demjenigen, was, au&er den Greäaen 
seiner Macht, mit ihm selbst und um ihn her vorgeht, so 
vereinbar, dafs jedes wohilhäiig auf das andre lurück, und 



KW 

hai^ SU Mierar i^gemekiier Vottkomnieiiheit xasammen*^ 
wirkt? • - 

Diese Fragen sind in den Gesprächen des Wirlhs mit 
Minen beiden Freunden, in dem Streite der l)eideu JLilern 
Uber die Unsnfned^nheil des Valers mit dem Beiragen des 
SbhiWy m der entacMossenen Aeufsening Herrmanns über 
den thätigen Antheil an der allgemeinen Gefahr^ endlich in 
der Gegeneinanderstellung seiner Meinung und der des Irü- 
hmn Veiiobten Dorolhecns. über die Zeitumstände ober* 
Haa^y um «tir dieser vorsüglkhaten Stollea sb gedei*keii9 
nach einander aufgeworfen, oder beantwortet 

Die Antwort selbst ist zugleich die richtigste für die 
lihilosophische' Prüfung, die genügend$le fär das praktische 
-Lebeii; imd-di^ tatt^hsle su dem ^hterisdien Gebraueh. 
Atte jene Dinge, zeigt uns der Dichter, sind vereinbar durdi 
die Beibehaltung und Ausbildung unsres natürlichen und 
judiividueUen Charakters, dadurch dals man seinen geraden 
und gesunden Sinn mit festem Muth gegen alle äulseren . 
Slttrme belimiptet, ihn jedem höheren «id besseren Ein« 
druck offen erhält, aber jedem Geist der Verwhmng und 
Unruhe mit Macht widersteht. Alsdann bewahrt das Men- 
schengescfaleellt seine reine Natur, aber bildet sie aus ; alsdann 
Mgt jeder- setner 'Eigenifaümliehkeit/'aber aus der allgemei* 
nen Verschiedenheit geht Einheit im Ganzen hervor; als- 
dann erhalten die äu&ern Ereignisse und Zerrüttungen die 
TfaMi|^mt der KeI^ abw der Mensefa foiml darum 
ifaibt weiriger dw W«Ü nadi steh selbst; alsdami wSehsly 
niitlen unter den grüfsesten Slürmcn, ununterbrochen, und 
nur mit dem Wechsel größerer oder geringerer Ruhe und 
^babMaabäkf ^ at^emeine VoifremHiaiheily und einer 
iBcfal vetMitlkhcii GeMratton folgt immer eine noch bes- 
sere nach. ^ 

Dies nun, die Menschheit selbst in ihren, zugleich durch 
iv; U 



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ihre innre Kraft und die auisere Btn\ e gung bewirkten Fori« 
schritten» hat unser Dichter unerer JSinbiMangBkraft ^tatm^ 
stellen verslamdeli. Er hat diesem Stoff dedvitih naehr dioli- 

lerische Idealität gegeben, Jais er zu den Cliar-akleren Inii- 
ter rein menschliche, durcli keine .Cuilur^^HMnÄrielte, und 
doch der CttUnr nicht ver^chtessepft We(wren^ wi i h t t >» fli iei 
pen Hauptpersonen eher soi§ar etwas H^fofisehe^^ ^^^ieiM^ 
das an Homers Helden erinnert, beigemischt hat; dadurch 
mehr sinnliches Leben, dals er die wichtigsten und gröl&e- 
sfen Begebenheit^p in, seine Uandiang.iMiei«siehl; dadifrah 
endlich mehr IndividuakUit, dafs er die ganaft^Fifsnlliiwi 
lichkeit uiisres vaterländischen Cliaraklers und unsrer Zeil 
mit auitreten lalst. Es ist ein Deutsches GcuBcUecht» im^ 
am Schluls unsres Jahrhunderts» jdas er -uns schiUerl. . 

• i ' - 

LXXX. . 

Gröfse in den darin aulgefiUirten Charakteren und Begebenheiten, x 

. In den Charakteren ist gerade inulier dasjenige hmmam^ 

gehoben, was poelisch und praklisch die groisesLe Wirkung 
thut ; es herrscht immer darin eine doppelte Art der lätücke» 
einnud die jorsprüngiicbe der Natur» und dam.^et veldh^ 
aus dem ZusaouneAwirken aller VersehiedeiMli EigMrth%ir>' 
lichkeiten entspringL Denn durchaus wallet die mensehf 
liehe Empiindung darin . dafs nichts gut ist, was nicht 
naturlich ipt^ <4ais j41^..N*Mli|lidM init.eioa«der ja dur^^ 
gängiger Hsmonie -siebt, und dUb ■nr aun der reineii' Kraft 
der verschit;4enen hidiv^dueu die voUe der Menschheit herr 
y<M[gel>t, 

Die. Charaktere . der Hauptperseneii aiiid wirfcüob Sit 
sieh selbst van der Art*, dafr aie aicb allen; was nur .au 

sich gut ist, anschliefsen, und init allem eine wohlthätige 
Wechselwirkung, .unteiii4itea köm^;. eimge andre, denen 



an 

ämn EifflMciia> aieü ao •igen isl^ lieUcn dies noch in 
•M heileres Ueht ateUea, fmd wo des Gcepiüch (das fast 

immer diese Materie behandelt) den moralischen Werlh und 
die Gesinnungen der Menschen beriüirl, da wird immer nur 
besviessBy dafe weiui alch Leben im Leben vollenden soil, 
NelMdie; BieU Meidrfitkt und das Mannigfaltige meht 
einf5rai»^geiiiftcht werden muüs. Von scheinbaren Fehlem 
unsrer iSalttr aus, wird in diesen Gesprächen iaimer gezeigt, 
wie sie ntir^; Ver Mi i oi i iyi |yi a ; sind , siebt süoi Bessefenimd 
•HoherenTnttnerMeiG^.^Miende Neigungen werden firewid- 
•ttek faHl entaiider^'nusgegliehen, und die Menschlieit wird 
so selu in iiacui üaiii&cii uitifarst, dafs es nur wenig be** 
4letitetMle ..«i^ÜHrem Bilde geben wird, die hier nicht 
berläti^'^siiiMat J^<tmkii6k^j allgemrinsten und schKn» 
•sten ist sie^in defiStelle geschildert, wo (S. 100.) der thii- 
lige und rasilose l iiisei;]er des Meers und der Erde mit 
dem. süUen und rulügea Bürger verglichen wird. ' ; 

t öo^ iMvrfiehiKaiaoF int deofc- ganpen Gedicht der sehdae 
Geist rdeSt-^Bilfigk^iMwelldi« Dinge nur von der S«le 
aufnimmt, von der sie <;ut uiiii tirhebeiid scheinen; so wer- 
4ea,.wir^'. auf eine walirhaü epische Weise , aui den alige- 
gemeinen S^endpunkl gel^t, wtx den wir alles» und aUss 
mit gleich greÜMni, parteilosem Intmsse ansehn , und io 
sciüebt sich, ohne dafs wir es selbst bemerken, das unge- 
heure Bild der gaosen Menschheit den wepigen Personen 
«iler> die wir vor on» handsind erbticken. 

Weniger nihiif und befriedigend» aber gleich grofs und 
Iträftig, ist das Bild der Begebenheilen. Die merkwürdigste, 
die vieileiicht die ganae Geschichte aufweist, die französische 
Bevohitien^ isi von Ihren dr^ grdfoesten Seiten, von dem 
edein FMheüs ^Enlhusiasmas^ der ihren Anlang beseiehnete, 
von dem Kriege mit dem Auslände, und von der Auswan- 
derung einer so safalreichen Menge von Familien gezeigt. 



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^12 

Gerade ^ese drei sind es aiidi, weiche sieh dem Infcmle 
der Leser an meisten empfehlto 'müssen: die erüe dwck 

den Anlheil, den nolhwendig ihre Ideen und Empfindungen 
daran nehmen; die zweite durch die Wichtigkeit, die sie 
für ihr Vaterland und ihre eigne Existenz hat; die leirte 
endßch durch das rührende- Bild, durch wekbeft der Dieb- 

ler sü viele von ihnen an dasjenige erinnert, 1^ seHtol 
theils gesehn, theiis erfahren haben. 

Ailein das, was' diese Begebenh^ten aiieiil imd Ufr- 
mittelbar für sieh enthahen» «iA noch bei weitem nidii 
alles; es ist vieinnehr noch wenig, blofo das verwirrte 
Gedränge des Zui;es, blofs das mannigfaltige Elend der 
Flüchtlinge» die Gräuel und das Verderben -des Kriegs vdr 
sich tu erblicken; die Hauplwirkang enlsleht erst darefc 
die Vergleich ung dieser Zeit mit der Vergangenheit oMe^^ 
Jahrhunderte, durch den unsirliern und ahndungsvollen Blick 
in die Zukunft „Unsre Zeit, heiüst es, veii^eicht sich den 
seltensten Zeiten; in der heiligen uiid in der genaemen'Ge- 
schichte findet sich nichts, was ihr Hhniich wäre; wer in 
diesen Tagen gelebt hat, hat schon Jahre gelebt; so dran- 
gen sich alle Geschichten. Die Verhähmsse der Geseli« 
nthaSt sind so umgekehrt, die Stülsen, auf denen eines je^ 
den sicheres Daseyn ruhte, so umgestürzt worden, daft 
einzelne Menschen, mitten in unsem gebildeten und ciilli- 
Irrten Staaten, ganie Schaaren ohne Heimath und Wohn» 
ort herumfuhren, und dadurdt 'an jene frUhesten Zeiten er- 
ftmiem, wo ganxe Nationen durdi Wüd^ und Irren her- 
umwanderten. Und wo ist das Ende dieses Unheils zu se- 
hen? Man täusche sich nicht mit betrüglicher Hoffiiungl 
— getost tiad die Bande der Welt: wer Juidplet sie vieder. 
Als attcia aur d£r Netb, die Mhsla^ die ans befiicstelit?" 
$0 stellt uns der Dichter zugleich die hSchste Unruhe, die 
ävifserste Zerrüttung, eine wahrhaft rettungslose Venweif- 



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2ia 

kmf^ abear ndben dmdbtn «ncli mdmniko Gegcnmillci» 
litste QiwUe 6m Trustes, und der Hoffimng dar. Weiui 

die Bande d«r Welt tieb lösen^ so sind wir es, die sie wie> 
der zu knüpfen vermögen. Hienn schiieist sich das ganze 
Oedklit sttsaMflifeii» darin ▼eroinifeii sich aiie «nielneii Em* 
drücke» dia.es auf uns gaoi^t kaL Aua deai Untergang 
und der Zerstörung sehen wir neaes Leben, aus der Yer* 
wiming der Völker das Glück und die forlschreiiende Ver* 
edhiag einer FamUie hervorgehn. 

Hemnann und Dorothea «ind es, die .uns von Anfang 
an -allein hescKäftigen, aUefin nnsre ganie Anfmerksaiiikeil 
erschöpfen. Wie reich und erhaben jene Bilder mensch- 
licher Charaktere, wie groXs und hinreifsend diese iSchilde- 
rungen der Zeit halten seyn mdgeiii sie hätten diesen tie» 
ien und bleibenden Eindfuck in uns nicht hervorbringen 
können, weim wir sie nicht immer nur in tiiesen beiden 
Figuren gesehen, wenn sie nicht immer nur dazu beige- 
fnigen .hätte%. diese vottständig anasumakien. UttwilÜg hät- 
ten wir Vdlloer «nd Zeiten verlassen, und waren. nur ni 
den Empfindungen und' dem Schicksal der beiden Lieben- 
den zurückgekehrt, die sich eiiunai allein unsres ganzen 
Aeiaens; ikisres.ungetheÜien Inieresaes bemächkigi .hatten. 

Um beide bUdan sieh ,ifon d«m Anfinge des Gedichts 
an zwei verschiedenartige Gruppen. Dorothea gehört -an 
demjenigen iheil .unsrer Nation, der durch den Umgang 
mit nnsern mehr verfeinerten Nochbam eine höhere Gultiir 
nnd mehr äulsre Bildung erhalten, und durch eben dies« 
Nachbarflobaft andi an den neueren philosophischen Ideen 
mehr Autlieii genommen hat; sie befindet sich zugleich in 
dnm ^Stande höherer Spannung, in weichen jede aulser- 
.ofdentÜdie Bagebanhait die Scale « immer versetst; diese 
Stimmimg wird noch ^rch ihre erste unglückliche Liebe 
und die schwermüthige Erinnerung daran vermehrt; und 



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dies alles EusammengeaoinaMiii und m eiacat weiblichen 
Chmkler nü tttnander ▼ ewchm oimi » Mdil M «in«* 
fBinerctty bidiereii, idealMieveii WoMiiy ab H mw i MHi 

zu einem Wesen, mit dem wir noch herzlicher und inniger 
syoipalhifiiren. Dagegen läCst Uerrmanns C hat akter nichU 
m nijiiailiclMr Stifke und Uilürliiilier finfecUMifc wraia» 
seil, und beide ▼ereinigi geben tarn dae • MendSgste BiU 
einer fortschreitenden Veredlung uns res Geschlechts. Denn 
ihre Aehnlichkeit ist so voUkommen, daik sie sich auf daa 
innigste an einandec aaschüeliMn kftnntn^. und äwa beider- 
seitige VerscliiedeBheit gerade ven der Att, dalii> jndcr .van 
dem andern, was liuii äelbsl manuell, empfängt. 

, ' LXXXL 

lUtiitUt des^GMnen. — > Bigenttidier Stoff dea G«dicktSi 

Ein iurchlbareefireignüsy daa ganserVjiAkendiailen aiw 
ihrer Heimath verlreibl^ führt also einb ackere «nd eir 

lere Natur in eine entfernte, noch nainder cidtivirte Ger 
gend; es fuhrt sie gerade der Familie, dqm Jünglinge su, 
der sie zu veratcfaen^ nu fiMten^na hal; es yminigiJieide, 
■ttt einander, nnd indem es vnaiifhaltMin in sesolein Laufe 
weiter forteilt, lä&t es den Samen eines neaen Geadileshli^ 
einer schöneren und besseren Menschheit zurück« Niehl 
der Zufall, mcfafc ein blindes Voriiängnilsy nein! die woM- 
ihatige Hend eines Gotlea, die wadMame Sorgfalt des Ge- 
nitts imsres Geschlechts scheint diese wunderbare V^rket« 
tuiig v on Umstanden geleitet zu haben ; und wenn der Dich- 
ter der Mitwirkung höherer Mächte im Eina^jbon enthet^ 
ren mufate» eo fiihrt er Une dietelbe «nf die adMIe und 
rfthrendtte Weiae durdt dai Gaaie aeinar 0ichtwig in daa 
Gemüth zurück. 



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I 



215 

i 

^ Wer erinnert sich nun nicht hierbei der frühesten Zei- 
ten unsrer Geschichte, wo wohllhütige Fflanzvölker in weit 
entfernte Länder Menschlichkeit und Gesetzesliebe und die 
ersten Keime der Wissenschaft und Kunst hinübertrugen? 
und der späteren, wo einzelne Königstöchter, von dein Zau- 
ber sanfter Weiblichkeit und der Macht der Liebe unter- 
stützt, barbarischen Völkern die milden Gesinnungen einer 
menschlicheren Rehgion einflöfstcn? wem scheint das Bild, 
das ihm der Dichter darstellt, nicht darum noch erheben- 
der, als jene, weil der Stamm, der hier noch veredelt wer- 
den soll, schon selbst so gesunde und trefi'liche Früchte 
trägt? wer rettet sich nicht gern und mit einer gewissen 
stillen Andacht aus den Gräueln der Jahre, die wir durch- 
lebt haben, zu Scenen dieser Art hin, die ihm allein nur 
noch zuzurufen scheinen, dafs sich nicht darum alles be- 
wegt und umkehrt, um alles auf einmal in derselben Ver- 
wirrung zu begraben, sondern um die Welt und die Mensch- 
heil neu und besser zu gestalten? « .oj; 
'i'.i^. Vorzüglich hat unser Dichter der bildenden Kraft des 
weiblichen Geschlechts ein schönes und rührendes Denk- 
mahl gesetzl. Denn wenn Herrmann sanfter und mensch- 
licher, vielseitiger und empfänglicher ist, als sein Valer, 
können wir darin den wohlthätigen EinfluTs des stillen und 
einfachen Wesens seiner liebenden Mutter auf seine Natur 
verkennen? wenn er schon in dem Augenblick, in dem wir 
ihn zuerst handeln sehen, einen höheren und edleren En- 
thusiasmus gewonnen hat, ist es nicht Dorotheens Geslalt, 
die ihn dazu entflammt? und sehen wir nicht deutUch an 
der Macht, welche sie auf alle ausübt, die sich ihr nähern, 
die schönere Bildung, die sich von ihr aus auf ihre Famiüe, 
auf die ganze Gemeine, die ganze Gegend verbreiten wird? 

Auch hierin bleibt der Dichter der Natur unverbrüch- 
lich treu. Das weibliche Gesclüecht übt den entscheidend- 



et« 

* tktu EinÜuls in dem Kreise derFainüie <ius; nun aber iu|i£i 
aller poliluchen- Cultur moralisdie Cl|BralUM4iiMiNigvniB| 
Gruo^e liegen, und tu jeder Vottkemmeiaheit dee Ckuuk^ 
tere kann der Keim nur im Schoofs des FamiUenlebens 
aufblühen. Auch ist die weibliche Nalur uneqdU€ah<.iiiehr 
geschickt tu verbessern, ehne sugfteich m serai6re&; M 
besitzt eine sanftere und doeh 8täHLere;.<3ie9iiii4li|fb|Mtti 
Gemülher, ist dem Neuen mehr offen und dem Allen vf^ 
luger feind, beiiandeit dies weniger gewaltsam, uüd ergiüift 
jenes begieriger. Sie fühlt su tief, dais ihr selbst alles 
fremd bleibl, was sieh 'nicht dnrduua mit ihm Gedimkeli 
und Empfindungen Terwebt, und will daher 'Wieh der .Wall 
und der Menschheil nichts Aelmliches aufdrängen. 

Die fortschreitende Veredlung unsres Geschlechts, ge^ . 
leitet durch die Fügung des Scfoicksalsy machtr nW, in ei« 
ner einceben Begebenheit dargestellt, den Stnff unsreaGe* 
dichts aus. Sieht man denselben nunmehr von dieser Seile, 
m, so wird man ihm gewifs weder Gröfse, noch Umfange 
noch endlich epische Taugtidikeit .abaprechen könaan« Nur 
liegt die Gröfse desselben freilidi nicht: soi wie bei -der 
heroischen Ej)Opee, in der Begebenheit selbst, sondern in 
dem, was sich in ihr darstellt. Wer dies verkennt, oder 
wer auf der andern Seite nicht yoUkonunen lfifaU|;dai8i.dte» 
selbe dennoch durchaus hfinstlerisch, objectiv und . episch 
behandelt ist, der wird lEnmer entweder dem allgemeinen, 
4)der dem künstlerischen, und in beiden Fällen dem epir 
sehen Werth des Gedichts ni nahe treien. 

Lxxxn. 

Gesetz der Epo^ee. — Gesetz der böclialen Sinnlidikeit. 

Das Hatqitresultat des Begriffs der £popee läuft dar- 
auf hinaus, dais dieselbe unter allen Dichtungsarten die am 



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SIT 

meisten objeclive genannt werden kann. Denn keine 
andre ttrobl 8« säur nw die äufeie Wirklichkeit im 6e- 
gemais der hm cm VerSnderuDgen des GeoiQths, keine ei- 
nen so grofsen Theil derselben, keine endlich diesen Stoff' 
in so lebendiger und sinnlicher Klarheit darzustellen. Alle 
liittei^, ^Iche überiieupt dasu hm^9ti, Ofajecüviiäl'Xii^e^ 
fätdern, mi deber venugstveiee das £igeDtliik»'det epi- 
schen Dichters, und alle Gesetze, die er als verbindend an- 
efkeaaen soll, müssen dahin zusammenkotuuien. Einzeln 
kto€tf»> uh ib d itiMHuiu . de» drei hauptsäcklidiste» ^Be- 
ilMidtlietlen der Definition der Epopee ahleiMn;. 
• Begriff der dichterischen Erzählung einer Ihindlung; aus 
ihrer Bestimmung^ das Gemüth in den Zustand sinnlicher 
Selrachftiinj zu ▼efietten; nnd in dieser Bethusbliiiig^i»^ 
nig ak mögfieh die 'Menschheit mit der Wät so' verlniiiiiS^ 
(en; und dieser Ableitung zufolge, dürfte es vielleicht nicht 
unbequem seyn, sie unter iolgende Üenennungen. zusam- 
mettkufasseB. 

1. Das Gesets der höchsten Sinnlichkeit Dies 

ist überhaupt ein allgemeines Gesetz aller Kunst und der > 
darstellenden insbesondre. Aber von dem epischen Dich« 
<er wird die BddJgung desselben mit doppeltem Rechte 
•gefordert^ da er es mit lauter anisem, also' rein' airaiiichcii 
Dingen zu thun hat, und auch. das Gemüth in eine, auf 
diese gerichtete Öümmung versetzen s<$lL £r mufs daher 
nicht aUdn blofs Gestalten nnd Bewegung^ sondern von 
beiden «neb eine beträcfatücfa grolse Masse atifffibrwi; mufii 
ein Colerit wihlen, das unnuttelbair licbi ntid Klätbeil ahn 
kundigt; einen Ton annehmen, der uns rreuudiich aus uns 
herauszugehen einladet, und ans zu einem hohen and wei- 
len Scbwiinge der Phantasie erhebt^ Gedanken anregen, 
welche uns in die grofsen VerfiSltrasse der Menschheit zu 
der Welt eine liefe Einsicht gewähren ; Empiindungen au- 



ftiiauneii, die uns harmonisch mit der Natur verbindou; lUMi 
geineii Stoff übemtt no^ durab d«n ReichUiiMi m4 4« 
SiiinUchkeil seines Vorlrsgs, seitter DielUKi' wd wmm 

Rhythmus beleben. 

Voi zugsweise ist die höchsU ^uuUchkeit ein Eigen-' 
Ihun* d«r beroischon £^pe^, die eiM0 so f^Mtmtm^^ 
Moxiiniiin des epischeii' Gedichts , als dieses seNwl ein He* 

xiimim aller darstellenden Kunst überhaupt genannt werden 
kaim. Daher gehören unter dieses Gesetz die gewöhnüchen 
Regeln von der Gröise der Haodimig, der-£iiiinisehiiiig des 
Wttndei4>areti, der Milwirkung der Gdtter, der Ankündigung 
des Gesanges, unil des Anrufs der Muse. Da die entge- 
gengesetzte Art der Epopee sich gerade hierin von der he- 
rsiseken unkersiclieidet, -so muia «le siclr sehr hüten, ninhl 
dnrch eine tu wenig sinnliche Behendhuig gar unt» dem 
Epischen udei dem Dichterischen überhttujjl z.u hleibeu. . . 
• ■ • • : • 

LXXXllL 

Getets durchgingiger Stetigkeit 

2. Das Gesetz durchgüngigerSteligkeit. Dies 
M blels eine doppelte Anwendung des vonSgen auC denBer 
griff der ^Handlung und der Gestalt, deren feHkufonde 

nien mau ;i!s Be^vegungeu der Umrisse betrachten kann, 
la jdkser letzteren Bedeutung hat der epische Dichter dies 
Gesets mtl dem Mahier and Bildner, in ^er efeteren ei- 
genlfieh. not keiner andern Kunst gemeni. fi&wnr seigt die 
Musik und auf eine noch sinnlichere Weise der Tanz aller- 
dings auch eine selche Stetigkeit der Bewegung, und ho» 
Bondet« in dem iebfteren ist es der hesaubemdslsft 
SdiSnheiten, y^enn in emem mrinndB ■ unterhfoobenen Fuyk 
iüiiner Gestalt aus Gestalt, Bewegung aus Bewegung, Ge- 
uiählde aus Gemähide entspringt. Bei i^ideu ist dies in- 



* 



üigiiized by 



»1» 

Ml mar •teOenWcMe der Fall-, üire eigentliebe Staligke^ 
besteht d«rin, dafe rieh aier, auch unterhrodiener, eueh 

pldtslich abspringender Wechsel im Eimsen irar In Et* 
Dem l^liileipunkle vereinige. Denn beide drücken Emplin- 
dangen ans, die, ob sie gleich immer aus derselben Stirn- 
iMMig heli^^ sdhei denrnek 

Mithin der NMliff*'irieM- iniiiiep ^e so stetige Reüte bil* 

d«n. Eö ist aläo genüge wenn auch die Kunst sie nur in 
dfiü^m Miildpi>ud&|o»' verknüpft. 

w ispeini ie|iiiiliBi>l>ilii<w ViwW #0 Beobachtmig einer voH* 
IlMiilMMn^idteftl^llittiO^sitft^^dMi^ Weiso dofch den 

Begriff der Handlang und den der Erzählung zur Pflicht 
Für den tragischen, der seine Handlung unmittelbar dar«- 
atelll, hat dies Gesetz eine hei weitem andre Bedoolmig« 
Errscfattdert das wirkliche Leben mit allen den Lücken, den 
Unterbrechungen, den Ueberraschungen , die wir in jeder 
Begebenheit wahrnehmen, von der wir unmitleibare Augen- 
seugen sind; die aber der epische Dichter, wie der Ge- 
s eWc h tsohrsihor, nothwendig ausfiält und überarbeitet, in- 
dem er das Ganze in Eine r^rz.älilung verknüpft. Die 
Jdandlung mufs also ununterbrochen fortgelm; kein Um- 
Stand darf ahsiehtiieh hiBgesteih sehemen) unabhängig ivm 
dem Zweck, an dem er f^raudit ist-, mnls er adion ßbr 
sich seibsl aU eine nolhwendige Fol^e aus dem Vorigen 
heiflisfiMn; der.. Zusammenhang des Plans mufs so fest und 
«• iani§ seyn,- dafii der iLiOser selbst ihn nichl anders hiUa 
«Dtwiefcehiy so übereinalimmeiid mit den physisehen .nud 
moralischen Gesetzen der Natur, dafs die Begebenheit in 
der Thal mchl anders halte fortlaufen können; nur die er- 
ÜO ' Anlage, auf die sieh das- Uebngo gründet, ist der Wül- 
bühr das Diditafs unterworüen, alles Folgende beatunmt 
sich ledigheh von selbst durch einander. 

Dies ist die sinnhche ob^ecüve 6teligkeit der Handlung 



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und des PUm, Aber im die eubiecltv^ im deai GemiUbe 
des Leeen lienronBubriogeii, welehe. eigenlKeh liuu 
fordert wird, mofe der epische Dichter noch melir thun. 

Ueberau neinlich, wo er eine Mannigfaltigkeit von Besliuir. 
nMUigen in den Charakieren, Gesinnungen» KatpfinjUiiiipi 
itowendet, waak er sie gerade eben so diunch tmendÜdli ^imm 
alfanafalige Abshifungen von einander trennen, allfen grellen 
Contrast vermeiden, und in ihrer Verschiedenheit selbst im? 
mer nur den Reichthum und den Umfang der GiMMf^Alli 
stelien» xu der sie alle g^iaeiftschalÜichHBfihnpetMh rifimm 
darin besteht £e wahre Stetigkeil - eineif f^ m^^hm * 
dern, dafs durch die Verschiedenheit der einzelnen nur die 
Einheit noch klarer wird, die sie aUe in eine ausanuneiH 
hiingeiide Keile Terbindel. 

Lxxxnr. 

Gesetz der Einheit. 

• 

3. Das Gesete der Einheit» Die allgemeine Na>f 

tur der bildenden Kunst, von welcher er das höchste Mu~ 
«ter aufstellen soll, und sein besonderer Zweck fordern voa 
4em epischen Dichter mehr, als von ii^nd einem .aaden^ 
eme vellkooinene Einhcil in der Behandlung seints, SlilEiw 
Aber wenn ihm diese zur uneriälsiichen Pflicht gemacht 
wirdy 80 ist sie nicht sowohl eine solche, wislche die ein* 
aellien Theile auf eine schnei dende Weise jsh^ einem eina»- 
'gen PuidEle hinfahrt, als eiiie solche, welche sie Bürgin Em 
Ganzes zusaaiinenfafst. Die erstere ist viel mehr auscbUe- 
£wiid nur der Tragödie eigen. ^. 

Die Empfindung nemlieh, deren £rregmig der liaii|llr<' 
aweek des tragischen Dichters ist, kennt nurEmen Gegen- 
stand, und auf diesen Begriff wahrhall numerischer Einheit 
wendet nun der Dichter den müderen und iiöheren des Kunst- 



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221 



ganzen an. Der belrachtende Sinn hingegen, der in der 
Epopee dichterisch bearbeitet wird, nimmt viehnehr immer 
vieles zugleich auf, und verknüpft es nur in so fern, als er 
es aus demselben Standpunkte ansieht. Der tragische Dich- 
ter slrebt also nach einer Einheit, die in der Erfahrung 
wirklich vorhanden ist; er eilt in der That Einem Punkte 
Mi;r dadurch wird sein Gang rasch* und heftig, und sein 
Plan zieht sich, indem er alles abschneiden mufs, was ihn 
ableiten würde, mehr in die Enge zusammen, als er sich 
in die Breite ausdehnt. Die Einheit des epischen Dichters 
hingegen liegt mehr in seiner Absicht, als in der Sache 
selbst; er hat daher gröfsere und eine bis auf einen gewis- 
sen Grad unbestimmte Freiheit mehr in seinen Plan aufzu- 
nehmen, es hängt wirklich (und auch in so fem ist die An- 
kündigung kein unwesenllicher Punkt) grofsentheils davon 
.ab, was und wie viel er gleich anfangs zu leisten verspricht, 
tvn Der Schiufs seines Gedichts ist nicht nothwendig ein 
wirkliches Ende, über das hinaus sich nun nichts mehr hin- 
zufügen liefse; es ist genug, wenn nur alle einzelnen Theile 
des Ganzen darin auf eine befriedigende Weise zusammen- 
kommen, und es hangt sehr häufig nur von dem Dichter 
.ab, ihn in einen blofsen Ruliepunkt zu verwandeln, sobald 
CS ihm nemlich gefällt, den Faden der Erzählung noch wei- 
ter fortzuspiiinen. 

Doch kann er seinen Plan nicht nach Willkühr ins 
Unbeslimmte hin ausdehnen. Die Grenze ist auch hier 
scharf geschnitten ; er darf nemlich nicht weiter gehen , als 
bis dahin, wo sein Stoß" aufliören würde, eine Handlung 
zu seyn, und in eine wirkliche Begebenheit, d. h. in ei- 
nen solchen Inbegriff von Ereignissen ausartete, in welchem 
nicht mehr die Wirksamkeit einer Handlung, oder wenigstens 
nicht mehr die einer einzigen, sichtbar bhebe. ^ 



LXXXY. 

t • • •• 

GneU dea GtcjcbgevicbCi. 

Die drei^bis jetzt entwickelten Gesetze flietsen alle aus 
dem Begriff der Darslettimg einer Handlang her; «ie smd 
rni Garnen eben so gut der Tragödie eigen, ond nehmen 
nur durch den episciwn Gelir.nich eigne Bestimmungen an. 
Die folgenden entspringen mehr aus der eigenthümlichen 
Natur der Epopee, den belrachlenden Sinn unsree Oemtttha^ 
und iwar denselben in «einer höchsten AtlgemeiiiheHy wa 
beschäftigen. In dieser Hinsicht zeigt sich uns zuerst: 

4. das Gesetz des Gleichgewichts. Von dem 
Gleichgewichle, In weldiend der.episehe Dichter aMe ein- 
«ehien Elemente seiner Tdtalwirkiing eAM, hfingt die Rohe 
ab, die er in dem Leser bewirken solL Ohne dasselbe 
würde zugleich die epische Sinnlichkeit, Stetigkeit Und Eint- 
hal leiden« Man kann es als den Charakter der Natur, 
mit welcher der epische Dichter uns harmomsdi stiomiC, 
ansehen, dafs sie, den ausschliefsüchen Ansprüchen EinzeK 
Her feind, sogar gegen den nolhwendigen Untergang Ein- 
zelner gleichgüttig, nur mit unermüdfieher Sorgfalt iber 
das Daseyn des Garnen wacht Auch er abo 4arf nur ak> 
lein darauf sein Augenmerk richten, und die WichligkeH 
cum Ganzen seines Plans ist der einzige Maafsslab, nach 
li^lchem er den Raum abmessen darf, den er den einiel- 
neu Theilen anweisen kann. 

Aber vor allem hat er dafür zu sergeft, dafe Mch keine 
Empündung ausschlieisend, oder auch nur mit auffallendem 
UebergewicM, unsrer Seele bemeistre. Daher würde z. B« 
ein eigenlltch tragischer Stoff emer wahrhaft epischen 
handlung grofse Schwierigkeiten in den Weg seilen-, d« 
neben der Herrschaft, welche die Gefühle der Furcht und 
des Mitleids über uns ausüben, leicht nicht noch etwas and- 



223 



rmr eibporkoiiiiitctt kaiuv Auch ifi «in Miieher von epi- 
«dMD DkhCern ft»! nie beltandell worden; denn dt» Tnt» 
gische der Messiade s. B. IM flüh wenigelens am Ende in 

6ieg und Triumph auf. 

kidefe darf num darum dennoch auch einen solchen 
Stoff mdil> gans und gar auf dem Gebiete der Epopee vor- 
boimen; Bei keiner Pichtung^rt kommt ea eigentlich auf 

das Object, bei allen nur auf die Art an, wie dasselbe bear- 
heilei wird» Selbst die vollkommenate Tragödie» nm so- 
gleich daa nuMlendato B^nspiel xu wählen, Helae sieh audk 
-on einer dttrehons glücklichen und gelingenden Begeben- 
heit ausfuhren. Die höchsten und heftigsten Bewegungen 
der Freude, Bewunderung und Entzücken» und einer eben 
ao grsOben Maoht tther die Seele i&h%, und nehmen im 
Gänsen denselben heftigen und beacfiletmtgten Gang, als 
die liüclislcn licwegungen der Trauer untl Jes Schmerzes; 
und wenn ein Dichter glücklich genug wäre, einen 8totf zu 
$nden» in welchem der gelingende Erfolg» der daa Ende 
krönte, einen Sterblichen auf einmal au einem beinahe gött- 
lichen Wohlthäter seines Geschlechts erhöbe , in deai der, 
welchem diese Auszeichnung zu Theil. würde, ein Charak* 
ttr wih«^ der «it der kraftvoUilen Enevgie and dem edol» 
üen JßnthusSaamas das reimte und emfadiste GoiKhl dor 
l iiwvii digkt it zu einer so hohen Bestiuuimng verbände, und 
in dem endlich die Wendung , durch welche das Schickaftl- 
diea volkAdele, Weht. pIMieh mid «beifosohosd einlril^ 
so könnte er gerade eben die GefSUe der unruhi||fen An« 
spamuiiig, der (juaiv ollen üngewifsheit, und der höchsten 
und heftigsten Uüiuting bei der ii4iiwick(ung in uns her- 
▼oibnngen» die uns jelat bei eigenliiob tragischen Steffen 
so möehtig ergreifen. Wir würden uns aneh« voivhialnBil 
wenn der Dichter geschickt genug wäre, diejenige Leiden- 
aohaft, in weiter üngewüaheit» Quai und Entzücken am 



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m 



engpUn mil einander verbuodea ^kid, die sweifelnde und 
•adtich beglü^te Ia«be, so groüi «i btbMjAehi, daüi da- 
durch sein GegensUnd (den tf schlecfatoirdifigs nur dmch 
seine Erhabenheit retten kann) nicht verkleinert würde — 
dann wurden Wir uns ebea so auf em&i Augenblick von 
der Natur abg^scbiiiiten, uod auf unsra eigne. SellietatäB- 
digkeit beschränkt eiii|»findeD, als bei der eigentiicheii Tttr 
gödie. Denn das Gefühl eines unverdienten und über- 
Mifawengiichen Glücks schlagt die 6eeie nut nicht geringe- 
rer GewaL^ ak die Groffl«. des Sduneries^ iiMer« 

Die Behandlung ähnlicher Stoffe, nur mehr ins siuK 
üch-Grofse, als ins moralisch - Ei liabene, mehr phantastisch 
als pragmatisch bearbeitet , giebt, um dies im Vorbeigehen 
au bemerken, den höchsten und voUI|oiamenslcn Begriff dnr 
Cfnsten und leierlichen Oper. 

• ■» 

^ ' ■ LXXXYI. • ■ 

Geaets der TotaUtät 

• 

5. Das Gesetz der Totalität. So wenig ein ästhe-« 
tiscbes .Gaset» dem Diehter. bestimmen kann, weiches Ob^ 
jeet er m wählea hat, eben so wenig kann es ihm vor-f 
schreiben, wie viele deraelben er in smnen Pkn .«ufoehaM 
soü. Er hat seine Pflicht erfüllt, sobald er nur das Gemülh 
deS' Lesers in der- Freiheit erhält, ^in der es an keinen ^or 
■einen Gegenstand 9 niehl einmat ^n «ine einaeliie Classn 
dei:ielbeii, gebunden ist IHese Freyieil Isl^ «ine Mdhuren-^ 
dige Folge des Gleichgewichts z-wüschen den verschiednen 
ani^spinltett Empfindungen; sie ist zugleich die nothwen- 
dige Bedingung au der erforderUchen Sinnliclikeit und Ine- 
bendigkeit uiwrer Ansicht - 

Es ist ein schöner Vortug der Kunst, mis von den in- 
neren und äufeera, J^easein in lösen, durch die wir uns im 



Digiti:^'-"-! \-v 



224 

wüpklidieit Leben so^ oft gehemmt filhlen; es ist ein noch 

edlerer, dals sie uns an der Slelle derselben eine gleich 
strenge, aber freie Geselzauirsigkeit einflöfst Diesen Vor- 
tag kann sich der episebe Diehler YOtxugsweise va eigen 
machen, un4 daau iMent ihm gerade am meisten die Tota- 
lität, die Alleemcmheil des UeberbJicks, zu dt m er sich er- 
hebt. Je höher wir uns. über uasrem Gegenstand befinden, 
um ihn in seinem Ganaen ku übersehen, - desto ifreier erhal* 
ten wir uns von seiner jflerrsohaft, aber desto ininger durch- 
dringt uns das Gefühl seines Zusammeniiaiiges und seiner 
GeseUmäfsigkeit; und in keiner Verbindung ist die £inbii- 
dtingsknift so sieher, ideatisch, d. h. mitten in ihrer Frei- 
heil ges e tamiii a g an bleiben, als in der VerUndurig mil 
dam besehawenden Sinn und dem organisirenden Verstände. 

Der Epopee indefs kann es aucii an der Menge der 
Objecte nicht fehlen; keine Metbode ist so fruchtbar, ala 
die der höchsten ObjectiiMt: dem um eine Gestail her^ 
aosauheben,' braucht man andre, die ihr zur Seite stehen, 
um eine Bewegung zu schildern, die, welche vor ihr vor- 
hergehn und auf sie folgen. Den grüDiesten Aeudithttoi 
derselben wird man indela freilich nur bei der hermachen 
anlixAeiL 

« 

Lxxxvn. 

OtSil« 9iapMilM«r WaMiMt. 

6. Das Gesetz pragmatischer Wahrheit. Man 
kann die poetische Wahrheit überhaupt durch die Ueber- 
einsümmung mit der Natur, als einem Object der Einbä« 
dongsktaft, ün GegensaU gegen die hialorische, als die 
üebereinstimmung mit derselben, als einem Object der Beob- 
achtung, deÜniren. Historisch wahr ist, was in keinem Wi- 
derspruch mit der Wirkfiehkeit, poetisch, was m keinem 

15 



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m 

Witovpvach mit deo 6efl«lMn der Binbildutigikrilft «Utlft *). 
Die EinbilduQgskraft überUUsfr «Idi nun entweder Uofe der 

Willkühr ihres eignen Spiels, das sie nur künstlerisch aus- 
führt» oder sie folgt den innern Gesetzea des menschlichen 
Genoths^ oder den äuisem der NeMir. Je aa^lidem iie 
eine dieser drei Richtungen wählt, wird die poetische Wahr« 
heil zu einer blofsen Wahrheit der Phantasie, oder 
itt einer ideaiischen, oder pragmatischen. 

Die erstere ist unter eilen Dichtungaarten blols im 
Mähfchen brauchlMr, bei welchen £e Phantasie agentlich 
blofs mit ihrer eignen Kraft und an dem leichtesten Stoff 
spielt^ alles, wonach bei einem so wilikührlichen Verfahren 
noch gefragt wird, ist blels^ ob die fiiobiidungskraft diese 
Ziftge in eine stetige Rdhe» in Ein Bild nisammena'ufassea 
im Stande ist. Die idealische Wahrheit ist vorEugsweise 
ein £i£exUiium des lyrischen Dichters und der Tragödie. 
Sie luflomt alles ale voUgüliig. auf, was nur, nach der all* 
gemeinen Besehaflenbeit des Gemitths, nach den allgemei- 
nen. Gesetzen der Veränderungen desselben in ihm denk- 
bar ist, es möcbU sich jaun ührigens noch so weit von der 
I - - ' - » 

*) In so fern die Wahrheit überhaupt die durch den Yentand «r- 
ktnnta Utfbereiiiitiinmung eines Begrifft oder Sttset mit teiiiMi 
Gegenstand iat, kann es eben so Tiel Arten der Wshdiei^ alt der 
Gegenstände geben. Nnn nntenieheiden -wir Ton diesen tmiiglieli 
Tier in Absicht ihrer intenectneilen Beinadlang sehr Ton wnander ab- 
ireiehende Gattungen : T. wirklieke; <datfl Idealische, wid mar 
solche, die entweder 2. ein Werk der reinen Abstraction, meta- 
physisrlif unA niatht' matische, oder 3, der KinbiMungrskraft 
sind, poetische; < iidlich 4. solche, die, an sich Idealisc!) , auf 
wirkliche bezogen weiden, em p i ris c h>phil08 op hisc b e. Hier- 
aus entatehen nun auch vier Gattungen der Wahrheit; 1. und 2. 
.die historische und poetische; 3. die speculative (ineta-^ 
phyrisdie oder aiatiieinattsdie); 4. die philosophische (pbTsi- 
sehe oder mi»mliscbe ) , die aieht auf der Uehereinstimmsuig ;uit 
«iner besooderli Krfahmng, wohl «her mit der Rrfaltmng in Gnn- 
' bemhl* ' 



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Natur entfernen, in der Erfahriuig noch so teilen geliaiden 
werden. Die strengere pragmatische hingegen ▼erwirl 

alles, was lüchi innerhalb des gewöhnlichen Laufs der Na- 
tur liegt, und schHcfst sich genau an die Gesetze dersel« 
ben, sowohl die pbysisehen als die moraliscfaen, iii so loni 
«ie mit jenen -l^bereinstimmen, an. Sie fordert gerades« daa 
rSaliuijclie, und wenn sie auch das Aufserordentliche und 
Ungewöhnliche nichl ausschliefiBt^ so mufs es doch immer 
vollkommen auch mü dem Natur^nge im Ganaea, nut 
Gattungsbegriff der Mensddieit überevnslimmen, wenn es 
sich gleich darüber erhebt; die ideaiische weist Jagegen 
, auch das nichl zurück, was diesem letzteren wirklich wi- 
derspricht, und schlechterdings nnr als Ausnahme in den 
Individuen angetroffen wird; und die blofse Wahr heil 
der Phantasie, die fast zu dem geraden Gegenlheil von 
dem wird, was man getueinlun Wahrheit nennt, übertritt 
sü^gar noch diese Sehranken. Die Grenseo deat idealischen 
und pragmatischen Wahrheit müssen natürBeh, auf einielne 
Fälle angewendet, sehr ult ziisammenzulaüfcn scheinen, mart 
wird sie indefs nie verkennen, sobald man sich erinnerf, 
daiii alles das blofo .idealische. Wahrheit haben kann, worauf 
ein Gemuth std&l, das sich, abgesondert von dem LebeA 
in der äulsetn Wirklichkeil, in seinen Ideen und seinen 
Empfindungen verlieft, und der äufeern Geschäftigkeit und 
der leben^Ggen Heiterkeit eine innere Thätigkeit und einen 
blofii sentimentalen Genufe unlersciiieht,* da hüigegen ' in 
. dem, welcher sich überall an die Natur aufser ihm an- 
•chlielsty in ihr allein lebt, webt und geniefsl, nichts vorge- 
hen kann, was nioht die höchste und m die ^gen fatten<bte 
pragmatische Wahrheit besS&e. , 

* Dies aber ist das Gebiet des epischen Oiehters. Seine 
Kunst geht aus der Fülle des Lebens hervor, und führt 
eben so aneh dstoi «wück. . Er flieht daher alle gleiefasam 



Digitizod by G<.jv.' .ic 



fibtnaifiug» Verlaincraiig io Gedanke* miii Rmpfimlimgiiin, 
«Ue Tcrwickeheti und adiwcir su ergfOndeiideii Chartktm 

und Empfindungen; was damit verwandt ist, kommt ihm 
unnalürlich und kleinlich zugleich vor. Er braucht groDsa 
mnd helle Maeten^ und GegeosÜnde jener Art vertrage* 
im semuclile Licht nieht» das er über eeineB Gegenetand 
äuszugiefaen gewohnt ist. Er will aulserordenlliche Men» 
•eben mahlen, aber doch nur solche, die es durch den Grad 
ihrer Krafty .durch die Reiikb^i ihree Wesens, meht gleich- 
«am durch eine seltne Organisaiien sind; Im Gänsen rsoSen 
sie mit aliem, was nur überall das iM enschlichste und iN'a- 
(ürlichste ist, in dem voJlkommenslen Einklänge stehen; 
was elr darsteUl, muls der bleise g^dsunde und gerade Siaä 
ditrehalis su lassen und- sich anzueignen im Stande seyn. 
Dies auch allfein ist der reinen objecliveu DarsteUuug fähig, 
von der er sich niemals entfernt 

Desseniingeachtet kann er mdefe nicht Weniger auch 
einen Ge|;ettstand, der nah. an das blofe Idealische grenit» 
aus jener gleichsam fremden Well in seine I )ic}itung hin- 
überführen j und wir haben im ersten Theiie dieser Ab- 
handlung gesehn, dals die Eigenthiuniichkeit der neueren 
Pofisite, und besenders die uneera Dichinnr* groleemheili 
hieMttif benihi Nur mufs er alsdann nicht versäumen, da«^ 
gegen das Gemiilh seines Lesers vollkommen pragmatisch 
au stimmeo, und dadurch wied^ den MiWang aufantösen^ 
dien senst ein solchte G sge na la nd in dieser Gailling noH^ 
wen£g bewhrken rnüftte. Ist er aber hierin glöcklich, sd 
erhöhl er den Reiz seiner Dichtung, da er ihre Greosen 
erweiterly «bae ihrem Charakter zu schadisn« D^m wenn 
es eine Hauptregel % den. Dichlor ist, din Reinheit der 
SÜmmung, Wefehe jeder IHehtoigsart eigenthümlich ange> 
hörl, in ihrer höchsten Vollkommenheit zu bewahren i so 
jpi es .«ii»e nicht minder wichlige, die Gegnnstiinde, weAebt» 



. ij . ..cd by Google 



jtde lieh nMttriicfaer Wmm «ueigoel, m»- n«i a»ög|i«^ 
Btt vervicttUtiigeii, UDd gegen dnander aiiiwtaiMiilietiv 

Die herdiclie EiMOf>ee ISttft weniger Gefalwv gegen dies 

Ge&eU zu verslofsen, als die ihr enlgegengeselzle. Ab^r 
je genauer auch diese 9$ beobachtet, je mehr sie hoheni 
nod loinen Gharektergehalt «jgieieli mil dieser qafcürlidm 
, EMieblieit lu verbrndcfi weifs, je mehr tie originelle la4ir* 
vidualilat in einer Dichliingsart geltend macht die immefii 
seihst m den Individuen , nur die Q»tUmg ta zeigen ^treh^ 
deete gröfiier ist ihre Wirkung» 

Denn der Menech ist nie sehUner» «b wenn «r eid» 
dasjenige, was er aussciilielshch durch seine eigne Kraft 
gebildet bat, dergestalt aneignet, idaüs es in ihm als eme 
aUgeweine fiigensehefit-der ganzen Meneebheii erscbeini» 

Lxxxvin. 

i 

Plaii des GedicliU. — Gang der Handlung, 

Dies sind die vorzüglichsiini Geselae der episcKen Qiehi« 

kuiist Sie sind alle eigentlich nur verschiedene Ausdrücke- 
der lebendigsten Objectivitäl; Anwendungen des allgemei- 
Ben Begnfie der Epofee auf die onaelnen Forderftn|psn, 
welche an den Dichter eigehnn. Daher Heben sie sioh 
vielleicht auch noch uaLer andre Benennungen bringen; 
nna scluen es iodels die aligemeine Üebersicht am meisten 
•u erieidiieni» Merai diese Kegeln, festauaelzeni welche der 
Dichter hei .allen einsetnen Thailen seuea Verfahrtna beob-, 
achten muis, und dann diese Letzteren selb^ft dorehzugehen. 
Mit diesem letzten Geschäft wollen wir nunmehr noch diese, 
mir vielleidil m anaäihrttfihe Benrlheilnng beSchlNsen, und 
den Plan, die Charakie.re und den Vortrag untres 
Gedichts nach den eben aufgestellten Gesetzen mit wenigen 
Worten priiÜen. Zugleich wird m& dies Gelegenheit geben, 



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2M 

noch diejenigen einzelnen Bemerkungen einzustretMn^ di# 
in dem- bisherigeQ Gange keinen Plate finden konnlen. 
Der Plan unarea Gedidito ▼ereinigt die i Wiebche 

Sch<)nheit in sicli , dafs alle einzelnen Theile vollkommea 
fest und doch durchaus zwanglos verbunden sind. Ni^ 
mand wird in einer Composition too ao kleineni Umian^ft 
die polypenartige Eneugung einea Tlicib aua dem andern 
erwarten, die jedem für sich noch eine eigne Selbstständig*^ 
keit einräumt, welche die lUade zu einem so grossen , und 
Arioata raaenden Roland (denn auch hierin ateht nur der 
Italifimsche Sänger dem Grieäiischen nahe) an einem ao 
reichen unrl maniiigltilligeii Ganzen macht. Dagegen drangt 
aich auch nichl> wie man wohl sonst der modernen Dicht- 
fcunat Schuld gegeben hat^ daa Einzelne auf eine harle^ 
nnd mehr dem Veratande angemeaaene, als der Phantasie 
gefällige Weise in Eine Spitze zusammen. Vielmehr gehl 
jedes folgende Glied in der Kette von Umständen frei und 
willig aua dem vorhergebenden hervor, und doch iat daa 
Ganse eine atetige, überall «uaammenhängende Folge von 
Begebenheiten. Indeni es vom Anfange aus au einer ge- 
wissen Milte aufsteigt, und sich von da wieder bis zum 
Ende hinabaenkt» bUdei ea einen kleinen, Jiber durchaus ge* 
achlesaeneiil lind in allen seinen Punkten erfüllten Kreia. 

In dem Ende selbst schliefsen sich alle Theile, die der 
Dichter vorher einzeln gezeigt hat, vollkommen zusammen; 
alle vorher aufgeregten Empfindungen finden darin ihre ge- 
nügende Befriedigung. Herrmanna Wnnaeh Dorotheen ati: ' 
besitzen ist erfüllt; die Naiuren, die tiir ( inander bestimmt 
aehienen, haben sich gefunden, und beginnen nun ein neues 
und achdnerea Leben. Indefa bleibl es doch immer, nadi 
wahrhaft epiaeher Weise, mehr ein Sohlufa dea Dichteva, 
als ein Ende der Handlung selbst. Wenn auch das Mld- 
chen ein|;e willigt hat, wenn die Cilern ihre ZusMuin^ung 



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m 



gegeben haben; so konule lo der Wirkiichkeil doch noch 
mehr als £m Hkidermfe unenvarlel dazwischen Ireleit» und 
4ie rnkfiche- Veibindiing» die noch nidil geachehen tsl, 
aufschieben. Wäre es möglich, diesen Stoff als Tragödie 
Ml behandeln, so würde sogar erst hier der Knoten ge«* 
aekürsi werden , erat hier . die Uandümg angehen müssen. 
$Q mächtig alier iat.die Stimmung, in welche der Dichler 
unser Gemüth versetzl , so ganz hat er dasselbe in seiner * 
Gewalt, daüs, wenn wir alsdann mit Gewifsheil plötzliche 
Schwierigkeiten erwarten würden, wir hier die eigenthch€ 
VoUehnng der Verbindung aelbat nur als eine nothwen-* 
dige Folge ansehen, die der Dichler blofs darum nicht mit 
In seinen Plan aufnimmt, weil sie sich nunmehr nalürUch 
W9m aelbst Tersteht. 

Bei einem Stoff, wie ihn unser Dichter wählte, mufate 
BOtliwendig dn grofser Theil seines Gedichts in Gesprächen 
bestehen ; eine gewisse Armuth an Handlung kann ihm bei 
emni solchen Gegenstande nicht als Fehler voigeworfen 
werden; «Wohl aber muis man ihm den Reichthum an Be- 
wegung mm Verdienst anrechnen, den er sich auch hier 
noch zu verschaffen gewufst hat Wenn man von dein 
Dichter nicht mehr verlangen kann, als dafs er atis seinem 
Stoff ällee dlas Leben, alle die sinnliche Mannig&ltigkeil zielie, ' 
deren derselbe föhig ist, so hat der unsrige diese Pflicht 
im genausten Verslande erfüllt. Wir wollen hier nicht an- 
fithreu, wie gut er das Gedränge und die Verwirrung des 
Zugiee» das £Iend des Kriegs, die merkwürdige Begeben-^ 
keit, die iliA veranlafste, tu benutzen verstanden hat; diese 
Dinge waren vielleicht zu grofs und zu sehr in die Augen 
lallend, um stillschweigend bei ihuea vorüberzugehen. Aber 
' wk aniehaulick hat er aiich da9 geschildert, was allein das 
Werk seiner Ginbildungskraft ist; wie macht er uns mit 
dem Hause, den Besitzungen, dem Wohnort, denSchicksa- 



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len der Familie HerrmanoB bekannt 1 Wie lebendig wird 
nun alles um uns her, da wir mit der Mutter den weiten 
Hof, den wohl bofillaiistea Garten und Weinberge das imda«» 
bare Feld durcbttrichen liabca» aiw ibrem Mundil den lorolh» 
terlidien Brand des Städtchens, aus den Gesprächen des 
Vaters die aiimähiige Aufnahme desselben erfahren, da wk 
die Familie bis a i den Ahlilierm hin neniian! 

In der Thal werden luir wenige audb unter . ^en. flAv 
• deren Gedichten, so viele und so grofse sinnliche Gegen* 

stände autslelieti; das eiiutge, was mau Y^missen kann, 
ist bloÜB, dads es nicht möglich war« anfh nor alle badsiir 
tenden un^er denselben augleich ki Handlung su Mkul 
Aber dies lindert nicht sowohl die Stärke, als nur die Art 
der \\ iikung; es macht nicht, dafs wir weniger, nur dala 
wir mit andren Aug^ sehen. Dadurch ist das Feld des 
Dichters nicht verengt, nur sein Ton varandari wudsn. 

Wo derselbe mdefo nun wirklich Handlung darges teilt 
hat, da geht sie auch ununlerbiociieii fort, steht sie yihb 
ersten Gesänge an keinen Aug^faJick stille* ^ 8^ oft wit 
' auch .blols Zuhörer der .Unterredung^ der a«%efuhvlaA 
Penonen sind> so vertreten dieselben doch nie die StelJe 
der Handlung, sondern sind immer vollkommen an ilneiu 
Platz. Statt also da£s ihre häufige Wiederi|»abr ei» Fehler 
des Plans wäre« ist sie nur eine unvermcidlicfaa Fdga den 
einmal gewählten Stoffs. Sie dienen noch aufserdem Une 
gewisse Weile zu bewirken, den Gang der Handlung bald 
an^uiialien, bald lu beachleumgep« Denn,.nir^nds bawcfl 
sich dieselbe weder su rasch fdr die Zeit, dfie ihr gegeben 
ist, noch au langsam fi|r die begierige Aufmerksamkeit des 
Lesers. 

Was aber diesem Gange vqrsügUoh iieiobtigk«it und 
Natürlichkeit giebt, ist die Menge .der ciaaefecn Momenti^ 
in welche sie yertheilt ist, und deren man in diesem kleir 



m 



ntn Umfange, ohne nur irgend zu seht einzuschneiden, ge<* 
vnk gegen Hundert sählen köantew Wie wichtig dieser 
Unsluid isly hewviBl -ubs Homvr, dar vorsfiglick dadordi 
die «ngdbtiire tndividiialiläi^ die schöne Bewegung, dat 
rege Leben erhält , dafs er alle Augenblicke abselzl, und 
daüs immer Motmeut auf Moment iolgl, &o dais der kürz«« 
ate Geiaog» wem man ihn am Ende in aliem. aenem Dt4 
Uaif naeb' allen den Punkten übersieht, wo man, eioeii An«» 
genblick verweilend, von einem UmsLande zum andern 
überging, in der Ermnerung eme beträchtliche Länge er- 
bitte dadurch die Natur miebabmt^ umI dia Phantasia gicieb- 
aam tilu8cbl> die wirkKehe Zeil selbst mit darcMaufcn su 
haben. Je mehr die Kelle der Begebenheilcn gegliedert 
ist , desto weniger sclieiuen die einseinen Glieder au& dar 
naUkäbrlicfaaik Anlage das Diahkera, desto nothwendig^r aua 
^ einander aeHnt au entstehen, nad dealo geaeimieidiger wird 

das Ganze. Dadurch vorÄÜglicli uiilei&ciieidel sich der 
lÜcbjter der Natur von dem. Dichter der Schule, und selbst 
elme ma£ den Zuwache an sehen, den er dadoidi an Leinb* 
iigheil und Freifaeit gewinnt, iat ea sehen in Abeidit dei^ r 
blorsen Form des KorUchrcileiiö der Handlung der Einbil- 
dungskraft gelalhger, sie, gleich emem kicht bewegten 
Sl»mc^ in ianter kleinen, aanH gebrechenen nnd dnoh iaoi^ 
mer aloligen Wetten hinflielMB su «ehe». 

Kellt dichtenfche Krlinduiig des Garnen* 

Bei der Anordnung des Details ist kein Umstand, der 
aus einem andern, vorher angegebenen, natürlich herfiiefsk, 
migafamn, und kein angeliihiter unbenutit fsbliebeni und 
eben eo wenig findet man einen, deaaen der Diehter bet 
dürft hätte, nnd der nicht schon durch die einmal voraus* 



234 



gesetzten V erhältnissc mitgegeben gewesen waie. Wie in 
einer voUkoniiiien ausgearbeiteten Bildsäule nichts mehr 
bloüier Stoff ist, wie auch der ideiaete iUnfn, über den der 
Finger iiinweggleitel, seiiie eigne Form «nd seine eignn 
ßegrenü-ung liat, so ist auch hier alles bestimmt, und jede 
Bestimmung erzeugt immer von selbst wieder die folgende« 
Der Leser iiütte sie hiaxiifügen müssen, wenn es der Dich* 
ler versäumt hätte. 

Gerade nun dadurch zeichnet sich das echte Dichter- 
genie in der Composition aus, dafs es seinen Gegenstand 
gieicfa dergestalt in die Piisntasie auifidsty dais sieh allea 
davon ahsondert, was keiner poetischen Wirkung« fihig ^ 
alles hingegen, was diese vermehren kann, sich von selbst 
darin .£odet Ohne nur irgend zu suclien, mofs der Dichter 
in dem Stoff, den ihm 4ie Begeisterung; suMrte, selbsl 
verwundert, alles vereint^ und nur das antreffen, was av be« 
darf; er mufs blofs entwickeln, was ihm, gleich als wäre 
es das Geschenk eines glücklichen Ungefährs , sein Genius, 
ohne sein Bemühen, nur durch die Kralt seiner Natur fjßky 
Dies ist hier um so aufifollender,. da ein so einfiKdier Stoff 
und im (I runde nur ein einziges Verhaltniis aufgestellt wird. 
Der Dichter kann hier nicht, wie i, B. Homer hei der 
Sehilderung einer Schlacht, mehrete Bilder si%Mch ank- 
gen, und von^ dem einen sum sodcm Übergehn; er -mala 
sein ganzes Material sich aliein aus sich selbst erzeugen 
lassen. 

xc. 

■ " ■ •. • 

Augenblick, in welchem die Handlung anhebt. 

Die Wahl des Augenblicks, in welchem der Diehihr 
die Handlung aufnimmt, gehdrt cu den vorsBghehslen Be- 
weisen seiner Geschicklichkeit in der Behandlung derselben. 



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I>eMi -von ihm bÄB^lt das InUresse ab, das sogleich und 
iNunitlelbar in uns erregl werden eoU* .Dalier ist es .bei- 
nah flur Regel geworden , den Zuhörer gleich in die Müle 
der Begebenheit zu versetzen, und in der Thal ist jeder 
Anfang zu leer und unbestimmt ; es bleibt zu ungewi(s, was 
man sich von dem Erfolge versprechen dar( als da& schon 
da eine bedeutende Th«hiahme enlstehen könnte. Auch 
unser Dichter ist dieser Hegel gelreu geblieben, er halte 
aber hierzu noch einen andern und wichtigern Grund. 

Der AnCang^ scHier Handlung ist Uerrmanns Fahrt nach 
dem Zuge der Ausgewanderten» und die Vertheilung der 
Geschenke, mit welchen ihn seine Eltern hingesendet hal- 
ten. Diese ganze Scene cnUiehl er unsern Augen ^ wir 
böven nur die Schilderung derselben aus Herrmanns und 
des Apcihekers Munde; dies aber ist auch die einstge Stdle^ 

wo wir nicht unmiUelbare Augenzeugen des Geschilderten 
sind. Die Hauptgruppc in unserm Gedicht ist Herruianns 
Familie; wenn wir an der Begebenheit die uns erzählt wird, 
Theil nehmen sollen, so müssen wir erst mit dieser ver« 
Iraul weiden. Diese müssen wir also auch allein im Vor- 
dergrunde erblicivcn. Halte der Dichter jene Schaar aus- 
gewanderter Flüchtlinge^ die Verwirrung ihres Zugs^ das 
Unglfick ihrer hniflosen Lage,. unmittelbar selbst uns vor- 
geführt, so hätte unser Gemüth, durch diesen Ungeheuern 
Gegenstand plötzlich erfüllt und zerstreut, sich nicht wie- 
der auf den Punkt sammeln können^ in welchem doch ei«> 
fe&tlich' allein das ganie Interesse verheizen liegt Er 
halte, in der Nähe auftretend, alles Andre gewaltsam nie- 
dergeschlagen, da er jetzt, in der Ferne erscheinend, viel- 
mehr eine überaus schöne und verstärkende Wirkung her- 
vorbringt. Hat unser Dichter nur erst Zeit gewonnen, uns 
seine Personen und ihre Schicksale ans Herz zu legen, so 
scheut er sich nicht mehr> uns mitten in das gröÜMste Gei* 



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m 

wülii SU führen, uns mit den erschiUlftrnden Schüderuogen 
ehies forcfatbaren Krieg» und einer grolieii Reveiution su 
miterhallen. Er hat uns ernnval eine bestininite Bnspflu*' 

dung eingeflöfsl; stall dafs wir nus derselben herausgehen 
sollten» ist er gewii5, dafs wir nur auf sie allein alles Fremd» 
beliehen. 

Aof diesem Zuge isl es femer, dafs Dorothea «lertt 

ihrem Herrniann erscheint, und der Dichter erreicht nun 
auf einmal einen doppelten Zweck, wenrj er mit der ßfr» 
gebenheit selbst auch den ^druek schildert, den sie in 
ihm siurOckgelassen hat. EndUoS schlielat siäi die Zeit 4er 
ganzen Handlung kürzer und schöner zusammen, wenn das 
Gespräch über Herraianns Verheirailiung, das den eigentli- 
chen Anfang der Verwickelung macht, auch gleich in de« 
ersten Gesüngen anhebt, wenn es die erale liedevtende 
8cene ist, die wir vor unsem Augen vorgehen sehen. 

XCL 

Batwkeideade VmiliAdei durch weldifi dio Haadlvny ihr« Baapteiaii* 

dangen erbilC 

Drei Hauptwendungen sind es vonüglich, diirdi weldie 

die Handlung eine entschiedene luchtun^ erhält: der Streit 
zwiachen dem Vater und dem Sohn^ das Begegnen Uerr- 
manBa und Doretheens am' Brunnen; sein Antrag, aio 
mir ak Magd In sein Hans tU' führen, ^p«4>unden mit der 
verstellten Rede des Geistlichen, durch welche dieser die 
hieraus entstandene Verwirrung noch weiter fortdauern läfst. 
Alle diese drei Umstände- aber entspringen dnrchabi naltlr- 
lieh aus der gaifsen jedeemahgen Lage, und die beiden 
letzteren passen noch überdies so gut z,u dem Charakter 
des epischen Gedichts, dafs der Dichter sie schon in dieser 



• 



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IBiiikiht hSM Wtfhkii miiaMn^ w«iui sie aueh nkht su 
Mitier Abiioht gebraiwlii hält«. 

Der Vorwurf des Vaters beschleunigt den Gang der 
Uandiui^» die somt mcht so leicht zur Entscheidung ge« 
Ibonmm wäre; (lemiiaiiiift- GeoiiHh muffle iwck sie 
bewegt, seine sarltielie' MuUer ttm ihn so besori^l^ sein Hm 
durch ihre liebevolle Sorgfalt so tief gerührt werden, wenn 
er^ der sich sonst so schwer enUchlofs, sich so schnell ent* 
dbcken, so piöteiieh die entscheidendeo «Sd^ntte m wagm 
enlsehlieisen soUlew Zugvieh aber ist es so oatürlich, dafii 
der Vater in einer Stunde, wo er heiter gestimmt, aber 
durch die Begebenheiten der Zeit ernsthafter bewegt ist^ 
der Verheirakhung seines Sohnes gedenkt, die ihm acheii 
httge am Henen Ug, und dafe der Anblick so. vieler U»» 
glücklichen, welche das Schmerzliche einer traurigen Flucht 
darum noch bittrer empfanden, weil ihre Frauen und Kin- 
der ea mH ihnen theUien, das Gespräch überhaupt auf diese 
Materie lenkt 

Von- dem Begegnen beider Liebenden am Brunnen 
haben wir schon lui Voi igen gesprociien ; es gehört zu den 
fireignisseiv in welchen gerade das Wunderbare und Uebec« 
laschende natürlicher ist, als das Gegentheii Kein Zn- 
aMaul einer stärkeren Leidenschaft, efaier höheren Spannung 
der Seele wird je ohne ein solches ungeQiitre Zusammen- 
treffen blofs zurailiger Umstände gefunden werden; sey ea 
■MW Ml .wir aMm Tom diese. 1,Jiau|taHde, schäriisr hsmus«' 
haben and danemder an imserer Empfindung anCbe wahren^ 
oder sey es wirklich, dafs eine geheime und unbegreifliche 
f^mpatflio 4fr Seele diejenigen zusammenfuhrt, die in ih* 
m innewteik fimpfindnngaa £ins sind» oder dala tttiitf)ho 
Gemttthsotinunung ihnen wenigstens ühnliehe Richtiia^[aA 
gebe, in welchen sie sich öfter und leichter begegnen. 

Die Schürsung des ila^MoM«» end^ch antspiingl 



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2a8 

sehr imtüdiich aus Hemnanns und DoroUieens CJiarikter« 
Er 4 fderiich gestimmt und tief bewegt, und aus mehr als 
Einem Grunde, aber ▼orafiglich wegen des Ringes (den der 
Dichter so trefflich benutzt hat) an der Erfüllung seuier 
Wünsehe zweifelnd, mufste nothwendig in seinen ^'WOTtsm 
laaäerisi' und; stocken; Dorotheens leichte und gewanOlelife^ 
Setaitoheit Ihtn eben so nothwendig mit einer «IramiisAi^ 
Scheidung zu Hülfe kommen. Das Unglück ihrer Lage nmU 
ihr einen Antrag zur Heiralh so unglaublich, und dagegen 
4nA; d«n iSe wirklich annimmt» so wahrscl|«einikl^tiM|ÜH 
und Seme '^hSchtemheit, seine Freude, sie* dodi 4Nllij|sHiik 
nun in seiner NShe zu besitzen, seine Fuichl, tlurch einen 
andern Zusatz »auf einmal alles wieder au -verderben, muk 
ihn diesen Ausweg, den sie ihm darbietet, mit beiden Hän- 
den -ergreifen lassen. 

hl der Thal halte der Dichter kein glücklicheres Mittel 
finden können, seine Wirkung zugleich hinsuhaiten und zu 
verstirken. Wie sehön wird nun der Rückweg der baden 
Liebenden durch dies Mi£hrersländni£i, das Dorotheen die 
ganze Freiheil in ihren Aeufserungen gegen Hertmann er- 
hülty welche das Bewufstseyn anerkannter Gefühle noth- 
waldig raubil Welche liebliche Zweideutigkeit bringt es 
in die Worte des Jönglings, mit denen er immer sweifehid, 
aber auch immer baid mehr, bald weniger hoffend, ihr 
seine Besitzungen, das Haus seiner Eitern, dies Fenster der 
Kammer seigt, die er bisher einsam bewohnt hat, und aua 
doppelt glücklich an ihrer Seite bewohnen wird. Wie gern 
hören wir ihn hier, nicht mehr im Stande seine Empfin- 
dung ganz an sich zu halten, ihr sagen, dafs diese Kammer 
künftig die ihrige seyn wird, aber auch gleich durch den 
Zusati: 

wir vefMe» in Hawe, 

wieder das zurücknehmen , wodurch er sich verrathen au 



23( 

lialpen glaubt Wie glttcUlch hal der Diehler diese ganse 

Stelle auf einem reizenden Mittelwege zwischen dem Ernsl 
der Wirklichkeit und dem 6piei einer bloiseu Kinbiidung 
gehaften» 

Die lettte ron denen, weiche wir hier Büsammen an-* 

führten, und welche die Cntwickelung noch am Schlufs ei- 
nen Augenblick versögert, ihut uns, wie sich nur wenige 
Leser werden abiäugnen können, auf gewisae Weise wahe. 
Wir haben einen so innigen Anlheil an Herrmanna und Do^ 
rolheens Gefühlen genommen, dafs wir die Verwirrung, die, 
wenn sie uns bis jetzt selbst ergötzte, nun für beide drückend 
werden kann, gern unmittelbar getöat wissen möchten; wir 
sympaUrisiren überhaupt inniger mit ihnen, als mit dm an* 
dern Personen, die eben im Hause versammelt sitzen; wir 
smd schon darum anders und zarter, als sie, bewegt, weil 
wir die beiden Liebenden auf ihrem Wege begleiteten, weU 
wir, eben so wie sie salbst, durch die €ngewifeheit ilirsT 
Lage und die augenblickliehe Verstimmung durch den* Ui^ 
Mi auf der Treppe des Weinbergs reizbaicr und verwund- 
barer geworden mnd. Dag^en ist der Pfarrer twar «n, 
au%eUSrter 'und einaichtsvotter Mann, aber mehr eine heiti« 
und unbefangne, als empfindsame Natur, und in dem An« 
genbhck, da das Paar in die Thüre tritt , freut er sich ein 
Werk, vollendet au aehen, das er grölstentkeils sdbst be- 
reitet hat. ' in^ &sem Moment kann er, weniger um den 
Schmers, den er augenblicklich züfugen wird, als um daa 
Erklärung bekünimerl, die er hervoriocken will, der Ver^ 
' suchung nicht widerstehen, das Gemüth des Mädchens aufs- 
Aeufserste zu bringen) und dadurch' ihre Oesinnmig au 
fMrOfen« In diesem fiinn setzt er die Verwirrung durch Ver- 
Stellung fort, und auf diese Weise konnte der Dichter eine 
Aeufeerung nicht vermeiden, au der einmal alles gegeben, 
aHes Torbereitet war« 



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24« 

0 

Aber er hülte auch ailBeii epiwhcn VorUnil nur we» 
nig Tmlanden, wenn er sie, durch eine falsche Delikatesiie 
verleitet, halte aufgeben wollen. Denn gerade diese min- 
der sorgfällige Achtung larter Gefühle, diese Stimoiiiiigy i« 
dar wir andre nicht fiir varwundbarar ansahen, ak una 
salbat, und daher ohne weitere Rücksicht unsern Launen 
oder Ein (allen fuigen, vielmehr an absichtlich angerichteten 
Verwirrungen und Mifsverständniasen» von denen wir doch 
▼omuasehon, dafa sie nch auletat in dinen Uo& beRem 
Sehers auflösen müssen, eine sichtbare Freude haben, ist 
den eigcnüjcii natürlichen, rein realistischen, und also durch 
beides wahrhaft epischen CharaUeren ani^ meiatcn eigaiv 
Daher findet man audi Stellen diäter Art nirgends ao häufig, 
ab in den' Allen, und Homem Jicraserschneidende Worte/' 
die voreöglich in der Odyssee so oft wiederkehren, stehen 
meistentheils in keiner andern Bedeutung da, als hier daa 
Rede dea Geialüchetty nur dafo ihnen mehr lualiger Schem 
und manchmal sogar eine gewisse Rohheit beigemischt ist. 

So wie diese einzelnen, sind die meisten, oder, genau 
genommen, vielmehr alle Umstände, die der Dichter in sei- 
nen f^an verweht hat, durch efoe dreifiiche Noth^andighcit 
begrtedet: 

1) als Folgen des vorher Gegebenen^ 

2) ala Mittel sum Zweck des Ganaen$ 

9) endlich ala (tte UufliBhalen Weiiaeuge rar Hervor« 
hringnng einer wahi^aft epischen Wirkung, und daran, da/s 
dieses alles immer unzertrennhch susammengeht» sieht man, 
dafs das Ganse aus einer einaigen rein didileriaehen An- 
aehauung entstanden ist Diea durch alle TheSe dea Ge* 
^fiehls hindurch einaehi an aeigen, würde eine überflüssige 
Arbeit seyn, da gewifs alle in ihrer ganzen Verkettung 
dem Leser gegenwärtig sind. Auch haben wir in Voiigen 
(XX-^XXXVL) schon eine Veranläaivng gataden, dto 



241 • 

uns beinall durch das ganze Gedicht vom Anfange bis zuui 
Ende geführt hat. Wir können uns daher Iiier begnügen, 
nur noch ein Paar allgemeine Bemerkungen hinzuzufügen. 

XCII. 

Ueiiutzuiig des OrU und der Zeit. 

Die Quellen, aus welchen der epische Dichter alle seine 
Mittel schöpft, sind allein der Lauf der Begebenheit und 
die Natur der Charaktere, die er darstellt. Der unsriee. 
der in dem ersleren keine grofse Hülfe finden konnte, mufste 
sich vorzugsweise an die letztere hallen; indefs hat er der 
eigentlichen Begebenheit etwas andres unterzuschieben ge- 
wufsl, wovon er mehr, als vielleicht bisher ein andrer Dich- 
ter, IrelTlichen Nutzen gezogen hat — den Ort und die 
Zeit. 

'K. Beide bestimmt er mit unermüdlicher Sorgfalt, bei bei- 
deu vernachlässigt er schlechterdings keine Beziehung, die 
sie liuf die Handlung oder die Personen haben können; 
und dadurch gruppiren sich nun in diesen Umgebungen die 
Figuren noch dichter und schöner zusammen. Die Zeil 
der Handlung ist, wie das Verhältnjfs zu ihrem Umfange 
forderte, nur sehr kurz, nur von dem Anfang des Nachmit- 
tags bis zum Einbruch der Nachl. Auch dies ist wieder 
zugleich in der Lage der Sachen gegründet. Eilte nicht 
Herrmann, Dorotheen noch an demselben Tage zu besitzen, 
so zog sie fort, und verschwand ihm vielleicht auf immer 

in der Vemirrimg des Kriegs und im traurigen f^inzielin und 

Herziehn. 

Der Tag ist ein schwüler Sommertag, der sich mit einem 
Gewitter und Regengufs endigt. Wie gut der Dichter die- 
sen Umstand, den Einflufs der Tagszeit und des Himmels 
auf die Stimmung der Personen benutzt hat, davon haben 
IV. 16 



I 



wir schon oben ausföhificlMr gMpfocheti. Aber er hat aadi 
4jie allmäligen Grad«, dorch die bei der Hibe eines «ehwö- 
len Sommeriags sich ntfch und fisch ein Gewitter soseni- 

nienzieht, so stufenweis und so mahierisch geschildert, und 
diese Schilderungen überall so naUkrlich eingeflochteD, da£s 
wir den Nachmittag und Abend mit su durchleben, die 
staubige Hitze zu fühlen glauben, den Himmel sich gegen 
Abend nach und nach schwärzen, endlich die schweren 
Wolken den voU und hell stralenden Mondirerschlingen sehn. 

!!ßdii weniger spi^llig inacht er uns. m% dem Le- 
cal bekannt, nidit weniger VorlbeU sieht er ans emigc» 
schonen Standpunkten, wie aus der Aussicht auf das Städt- 
chen am Birnbaum. Wir kennen die Stadl, den Weg zum 
bcnachbaiten Dorf» den FuftjifiBd, der wm dl dordi jlas 
Kom «1 Hemnonns Besitsung führt, veir «Hem aber deft 
Gang vom Birnbaum in die Wohnung, deh wir zweimal 
mit so verschiedn^ Empfindimgen zurücklegen , genau. 
Dennoch ist in keinem einngen Vene -eine abiicfattnhe 
adireibang enthalten^ aber ib alle Pertehen immer mit der 
ganzen Anschaulichkeit reden, die sonst nur ein wirkliclies 
Gespräch hat, und da es ein kleiner Kreis ist, in dem man 
«ich hemmdreht, in jdem also dieselben Gegenstände melir 
«eremale wiederiiebrett: so ist es eben so viel, als halte 
aian diesen halben TiJg an dem Orte selbst zugebracht. 
Der Dichter dachte sich die Handlung nie ohne -das Local, 
iind dieses nie ohne, jene; daher leigt ec es immer sugleieh 
mit ihr, und beschreibt es nie aliein und fur'sieh. So kann 
z. B. der Apotheker, wenn er, ohner alle Absicht, in einer 
gana episodischen firaüihlong den Ort einer Spazierfahrt 
nennt, auf keinen andern, als auf den Lindenbrunnen 
kommen, der uns schon dtireh eine ganz andre Erinnerung 
BO wcrlii lät, uiiil eben so in allen übrigen Stellen. 

Aber utisrem Jjichier lUfdU es aucili die lugeftthiunr 



243 ^ 

lichkcit seines Stoffs mehr, als einem andren, zur Pfliclil, 
die äiifsern Verhältnisse seiner Personen nicht zu vernach- 
lässigen. Da sie immer weniger durch ihre einzelnen Hand- 
lungen, als durch ihren Charakter, ihre Gesinnungen, ihre 
Lebensart intcressiren können, so darf er nicht weniger 
Sorgfall darauf verwenden, diese Dinge, die sie täglich um- 
geben, als sie selbst, zu zeigen. 

«• So hat sein Plan den festesten Zusammenhang, so 
durchgängige Stetigkeit der Bewegung und vollkommene 
Einheit des Ganzen. Aber er verbindet mit diesen Vorzü- 
gen noch einen andern, der, wenn er auch nicht seine epi- 
sche Tauglichkeil vermehrt, doch die Wirkung des Ge- 
dichts sehr angenehm verstärkt, nemlich eine gewisse regel- 
mäfsige, man darf es sagen, absichthche Symmetrie. Sie 
kann dem aufmerksamen Leser von selbst nicht entgangen 
seyn , und auch wir haben sie schon an mehr als Einer 
Stelle in dem Bisherigen berührt. Sie giebt der ganzen 
Production eine gewisse Lieblichkeit und Zierlichkeit, die 
nur der Kunst angehört, und den Werken derselben um 
so sichtbarer eigen seyn mufs, als es ihnen an grofsem 
Umfang und an eigentlicher Erhabenheit abgeht. Wo sie 
fehlt, wird das Elrnste leicht feierlich, das Pathetische leicht 
drückend; wo sie übertrieben ist, geht alle Wahrheil und 
aller Eindruck auf die Empfindung verloren. So , wie un- 
ser Dichter, hierin die Miltelslrafse 7u halten, die höchste 
und einfachste Natur , so ganz ohne ihr das Mindeste ihrer 
Wahrheit zu entziehn, mit dem sichtbaren Gepräge der 
Kunst zu stempeln, ist vielleicht der sicherste Beweis einer 
echten Künstlernatur. 

16* 



244 

» 

XCill. 

Stetigkeit in den nach «Imiiul^r eiMgt«^ Koipin^nnfien* — Aqm^m? 
davon. — Settel det Aftotheken gegen die Ungeduld. 

. £ben die Sletigkeit und Emheii, die in deuh Plan ded 
Gedtehts herrscht, finden wir auch, tn den Eoipfindungen, 

die nach einander erregt werden, wieder. Alle kommea in 
der reinsten und menschlichsten Theilnahme an der Bildung 
und an dem Glucke der Menschheit, in der Gesiiintftig nril 
einander *überein, die, billig in der BiMrihatung Andrer,- 
lins hlofs slrcng gegen uns selbst mnrlu, aber mis doch 
immer in ununterbrochener Thäligkeit und heitrem Muthe 
eihält. Im Einzelnen läuft jede immer sanft in die andere 
über. Wenn- das Gespräch eiiie ^«u eni8lliafte> oder^TSfi^ 
* rende Gestall anriiaiiiii , so giebt ihm der Aj)olheLer eine 
leichte und lustige Wendung; wenn dieser uns zu sehr, in 
eeiaen Kreis her^buehtiv so führt iiQs.der-Geisibchie' zu ei<? 

« 

«er allgemeineren philosophischen Ansicht. * Besonders fin- 

■ et sh Ii (lieser Ueber£,aiig vom Palhelischen durch das Ko- 
mische zur biolsen Betrachtung efjen so iiäuiig, als er auch 
im Leben selbst dorch die zuneige Mischung der Charakr 
tere, und selbst durch, eine gewisse -innre Noihweodiglceit- 
in dieser Folge, fast be^^tamü» zurückkehrt. , ^ - 

Nur in einer einzigen iStelle ist ein sichtbarer Sprung, 
ein gewiaserinafseii greller C'entrast; aber-^a ist er auch 
nothwendig, da fordert ihn 'die Veranlassung selbst niillen in 
der sonst nirgeiwls unleibrocbenen Stetigkeit der epischen 
Gattung.. Unsre Leser errathen gewi^, dafs wir von dem 
Mittel gegen die Ungeduld reden wollen y das der Apothe- 
ker noch im Aller seinem seligen Vater verdankt; keiner 
von ihnen wird über diese Stelle ieichl ohne allen Anstofii 
weggelesen, jeder sich gefragt haben, was es eigentlich ist« 
das ihn so sonderbar daran trifft. Wir wollen' versuchen, 



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245 

an unsrein Theil von dem Verfahren des Dichlers Rechen- 
schaft zu geben. * 

' Herruianns Ellern safsen unruliig uiit den beiden Freun- 
den da, und erwarteten mit Ungeduld die Ankunft ihres 
Sohns und den Ausgang der Dcgebenheit. Die Wichtigkeit 
dieser Entscheidung liefs kein andres Gespräch aufkommen; 
die Mutter vermehrte das Uebel noch durch laule Klagen, 
durch Hin- und Herlaufen, und durch Vorwürfe, die sie 
den Freunden machte, die ihn allein gelassen halten. Be- 
sonders wuchs dadurch der ünmuth des schon heftigen 
Vaters. So müssen wir uns die Lage in dem Zimmer den- 
ken, und so schildert sie uns der Dichter. ' 

In dieses Zimmer soll nun , wenige Augenblicke nach- 
her, das liebende Paar eintreten. Soll jetzt der Dichter 
diesen Augenbhck durch das Unangenehme dieser allgemei- 
nen Verstimmung verderben? Unmöglich, Kr mufs viel- 
mehr ihren Emi)fang vorbereiten; man mufs an dem vollen 
Eindruck auf alle Gemülher fühlen, dafs es Herrmann und 
Dorothea sind, die .hereintreten. Was giebt es aber für ei- 
nen Uebergang aus diesem Zustande in einen andern, ehe 
noch die Ursache desselben aufgehört hat. Offenbar kei- 
nen andern, als einen gevvalUamen. Wodurch kann er be- 
wirkt werden? Offenbar nur durch etwas Grofses und in 
die Augen Fallendes ; nur durch einen grellen und harten 
ConlrasU Denn da die Aufmerksamkeit immer allein auf 
die beiden Hauplüguren gerichtet bleiben soll, so mufs der 
Dichter suchen, die Veränderung iiervorzubringen, ohne 
doch dem Gegenstande, den er dazu braucht, eine eigne 
Wichtigkeit einzuräumen. Gerade die Veränderung also 
ist es, die er fühlbar machen mufs, und darin besieht eben 
das, was wir^Contrast nennen. 

Wenn man die Aufgabe auf diese Weise stellt, so be- 
wundert man niil Hcchl, wie glücklich der Dichter das Mit- 



lel gefunden hat, sie zu lösen. Das Bild des Todes ist 
es, 'das er wäl)il, und das unter allem, woa aich ihm dar- 
bieten konnte, g^i<ede des einzige Pasaenda war» Jtein in- 
dem es coglmeii den doppelten Gedenken der Verniehluog 
und des Lebens liei beiführt, schüUelt es durch den ersleren 
das Gemüt h aus jedem Zustande auf, in vveicheA es siefi 
immer befinden mÖchlBy und iäist durch den leisteren pl6t«- 
kdt mif die augenUickfieh dadurck hervoi^gebrachte Leei^ 
die schönste 1 ülle naciiioigen. Auch benutzt unser Dichter 
keide iSeitcn gleich vollkgimDen; scheuet sich nicht, uns 
mrsi den Tod in seiner ganzen (jfäfeiicbkeit auf eine reehl 
Gothische Weise in der Enge de» Sarges , der ^duvünt' 
der Farbe, der Gleichgültigkeit der Arbeiter zu zeigen, die 
das Haus, das einen Menschen auf ewig in sick verberge 
soll, mit eben der Gieicbgäitigkeüy .wie etuen gtwahdichen 
Hausralh, verfertigen; und sammelt hemack die ganze Stärke 
seiner ^Sprache, um das Leben in seiner schönsten Fülle 
und Kraft zu schildern. Unmittelbar also aus der uuvor- 
Ifaeiihaftesten .Stimmung zum Eanplange. des Brautpeari kal 
er die beste und erwunschleste kerrorgerufen. 

Wie IrelTlich sind aber auch hier wieder «ille öbfigen 
Umstände beliandeil! Wie anschaulich sehen wir, dem 
Apotkeker gegenüber, die Woknung. des Tiscklera; vm g»- 
•ciiällig arbeiten Meister und Gesellen, vnt passend ist die. 
sonderbare Erzählung dem Apoiht ker, die herrliche An- 
wendung dem Geistlichen in den Mund gelegt, wie hübsch 
ist die ganze Fabel - ersonnen! Denn was köniilte in der 
Tkat kesser den Ungeduldigen zureeht weisen, als die NSh<$ 
des l'odes und die Sclmeliigkeit der Zeit, die sein ihörich-. 
ter Unverstand noch gewaltsam vor sieh wegzutreiben c;ilt? 



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347' 

l 

, - p # • 

' . XCIY. 

* * • *- 

■» ■ • • • 

CJiartklere de« Gedichte. — AUj^emeiii« CUttvvf, zn der dievelbcn. 
gdiSrai. Ihre Aehnliehkeit mit den Homeritchen. 

Die wahre und natürliche und zugleich feste und be^ 
stinmite Zdlduung 4er Charaktere fiUllzpMhrui« Auge, 
ab dafe^e btaenderft hetausgehobett wefden dürfte. Aber 

die Behandlung derselben 4st auch durchaus episch; sie ist 
es in der allgemeineB Verwandtschall aller mit einander» 
in ^er beeondeni • Versdiiedeiifaeil der £iiiieliieii| m dem' 
XaMfoik dSeiw ktatem ethander und au dem Gameo^ 
Alle Charaktere unsres Gedichts gehören sämnillicli m 
Emer Gattung; denn alle Personen sind aus deraelben Ciasse^ 
4oa dem walilhabeiideii TJieit deB.BärgefslaBdes^ geiuim^ 
man. Waa wir in allen achen auf den ersten AnUick be« 
merken, isl ein Uebergewicht der ursprünglichen Natur 
über die erworbenen Kenntnisse und l^^ähiglLeilen, der na* 
tlirlbeben- Kräfte übe^die.Cllitttr.' Der Geisiliche imd der 
Apotbeker besitsen zwar- auch einen boheven Grad van 
dieser , aliLr in dein letzteren ist es eine scliiefe und haibCj, 
die ihm, ohne übrigens semer natürlichen Gulmüthigkeit zu. 
acfaaden^ einen gewissen kemiaclien Analridi giebi^ m dem 
Gciatlielien iat ifie voi^zugs weise aaf die -inoraKsehe Bfldung 
und das Glück des Menschen, also wieder auf das Ein- 
fachste und Nalürliciiste bezogen, was gedacht werden kaniL 
In. allen finden vnr daher einen sehUehten und geraden Sinn, 
reife und naturlidie'Empfindmigeny measckiiehe und billige 
Gesinnungen; in allen mit Einem 'Wort einen sehr gesuu> 
den iMensühen verstand und eine gewisse wackre Gutmü- 
Ihigkeit» im Apotheker allein kann osan gegen Iwide ctnige 
EinwörCe erlieben; in ihm ist der erstere. hie vnd da durch 
HalbcuUur veisehroben, und die kUkiti mehr Schwäche als 
Veidieuät. in dem GeisUichen önd beide durch mehr Macl^ 



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.248 



^ikeo undKeaninisae sogleich erhöhl und veräaderU Aber 
am retOBten herrscht dieser Charakter in Hemnaim, m sei- 
neu Eltern, und Dorolhe^n. 

'Bei allen andern lindel sich ferner ein Zusatz, der sie 
in den- Krds gewöhnlicher Menschen herabzieht, und sie 
mainohnial nliber das Oemeiae^ Piatte wid -Rehe^ fatingU 
Der Vater wkd himurmkitk «nseiltg vmd hart-, der Geisl- 
iiche ist oft pedantisch, der Apotheker lacherlich. Nor 
Uerniiann> seine Mutter und Dorothea bleiben durchaus gut 
und edel; sie sind eigenkOek durehaas^>on gleichem abso*' 
lulen- Werthe, nur siiid aach unter ihnen tvieder -die Nfcm- 
cen fein und schön angegeben. Die Müller isl von der 
tbütigsten Bravheit, der reinsten Güte, der zartesten Fein- 
heit; aber sie'Jst es gletchsam ohne ihr eignes Verdiensl 
und ohne es selbst xa wissen. Alles liegt allein in ihrer 
Weibliciikeit und ihrem Muttergefühl immer stellt sie sich 
nur hinter itiren Herrpiiiinn zurück; immer sieht sie sich 
allein mir in ihA. - Hefnuann hat die echtste Anlage tu 
allem Besten und Höchsten, aber sie^ist mehr, stark äuge- 
deutet, als schon hinlänglich ausgebildet. Dut olhea allein 
sei^ einen gewissen idealischen 3chwung, nur sie erhebt 
sich SU einer Höhe, auf* der sie, wie uns die iektea Ge> 
aprSohe awiaeben ihr und Hemnann deuHleh beweiten, nur 
halb von den übrigen verslanden, aliein da stehl. Mit Herr- 
mann würden wir gern einzelne Tage verleben, ihn gern 
inilten in deiner .Gesofanftigkeity in seioem Fauilienkreiae er- 
Uiekeh; die särtfiehe Sorgfalt der Mutter würde uns hert» 
liehe Thvänen ablocken ; die guliiiulhige Lebhaftigkeit des 
Vaters uns ergöizen und freuen; aber .nur mit Dorotheea 
möchten wir umgehen, nw sie könnten ^wlr zur Verlraaten 
misres Herzens wählen. 

Im Ganzen, sehen wir an dieser allgemeinen tJeher- 
sicht, kommen die .Charaktere uusres DklUers sehr mit den 



%4» 

Homeriselieii übee«iii. Auch in Homers Helden fioden mr 
vor alifini ein Uen -in der Bnist, „das Unrecht hasset und 
Unbill,'' einen geraden Sinn, der alles Verworrene kurz 

und einfach schlichtet, und einen Mulh, der das einmal ße- 
achlossene luraflvoll ausführt. Audi in der äiiOieni Lebens- 
art ist «ne.^antfdlcnde A^hntifibkait ' Auch Homers Uddtn 
hat >,Arbelt dea Arte und die Föise mfichiig gestärkel;** 
auch 3ie sind selbst Ackersleute, schirren, wie Fierrmann, 
ÜHM'Püarde seihst an,* und spannen sie selbst an den Wa«* 
gexL Ja, wsis noch .mehr ist, in dam fiiditer dor^^aiugs^ 
wanderle» Gemeine erkennen wir an dar Weisheit, mit der 
er den unbesonnenen Haufen zur üidnung unti zum Frie- 
den ermahnt, an dem Ansehen, vni dem er durch wenige 
Worte ihre Streitigk^n schlichket und die Ruhe' wieder* 
hmtaUt, den Führer der Völker wieder, wie ihn uns Ho- 
«er, und noch mehr, wie ihn uns Hesiodus schildert. Von 
dieser Seite hat daher die eigentlich .heroisdie £pof>ee Aur 
sehr' wenig Tor. der unsrigen voraus. 

- ' Km epischer Dichter nendieh kann das Heldemnlfirige 
in den China kieren enthehren. Denn vv^enn der lyrische 
und der tragisclte nur einzelne . Empfindungen und Leiden- 
i^ehaften brauchen so braucht er hingeg^ da» game We- 
sen des Menschen. Dieses ganae Wesen abosmufs auch 
noUiwendig etwas Dichterisches besilzen , aufser seiner in- 
nern und eigenlliclten Trelllichkeit zugleich ein taugliches 
Objeot 4w die £infaiidungskraft abgeben. . Dies aber, wosu 
vor allem andern SelbalsteMKgkeit und Natur gehdit, ist 
es gerade, was wir heldenmäfsig nennen. \\ er also in der 
Epopöe mit Glück autgelulirt werden soll, muls sdhsl^ und 
a«a eigner und aua lebendiger Knaft,- handehi. 



xcv. ^' 

V«rh«ltiiUk^«i' CuUur and «iter cslttfitVin ZmC zii>iI«u efMidieii 

Gebisach. . . 

Daher isl nichts dctu epischen üeist in so hohem Grade 
mwlder, «If die blefre Gultur. Dedn sie islniclils iMbil*> 
sündiges, eine Üofee unbettinutote TauglicUeü m aflemi 

Möglichen; keine Kraft, ein blofser Besitz; nichls Leben-' 
diges, ein lodter Schal«, der, \venn er Nutzen s^Ütea aoU» 
ent gebreuelil werden nmfik Sie geht aber tnick nedh 
darauf ans, SelbsGMandigkeily &aft und Leben* «kbendl m 
lotlten, wo sie es findet. In dein Aiigeiiblkk. also , da der 
Iflensch Cultur sucht, muls er ihr auch entgegenarbeiteii| 
in dem Augenblick , da er« 'daa Gebiei der blefran Natur. 
veHamnd, in ihr Gebiet fainüberlritt, beginnt Ifir ihn- ein' 
Kampi, der nicht eher geendigt ist, als bis er sie mit der 
Nalur in Uebereinstiniimung gebracht hat. Denn ohne die 
MöglichlLeii einer selche» ScbiicMnng des Streia dorob 
nachfoi|^de Hannense y wäre ee thMcht^ sieb' überfaatt]it 
in denselben einzulassen. Die ursprüngliche und lebendige 
Kraft luuDs also durch die Cuftur sich bereich^-n, dagegen 
aber üknr unbeetiaunten TattgÜohlMit tm -bMtiaNiilea«2iei 
geben, und das Todte naeh und nach in Leben ^rwandefaL 
Nur so wird der cullivirte (blols bearbeitclej Mensch von 
dem blols natürlichen mm gebildeten. 

Alle Cuttur nemüch ist ein Werii dee abgesenderl wif^ 
•kendetf Ven^ndeA Nmi üben, ebne dte- Aadtikbing dee- 
selben, die Dini;c um uns liei eben so wohl ihren Einflufs 
auf unsre Empliudungcn aus, ^regen eben so wolii unsre 
Neigungen und Leidensehafteni Aus beidem aber ental^ 
hon unsre Gesinnungen. Es ist also ein Cbaralcter mög- 
lieb, auf dessen Bildung der bioise VersUnid g.ir keinen bc-» 
ilculenden Einilu£s gehabt hat^ die reine Natur hol aiieia 



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2&1 



auf den remeaiMensciitta eingewiKkt Wir eiii[»iiiKkii und 
begehren eben m^^giA, eb.naeblier; a^r dae, waa auf una 
emo, und waa aoa ima «orttckwirlU, und die Art, wie diea 

geschieht, ist uns einzeln nichl klar und versläiidüdi. Dies 
ifit die Periode der blofsen NatuF. 

Unaer VaasUuid ealwiekeU. v«kh, eine tiefim Emmkü 
beginnt, wir unlenelidden uns dentliefaer tob dem Ob je ela ^ 
und ein Übjeet von dem an<fem. VVir verstehen besser, 
was mit lua vergeht, aber wir lassen auch unsern Einpfio»^ 
dtfbgen weniger natfiriidie.Fieibeil^ und so knge-alee nnare 
Cuhur noch «yroliatSffdig und «kiseilig iM, i^efben imd 
verdrehen wir unser gesundes und gerades Gefühl. Dies 
iai die Periode der ^»lofsen •Cullur* 

(huro JEIoai^i erweiterl aich, wir geben nna, lieaaer 
€ler nna aeibst belehrt» unare- natChrficlfe' Freiheit wieder, 
kehren von den Verirrungen, zu denen uns eine einseitige 
Cultur verfährt hatte, auf die Spur der Natur aurück; wir 
weiden nun 'wieder «i eben dem^ waa wir waren, ehe wir 
ansgingen/aber wir selbst tmd die Welt Sind uns mm ver» 
stäfidlich und klar, und dies bessere und voilere Verslehen 
liai zugleich unaerm Gefühl und unsem Neigungen eine 
andre Gestalt mitgetbeilt: sie aind verfenieTt worden, ebne 
eigenllieh in ihrem Wesen verändert «i werden; Dies iai 
die Periode der vollendelen Bildung. 

In dieser letzten Periode kann mm awar der epische. 
Diohter den Menschen wieder Aufnehmen, iuid ao auf ein^ 
und den 'doppelten Verzug der Natur und der CMMr vern- 
ein igen. In gewissem Grade ihut er dies auch wirklich. 
80 lial der unsrige z. B. Dorotheen und dem Richter eine 
aebr hebe, aber eine dnrch Begebenheiten und Erfishmn^* 
niehl dnreli Wissen und Stu^um- hervofgebrachle gegebefo« 
Doch abgerechnet, dafs durch eine solche Beiiniä4;hui)g ei- 
ner iuannigfidligeren Bildung jdie dichterisehe Wirkiuig nur 



wenig gewinnt^ so wird er auch noch, mdi jenes \mÜk»Hm 
gm «t bcidieiMB, durch €iwM Andres verhindert. 
* Das Uebergewidit der Cullur nnerer gaiisM Le* 

bensarl eine gewisseniiaafsen iinniiLiiiliolie und kaiistliche 
.Geslait^ und einen ähnlichen Charakter tragen auch die 
Begebenheiieii unsrer Z4Ht. an sich. etne Menge 

n^iier IMäHbsdse weekt, und vor oUmd dsrsiif aitögiofat, die 
möglichst giofse Zahl der Zwecke luiL dem möglichst klei- 
nen Aufwände von Mitteln zu erreichen, so hat sie zwi» 
sfiben dieiü-all des .Menschen und das .Werk, das er. dft* 
durch hervorbringt^ eine Hange von Weriueugan und Hit* 
telgUedern gesetzt, vcriuüge deren ein Einziger mit gerin* 
gercc Anstrengung eine grolse Masse bewegen lunn. Der 
Mensch erscheint also seltner als die, eiuuge jü^rsache einer 
B^ebenhek, Imd nodi saliner als die« unmiUelbare. Er 
handelt nicht allein, odei nicht frei, oder wenigstens nicht 
selbst und geradesu. Das Zusammenwirken dsc Menschen 
und ßreigoias« isl,so vi«Uaeh uimI .mächtig •|fewprden, dafr 
wir. weil dfter den Zufall — das- Zusaminenlreffen klainer, 
für sich nicht bemerkbarer Umstände — als den Entschluis 
Einzelner herrschen sehen ; die Ausführung der aufserordeot^ 
Üffhsten Unternehmungen , hängt mehr von der klugen Be- 
rednung dar Umstände und -einer geschickten Anlegung 
des Plans, als von der Kraft und dem Muth des Charak- 
ters ab. Der remc Mansch für sich vermag nur wenig 
mebi^ über den Manschen, und nwhls über, den Uaui^n; er 
muk iauner durch Massen handeln, sieh immer in eine 

Masclmie v ei wandeln. Wenn iioch eine Energie mächtig 
ist, so ist es aUcin die Energie der LeidenschaÜen, und die 
Leideoschafien sethsi verlieren durdi kleinliche £Heikeit 
und kalten Egoismus, f o^i ihrsr iurohtharea NaturgrMe. 

Padurch ist ein grof^'cr Charakter übeihau|>t, oder doch 



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253 

wenigslens die .bümiuung seltner geworiiea^ ihn in Auilefu 
ni . finden, oder Ihn sieh seibsl «uitfniuen. 

♦ ■ * * 

XCVL 

Mu^iiciikeit tJer lieiüitidieu Kpo^iee iu unsrer Zeit. 

Bei dteter unpo^tuehen L^ige unsrerKcit hatderDicl^ 

ler uiciiLs rili>;cics zu ihun , als uns von da weg in eine 
Welt zu retten^ die uns (ieni glüclwlicheren Ailerlhuaie nä- 
her föhrl; er* oiufs daher «einen Stoff ^119 demjenigen Thdtt 
der. Geaellsdiafl hernehmen, in weichem die urspsrüngliche 
, Natur libch die Cultm überwiegt, und ihn überhaupt mehr 
im. hürgei^lidien, als im li ileutiiehen Lehen (lüfsuchen; unil 
dies ist- ee, wodurch die heroische Epopee jetoi beinah ta 
einer unmöglichen Aufgebe -wird. 

Kinen antiken Stoff dürfte der epische Dichter nicht 
leiclit, so wie der tragische, wählen; dieser hat nur einen - 
mseben Vorf^il^ eine euizeb^ Leidenschaft atu^schÜdem^ 
der er, da sie durch idte Zeiieh hin gleich menschlidvhleiH 
immer die Farbe der Wahrheil geben kann, und gewinnt 
nun einen, schon vor ihm in dem Cjeiisle seiner Zuschauer 
potäiedi gebildeten Stoff. Jenem dimr, der das ganse Le- 
iten- seiner Helden augleieh mit allem , was eie limi^eb^ 
schildern soll, der bei weitem nicht mit dergleichen WiÜ-t 
kühr .Züge aus semem bilde weglassen , oder andre hiiizu- 
fdgen darf, würde es auf Lesern Boden immer an Nalnr 
und pragmaliacher Wahriieit: mangeln* -Wo aber findet er 
nun in der -neuem Geschichte eine eigentlich epische Hand« 
lung , eine solche, in welcher der Mensch allein und un- 
mitteihar haodehid und tugleich. als Held auflriH? Qesetat 
indefey er lande auch diese, so bleihi nocb'inraier Mii*aa»* 
dres, beinah untihefwindliches Hindemifs übrig. Ehen die 
C ullur, von der wir im' Vorigen sprachen, hat in un«?.eri/i 



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254 

Handlungen eisen Unterschied eingeführt, in dem sie, ganz 
unabhängig vim der njOöiüjshen moraKschen Wttrdigwng; 
einem Uofs känstüch verabredeten Maafestab des Sehidc- 
Kchen und Wuidigcn unterworfen werden. Jede Iilofs kör- 
perliche Beschäfliguiig, alles, was* zum biols gewöhnlichen 
Leben gehört, ist diesen Begriffen .nach' unanstümiKg und 
des gebildeten Mannas unyvftrdig; aUet dies muls er andern 
äiifserlich und innerlich minder vom Schicksal Begünsliglcn 
überlassen. Wie soll nun der epische Dichter diese For- 
derung 'mit dem Gesetze der -höclisien SinnÜclikeit, der un- 
tmterbroehenen Stel%kdt reitten^'aptf - er* seineir Hilden als 
eine Puppe zeigen , die , immer von Andern bedient, für 
sich selbst nur durch Anordnen und Gebieten, also durch 
RntschiöBse und »Reden, thätig erscheint? eder soU er im- 
mer nur die Masse, die ihn wngiebl (immer also nur Be- 
gebenheilen, nii !il Handlungen) schildern, ihn selbst aber, 
gleich einem C>oU aus der Wolke, nur dann hervortreten 
lassen/ wahn er einen entaeheidenden' Slfeich au s atofll hr fn 
im Stande ist? 

l^is also das e|tische ijeiiie durch die Tli.il das (Je- 
gentheii beweist, kann man schon hiernach, ohne noch an 
das Wundeibare ^ dessen sie schwerheh enlbeltren kdanle, 
«u -denken, die heroische Epopeo in unserh Tagen mit voll« 
komiiiciiem Recht unter die Zahl der Unmöglichkeiten rech- 
nen; und es bleibt daher so lange nichts andres übrig, als 
a^e epiachen Stoffe immer - nur aus dem Privatleben und 
iwair aÜ9 derj etil gen AfenscfafficIaMc zu nefamen, die «nrk» 
lieh auch jetzt noch natüHicher, einfacher und antiker lebt. 
Dafs hierbei in der Thai in Rücksicht auf die Charaktere 
kein Verlust ist, kann- schon Herr mann und Dorothea 
btweisen. Was nur die -Menschheit Orofma und ßdlei be* 
sitzt, ist darin in seinem vollsten Gehalte ausgeprägt Da- 
gegen ist an der Erhebung der Phantasie, an dem 6chwunge 



2» 

der ßegeittening ein wahrer und bekl^igenswertkcr Verlust; 
aber ^Hefer wSre aadi waiirsebeiiilMb (wenn es lile» derOrt 
wäre, die Möglichkeit der heroisehen Epopee tat uns atl- 

geniein zu untersuchen) noch aus andern Gründen, als aus 
dem -«hiolisen ftlaugel eine^ passenden StoITs unersetzbar. 
Der prilehlige Gfann der Epopee whemt mit diün Sinken 
der grieehischen Sonne erieadfen seyn; glücUidi genug, 
dafs uijs unser Dichter zeigt, dafs sich wenigstens die re ine 
.üestimuitiieil ihrer Umrisse, das rege Leben ihrer Figuren, 
^mil fiineoi AWort ihre voHe aHd Mühende Kraft überhaiiii*, 
vooli bis SBU nns frisch und ungeachwäeht einhalten -hat 

' . ' XCYIL . ' 

J)ArateUii^g «Infiwker WeibÜclikMt ia ]>orQlhetn. 

Den höchsten Gthail in die einfachste Nalurforta ein- 
zuschiiefsen, ist die Aufgabe, weicher der Dichter bei der 
'diklung 'seiner Ghara|tere Volle Genüge leisten muls, wenn 
er den G^sl und die Einbildangskraft seiner- Leser in glei- 
C^ni Grade befriedigen will. *• ' 

Hierin gleich glücklich zu seyn, würe dem unsrigen 
'unmö^idi geblieben, Wenn er nicht einen weibüdien .Che- 
-mkter* gewühll halte, die Hauptrolle iil iseiaer Charakteri» 
Silk zu spielen, den ei^eiiilichoii Ton darin zu hostiiimien. 
Denn nur in der weiblichen Natur steht die nalüiüchste 
ünd die hdchste Bildung in einer so sichtbaren Nähe neben '• 
einander; nur in ihi^^'versdhait sieh die ursprüngliche Ei^ 
genlhümlicbkeit immer einen vollen und leichten Siegj nur 
auf sie übt die Verscliiedenheil der Stände und Beschäfti- 
guAgen eine minder fühlbare Alacht aiisr Zngteieh 4ber 
konnte der Dichter auch, wie wir im Vorigen geseki ha- 
ben, seiner Haujitwirkung unbeschadel, Dorollieen eine fei- 
nere Bildung und «inen freieren tl^k^hwung der öeeie ein» 



256 

litNiCa' In ihr konoU er daher am besten neben emet 
Mkm Indivi^iiiilitiit wn^^ dat reine tiU 4tr Oalteg 
. aiifsletteiL 

Denn so. viele ^clülderungen weiblicher Charaktere 
mr ftoeb ackon GiUbe's Mflisterhand verdankea, so zeigt 
kein eimiger ein so Irenes <j«mShUe und nalMksher^ 
Weiblichkeit , als der Cb'arakter Deretheens. Alle andern 
aind in besondern Lagen und Empfindungen, oder vielmehr 
— denn darin liegt der eigentliche Unterschied — k&SK 
etttsiger von jmeB. ist' in epischem Reiste gezeichnet In 
DoroiheeA erblickten wir dfirefaeus • und vor allen andern 
nur zwei Haupieigenschaften — hiilfreiche Geschäftig- 
keit und besonnene Gewandtheit; alle übrigen zeigen 
sich nur augenblicklich^ nur wie die Veranlassung sie iier- 
Tormft; ohne sie bleiben sie tief im Innern der Seele ver-^* 
borgen; an jenen beiden liiufl ihr ganzes Lebei^ huii so 
lange es in seinem gewöhnlichen Kreise fortgeht» 
/ Die Stelle über die itUgemeiiie Bestimmung dee Wei- . 
bes (S. 172.) gehört zu den scbdnsten und« empfiindeBMttt, 
die je über diesen Gegenstand gesagt worden sind. In kei- 
nem Stande V in. keinen Verhältnissen kann es, ohne eine 
solche GesimMiag 9 obnir .diese rhersiiche BereitwiAUgkeit wa 
jedem hfilfrelchen Dienste, einen schönen weibEehen Ch*> 
rakter geben. Denn es ist ohne sie kein inniges Gefühl 
häuslicher Tugenden möglich, .und jede weibüche Sohon* 
helt und Gröfse muls einmeL immer auf diesem.Slamm em- 
porldUben. Das- weibliche Geschlecht'^ au der sebanatea 
und würdigsten Herrschafl, zu der Herrschaft über die Ge- 
müther» bestimmt. J)as Bewu&lseyn dieser .Bestimmung, 
verbunden mit dem Be.wufstseyni daCs diese mbralisebe Ge- 
walt nur durch die gänzliche Aufopferung aller physischen ^ 
gewonnen werden kann, in deren Vei einiguiig das Wesen 
der Weiblichkeit bestejH, juachen zusammen jene Geain- 



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257 



nung aus.^ Oline dieses ist die Herrschaft des weibJidieii 
G«8ciiie€ht8 empörend 4ind widrig, ohne jenes seine dicnst- 
hm Unterwürfigkeit knechtisch und verSchllieh. 

• Nicht weniger weiblich und mädchenhaft, als jener Zug, 
isl die anscheinende Kalle, mit der Dorothea bald die Em- 
pfindungen des Jüog^iiigs aoriickscheuchi, bald seine helb 
und dunkel gewagten Aedserungen kurs abfertigt; .da(s sie 
QberatI verelindig, gewandt und besennen, Aber nur selten 
bewegt und gerührt erscheint Die geschäftige Lebhaftig- 
keit der Phantasie in dep Weibern, ihre gröfsere Aufrnexkr 
samkeit «uf die Dinge, welche sie umgeben,, die schöiie 
Leichtigkeit, mit der sie, wenn sie sich auch einem Gedan- 
ken, einer EuipÜiidung überlassen, darum nicht alles Uebrige 
aus den Augen verliersn, contraslirt sehr gut mit der Hef« 
tigkeit, dem '^efsinn und. der Feierlichkeit des Mstmes^und 
der Contrast wird noch auffallender, wenn, wie hier, die 
Individualiliil des Charakters, statt ihn zu uuidcrn, ihn noch 
erhöht. Aufserdem aber sind diese Eigenschaften zugleich 
die, wefohe sich in Dorotheens Lage am nati&riiehsten ent- 
wickeln mu&ten, und die am meisten einer noch hSheren 
und leinerea Ausbildung fähig sind. 



XCVIIL ' 

MMlitit in der Charakter -Sehildening.— VerhjUtnUs der Cliankteie 

BU eSnaadec. 

Durch diese Schilderung Dorotheens hat der Dichter 
gezeigt, wie genau er natürliche Wahrheit mit echter Idea- 
lität zu verbinden weifs. Dorothea ist in der That ganz 
das, was sie selbst von sich sagt: 

— ein tüchtiges Mädchen; 
Ztt der Arbeit geschickt, und nicht von robesi Gemuthe. ^ 
iv! 17 



258 



Dies isl sie, wenn man sie mil dem kalicn Auge des bio- 
Isen Deobaciilcrs belrachleU Aber wie viel mehr noch. er* 
schetnl aie dem BÜek ihres Geliebteii, wie viel oMhr una, 
da wir sie jeUl, durch den Dichter dasti begeislert, in dem 
Spiegel der Einbildungskraft ansehn! Ohne dafs jenes na- 
lürliche ßild sich im miiiUeslen verändert, können wir ihr 
jede weibliche Grölse, jede weibticfae Tugend^ jede weib- 
liche Schönheit, die nur überhaupt mit dieaein Charakter 
übereinstimmen, beilegen, und keine wird ihr fremde jede 
ei^enthümlicik erscheinen. 

Auf eine vielleicht noch aufiaUendei[^ Weise finden wir 
indefe dies Idealische in der Schilderang des- Vaters. Gani 
wie er da isL, konnte ein solcher Charakter in der iSalur 
cxisiiren, und alsdann würden wir ihn wohl manchmal an- 
genehm und ergötaendy aber gewife nicht liebenswürdig im 
Gänsen finden. Wodurch kann er nun in den Händen des 
Dichters auf Idealität Anspruch machen ? Blofs diu eh seine 
reine EigenihumUehkeil, blofs dadurcli, dals alles in iJim 
durchaus aiisasmietthangt, sich durchaus gegenseiüg be^ 
siiaimt, dafs er das Gepräge dner reinen Geburt der Phan* 
tasic an sich trägt. Wodurch versichert er sich hier unsres 
ungctheiiten Beifalls? warum läfst er hier einen andern 
Eindruck 9 als in der Wirklichkeit^ aurück? Wieder eben 
dadurch) dafo wir ihn hier nur mit unsrer Einbildungskraft 
anschauen, dafs wir dort einen Menschen sdicn, der , weil 
er einem beschränkten Charakter bleibend angehört, dadurch 
minder vollkommen ist^ hier nur einen Charakter sinnlich 
dargestellt, der awar im Leben manchmar vorkommt, hier 
aber nur als ein einzelner Zug in dem grofsen Bilde der 
Menschheil ersclieint; nur dadurch dafs wir in dem Gebiete 
der Wirklichkeit uosre Aufmerksamkeit, mit einer gewissen 
unruhigen Besorgnifs immer nur auf die Schranken und 
UnvoUkommenhdten derselben richten, da wir hingegen im 



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2M 



Cjiebieia der Phantasie, besser und reiner gesliixunt, nur ihre 
ivirküfifae Krall» ihr wiridiches Weseii »s Auge fusot und 
jene Schranken nur «Is das ansehen, was diesem eine be- 

siiuimte individuelle Gestalt giebt. 

Wie gut das Verhältniis der veischiedaeii Personen 
unler einander heob^itei istp haben wir schon w^ter oben 
bemerkt Wir haben schon oben geseilt, tvie trellich «eh 
unter allen der Junüling und die Jungfrau hervorheben; 
wie alle and^m sici^ immer in dem Grade, in weichem sie 
ihnen näher verwandt sind, auch näher und dichter ymen 
zur Seite steilen; wie natürlich sich Hemnann und sone ~ 
'Ellem in das liikl Einer FamiJic, sie und die I)eidcn Freunde 
in (las ßild benachi^arter licwohncr desselben Orts; sie alle 
endüeh mii der ausgewanderten Gemeine, dem Riehler und 
Derotheen in das Bild derselben, nur In mehrere an Ge» 
stall \iiid liildiing verschiedene Stämme getheilten, Nation 
zusammenschliersen. 

Ueberau treflen wir daher das schonsle Gleiichgewichty 
voiikommeae Totalität, die natürUdiste pragmatische Wahr- 
heit, überall den echlen und reinen Charakter der episclien 
Dichtkunst an« , , - . 

XCIX. 

D i e t i o a. 

Die Schönheit der Di'Ction kann nur an «naefaien 
Beispielen gezeigt, nur empfunden werden; wir sdiriinfcen 

uns daher hier blofs auf eine einzige iicBierlkung und -auf 
wenige Worte ein. 

In keiner Steile dieses ganseh Gedichts wird man ei- 
nen uberflOssigen Sehmuck, eine mülaige Metapher, über- 
haupt einen Ausdruck aalrcffen, der starker oder prächtiger 
wäre, als der Gegenstand ihn verlangt Nichts kann dem 

17» 



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SSO 

oratorischen Btyi m der Fofsi«, den wir v^olnüglich in 4mi 
Werken der AaslSnder so oft bemelrken/ mehr entgegenge- 

seUt seyn, als der Vortrag unseres* Dichters. Uebefall schil- 
dert er nur die Saclie, aber überall auch diese in ihrem 
gmen und vollen GefaaH. 

Wo er grofiie Nataracenen beachreibl, bt adn Aiia^ 
drück sinnlich, prächtig und kühn. Hermiann und 'Doro- 
thea gehen am Abend, da eben die Sonne sich zum Unter- 
gänge neigt, nach Hause. Wie gredB mahlt er uns dieaea 
Scshauapiel! 

Also gingen die zwei entgegen der ^iukenden Sonne, 

Die in Wolken sich tief, gewitterdrohend, verJiüilte, 

Aas dem Schleier, bald hier, bald dort, mit gliiliendeii Biickeo 

fttrablcad ober das Feld die ahaduogsvotlo BeleucIrtiMg. 

Es >vird Nachl. 

Herriicli glänzte der Mond, <ler volle, Vom HiiDinel herunter; 
Nacbt war'», völlig bedeckt das letzte Sehimiaem der Sonne; 
Und so lagen^Tor ihnen in Hassen gegen einander 
Lichter,, bell wie der Tag, ond Sehattea donUer Machte. 

£in reifes Kornfeld wogt, von der Luft bewegt, hin und 
wieder. £r nennt ea eine goldene Kraft, die aich im 
ganzen Felde bewegt Aber aelbat bei diesen Schilderun- 
gen sieht man schon, dafs er auch sinnliche Gegenstande 
nicht blofs den Sinnen mahlt, dafs er immer die Einbil- 
dungskraft zugleich tiefer stimmt» alles charakteristisch, allea 
in Beriebung auf die ganae Wnrkung taiehnel; die ea auf 
uns ausübt 

Denn dies isl die groise und schöne Eigenihümlichkeit 
seines Vortrags. So wie er, wie wir im ersten TbeU die* 
aaa AiilBalaea aaben^ ttberiunipt immer »igleick und in Eina 
verbunden die Geatalt mit der Gennnniig daratallt, eben so 

walilt er auch immer eiiiea Ausdruck, der zugleich beide», 
die erstere in aller ihrer Individualität, die ietatere in aller 



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m 

üoßt Walurlieil Migt DolMr besiUi «r «nie so «igwUliüiii* 
iieb^ Kiaisl, viel ^rdi aisseliMS BmwörUr ai]ftiiiiiclil«ii) mm 

meisten durch die, welche auf den ersten Anblick, und aus 
dam Zuaammenbang iierausgerissen , aufsersl einlach schei« 
nen, wie der wohlgehildete Sohn, der menecbiicb« 
Haiiawirlbi die zuverlässige Gattki, 

W« er Empfindungen mahll, oder Webfhuteii ausführt, 
da vermeidet er jedes Wort, das übertrieben oder künsüich 
scheinen y oder mit dem nur überhaupt das tinfacbste und 
schliehleate Gefühl nicht sympatbiaireo kSnnle; ^gfgeo 
knüpft er immer, alles das auf emmal lusammen, was mil 
dieser Einfachheil verträglich ist. Dadurch bekoimnt jeder 
feiger Aussprudle ein gewisses gediegnes und anUkes An-> 
sehn,' und die Begriffe Von Tugend^ von Glück , von Leben 
gewinnen bei ihm einen Gehalt und dne Fülle, die wir 
vergebens bei einem andern Dichter suchen. Es scheinen 
nicht mehr Worte und (Schilderungen; es scheinen diese 
Gisfüble selbst » wie sie aus dem Heraen hervoratremeik 
Man lese die Rede des Geistlichen über das Bild des To- 
des (S. 203.) noch einmal nacb, und luhle ä^lb^l, weich ein 
Leben aus diosicn Versen hervor(|uillt. 

■* . ' ' ' 

Kinfaehtieit der Diclion. 

So ist die Sprache unsrea Pichters durchaus einfach, 
wahr , und kräftig, durchaus in Harmonie mit seinem dich- 
terischen C'harakter, wie wir ihn iui Vüii^tn schilderten, 
und mit den Forderungen der epischen Dichtkunst. Kein 
eiMebier Ausdruck, keine Wenduni;) kein einsiger Vers ifk 

* 

dem Gänsen ist weder didaktisch, noch lyrisch. 

Der Vorwurf abevj dem dies (jcdicht schwerlich ganz, 
entlehn wird, ist der einer au groisen £inlachheit der D^- 



üigmzeü by CjOO^Ic 



2C2 

soichen, die manehiiMil wentgslens mall wmI 
prosaisch wird. Bis auf einen g^^ssen' Punkl ist dieser 

Tadel gegründet', es hälie in der Thal liic iiud d.i ein min- 
der gewöhnlicher Ausdruck gewählt, der Gang der Perio- 
den durch das Hinwegschneiden mölsiger ParliiieUi rascher 
gefliiadit;'foder ohne auch 'hierin etwas sa andern, durdi 
den Bau des Verses ilem kleinen UebelälauJ abgehoUen 
werden können. • * - 

Gröistefitheils aber entsteht jener Vorwurf nur ans «I- 
ner enseiligeti Ansicht derer, die ihn erheben. Etnoial darf 

ein Gedicht, wie das e;e,£:en\värt,ii;p , nicliL stellenwcis, es 
inu£i im Ganzen beurüieiit werden. iSur wenn der Ein- 
dnick dea Gänsen matt und^prosatseh ist, oder wenn Le> 
ser, die mit Vollkommener Theilmdune an dem Gegenstände 
ihre Aufmerksamkeit durchaus auf das Ganze richlen, durch 
^zelne prosaische Stellen gestört werden, nur dann ist je- 
ner Tadel gegründet Sonst aber ist es sehr natürlich, daü», 
\ nm dem Gänsen das n5thlge Gleichgewicht va erhalten, 
um nicht überhaupt in einen Schwung zu gerathen, der 
dieser Gattung nicht zukommt, einzelne Stellen so gemil- 
dert werden müssen, dafs sie, allein herausgehoben, nicht • 
anders als malt etseheinen können. 

Dann giebt es auch bei der Beurthciiung dessen, was 
die einen matt, und die andern nur einfach und ualüriich 
nennen^ offenbar swei verschiedene Standpunkte. Die ei- 
nen nemBch gehen bei dem Dichter mehr von dem Begriff 
des Rhapsoden (des Sangers), die andern mehr von dem 
des Poeten aus — wenn es nemhch erlaubt isl, diese bei- 
den Begriffe, in so fern>in dem einen mehr das Musikali- 
sehe des Gesanges, in dem andern mehr das Künstlerische 
der Form herrschend ist, von einander zu Irennci). Jene 
sehen ihn als einen Menschen an, der, dui*ch die Eingebung 
onea Gottes in emen sinnlichen Schwung, in eine hol» 



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SIS 

Bcgiitlerttiig TvrielBl, mm «ucb. eine Sprache amiiimity dw 
steh über alles Gewöhfrfiebe emperliebty nieht nur der Qt9ke 

ihres Gegenstandes nul der Kühnheit ihres Ausdrucks folgt, 
aoiulem ihm vielmehr da, wo er kleiner erscheink^ ^dordi 
noch grölsere Kühnheit nachhilft. Sie wetten gaiw andre 
Worte, andre Wendungen, kurz eine durchaus und m je- 
dem Einzelnen andre »Sprache, als die Prosa verlangt. Diese 
lietrachten ihn als einen, dessen Einbildungskraft einen Ge-^ 
goiMtand' lebhaft aufgelalsl hat, und nun, inehrnis die Sacken 
ab um den Ton bekümmert, nur daran arbeitet, ihn ans* 
zubiiden, und wieder der Einbildungskraft Anderer werlh 
zu machen, im Einzelnen der gewöhnhchen Sprache nahe 
bleibt^ aber das Ganxe dadaroh aU«n umändert und em- 
porfaebt, daia er es, seiner Form nach» au einem ränea; 
Werke der Phanlasie macht. 

Diese beiden Ansichten näher zu priilen und zu wür« 
digen, die Zeiten und Sprachen au Torgleidien, in welchen 
die 'eine oder die andre melnr gegolten hat, würde mdiag- 
bar zu wichtigen Resultaten führen. Es würde uns ieliren, 
dals erst die volikommene 6cheiduug der poetischen und 
piwaischen Sprache das Zeichen der ¥eUendelen földang 
des Styls ist, und dafs für diese Vollendung bei uns, wenn 
nicht die Poesie zu prosaisch, doch die Prosa noch zu pue- 
tisch i&t. Allein da dies eigne und weiüäuftige Untersu- 
chungen erfontertOy da es uns offenbar ndthigen würde» 
tief in die Spradie HooKrs und- Plate*s (wddier letaters 
vorzüglich hierüber lieffliche Winke enthalt) einzugehen; 
SO müssen wir uns hier dabei begnügen, dafs in jeder die* ' 
aer Ansichten, so wie sie im Vorigen geschildert sind,, den* 
noch offenbar etwas Einseitiges und Uebertriebenes liegt, 
und dafs jede unliiugbar besser zu einer besondern Art der 
Dichtkunst palst. Wenn nun unser Dichter ein billigeres 
Urtheü nach der ietateren erföhrt, so verdient er es mit 



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SM 

■ " > 

er 

P e 1- 1 o (i e n b a o. 

Der Periodenbau ist so meislerhafl, dafs er ein eignes 
Studium verdienle. Er schildert übeiali den Gegenstand 
sfillNit» £i4gi ihm in alien seinen Bewegungeiiy besitai.daM 
ciaai se voUen Numerus des Wohlklangs, schlmgl sieh so 
schon durch alle Theile des Rhythmus und durch die Verse 
hin, und verbindet mit allen diesen Vorzügen eine so un- 
gezwungene und naMirücbo Leiehiigkeiti dals er dadurch 
atteio gewifo sehr vbl au der Objeelivitat beitragt, die wir 
mit so vielem Recht an diesRem Gedichts bewundern. Sich 
Itiervon im Einzelnen >zu überfuijren, vergleiche man nur 
die 3eschreihttng des verwirrten Gepäcks ^uf den «Wageb 
der Ausgewanderten, und des Umscidagm eines deneibeii* 
(Ä J6.) 

Unter Ueu Construclioneu sind mehrere', welche eine 
Grammatik, die streng am aiien Gebrauch 4iäng^ Neueran« 
gen nennen würde. So hal der Dlehter s. B. die Tren- 
nung des Genitivs von dem Sohstanüvum , das ihn regiert, 
sehr häufig und au einigen Stellen sehr glücklich gebraucht 
Wer fühlt z. B. nicht den gröls^ren Nachdruck, den durch 
diese Wendung folgende Worte der Mutter erhaiken: 

Denn iiiii gah der Tag den (Temalil; es haben die erstcfii 
Zeiten der wilden Zeritöniog den Sehn mir der Jageistl 
< ' gegeben. ■ 

Aber auch da, wo sie nicht gerade diese Wirkung hervor- 
bringt, hal Sie emen Reiz, der sich manchmal besser em- 
pfinden, als erküren läfet. 



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i 



CU. 

" Die Behandlung der Verse gäbe' einer Kritik, die ins 
Einielne eingehen wollte, tu mancherlei Bemerkungen Stoff. 

Es ist nicht zu läugnen, dafs hier eine Menge kinner Flek- 
ken ins Auge iailen, die man in einem übrigens so volU 
kommnen Gänsen lieber ^wegwünschte. Indefs zeigt sich 
docb auch hier «ine gewisse ]^nheit in dem Charakter des 
Dichters. 

Die blolse einfaciic bchiiderung des Gegenstandes hat 
in seiner Seele vor der rhythmischen Form einen gewis* 
sen Vorsug beliiaupiet Daher ist^ der Bau der .Perioden 
besser hehanifeit, als der Ban der Verse, der Numerus bes- 
ser als de» lihylhnius, welcher letztere nicht nur reicher 
sondern auch reiner seyn könnte. Sein Slod hat sich ihm 
nieht gleich bei dem ersten Wurf hinlängtioh rhylfamiscdi 
geformt dargestellt, und sein nachheriger offenbar sichtbarer 
Fleifs hat diesem Mangel nicht überall n.ichhelfen können. 
Die Vorzüge also, die ihm der Versbau darbot, hat er nicht 
eben so, als alle übrigen j geltend «gemadit;» er hal nicht 
einnSel hier durch strenge Beobachtung der Regein die noHi* 
wendige Correctheit erlangt. Dafs er aber diese Hegeln 
anerkennt, dafs er nicht, wie wohl Andre, glaubt, es sey 
genug, wenn die Verse fliefsend und wohlklingend sind» sie 
milchten übrigens Hexameter seyn oder nicht, oder gar dals 
es andre HexauieLer gebe, üls die uns die Alten überliefert 
haben j beweist er genug dadurch, dafs unter allen Hexa- 
metern, die wir ihm verdanken, diese nicht nur bei weitem 
die besten, sondern auch grofsentheils regelmafsig und ta- 
dellrei, sehr viele derselben musterhaft und vortrefflich sind. 
SvUle er nbti auch in dfi' Folge dahin gelangen, alle klei- 
nen NadiläsfligkeileB su vermeiden, so wir^ er doch schwer- 



üiyilizea by L^OOglc 



2M 

Hch je daiua kommen, <U£s sich die Sdionheil und Praebi 
dee Verses, der RetchUmm des RhyUunus mii einem <ge- 
>vissen Üebergewich^ in seinen Prodnclionen ankflndigen 

soUle; und wer ihn tiefer sUidirtr liat, wiid dies nicht ein- 
mal wünschen können. 

Nimi^t man daher alles zusammen, was die. Diction^ 
den Numeros und den Rhythmus unsres Dichters betrifll^ 
so erscheint er auch hier in durchgängiger Harmonie mit 
sich seihst, und iälst auch von dieser Seite, iui Ganzen 
nommen, jiiehts zu verlangen übrig, im £inxehien aber 
werden wir freüieh hier kirne Flecken und NacMässigkei- 
len gewahr, welche die einen minder, die andern mehr 
stören werden, je nachdem einige >virkHch strenger und 
aarter, oder, was vielleicht eben so oft der Fall ist, klein- 
Mcfaet und pedantischer in ihren Forderungen sind 

Aber selbst diese Nachlässigkeiten verdienen kaum die- 
sen Namen, da sie fast alle wieder kleine Vorzüge mit sich 
Ufiuren. .-Man versuche es^nur, Inc<(rrectheiten m diesem 
Gedicht umtuiindem,< und man wird nur äußerst selten 
• darin glücküch seyn, ohne zugleich irgend eine, wenn auch 
vieUeiolit kieine, Schönheit der Diction aufopfern zu müs- 
sen, wenn man nur fein und tief genug in die £igenlhüm- 
Üdikeit des Dichters^ in die Einfachheit und Objectiyität sei- 
nes Vortrags eingeht Wie leicht scheint es s, ß. in dem 
Verse: (ö^ 90.) 

Reichen Gebreite nicht da, und antea Weinberg und 

Garten 

der freilich durchaus unstaldiaften Verkürzung der Stamm- 
silbe „ — berg" durch die Versetzung; 

— Gactett und Weinberg 

ahsulielfen. Aber alsdann wird die Folge der Gegenstände, 
^Kne sie. kl der Natur ist^ verändert, und Herrmann nennt 



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wenl^ im sdnem Aage qpllter encheiot, und eben so wer-> 
den iich ähnliche Grunde dem Versuch emer bloCm Vei^ 

iiiideiung (die nichl die ganze Periode umarbeitet) in einer 
Menge andrer Stellen widersetzen. Nicht also in einer Un- 
Jiekanntschaft mil den, Regeln des Versbaus, und noch we- 
niger in einer Geringschätnmg- deirselben wl der Mangel^ 
von dem wir hier reden, gegründet; er liegt tiefer in dem 
Charakter des Dichters^ und entsteht allein durch das Ueber- 
gewicht eines grofsen und unläugbaren Vonugs, so daüi 
der Dichter, «wo er gldcklich genug, isft^ denselben g«» su 
überwinden, nun auch die höchste Vdlendung zugieicJi in 
der Form und in dem Tone der Darstellung erreicht» 

^ " - * 

cm. 

üehefviiiatiBimfliig 4es betondm* CWskten des Gedichti mit den 

allgeiueinen der Gattang, zn der es gehört. 

Wir haben nunmehr die JEwiefache Beurtheihmg been- 
digt, welcher wir dieses Gedicht unterwerfen wollten. 

-Wenn wir unsern Blick noch einmal auf dieselbe zu- 
rückwenden, so finden wir den subjeetivea ' Charakter des 
Diditers mit den objeefiTen Gesetsen. der Gattung, die er 
behandelt hat, in durchgängiger Uebereinstimmung. 

In ihm fanden wir vorzugsweise reia dichterische Dar^ 
siettungsgabe, Natur und Wahrheit, Ruhe und £in£Mchheit, 
Krall und diejenige Fülle des Gehalts, welche aJle Kinfte 
des Gemüths, den ganxea Menschen befriedigt. Eben diese 
Eigenschaften fordert aber auch das epische Gedicht, und 
gerade in eben der Mischung und Sttnunung diejenige be- 
sondre Art desselben, der wir H err m ann un d D or olheia ' 
beigezählt haben. \^ 

Durch diese Uebereinslimmuiig nun mufste notiiwendig 
das entstehen/ wovon wir, als derXotalwirkung desgaasen 



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SM 

GcdiciHs, .im Anfange (L~) auagiiigen: die sir&nge. und 
reib poetische Objectivilel^ die VerbiiiduD|^ voll« 

komiuener Individua^ilSt mit echter Idealität Es 
muüäte die Erscheinung hervorkommen, dafs wir uns vou 
einem einfaeben und sehÜcbten Gegenstände aus in eine 
Welt Ideafiscber - Gestalten yewtit, von ^ einem einaigea 
Bikk aus tu den hüchtten . Ansichten erhoben, von den 
liefsteu Empfindungen durchdrungen fühlen. 

Wenn ^uns die Auseinaaderselzung unsrer Gedanken 
gelangen ist, so muls der Leser nicht nur jetsEt emseheOf 
wie dies angegangen ist, sondern auch euf das denlltefasle 
versieben, wie es biols dadurch möglich war, dafs sich 
der Dichter ausschliefslich unsrer Einbildun^gs- 
kraft bemeisterte. 

■ 

• • • • • 

• . . . < ■ ► 

CIV. 

8 c h 1 tt 1 s. 

Da wir jetat nichts mehr über unsern Gegenstand hro- 
susufügen haben, so sey es uns erlaubt, noch einen alige- 
menien BUek auf die Aeathelik übevhai^t su werfen. - 

Wir beben in unsrer Untersuchung auf die ersten Gnmd* 
sätze derselben surndCgehn, wir haben die Frage vorlegen 
müssen: wie sind überhaupt ästhetische Wirkun- 
gen durch den Künstler mdglicb?; Wir haben es 
nicht vermeiden können» das Wesen ^ der Kunst fiberhaupt 
nahe su- berühren, da sowohl iinter allen Dichternaiuren die 
unsres Dichters, als unter allen Dichtungsarten die epische 
das reinste Gepräge der darstellenden Kunst überhaupt an 
eich trägt 

Wir haben uns bei dieser Veranlassung genauer Über 
dns Wesen und die Methode der Aeslhelik un Aiigenieiuen 
gl^Küfly und SU üfkdßa geglaubt, dals aie alle ihre Gesetze 



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269 



«Itein aus Natur der £illbiidlnl§;skra^i , Mr sich geaQiu* 
men und auf die andern Gemüthakräfle bezogen; abteilen, 
und um vollständig zu seyn, einen doppellen Kreis Volieii- 
den muls, einmal objectiv den der Möglichkeit üslhelischer 
Wirkungen, dann sobjectiv den der Mögiichkett äslheüscher 
Stimmungen, also, auf die Dichtkunsl angewandt, eben so 
woM die verschiednen Dichtematuren, als die verechiednen 
Dichtungsarten einzeln darzustellen und zu würdigen hat. 

Dieseb Grundsätzen sind wir bei der gegenwärtigen 
Beurlbeilun^ gefolgt, und sie- würde ihren Zwisek gatas er* 
r^hl habe«, wenn sieAnsprudi darauf machen diirfle, als 
ein Fragnieni einer so ausgearbeiteten Theorie der Kunst 
betrachtet zu werden. 

Die voUstandige Auafühniog einer solcben Theorie aber 
dürfte nie erwünschter als jelat eirscheinen, da sie die ICunsi, 
sie immer auf den Menschen und sein innres Wesen bezie- 
heudf mit der moralischen Bildung in nähere Verbindung 
sali«n würde, als bisher geschehen ist, und- es nie nöthiger 
war, £e iahem Formen des Charakters su' bUden tind-su 
befestigen, als jetzt, wo die äufsern der UmsUiiide und der 
Gewohnheit mit so furchtbarei* Gewalt einen ailgemeiofn 
Umitun drehen. 



^ Deber^ 

den Geschleelitoiiiiterseliied nnd dessen 
£liüliifs aiif die wi^aiilselie JVatar« 



V on der Wichtigkeit des Endswecka erfüllt, welchem der 
Unterselii^d der Gescfalecbter sunäichst gewidinet iß^ pfl^i 
man die Besllmmung derselben auf ihn aliem tu beschrän- 
ken. Man nliiiiut ihn iinmitlelbar mit in den BegrilT der- 
selben auf, denkt sich unter dieser Anstalt der Natur wei- 
ter niehlsy als «in cur £raeugung noüiwendiges Mittel, and 
wenn diese anf einem lündem^Wege m erhatten 
wäre, einen Unterschied leicht entbehren zu können glau- 
ben, der die Entwicklung der Gattung in den Individuen 
nichl Seiten su bindern scheint. Nur ailenfails im Men** 
sehen wird auch die gem^nsle Beobachtung mehr auf 
heilsame J juwirkimg des einen Geschlechts auf das andere 
aufmerksam gcmaciU, Allein auch in der übrigen Natur 
ist diese Erscheinung nicht weniger sichtbar^und es bedarf 
nur einer mäfsigen Anstrengung des Nachdenkens, um den 
Begriff des Geschlechts weit übör die besclu iinkle Sphäre 
hinaus, in die man ihn einschhefst, in ein uncrmefsiiches 
Feld au versetsen. Die Natur wäre ohne ihn nicht Natur, 
ihr Bliderwerk stunde s1ill,'*und sowohl der Zug, welcher 
alle Wesen verbindet, als der Kampf, welcher jedes ein- 
zelne noUiigl, ^ch mit seiner, ihm Qigenihümlichen Energie 



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271 

ZU wafncn, iiörlc auf, wenn an die Stelle dieses Unter- 
schiedes eine langweilige und ersclilafTcndc Gleichheit träte. * 
^ Das Streben der Natur ist auf etwas Unbeschränktes 
gerichtet. Alles Grofse und Trefliche, was in endlichen 
Kräften wohnt, will sie, ohne Ausnahme, und zwar in ein 
Ganzes vereint, besitzen. Aber da diese Kräfte immer end- 
lich und an die Gesetze der Zeit gebunden sind, so hebt 
die eine, sofern sie thälig ist, die andre auf, und es ist 
nicht möglich, dafs sie alle zugleich wirken. Diefs gilt 
aber nicht blofs von ihren einzelnen Kräften, sondern über- 
hauj)t von ihren beyden haupsächlichslen VVirkungsarten, 
der Ausbildung des Einzelnen, und der Verbindung des 
Ganzen. Denn indefs die Kraftübung Einseitigkeit her- 
vorbringt, auf die auch die Beschaffenheit des Stoffs führt; 
so. verlangt die verbindende Form Vielseitigkeit, und 
die eine Forderung vernichtet in dem Augenblick, da sie ge- 
schieht, nothwendig die andre. Wenn also, bei allen Schran- 
ken der Endlichkeit, ein unendliches Wirken zu Stande kom- 
men sollte, so blieb nichts anders übrige als die zugleich 
unverträglichen Eigenschaften in verschiedene Kräfte, oder 
wenigstens in verschiedene Zustände derselben Kraft zu 
vertheilen, und sie nun durch den Drang eines Bedürfnis- 
ses zu gegenseitiger Einwirkung zu nöthigen. Diese bey- 
den Merkmale sind aber gerade auch die einzigen, welche 
der Geschlcchlsbegriff in sich fafst. Denn, gehl man auch, 
um denselben so aufzufinden, wie er sich wirkUch in der 
Natur zeigt, am besten von dem Begriff der Zeugung aus, 
so kann man ihn doch auch, ohne alle Rücksicht auf diese, 
in seiner völligen Allgemeinheit fassen; und alsdann be- 
zeichnet er nichts anders, als eine so eigenthümliche Un- 
gleichartigkeit verschiedener Kräfte, dafs sie nur verbunden 
ein Ganzes ausmachen , und ein gegenseitiges Bedürfnifs, 
diefs Ganze durch Wechselwirkung in der That herzusteilen. 



272 



Denn auf der Wechselwirkung allein beruhl das Ge- 
hcuntulis der Maiur. Uii§;leieb«rttger Sl«ff- verknüjül rngk, 
im Verkiilipll« .wird wiedenmi Theil «nei gröberen Gan- 
zen, und bis ins Unendliche hin umfafst immer jede neue 
Einheit eine reichere Fülle, dieiil jede neue Mannigfalüg- 
keil einer schöneren Einheit Stoff und Form, se vielfach 
in einan4er verschränkt» ver lauschen ihr Weaen, nadl nir- 
gends ist etwas Mofa bildend oder gebildet So erhSk die 
Natur zugleich F.inheit und Fülle, zwey scheinbar entge- 
gengeselale, aber nah verwandte i^gen^hafton, deren eian 
dem Gebi wohlthälige Rnhe gewährt, wenn ihn die andre 
itt thätigem Nachdenken angespannt hat 

Von dem zauheiidiulichtri Wirken dieser zahllosen 
Kräfte erstaunt, verzweifelt der menschliche Geist, je in 
dieii heilige Dunkel va dringen. Dennoch fOhlt er sieh 
tarch ' seine Natur an%eforderl, es an- versnefaen. SoU nun 
der Versuch nicht gänaJicli inisluigeii, wende er seinen 
Bück von dein ZusammenUufs der Wirkungen ab auf die 
vereinzelten wirkenden Kräfte . Was dort durch vieHaehos 
Eingreifen in fremder und mannigfaltig veraehiedener Go» 
slalt erseheint, sieht er hier, vereinzelt, in seiner eigenlhüm- 
liehen wieder. Denn jede Verbindung in der X^atur geht 
aus der innren . Beschaffenheit der Wesen hervor«, und ihr 
stilles Wirken iinterbrieht kerne eigenmächtige WillkölM^ 
Was sich aiit einander vereinigt ,^ trägt in seinem Wesen 
selbst das Bedürfni£s dieser Vereinigung; und alle Erschei- 
mmgen der Natur bestimmt der Charakter der wirkenden 
Kräfte. Ist indels der Weg auf diese Weise vercinfBcfal^ 
so dail üian ihn niciit zugleich aucii erleichtert nennen. 
Sehr schwierig ist es, diesen verborgenen Charakter zu er- 
spähen, der nicht in dem Inbegriff der> oft niue isuftliigeil 
Aedserangen einea Dinges besteht, sondern ihr iraeraiea 
Wesen s^bst ausmacht, nicht durch rhapsodiätische Auf- 



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273 

dUilaiig der emselMfl Merkmaie enchöpfi * wird, soadero in 
eemer gatiien Eii^it aufgefafBl werden muft. Gerade weit 

er die letzte Verbindung von jenen ist, darf er keine Tren- 
nung versUtlen, ist er für die innere Anschauung, was die 
änfsere Geatalt dem Auge, und enUiüllt sich fasi nur einem 
gewissen ahnenden Geföhie^ da er doeh anf Begriffe eu«> 
rückgeföhrt, und durch Beweise bestätigt werden soll 

W aSf so wie dieser Charakter, das letzte iiesultat aller 
Tereiniglen Krätte ist, kann wieder nur mit vereinigten 
Kräften verstanden werden. In harmenischem Bunde mufs 
das Gefiihl mit dem Gedanken geindnschaftÜeh Ihatig seym 
Hat der Versland die Natur und die Wirkuiigsart des We- 
sens nach Begriffen untersucht, so mufs die Phantasie das 
äufsere HÜd seines Erscheinens, die Form jenes InhaltSy 
auffassen, und nur die Einheit, su welcher der Gast diefii 
doppeile Hesultat zu verknüpten sliebl. kann dem Gesuch- 
ten einigermafsen entsprechen. Keine Erscheinung einer 
Kraft darf daher der Forscher wHIckweiseDi und durch das 
ganse Gehiet ihrer Wirksamkeit mufs er sie verfolgen. Bei 
Untersuchung der Körperweit mufs er mit der moralischen 
ebensowohl, als bey dieser mit jener vertraut seyn, und 
sein Bemühen gehe auf die grSüsiere NaturtilLODomie eder 
den Ueineren Kreis des Menschen, so darf er nie das Game 
ans dem Gesichte verlieren. Denn die äufsei'^e sinnHche 
Gestalt der Gegenstande giebt ihm einen Spiegel in die 
Hand, in wekhem sdn Auge ihre innere Beschaffenheit 
erblickt 

Vorstiglich abei bedarf der Mensch zur Ergründung und 
Veredlung auch seiner moralischen Natur einer anhaltenden 
und ernsten Betrachtung der physischen am ihn her, und 
ihre Vorsorge hat ihm sogar diefe Studium erldchtert 

Schon in dem blofs körperHchen TheiJ seines Wesens hn- 
det er mit unverkennbarer Schritt dasjenige auagedrückt, 
IV. 18 



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274 



was er in seinem inoraiischen zum Daseyn zu bringen atre* 
Vm aolL Freilich verweiii das Auge 4m Bctoftclitofs mir 
selten hinlSngheh auf den Züfen dieaer Sehrift. Voraich- 

lige Besüignifs durch leere Bilder der Phantasie gelauscht 
SU werden ) zieht oft die AufmerksamlLeit davon ab, und 
noch weH öfterer hindert aie Mangel an Feinheit des Sinne» 
überhaupt nur rege su werden. Dennoch ist ea uniäugbar, 
dafs die physische Natur nur Eid i;r ofses Ganze mit der mo- 
ralischen ausmacht» und di» Erscheinungen in beiden nur 
einerley Gesetaen gehorchen. Nach der Eirforschung der 
Körperwelt und dem Studium dea ionern Lebens der Gei- 
ster bleibt daher noch endHch ein Blick auf das gegensei- 
tige Yerhiiltnifs dieser beiden völlig ungleichartigen Reiche 
tthiigy um diejenigen Gesetae aufiiufinden, welche ^ in bei- 
den herrachend, die höchate Verknüpfung des Natm ganien 
vollenden. Dieser Gesetze weiileü irevlicli immer nur sehr 
wenige und äufserst einfache aeyn können, da sie die reiche 
Mannigfaltigkeil aller besondren anter sich befassen miisaco« 
Allein eben dadurch wird es dem Menschen leichter wer- 
den, ihiiL'U auch an seinem Theil zu gehorchen, und gerade 
die verborgensten Geheimnisse seines Wesens in ihnen bes- 
ser enthulll au sahn. • Denn vorailgüch in dem Felde der 
naenseUicheh Empfindung und Begierde plülA es Tiefen, 
welche der Forscher nie zu ergründen vermag, wenn er 
den Blick unmittelbar und allein auf .sie heftet. Wo die 
Verwandtschaft mit der schlechterdings physischea Natur 
des Menschen au nah ist, hört die Möglichkeit auf» alles 
durch seine hlofs moralische zu erklären. Er mufs daher 
zugleich auf jene zurückgehn, und dasjenige, was in einer 
feinen mtd verwickelten Organisalion undeothch erscbehit» 
mufa er da aufsuchen, wo es in grofsen und einfachen Zü- 
gen aosgedrOekt ist Wohin aber wendete er sich dn bes- 
ser, als an dieselbe Natur in ihrer weniger verwickelten, 



275 

aber gröfsem Oekonoinie? Ans ihr mufii der Mcmseh sieh 
besser verslchn lernen, und bcy ihr den >btainni aufsuchen, 
von dem nur die feinste Biülhe in ihm sprofst. Hat er 
diesen entdeiekt, so ist es nun weniger sehwer^ den wun- 
derbaren Bau bis in seihe aufeersten Zweige so verfolgen. 
Hier ist der Standpunkt, auf welchem der Kenner der phy- 
sischen und der Erforscher der moralischen Nalur einander 
gegenseitig die Hand bieten, um die steile Höhe su erstei- 
gen, von welcher jedes sein eignet Gebiet in einer neuen 
und nun erst in der wahren Gestalt erblickt. Den äufser- 
sten Gipfel dieser Höhe zu erreiciien, dürfte allerdings wohl 
ttienschtichen Kräften verwehrt seyn. Aber die Kernitnifis 
der Natur wird sich immer gant und . gar von der Wahr- 
heil entfernen, wenn man demselben nicht wenigstens cnl- 
gegenstrebt, und er nicht der Gesichtspunkt ist, den man, 
auch bei der Beschäftigung in jedem einselnen der beiden 
Reiche^ nnverrüokt im Auge behält. 

Aus endlichen Kräften bestehend, weifs die Ntitur sich 
durch ihre Form Unendlichkeit zu verschaffen. Dem Ge- 
setaie derselben gehorsam, hinterläfst das hinschwindende 
Wesen, ehe es von dem Schauplats seiner Thätigkeit schein 
det, ein neues an seiner Stelle, und indem so das Einzelne 
wechselt, bleibt das Ganze in ununterbrochener Einheit 
Diese Sorgiait für die Fortdauer der Gattungen, bei der 
Veri^glichkeil der Individuen, ist die erste Erscheinung, 
welche sich dem allgemeinsten Blick auf das gesammte 
Gebiet der iNatur darstellt. Aber nicht auf biofse Fort- 
dauer aliein beschränkt, ist ihre Absicht hiebey zugleich 
auf etwas höheres gerichtet Weil bei endlichen Wesen 
das Vortrelliche nicht auf einmal entsteht, so erhebt sie sie 
von Stufe zu Stufe des bei^iren. Dadurch hat sie es mög> 
lieh gemacht, nach dem ersten Wurf der Keime, ihre Hand 
von ihrem Werk abaiehen lu künnen, und nun mit ruhi** 

18» 



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276 



gern Bfick auf den Reihen der Wesep «i verweilen, die 
sieh jetzt, unendlichen Ketten gleidi; ven selbely und doeh 

iuinier Einem Ziele zueilend entwickeln. Unter allen Ver- 
bindungen, die wir in ihr gewahr werden, and gerade die 
höchsten, numnigfaltigsten und innigslen diesem doppeftten 
Endzweck gewidmet; und gelänge es dem menschlichen 
Geist diese durch Erforschung des Charakters der dabey 
wirksamen Kräfte genauer zu durchspühen, so wäre es ihm 
dann möglich, diefs tiefe Geheimnils mit grö&erem Recht 
XU bewundem. 

Bei allem Erzeugen entsteht etwas vorher nicht vor- 
handenes. Gleich der Schöpfung, ruft die Zeugung neues 
Daseyn hervor, und unterscheidet sich nur dadurch von 
derselben, dafs dem neu Entstehenden ein schon vorhande«' 
ner Stoff vorhergehen mufs. Dieser Nolhwendigkeit un- 
geachtet, hat indefs das Erzeugte dennoch eine von dem 
Eraeugenden unabhängige Kraft des Lebens, und weit enfc^ 
lernt, dofs diese aus demselben erklärbar wäre, bleibt es 
vielmehr ein unergründiiches Geheiinnifs, wie nur sein Da- 
seyn daraus hervorgeht Was durch Entwicklung oder 
Wachsthum entsteht, ist ein Theil desjenigen, su dem es 
gehört, und empfangt aus fremder Hand seine belebende 
Krall. Was aher durch Zeugung ans Licht tritt, ist ein 
Wesen für sich, besitzt selbst Leben und Organisation, und 
kann, wie es selbst hervorgebracht wurde, eben so wieder 
hervorbringen. Obgleich die Fähigkeit su zeugen durch die 
ganze INatur verbreitet isl, so vermag doch keine Krafl Le- 
ben und Organisation mechanisch zu bilden; keine Weis- 
heit den Weg dasii vorzuschreiben. Daher ist Zeugung 
von Bildang verschieden, und dar^ nur Erweckung genannt 
werden , liie uaclilolgende Bildung des Erzeugten gehört 
ihm selbst, nicht dem Erzeugenden an. I^Ian kennt, was 
der Zeugung vorhergeht, und siebt das Daseyn, das dar- 



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277 



auf erfolgt; v/ie beides verknüpft ist ? uinhüiit em uiidurcii^ 
ibiiigÜcher Sehkier. Denn wie die Zeugung von Sekeit 
das EriMigteii Erwecking iB^ so isi ne von Seilen des er^ 
Eeugenden^ Wesens nur eine augenbliekKciie Stimmung, die 
nieht blofs durch die höchste Anstrengung dej Kräfte, son- 
dem besonders durch die Vereinignng alier bezeichnet wird» 
Die Kraft, weiche .das Lebendige und Organiadm besecll, 
kann, wie aie aelbtt in aM Eins ist, nur am dem ihrGUi^ 
eilen, hervorgehen, und nicht blofs dafs jedes zeugende We- 
asft seine eignen gteicfa«rtigen Kräfte zur liöciislen Harmo« 
nie gesümml fäUl, sa ist auch jede Zeugung-eine Verinn- 
dung ftweier versefaiedener imgleiefaarliger Prinetpien, die 
man, da die einen mehr thätig, die andern mehr leidend 
Mnd, die sengenden (im engern Verstände des Worts) und 
die empfangenden newit So liat die Naltir ihre Kinder, 
welehen, ab endlichen Wesen, nicht alles iugl«ch su be* 
sitzen vergönnt war, wenigstens an die Einheit erinnert, 
die allein jedem höheren Streben genügt, und ihrer Sehn- 
sHfihi Momente gesdienkt, die ae veigessen lassen^ dafii sie 
au gelrennlem Daseyn verurlheiit und. 

Diesem gegenseitigen Zeugen und Empfangen ist niclit 
Uoia die i^'ortdauer der Galtungen in der Körperweit an* 
vertraut. Auch die reinste und geistige Empfindung geht 
auf demselben Wege hervor, und seihst der Gedanke, die- 
ser feinste und leUlc Spt öfsling der Sinnlichkeit, verlaugacL 
diesen Ursprung nichL Die geistige Zeugungslurafl ist das 
Genie* Wo es sich aeigt,. sey es in der Phantasie des 
KiinatlerB, oder in der Entdeckung des Forschers, oder m 
tier Knergie des handlüiiden Menschen, eiwcilst es sicli 
adh^pieiisch. Was seiner Zeugung das Dasejn dankt, war 
YOrher nicht yerhAden, und ist eben so wenig aus schon 
Voihandenem oder schon Bekanntem blols abgeliiileL Zwar 
wird äich iui Gebiete deä Denkeii^, ui welchem durcligän- 



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378 



giger logischer Zusammenhang heriiichen muis, immer tUe 
Verbindung desselben mit dem schon Gegebenea. nn^on 
lassen, aber dieser Weg isl darum niehi auch ebeMlenelbe» 
auf weUam es gebunden werden kowile Demi das wahr«» 
haft Genialische isl keine F olgei ung aus, blof» schnell über- 
sehenen, miltelbar zusammenhängenden iSätzen, es ist wirib* 
liehe Erfindung, wenn gleich das, was oii^ dieser Art iai, 
ebenfalls anf genieähnUehe Weise lierrorgelMNieb^eyn kann. 
Was hingegen das ächle Gepräge des Genies an der 8tirn 
trügl, gleicht emem eigenen Wesen, für sich mit nignii 
orgpnisclMa Leben* Dureh seine Nalar Jeiireibi esGcsela« 
vor. Nwhil wie die Theorie, weldie der VerstaMl langsam 
auf Begriffe gründet, giebt es die Regel in todten ßuchsU- 
ben, sondern unmiUeibar durch sich selbst, und mü ihr««» 
gleich den Sporn sie au üben« Denn jedes Werk des Ge» 
nies isl wiedenim begeisternd Üir das Genie^ und pflansi so 
sein eignes Geschlecht fort. 

Durch Begeisterung gewirkt, ist dem Geni^ seine sf 
gene Wirksamkeit imbegreiClich. £s geht nicht auf gebM* 
chenen Bahnen fort, hier erscheint es und dort, aber ver- 
gebens suchten wir die Spuren .seines wandienden FuTstritts* 
Daher ist es nie zu berechnen, und vermag selbst nicht an 
verbürgen, ob sein Product geselaios oder regebnärsig seyn 
werde ? £s kann ^ Letitere nur mittelbar befördern, 
indem es sieh selbst geseLzmäfsig macht, und es 
ist ihm liein andrer Einllufs auf das Erzeugte, in dem Att^ 
genbhcke der Zeugung, erlaubt^ als durch die allgememe 
StinmMng asiner selbst» als des Eneugenden. Da alle seine 
KrSae in diesem Momente vereinigt sind, bleibt keine su 
Jiii Isigem Zuschauen, oder kalter Leitung übrig. S^hst- 
iliatigkeit und Empfänglichkeit sind beMe gleich gesdtliftig 
in ihm, und das|eiiige, dessen es sich emsig bewufst ist, ist 
gerade die Vermählung dieser ungleichai tigen Naturen. Nur 



m 

dtttcli dif^e Wechselwirkung der SelbsMiMIti^eil und 
pQi^glidikeit wird ihm mfiglieh, «ch aii» «ch.MlUiher*; 
auftsiistellen, und ai^ Mlbst, abgesondert von allem Zuföl- 

ligen, zum Objecl seiner Reflexion zu machen. Diese Tren- 
nung aber ist zu jeder genialischen Hervocbrin^^g uDent- 
bebrlach, da daa Genie das Nothwandj^e ^ur atta der Tiefe 
aeioer Vemunlt hervornelm, und ea niehl tndai«> als durch 
giltttliche Entfernung aus dem Kreise seines empirischen 
Das^na^ rein absondern kaiui. Daher erfordert dasselbe, 
wofe» <a.fi8kföfif<tffiaiab werden aqU» die liöchate ObieGtivi* 
läty d. h. ein, in BedärMla übergehendes Vermögen, daa 
Nothwendige zu ergreifen. Dieses aber kann es nur aus 
seinem Innren schöpfen, oder es mufs vielmehr sein ei^pnaa 
subjeeiivea und auliiUigei Daaeyn in ein nolh wendiges ver- 
wandeln. Nie wird der Hand des KünaÜera ein Meister^ 
vveik gelingen, wenn er nicht die idealische Schönheil, zu 
der doch scuie Phantasie die Züge saibat bildend entwarf, 
als eine Wirkiiehe GealaU au umlasaen vermag» sie wird 
der Philosoph einen Ferk$d»ritt gewinnen, der die Masse 
der Ideen wesentlich bereichert , wenn nicht die Wahrheit, 
die er aus der Tiefe seines Geiäleä hervorzog, sejoea ioiQT 
ren Sinn» gleidi einem äulpren Objecle bewegt» und nie • 
wird in schMderigen F&Uen des Lebens der handlende Mensch 
alle verwickeile Knoten gegen einander wirkender Triebfe- 
deni genialisch lösen, wenn er nicht über der Weit sein 
eignes Ich vergUat, oder vieliM^r «ein leh au dem Umfang 
einer Wall erweitert. 

Leichter als der Augenblick, in welchem das neue Da^ 
seyn erweckt wird, ist der Zustand zu beobachten, welcher 
demselbea vorhergeht In dieser SUmmuag dar achöiiitsri<t 
sehen Weihe ist, von weleher Art audi die Zeugung seyn 
mlf^e, das GeflÜil einer überfliefoenden Fülle mit dem ei- 
nes bedürfUgen Mangeis verbuiulcn. Dia Kr^ft satfuneU 



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28a 



tidi in sidi selbitV nie fÜMl «t sich reicher und gröfser, 
nieJebliafter bewegi, nie räsUger m herrlichsten Thüig- 
keil. Seihst die Erinnerutig an diete 8lSrke vermeg )ioch, 

sie in der Folge begeisternd zu erwecken. Aber in dieser 
Bewegung liegt der Keim einer unruhvollen Sehnsucht, die 
Mir flerrofhringung rei«t Sich, ihres Reiefathums «nge- 
adiletj se wie sie ist, nicht genügend, ahnet sie etwas an- 
dres, mit dem vereint sie erst ein vollendetes Ganse bildet. 
Wird ihr Suchen hier mit glücklichem Finden gekrönt, so 
strebt ne naeh einer Vereinigiuigy welche jedes eincehie 
Daseyn vertilgt Es entsteht ein Wegen, ein Hin* nnd Her^ 
wankey, und jene Sehnsucht erreicht eine schmerzliche 
li^he. Die ganse Erwartung ist nun auf die Hervorbrin* 
gong gespannt, und das eigne Ich eni&ulseri sieh bis lu 
deioi Grade, dafs es ach selbst gern för die neue Schöpfung 
hingeben möchte. Aus diesem höchsten Daseyn springt das 
Daseyn hervor. Auf diesem einzigen Moment beruht die 
Efseugung audi des geialigen Products. Hat die Phanta- 
sie des KQnstlers einmal das Bild lebendig geboren , so v* 
das Meislerwerk vollendet, wenn auch seinfe Hand in dem- 
ssiben Augenblick erstarrte. Die wirkliche Darstellung ge- 
hört nur noch dem Nachhall jenes entscheidenden Mo- 
ments an. 

Eine befremdende Krscheinung ist es, dafs Kräfte, die 
sich 80 nolhwendig sind, und so heftig suchen, getrennt exi- 
stiren -sollen, und dafii das nir Verinndung BesUnmite nicht 
Eins se3m kann. Denn überall sehen wir'sitr Zeugung swei 
ungleicliartige Kräfte erforderlich, dieselben mögen nun, wie 
in einem Theil der Natur, in Einem Wesen verknüpft, oder 
in swei versehiedne vertheiU seyn. Da das Erseugte mit 
dem Erzeugenden immer gleichartig nnd ihm ihnlicfa ist, 
so scheint es wundcibar, warum nicht unmittelbar aus dem 
Lehen das Leben, aus einer Kraft die andere hervorgelien 



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SSI 

kSniie? und d« der Begfiff der veineii Kreft hier nichto Wi- 
deteprediendee entbSk, so mtaen m diefo in den Sdnraa- 

hen derselben aufsuchen. 

Die lebendige Kraft, weiche jedes organische Wesen 
beeeetty fecdert einen Kttiper. Dieeer Körper und jene Kraft 
Hiikm^m'VlHtoBMiAti^ gegensei- 
lig aul einiindcr ein und /.urück wirken. So ist in jedem 
organischen Wesen Wirkung und Kück Wirkung verbunden. 
Wid iin«ie|freiflidi<iwnk4äiieh .dM ist» 
a#' wird^i^adli' e üfi el f w e nigii t en irfMi», del» dn^rErseugte m 
einer Stimmung des Erzeugenden hervorgclil, und, wievor- 
£üglich die Pioduete des üeni^^s ^uliaUeiid zeigen, dersel- 
beii^>4toieii>eNLi ^^Bittffetewy^ ^x§mi$$km Wesen erfor- 
derl daher einei doppelle» eine auf Wirkung und eine andre 
auf Rückwirkung 'ger^teieStiffilniuiig/ und diese ist in der- 
selben Kraft und m gleiclier Zeit unmügliuh. 

iiiie^ nun begiittif des i üpteaiiteM . dcüj^Geschlechter. 
J^mmiS^niAm^9ik^iBismKil^ empfan* 
gende- Ji(fcd M g J iia »Jii l 4 <i ii4ii ii i g gestiMMMk ^Rap^ von der er^ 
gtefü belebt wiid, nentiea vvii' männlich, was- die letztere 
heseeit, weiblich. Alles Männliche zeigt mehr Selbstthär 

ÜgklätM^yiMMiiti elipi Mimki i«H|gimlichkeit In- 

detf liJstii!ihtidihiwillMeftelii»d:>i^ nicht 

in dem Vermögen. Denn wie die tliäUge Kraft eines We- 
sens, 80 auch seine leidende, und \viederuai umgekehrt. 
Etwas blois Leidendes ist nicht deniibar. Zu attem Leiden 
(Empfinden einer fremden Einwirkung) gehört doeh aufs 
mindeste Berührung. Was aber gar kein Vermögen der 
Thäligkeit besitzt, ist gar nichts, wird durchdrungen, aber 
sieht berührt Daher überall gleichviel Entgegenwirken» 
ab Leiden. Die thätige Kraft hingegen ist (wenn wir uns 
erinnern , dafs hier nui von einer endlichen geredel wird) 
den Bedingungen der Zeit unterworfen» und an einen Stoff, 



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mitfiin an etwas Leidendes gebunden. Ohne au^ fai tiü^ 
fere Beweise einEiigehen; eehen wir im MenadMn MUMlr 

Selbstlhäligkeit und Empfangiichkcil enMmder gegenteilig 

entsprechen. Der seibstlhäiigste Geist ist auch der reiz- 
barste; und das Herz, das für jeden Eindruck am meistea 
ein|ifänglich ist, giebi auch jeden mit der lebliaftestaii £iier* 
gie surOck. Nar also die vertcfaledeiie RiehUing imlefeehet* 
det hier die männliche Kraft von der weiblichen. Die er- 
slere beginnt, vermöge üirer 6eibsithäügkeil , mit der Ein- 
wirkung; nimml aber, verml^ge ihrer Empfiipgiichkeily • die 
Rfiekwirkung gegenseitig auf. Die lelilere geht gerade 
den enlgegengeselzlen Weg. Mit ihrer Empfänglichkeit 
nimml sie die Ij^inwirkung auf, und erwiederieie mit Selbst« 
tbattgkeit. 

Diesen ewiefaehen Cberakler Mekt aneh der veiw 

scliiedene Zustand aus, weicher in beiden der llevvovbiin- 
gung unmittelbar vorhergeht, in beiden ist das Geliihl ei- 
nes überströmenden Vermögisis mit dem eines sehmeMli* 
chen Entbehren» gepeart Aber wo die Männlichkeit hemwhl, 

ist das Vermöfjen: Kraft des Lebens, bis zur Dürftigkeit 
von Stoir enlblölsi; und die entbehrende Sehnsucht auf ein 
Wesen geriehtet» das der Energie cagleieh Stoff soir Thä* 
tigkeit gebe, und, indem es durch Röekwirkung ihre Em^ 
pfänglichkeit beschäftigt; ihre glühende Heftigkeit lindre. 
In dem Kreise der Weiblichkeit hingegen ist das Vermö- 
gen: eine üppig überströmende FüUe^ lü reich, als dele die 
eigne Kraft allein ihrer Belebung genügte; indefe die ent^ 
behrende Sehnsucht ein Wesen sucht, das zugleich den in- 
nern Stoff erwecke, und der eignen Kraft, ifidem es sie 
durch £inwirkttng «i selbstthatiger Aückwirkmig nöthig|k| 
eine gröfsere Stärke ertheiie. In dem ersteren Fall ist da* 
her eine Stärke, die, auf Einen Punkt versammelt, von die- 
sem nach aufsen hin strebt Aufser sich ^uebt dasjenige 



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«nieii Stoff, wftfl m sieh niclii genog BeMfaÜligiiiig smner 
Thätigkeit ind«!. In dem leideren üfl eine Fülle des StofÜ, 

die sicli einen fremden Gegenstand in einem Punkt inner- 
kalb ihres Wesens aufzunehmen, und von ihm Einheit zu 
eüpfongen sehnt 80 befnedigl die eine Kmft die Sehn* 
sttcht der andren, und beide ftmeebiingen emander wa ei« 
nem harmonischen Ganzen. 

Auch in der geistigen Zeugung nehmen wir nicht blois 
dieselbe Wechselwirkung, sondern auch denselben Unter* 
seUed awei Tersdiiedner Geschlechter wahr. Gans anders 
ist es in Gemüthern beschaffen , die zu zeugen ; anders in 
solchen, die zu empfangen bestimmt smd. Es ist schon 
schpwer, so liskie Verschiedenlieiten im inteUectuellen und 
moralisclieii Leben nur su bemerken, und bei weitem sehvre* 
rer noch, sie darzustellen. Wo indefs das Genie männliche 
Kraft besitzt, da wird es, zeugend, mit seibstlhätiger Vcr- 
manft auf das idealische Object, einwirken. Wo demselben 
bingsgen weibliehe PüMe dgen ist, wird es, empfongend, 
die Einwirkung dieses Objects durch das Uebergewicht der 
Phantasie erfahren und erwiedern. Vorzüghch offenbart 
sich dieser Unterschied in der innren Stimmmig bei der 
Uervorbringung selbst; dem geübten Bück aber wilrd er 
ebensowenig in den Producien entgehn. Denn ist gleich 
jedes ächte Werk des Genies die Frucht einer freien, in 
sidi selbst gegründeten ^ und in ihrer Art unbegreiflichen 
Uebereinstimmung der Phantasie mit der Vernunft; so kann 
ihm dennoch bald die männlichisfe Vernunft melur Tiefe; 
bald die weiblichere. Phantasie mehr üppige Fülle und rei- 
zende Anmuth gewähren *). Da aber der GesohlechUunter- 

*) MeM V«i^tdiaBg ia einselaen raim wiritlich sasaBtellen, ,iit 
schon daram fOft lielen Sehwierigkeiten begleitet, weil selten zwei 
Köpfe übrigens Aehnliciikeit genug zeigen, um gerade dteten Ua- 
tenobied naffidünid richllMT sv nu^tu Nor 'ftbo mu » Bei- 



m 

scbidd überhaupt, als eiu Unterschied der Natur, durch den 
fonneiMleo Witten, so als möglich sur Einheü erhöbe^ 
werden mufr; so wird freilidi dasjenige Genie, das sich 
auf seine Bildung versteht, jene beiden Kräfte, bis zur gänz- 
lichen Yerkennung desselben, in ein reines Gleichgewicht 
zu stimmen bemüht seyn. Deutlicher, als hier, erscfaeiAt 
daher dieser Unterschied im praktischen Leben. Wo dort 
der Tugendhafte, von dem erhabenen Gefühl der Achtung 
des Gesetzes durchdrungen, der Ausübung seiner Pflicht 
sein Giück und sein Leben- opfert, d» ist eine gro&e und 
heroische Handlung . mit männüdier Krall eneugt Dei^ mo- 
ralische Sinn fühlt sich in rüstiger Stärke, die Stimme der 
Pflicht ruft ihn zur Thal, und er empündet sich gedrungen, 
dem Rufe su folgen. Wo hingegen die Tu^d, im Bund- 
nils mit der Phantasie, durch Ihre Anmuth reisl, da ist je- 
nes moralische Geluhl mehr empfangend, als zeugend. Ea 
erhält aus der Hand der Einbildungskraft die wohithäüge 
Gestalt, schlielst sich mit kmigkeit an sie an, und strebt, 
sie mit seinem Wesen su vereinigen; und so ist die tu- 
gendhafte Handlung, welche hervorgeht, nidht sowohl das 
Werk einer völlig frei und selbatthätig, als einer zurück- 
wirkenden Kraft. 

Dieselbe Eigenthümlichkmt der seugenden und emplui- 
gendcn Kräfte, welcfae w|r in den'BbmmiteA ihrer hSch- 

ipiele zu erinnern, sey es erlaubt, hier Homer und Virgil, 
Ariott und I>»ate, Thompion und Young, Plato iindAri- 
atotsl«« «inaadar g«g«Mlb«r su steUen. Wenigstens dSiAe aw- 
maad leidit in Abyed« aeyn, dala, in Rüoluiiclit auf ilm Geguu^ 
theile, in den xueist genannten, wenigstens in Vei^leidinng nnt 
der aus ihnen herrorlenchtenden Kiaft, mehr Ueppigkeit der Phan- 
tasie herrscht, da aas den letzteren die Ferm df-r Vernunft mit 
einer fast an Härte gränzenden Bestimmtheit spricht. Zogleich 
Yon dieser Härte und von einer zu gro(sen üeppipkeit frei , kann 
Sophokles, in der Mitte zwisclien Aeschylus und Euripides, 
xum Beispiel das gesclilechtiosen Gtsnies dienen. 



385 

Sien Tliitigkeit wahrndimen, offmbart sich «ach durch ihr 
ganzes Daseyn hindurch. UeberaU spricht aus den ente- 
ren hervorbringende Kraft durch freies Geben aus eigner 
Fülle; tiberall isl in den lelzleren Stärke des Auffassens 
durch festes Umschliefsen des Aufgenommenen sichtbar» 
Aber über das stille Daseyn der Wesen unaufmerksam hin« 
wcgrülknd, eilt unser'BKck ritmriep Vniir !hi»en Wirkiirigen 
zu, und doch iat es elirn ilicis unbcüieilvltä Leben, dem die 
Krifleidet) Nattir'jä»edFori4ai«er di^kett»- Denn wasiwii)«^ 

destBaa^yn dMMil/4li iOm ^äM^r^^if^ 

welche unaufhörltteltfdfe Thaligk<^lpilH*M^ 

in dem leUien Theil ihrer Laufbahn eiLlkkcn, wenn das 

fortl es etete^ötrctea dioti£ralltrisndhch bis amn i^ebevatül»» 

meivlaibaiiydlitT^liilfaaie^^^ 

reu fjröberen Sinn, MeCsrder leifee^i^her ttftriill|^C!hlMlt^ 
den alles, was lebt, unmittelbar dadurch verhreilel, dafs es 
is^ UMIR^iMli einemmilBjyitbwien Hauch entschlüpft. Eben 
s(l'M'äMis'itei|^4Hi>iM^nMi iwid .INM[ite||(tiito'^JM|fM 
nicht'iterf^rge -M^WdH^flaiiiiiii^ «fil^i^juweiilFaul^'^^Mil 
bloiä die Erzeuguag, die vor unsren Augen geseliieliL Auch 
die Erhallung, und 4a die Erhaltung des i^ndiiciien nui uii-> 
a> ni il a li(j|iifctffr»s»^ fc i iAf mU m faH i i 

sich anknüpft, auch die uns Terborgene Wiedererseugung 
ist ihr W erk. Vermöchte daher auch die Natur jenen Zweck 
der Forlpflanzung auf eiueui andren Wege zu erreichen, so 
könnte sie doch nie die Wechselwirkung entbehren, in der 
die Kri^fte der Geschlechter einander gegenseitig ergänsen. 

Die Natur, welche nnl üiidiichen Mitlein unendHche 
Zwecke verfolgt, gründet ihr Gebäude auf den Widerstreit 
der Kräfte. Alles Beschränkte lielt auf Zerstörung, und der 
himmlische Friede wohnt allein in dem Wirkungskreis des- 
sen, was sich selbst genügt. Der zersförenden Thatigkeit 
des eitlen mufs daher das andre eolgegenslreben, und in* 



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4m beide gcgeiiseHig einander ihren findsweek vereileto» 
erfüllen sie den sehrankenloeen Plan der Natar. Allein auch 

sie gewimil diesen Sieg nur, wenn man sie in ihrem gan- 
MD Um£ang und durch die Dauer aller ihrer Epochen be- 
traehtel; oder vielmehr derselbe hegt aliein in dem Inhalte 
ihrer Gesetae. In jeder einaelnen Periode daiiert der Kan^ 
noch fort, und das Vollendete entbehren*], aiuls sie üich 
das Höchstmögliche zu besitzen begnügen. Da sie die 
Sehnmken nicht entfernen kann, mufs eine Kraft die Lücken 
der andren ausfüllen; und da jede ThStigkeit sieh endliefa 
selbst aufreibt, Unlhätigkeit aber vei bannt ist, so inuls die 
Ruhe in dem Wechsel der Wirksamkeit bestehen. Denn 
die höchste Kraft erfordert die Vereinigung widersprechen- 
der Bedingungen. I^lit rasüoiror Anstrengung soll behan^ 
hches Ausdauern verbunden seyn. Aber die Anstrengung 
ist ein Feuer, das sich selbst verzehrt; um nicht an inteii-' 
liMi zu vertieren, mufo sie sich aller hindereden Masse ent^ 
ledigen, und ^en Stoff, den sie besitat, energisdi zusammen- 
drängen. Denn ij,icbl es gleich auch Kräfte, welche gerade 
durch Masse mächtig sind, wovon vorzüglich die uubeiebte 
Natur auflallende Beispiele leigl, so wkkt doch da eigent- 
lieh nur die veremte* Stärke vieler einzebien, zufiilllg in Ge- 
iueiüsciialL skliciideii Theile. Indem nun die Anstrengung 
die Empfänglichkeit aussclilielst^ nimmt sie sich selbst den 
Genuls erquickender Ruhe^ Di^egen erfordert die Stärke 
des Widerstandes, welche zur ausdauernden Beharrlichkeit 
nolhwendig ist, mahv Fähigkeit, die fremde Einwirkung auP» 
zunehmen, als sie zurückzuweisen, mehr Slimraung zu lei- 
den, und daher einen reicheren Stoff, kt aber dieser, ia 
sich zurückgezogen, so sehr zur Beschäftigung mit fremder 
Energie aufgelegt, so verbiulet er sich dadurch selbst die 
Möghchkeit eigner seibstthätiger Anstrengung. So ver- 
sahhefiit die Dichtungskraft, wenn sie in glühendem Feuer 



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S87 

BUdtr auf BiMer schaff die Sinm dtn äiiÜMiren EiiMklkkaHi 
und so verwehrea diese , ivena sie mit lebendiger Wärwe 
die Wirklichkeit dmfiwsen, jener den kOhiien AufHug ins 
Land der Erfindung. 

Die männliche Krafl, zu beleben hestiinmi, samtnelt 
Sieb von selbst» und durch eigne Bewegu&g. Allen Stoff« 
den sie besitzt , drängt sie zu ungelheitter Einheit zusam- 
men. Je reicher und mannigfaltiger derselbe ist, desto er- 
mattender ist die Anstrengung, aber auch desto gröfser die 
Wirkung. Der Stoff darf nicht schon durch seine eigne 
Natur zur Verbindung gestimmt seyn. Von ihr, als einem 
herrschenden Piin/,ip, mufs er die Leitung erhallen. So in 
sich versammelt, wirkt sie aus sicii heraus. Von heftigen^ 
Drange thätig «i seyn beseelt , wünscht sie einen Gegen« 
stand zu finden, den sie durchdringe ; aber ganz nur Seihst« 
thäliglteit, ist sie in dieseai Augeiil)lick aller Empfänglich- 
keit verschlossen. Einer solchen Anstrengung folgt jedoch 
bald Ermattung nach, und sie gleicht einem Hauche, dei; 
müchtig belebt, aber bald verschwindet Mit dem Gefähl 
der sinkenden Stärke erwacht in ihr die Sehnsucht der 
Empfänglichkeit, und gern ruht sie da aus, wo sie vorbei* 
hiols schöpferisch war. So ist sie, was sie ist, durch sich 
selbst, und ihre eigenthümliche Form. Der Mann, dessen 
Brust ein thatenkühner Muth begeistert, fühlt sich in sich 
verengt. Viel Erfahrungen hat er mit beobachtendeai Geiäie 
auf der Bahn des JUehens gesammcU, hohe ideale aus sei- 
■em Innren hervoranBchafflBn ; mannigfailigjB Gefühle l>ewe- 
gen ihn, bald die WMe der neuen Schöpfung, nach der 
er sich sehnt, bald theiinehmendes Mitgefühl mit den* We- 
sen , die er zu veredeln strebt. Für alte diese erhabenen 
Bilder hat aein Busen nieht Haum genüge and heilser Dursl 
nach Thatigkeit treibt ihn. Er sucht eine Welt, die seiner 
Sehnsuclit entspreche. Uneigennützig und ^ern yon jedenv 



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288 

Gedanken an mffi^ Geoufii, MtwkUk er aie mi der FüUe 
seiner Kraft. Die neoe Seiil()>lung atehl da, und frettdig 

ruht er aus im Anblicke seiner Kinder. 

Die weibliche Kraft, zur Kiickwirkung bestimmt, sam* 
melt sieli aof einen fremden Gegenstand und durck^ frem- 
den Reis. Da der Stoff, den sie in rdeher FuUe besifaii» 
sich durch seuic eigenthümliche Nalur vereint; so wirkt er 
mehr durch ein leidendes, als ein seibätlliäliges Vertnägea, 
Mit dem Grade seiner Mannighiiigkeit wächst gleich&dls 
die Sditoheil der Wirkung, nicht aber sugleich auch die 
Anstrengung. Vielmehr wird diese durch vielfachere lie- 
rührungspunkie erleichtert, und ihr Grad nur durch die In« 
nigkeit des Umschiielsens bestimmt, die von der gegense»« 
iigen Harmonie- abhängt Der Stoff der weiblichen Kr«ft 
bedarf weniger der Herrschaft eines vereinenden Prinzips, 
sondern verbindet sich mehr durch seine eigene Gleichar- 
tigkeit in dieser Einheit enviedert sie die Einwirkung mit 
immer steigendem Feuer, bis endüch ihre ganse Thätigkeil 
augLS|Kinnt ist Aber da ihre eigenthümliche Nalur sie fä- 
higer niaciit, Widerstand zu leiden, und sie von der glü- 
henden Heftigkeit irey ist» welche die männliche venefart» 
so vergütet sie die Langsamkeit ihrer Wirkung dureh lan« 
geres Ausdauern. iSo dankt sie der Beschaffenheit ilires 
Stoffs selbst einen Theil ihrer Wirksamkeit, die durch ihn 
vorbereitet und unterstütat wird. Ein He»| das . sich ^ von 
mannigfaltigen Empfindungen bewegt und von einer edefai 
Strebsamkeit beseelt, reich in sich selbst iühlt, aber den 
kühnen Muth vermifst, sich eine eigne Richtung zu gebent 
wird von unnihiger Sehnsucht gefoltert Sich seihst unver» 
ständlich, und arm im SchoolM des Üeberflusses, wünsch! 
es ein Wesen zu finden, das die verschlungenen Knoten 
seiner Gefühle, freuodüch löse. Je tiefer die Quelle dieser 
verworrenen Stimmung verborgen Uegt^ desto schwerer bo* 



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289 

gegnet es der (jewührung seines Wunsches, aber deslo in- 
niger schliefst es sich an die gefundene Erscheinung an. 
Je länger es an ihr verweilt, desto mehr Berührungspunkte 
entdeckt es, und verläfsl sie nicht eher, bis der Keim zur 
vollendeten Frucht gereift ist 

Nicht also ihrem Grade, softdern allein ihrer Gattung 
nach, sind die zeugenden und empfangenden Kräfte von 
einander verschieden. Blofses Aufnehmen ist kein Empfan- 
gen, sondern steht eben so unter diesem, als das Geben 
unter dem Zeugen. Beyde, Zeugen und Empfangen, sind . 
höhere und kraftvollere Energien, beyde ein Hervorbringen 
durch Geben und Aufnehmen. Eigne fruchtbare Fülle mufs 
bey jenem das Enläufserte begleiten, bey diesem das Auf- 
genommene umfassen. Der wahre Charakterunterschied 
beyder Kräfte besteht darin, dafs den empfangenden mehr 
Stoff, mehr Körper, den zeugenden mehr Seele eigen ist, 
wenn nemlich Seele jedes selbstthälige Prinzip bezeichnet. 
Gerade aber durch diese Verschiedenheit thun sie der For- 
derung der Natur ein Genüge. Sollle der Zerstörung dro- 
henden Heftigkeit der männlichen Kraft eine andre entge- 
gengestellt werden, so durfte es keine gleichartige seyn. 
Gegenseitige Ermattung hätte dann den Kampf beschlossen, 
in dem, wie überall in der Natur, der ünterhegende selbst 
neues Leben aus den Händen des Ueberwinders erhalten 
sollte. Der überströmenden Fülle mufste daher ein ße- 
dürfnifs gegenüberstehn ; aber da die Natur in ihrem Gebiet-w 
eben so wenig Armulh als Selbstgenügsamkeit verstattel, so 
ist das Bedürfnifs wieder mit Reichthum verknüpft. Indem 
nun alles Männliche angestrengte Energie, alles Weib- 
liche beharrlichesAusdauern besitzt, bildet die unauf- 
hörliche Wechselwirkung von beiden die unbeschränkte 
Kraft der Natur, deren Anstrengung nie ermattet, und de- 
ren Ruhe nie in Unthäligkeit ausartet. 

IV. 19 



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SM 



In j«d«r ZdiguAg wM. abo wreyarAey evCodbri, ie>* 
Wn^ge BMiigle Ar KnA, die Mif fineii, Punkt «eb s«- 

sammenzieht, und lebendige dee Slofls^ der ihre Et»- 

Strömung in allen seinen Punklen empfängt. Jeae \v)sd 
daher ihrer Nalur nach, auf TrenntHig gaikhtei aaya» mil 

^ aHa*, Wae mchl lia aalbai iü, lia'Ui ihnr rainaii Wirksam- 
keit hindert : Diese wird auf Einheil gerichtet seyn, um von 
allen Seiten aus die einwirkende Kraft zu uuisclüielseA. 
Wano das Genie (da .diaaa^^4i)raGheiiuMgiaa ^i«h die ga^at 
Kalle der harvorbringeiideii Wesen dbseUbeo ahid) vermegit 
der reinen Selbstthätigkeit der Vernunft, die belebende 
Flamme ausströfnl^ der, gleich einem Funken, das göttliche 
Wevk entsprüht,; so muiii .die Phantasie sie in ihren ächaofii 
aobehmen, und wohtthalig umschliaften. Die aengemia 
Kraft vermöchte sich nicht energLsch zu saiiimeln, wenn 
sie niciiL alles zurückwiese, was diese Anstrengung stören 
könnte; und dar empfangenden wäre aa unmöglich, .siah 
mi allen Seitaa her nach- Einem Ptenkt 1^ au neigen» 
wenn sie nicht die liö( liste Uebereinslimmung in sich be- 
wahjcte. Die Helligkeit, mit der die erslere for^trebt, rieh« 
Isi na auf einaehie Gasiehtspunkle, und ihre unatt%ahai- 
tane Wirkung mfifirte überall Trennung und Zeraldmng 

* aeyn. Dagegen macht der letzteren die harmonische 6auft- 
muth, mit dar sifii entgegenkommt, eine mehr umlassende 
fimhaü.sum Geaato, und ihn Pröda ist Erhalliing; Was 
•an kMan-bestinunl isl, mufii reisend erwecken. Aller 
Reiz aber richtet die Aufiü^rksainktit auf einen einzelnen 
Zustand, und das Gefühl durchgängiger Gleichgültigkeii 
wMa Sehkuniaar oder Ted aeya» J>as JM^bende 4arf da- 
her nieht, mit allzugrofser Schonung, jede Erschütterung 
vermeiden. Dagegen muis der Stoff, welcJier der Belebung 
enlg<g<ngefühct wird, gleichmäfsig u^d gana ^on ihr dui)eK- 
drungen werden. Was ettdiinb Mnekf Fami banlal» nah 



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291' . . 

. , • • • ■ » 

zwar auf Verbindung, aber, wie die Forin überhaupt, nur 
durch Trennung; so wie, was dem Stoffe näher liegt, wie 
dieser selbst, zwar in sich ein Mannigfaltiges, aber noch 
wenig geschieden ist ^Mr 
üeberall, wo der männliche und weibliche Charakter 
sichtbar ist, wird man in ihm diese Seiten gewahr; in dem 
crsteren ein Streben, mit trennender Heftigkeit erzeugend, 
in dem letzteren ein ßemüheu, durch Verbindung erhal- 
lend zu seyn. Alle Eigenschaften, in welche gekleidet beyde 
Geschlechter durch die ganze Natur, aber vorzüglich im 
Menschen, erscheinen, bringen denselben verschiedenen Ein- 
druck hervor. Die reizende Anmulh und die liebliche Fülle 
der Weiblichkeil bewegt die Sinne; die nicht sowohl an- 
schauliche, als bildliche Vorslellungsart und der sinnliche 
Zusammenhang aller Begriffe geben der Phantasie ein rei- 
ches und lebendiges Bild; und die Einheil des Charakters, 
der, jedem Eindruck offen, jeden mit entsprechender Innig- 
keil erwiederl, rührt die Empfindung. So wirkt alles Weib- 
liche vorzüglich auf diejenigen Kräfte, welche den ganzen 
Menschen in seiner ursprünghchen Einfachheit zeigen. Was 
dem Mann und seinem Geschlechte angehört, läfst dagegen 
diese minder befriedigt, beschäftigt aber mehr das Vermö- 
gen der Begriffe. Die Gestalt hat mehr ßeslimmtheit, als 
anmulhige Schönheit; die Begriffe sind deutlicher und sorg- 
fälliger geschieden, slehn aber auch in weniger leichter 
Verbindung; der Charakter ist stark und hat feste Rich- 
tungen, erscheint aber nicht selten auch einseilig und hart. 
Alles Männliche, kann man daher sagen, ist mehr aufklä- 
rend, alles Weibliche mehr rührend. Das eine gewährt 
mehr Licht, das andere mehr Wärme. Da in der endlichen 
Natur das Leben immer dem Tode zur Seite stelil, und das 
Befsre nur an die Stelle des minder Guten tritt; so mufs 
dem neuen Daseyn das schon vorhandene weichen. Die 

19* 



Kraft mm» die, yoii eigtiem finlteM«fo ^mben, adberiidi 
tliätig ist, mUk mll einer WiMkuhr lian^ein^ wemi sie 

Hindernisse zerslörend hinwegriioml, nicht anders als ge- 
walUhälig erscheinen kann. Daher vti kein Mulh zu grö- 
feeren UnternefainiiiigeB ohne eine gewisae Härte denkbar. 
Da aber die neue 8ch(>pfung nieht gedeihi, wenn sie nidil 
mit weiblicher Schonung gepflegt wird , wandeil in ei- 
nem wahrhaft xum bandlendea Leben gebomen 4>eoM ^ sanfte 
Mild» die Harte iti ernste FeetigfLeH uül ^ >^t*^: Mmm- 
Denn niir dieVerbifidiing der EigenthüniiielAdiftMilM^ 
der Geschlechter bringt das Vollendete lici voi , und wenn 
das Studium des männlichen den Verstand anhaltender be» 
scbSlligty 'und die Belracfatang des weibÜchen die Empfi»» ~ 
düng lebhafter bewegt, so befriedigt nur <fie Verknöpfung 
beyder, oder vielmehr das reine Wesen, abgesondert von 
allem Geschlecbtsunterschied, die Vernunft, ala das Vermö- 
gen der Ideen. Die höchste Einheit erfordert allemal swey 
enlgegengcsetate Richtungen. Da die Einheit überhaupt 
nur dann Werth hat, wenn sie aus der Fülle, nie aber, 
wenn aie aus der Armulb entspringt;- so darf »die Stärke 
und Ausbildung der einaelnea TheUe ntsfat minder gvafb 
seyn, als die Innigkeit des Zusammenhangs aller. Allein 
uni das Euizeine zu üben, wird Trennung erfordert, und 
eben diese Tremnng schränkt die Afdgiichkeit der Ver- 
bindung ein. Da Aon daa eine Geaehleebt jene, das andre 
diese mehr begünstigt, so befördern be^de, iudeiii sie ein- 
ander entgegenwirken, geiuemschafliich die -wunderbare Ein- 
heit der NaUir, welche, augteieh das .6anse anfe innigste 
verknüpft, und das Einaclne aufS' voUkommenato ausgebil- 
det zeigt 

Denn die uroprüngliqh ankngende Thatigkeii ist den 
äsenden Kräften, ae wie die erwiedecnde den empfim- 
genden e^en, und die Zeugung, ala daa gameinsdiiftiich« 



293 

Werk beider, ist auf diese Weise zwischen ihnen verlhcill. 
Alle Hervorbringung setzt einen Stoff voraus; denn nur an 
das seilen vorhandene knüpft die Natur das Neue an. Die- 
ser Stoff bildet sich aus, und zwar durch einen Trieb, wel- 
cher mit eigcnthünilichcr Kraft, und nach einer Regel (die, 
wie vorhin bemerkt worden, die Erzeugung des Gleicharti- 
gen scheint) thätig ist. Zu diesem Triebe aber, als zu ei- 
ner ihm vorher fremden Energie, mufs er erweckt werden, 
und diese Erweckung ist der Anfang des Lebens, als der 
Verbindung des Bildungslriebes (im allgemeinsten Verstände) 
mit der rohen Materie. Das erste Geschäft dieses ßildungs«« 
triebes ist die Ausbildung selbst, und, ist diese vollendet; 
die Ersetzung dessen, was der organische Körper zufallig 
verliert. Allein auch aufserdem ist er ununterbrochen fort 
thätig, um die einmal vollendete Bildung zu erhalten. Denor 
da die Gesetze der Materie, hier vorzüglich die chemischen 
Verwandtschaften, den Gesetzen des Lebens, d. i. der Or-« 
ganisation, immerfort entgegenarbeiten, und das Leben wie^/ 
die Resultate neuerer Untersuchungen zeigen, nichts andres 
ist, als der Sieg der letzteren über die ersteren; so ist eini-* 
unaufhörlicher Kampf nölhig, diese Oberherrschaft zu be-*^. 
haupten. Das Prinzip, das hier thätig ist, pflegt man die> 
Lebenskraft zu nennen, und von ihr macht der Bildungs- 
trieb (im engern Verslande) nur eine besondre ModificatioiiJ 
aus. Die Hervorbringung erfordert daher zwey unentbehr--* 
liehe Elemente, rohen Stoff, und Belebung desselben zur?^. 
Ausbildung. 

Sollen diese beyde unler die zeugenden und empfan- 
genden Kräfte verlheilt werden, so scheint es natürhch den 
Stoff den letzleren, die Belebung den ersleren zuzuschrei- . 
ben. Wenigstens zeigte sich, nach dem bisherigen Raison- * 
'nement, bey den zeugenden Kräften die Energie, bey den - 
empfangenden das ursprünglich Vorhandnc, worauf die P^ner- 



g$e wiikt, iü hj^ierem Gnde. 80 schien io Absicht der 
Imi voilivhigviidflif Kfaft dtfn tirstcm tnclir sdibrtltötigcs 
Feuer, den l«t«lffn mehr enlgcgenwiHken^ SlMe^ In Ab- 
sicht der Einheil der Wirkung den crsleren ein stärkeres 
vmnaiides Primip, den letsleren mehr Imwittige Ueher^ 
«MilinHinng dee Bincelnen eigen w seyn. Auch in der 
Betrachtung der Natur entdeckt schon ein flüchtiger Blick 
überall in dem männlichen Geschlecht mehr Ausdruck von 
Krafki in dem weiblichen, zwar niefai an sich, aber m Ver^ 
gleidiong mit der, m demselben* herrorlettehlenden KraCI^ 
melir Ausdruck von Külte. 

Jeder reinen Theilung widerspricht indeis schon die 
Anakigie der Naturgesetee. Denn soweit ansre Beobaeh- 
lang reidit, sehen wir, dafs die Natnr, immer bemQhl, den 
höchsten Beichlhum dincli die einfachsten Mittel hervoizu- 
scliafien, Wesen von ungleichartiger Wirksamkeit nicht so- 
wohl dureh'den Grad, als die Richtung ihrer KrÜfle Ton 
einander unterscheidet Eben so ist nun auch in den em- 
pfangenden nicht weniger Kraft, als in den zeugenden Stoff 
in dem Augenblick der Hervorbringung wirksam; und die 
Versefaledenlieit liegt allein in der Art, wie beyde gegen* 
seilig gestimmt sind. In dem mSnnfichen Geschlechte ist 
alles allein auf die Einwirkung gerichtet. Da der Stoff blofo 
bestimmt ist, sie dadurch su Terstärken, dafs er ihr gleich« 
sam ^neü Körper leiht, so tacht sie ihn sieh, fast bis tnt 
Vertilgung semer eigenthihnlichen 'Natur, su asstmifiren. In 
dem weiblichen geht dagegen die ganze Stimmung auf die 
Kückwirkung. Indem die Kraft diese modern Stoff su er- 
höhen strebt, behandelt sie ihn mit größerer Schonung. 
Eigentlich gesclneht daher die Belebung durch beyde Ge- 
schlechter zugleich, nur dafs die männliche Kraft doch al- 
kin die Erweckung bewirkt, indefs die weibliche nur ihre 
Möglichkeit vorbereitet, und Ihre FoHdauer sichett. Nie 



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295 



veriiiöchle auch die belebende Krafl auf den Stoff zu wir- 
ken, wenn niclit zugleich eigne Thäligkeit desjenigen We- 
sens hinzukäme, welchem derselbe angehört. Selbst die 
stärkste Einwirkung kann nur durch Rückwirkung in das 
eigne Wesen aufgenommen werden, und aus dem ganzen 
Umfange ihres Gebiets hat die organische Nalur blofs ui\^ 
Ihätiges Leiden verbannt. Dadurch, dafs sie jedem Ge- 
schlecht beyde zur Erzeugung nothwendige Kräfte verlier 
hen, hat sie es möglich gemacht, dafs Mangel der Kraft auf 
der einen Seile durch ein .[Jeberge\vicht auf der andern 
gleichsam übertragen werden kann. VV^o es der männlichen 
Kraft an Stärke gebricht, da kann die Lebendigkeit der 
weibHchen noch die Möglichkeit der Fruchtbarkeit reiten, 
>vie diefs die Erfahrung in der That nicht selten beweist, 
und umgekebrl kann, wo die weibliche einen zur Empfäng- 
lichkeit wenig vorbereiteten Stoff darbietet, die männliche 
diesen Fehler wiederum gut machen. Mag man sich diefs 
nun durch einen wirklichen Auslausch der Funclionen, oder, 
was wahrscheinlicher ist, durch eine F>weckung und Un^ 
terstülzung der Schwäche des einen Theils vermöge einer 
aufserordenllichen Stärke des andren erklären, die, indem 
sie ihrer Verrichtung in einem eminenten Grade genügt, 
die gegenseitige erleichtert; so bestätigen Fälle dieser Art, 
ebenso wie die, wo augenblickliche Stimmungen der MuUer 
auf die Beschaffenheit der Frucht wirksam schienen, das 
hier Gesagte auch auf dem Wege der Erfahrung. Wenn 
indcfs Zeugung und Empfängnifs beyde einen Stoff und eine 
Kraft erfordern; so ist bei der ersteren der Stoff nur nolli- 
wendig, weil die Kraft nicht ohne Stoff zu wirken ver- 
möchte, und bey der letzteren die Krafl nur erforilerlicli, 
weil ohne sie die Einwirkung auf den Stoff nichl geschehen 
kann. Hedet man daher blofs von der Hauptnchtung bey- 
der Geschlechter; so gehört dennoch die Kraft bei der 



Di 



HtrvoilHÜlgHng Uofii de« seiigeftdei», 4«r Staff iiiotft. itoi 
•Bapfangendfiii an. ■ - 

Den geweihten Sehleier zu durchdriDgcii , in ^len 
Natur gerade ihr heiligstes Bilden verhüUt, ist von einer 
Uiwierigkeit bcgieitoi, wdiebe «eb loho» duick die imo«* 
nigfaJiigan wid gtelicii vmdMaieB. ThtoM iilMr di»» 
sen Gegenslatid verrälh. Die wahrscheinlichsle unter dMi* 
selben siimml jedoch genau mit dem eben Gelten über- 
ew. Ueberau, wo ^ Natwr Ziva%m% und Rmpfiin(pMfii 
swey vereehtedenen WceeA anveilfaiA bM, iel der Sief in- 
dem eiii|)iangeiiüca, das belebende Prinzip in dein zeugen- 
deo. Daoait aber beyde miteinander in Verbindung gesetzt 
weiden lUmnciii owilii Mdi* eiiie Tbiüglkeit iiuch dee enUn 
m JiMultoiimieii , -dorcfa wdehe ein Thttl des Sbdk mA 
Josreifsi, und Keim zur teiaeien Ausbildaiig wati. Gerade 
in iiirer geheimsten Werkstätte wirkt daher die Nalur am 
meislen schäpferisch imd am wei H gsten mecbaniadi. Ge» 
rade bbr iMlsl sieh am wenq^n die' Wirkung ani den 
Ursachen beieclmen ; vielmehr zündel nur ein FunLc den 
andern an. Diefs liahea am meisien diejenigen gii^fiihi^t 
wekbe .diels Pbiinonien -durch jene Wirkuagsiurt su erU»» 
ren milemahmen^ da doeb dem menseMicfaen Verstend hier 
liiciils übrig blieb, als die hervorbringenden Ursachen auf- 
susucheuy den Erlolg zu beobachten^ und nicht zu erklären, 
•oiidern s^weigend «i bewuudem, «in Gipfel dsar. beacbei- 
denen Achtung gegen die grofira Werkmeisterin) s« wel- 
chem nur die neuere philosophische Naturkunde führen 
koQiUe* Wunderbar ist es zu seben, wie die NaliiK» kulem 
sie sich jener körperlichen Kräfte nur in seweil bedisnl» 
als es ihr gleichsam unenlh^Uch schien, die Freiheit, diefs 
grofse Vorrecht der Geisterwelt/ auch in das andre Gebiet 
ihres Reichs hinuberaufübren strebt. Nur eine Partikei des 
Stoffs nimj^t sie auf| nur 9ur ersten Belebuug entlehnt sie 



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0 

• 

eine fremde Kraft. Wie der erste Funke glimmt, lodert er 
durch sich selbst auf, empfängt Nahrung, aber die er nach 
eignen Gesetzen gebraucht. 

Achtung für alles wirkliche Daseyn, und Streben denw 
selben eine bestimmte Gestalt nach eigner Willkiihr zu ge- 
ben, bezeichnen überall den weibHchcn und männlichen 
Charakter, und so erfüllen sie beide dadurch gemeinschaft- 
lich den grofsen Endzweck der Natur, die unaufliörhche 
Wechselwirkung der Form und des Stoffes, ünmit- ' 
telbar gegenübergestellt, müfsten Form und Stoff einander 
feindlich begegnen. Da aber, bei der, den beiden Geschleclw 
lern eigenlhümlichen Wirkungsart, die Strenge der Form 
durch den Stoff, den dieselbe annehmen mufs, gemildert, 
und der Stoff durch eine formende Kraft zur Empfänglich-» 
keit vorbereitet wird; so ist nun die innige Vereinigung 
möglich, auf welcher allein das Geheimnifs der Organisa-^ 
lion beruht Die Nothwendigkeit, mit welcher alle wech-' 
selseilig aufeinander wirkende Kräfte eine der andren be- 
dürfen, macht auch die zeugenden und empfangenden ab- 
hängig von einander. Indefs ist den ersteren doch nicht 
alle Beschäftigung ihrer Wirksamkeit für sich allein, so wiej 
den letzteren, verwehrt, und diefs begründet eine giöfsere 
Unabhängigkeit von ihrer Seite. Eben darum aber sind die 
cntgegengesctzlen das höchste lieförderungsmiltel aller Ver- • 
bindung, und da nun gerade die Kunst der Verbindung das; 
höchste Daseyn in der Natur bewahrt, so sind dieselben 
durch ihre innre Beschaffenheit mehr und dringender, diefs 
zu befördern, veranlafst. Sie sind es, die man als das ei- 
gentlich verknüpfende Band in dem Ganzen der Natur an- 
sehen kann; die am emsigsten Gegenstände aufsuchen,, 
welche ihre Energie zu beleben vermögen, und bei den ge- 
fundenen am längsten verweilen. 

Durch diefs Verweilen führt die Fähigkeil zu empfan-^ 



gen Bu dauander Beharrtiefaketi« Mehr in «eh WKHkkm^ 
kehren, als in wehe Femen ni w l iwe M e n dotdi ÜtveNHur 

selbst veranlafsl, sind alle enij»fangende Wesen an eine« 
jittteren, minder wechssinden Gang gelesselt Um der Kr<iÜ» 
die ihnen entgegen fcoomil, aoedMiarnde Stirke enigegea 
EU Selzen, das Getrennte ta verhinden, und dielShi^kung 
in erwiedem, bedürfe» sie eines hamonischen und gleich* 
gestimmten Sirebens. Da mit dem Empfangen anch eu- 
gleich die Ausbildang de« Keims verbünd«! ist, t« erfar*» 
i]cy[ diese häufig eine venvkkdiere OrganiealioB', and w»- 
nigslens lüufs die Natur, um diesen Zweck nicht zu vei*- 
fehkn, Wesen» die hiesu bestimmt sind, mit doppelter Wach- 
•amkett an 4hre Geselse binden. BeharrMchkeit aber ist die 
ÜnveränJcrlichkeit des Endlichen, mid^ so scHeinl^ die Natur 
auch diesen ieUten Vorzug, welcher erst allen übrigen, die 
ohne ihn mir ein erbetenes ' und vergängliehes Daseyn be- 
sitzen würden» den wahren innren Werth und den sehin 
slen auiscm Glanz gl cht, den empfangenden Kräften rof* 
KUgsweise von selbst und aus freier Gunst zu erlheilen. 

Aber £e BeharrüehkeiC hat nur dann einen Werths 
"wenn sie das Geseta der Th&tigkeit ist, nMl ^leam ne aw 
Unlhäligkeit herabsinkt. Besitzt mm das weibliche Ge- 
schlecht ein Prinzip der Beharrlichkeit, so ist ihm nicht 
auch isagleich ein andres der Thätigkeit eigen, sondern es 
mufs diefs von der wechselseitigen Einwirkung des mämi« 
Üchen erwarten. Die Kralt, die mit so grofser Heftigkeit 
wirkt, dafs sie selbst die Zerstörung nicht scheut, und 
fremden StofiT-nach dgner Willkühr au formen nntermmail, 
ist unermüdet, aber auch leicht dem Wechsel unterworfctti. 
Da sie nicht Kaum genug in sich fühlt, das schwellende 
Streben au fassen, so ist ihr Ruhe unerträghch ; und da sie 
nicht sowohl der Beschaffenheit des StoSs nachgiebt, als 
von eignem Feuer beseelt Mird, so läfel sieh die ^liUig|keit 



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299 . 

ihrer Wirksamkeit nicht verbürgen. In demjenigen Theil 
der Natur, in welchem überhaupt wenig oder gar keine 
Willkühr herrscht, wird diefs wenig sichtbar seyn; viel« 
leicht aber ist es auch nur, wie so vieles in diesem Gebiet, 
wenig beobachlel, und wenigstens bestätigt in dem übrigen 
die Erfahrung diese, hier blofs aus Begrifien gefolgerte Be- 
hauptung. Soll der Mensch zu dem Ideale gelangen, das 
die Vernunft ihm vorschreibt; so mufs der Mann seine na- 
türliche Thäligkeit an ein festes Gesetz binden, das Weib 
die Gesetzmäfsigkeil, welche es seinem Wesen eingeprägt 
fühlt, durch innre Anlriebe mit Thäligkeit beleben. Unter- 
liegt aber das Bemühen der Vernunft hier dem Hang der 
Matur, so hebt der doppelle Fehler beider Geschlechter sich 
selbst wieder auf. Mit verschiedenen Eigenschaften ver- 
sehen und doch unzertrennlich von einander, beschränken 
sie sich selbst bis auf die Gränze, welche dem Endzweck 
des Ganzen ehlspricht. 

Die Natur, in ihrem ganzen Umfang betrachtet, ist un- 
veränderlich. Die Thäligkeit ihrer Kräfte rostet nie, und 
ihre Gesetze verschaffen sich immer gleichen Gehorsam, 
So unterbricht nichts je weder den Grad, noch die Form 
ihrer Wirksamkeit. Diese Thäligkeit aber unveränder- 
lich zu erhallen findet sie in der gegenseitigen Eigenthüm- 
lichkeil beider Geschlechter eine mächtige Stütze. Indefs 
sie aus dem einen Rastlosigkeit schöpft, verbürgt ihr 
das andre die S tätig keil. 

So sind nun zwischen beiden Geschlechtern die Anla- 
gen verlheilt , welche es ihnen möglich machen , diefs un- 
ermefsliche Ganze zu bilden. Nur dadurch gelang es der 
Natur, widersprechende Eigenschaften zu verbinden, und 
das Endliche dem Unendlichen zu nähern. Denn überall 
droht angcslrengle Thäligkeit dem ruhigen Daseyn, so wie 
erhaltende Buhe der regen Energie den Untergang. Darum 



beseelte die MaUur ihre Söhne mit Kraft^ Feuer und Lelyn 
haftigk«t,.uiid haudile ihren Töchtern Haltimg^ Warme Hp»d( 

Innigkeit ein. Indefs nun die einen ihr Gebiet zu erwei- 
tern streben^ bereichern es die andern mit sorgsamer Hand 
innerhaib seiner Gränsen.. Paon der ganze Chfi|?i|(|l«(i<d^ 
mäanlieheii Geschlechls ist auf Energie geric^eMv^Mai 
zielt seine Kraft, seine zerslorcnde Helligkeit, sein Streben 
nach Aufsenwirkungy seine RasliosigkeiL.,. P^gAfiif^ S^H 
die Stimmung des .weibfiehen^ seine amißiamfffl^ 
seine Neigung zur Verbindmig, sein Hai^-. die<EiaiiiihMjig; 
zu erwiedern und seine holde Stätigkeit, allein auf Erhal- 
lung und Daseyn. Mit gemeinschafllicher .^cglalt ver- 
nähten sie daher die beiden gro£»en OperatioiM^cTdei^fi^ 
tur, die, ewig wiederkehrend, doch se oft in verändertei: 
Gestalt erscheinen, Erzeugung und Ausbildung des Erzeug- 
ten. Vergleicht man indefs ihre eigenlhiinüiche Be&ch||Ee^* 
heit noch näher mit einander; so hat die Natur die em^ 
pfangenden Krftfte noch unter genauere Öbhul^jeiioaMBen. 
Sie theileii mit ihr ihre entschiedensten Vorzüge, und, gleich 
4en Töchteip im Hause j schliefst sie sieh o^r^, ^ ^ 
sorgsame Mutter an. ' 

Daseyn, von Energie beseelt, ist Leben, und das 
höclisie Leben das letzte . Ziel, in dem sich das Streben al- 
ler verschiedenen Kräfte der Natur vereint. Die Verscfaie« 
denheit beider Gesdilechter befördiert die Erreicshung die« 
ses Ziels, oder vielmehr ihre eigenthümliche Beschaffenheit 
führt sie zu demselben hin, ohne dafs sie selbst sich des- 
sen bewuist sind. Denn kerne Kra(| der Natur dient aie 
Mittel einem Zweck, oder strebt einer fremden Absicht ent^ 
gegen. Indem alle haraiüiiisch wirksam sind, folgt jede nur - 
ihrem eignen Triebe, und das letzte Resultat der Thälig- 
keit aller geht mit einer Nothwepdigkett hervor, die, da sie 
atte Absicht ausschliefet, auf den ersten Anblick «ißüttig 



* 



301 



scheinen kann. In gleicher Freiheit wirken nun auch die 
Kräfte beider Geschlechter, und so kann man dieselben als 
zwei wohllhälige Gestallen ansehen, aus deren Händen die 
Natur ihre letzte Vollendung empfängt Dieser erhabenen 
Bestimmung genügen sie aber nur dann, wenn sich ihre 
Wirksamkeil gegenseitig umschlingl,und die Neigung, welche 
das eine dem andren sehnsuchtsvoll nähert, ist die Liebe. 
So gehorchl daher die Natur derselben Gottheit, deren 
Sorgfalt schon der ahnende Weisheitssinn der Griechen die- 
Anordnung des Chaos überlrug. 



• ■ •• • .' i , . 

5 
.1 



4 



Uelier 



len in den hlesli^eii Klliii^liclien Antiken« 

»ammlnngen 



Die hiesigen Königlichen Anlikensammlungen besitzen Wer 
Bildsäulen weiblicher löwenköpfiger Aegypüseher Gotthet- 

^ D» mieli die üatonadiaiig dieier ]>eidonal6 fib«r nelirere Pukte 
sweifeUuift lielt, io wandte ich mich mit einer Reihe »ie betie^ 
fender Fragen an Herrn C Ii u m ;) o 1 1 1 o n den jüngeren. Nach der 
grollen und wahrhaft musterhaften GefKlUgkeit, mit welcher die» 
ser Gelehrte, frei von aller klcinliclien Kifersuclit nnd ängstlichen 
Gehf inilialtnnfr , über dir ihn die Sicherheit seinpr F'orschungea 
ein|)()rht lit, seine Entikckiingen frei und olfen mittlieiit, beantwor- 
tete (lersel'je meine Fragen in einem aosfuhrlichen Briefe, in wel- 
chem er jede seiner Erklanuigen, mit gewohnter Genauigkeit^ mit 
Beveiten an Aegyptisdten Deidonalan belegt. Ich habe es mir 
%m Pflicht gemadit, dasjenige ant dieiem Briefe, was smiichtl 
bkiiier gehört, in »eine AUiaadiiiBg sn ?«fw«beii, «nd vo idi 
Henm Champollioa, oiiae Nemumg eiaar Miner Sclirifkea an> 
.l&hre, besiehe ich mich auf diese briefliehe Mittbeiliing« Ich hoffe 
Herrn Champollion richtig Terstanden zu haben; aottten indela 
Unricb^keiten in dem als seine Meinung Vorgetragaien yorJLom- 
men, so bitte ich, sie nnr mir, nicht ihm beizumessen. Zwar klagt 
er in sein»*n», aus Livorno flatirten Briefe (larüher, dafs er sich 
dort entfernt von allen seinen Handschriften und Materialien be- 
fand. Allein <!« r Inhalt bewebt, wie die abgehandelten Gegen- 
stände ihm geliiuiig und seinem Gedachtnifs gegenwärtig sind. 
Diejenigen, welche den Venacben der Hieroglyphen -Entziffening^ 
•of gültig gvfolgt iind, werden ai«h «w dicm bMIdien MiCth«!. 



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41 - 
• 



303 

ttüy von welchen zwei Geschenke des Grafen von Sack 
sinJ, die beiden andern aber 7ai der MinutoHschcn Samm- 



lungen mit Vergnügen sehen, wie Herr Chainpollion immer 
nene Fortschritte macht, iii^mer mehr Zeichen zu .entzifTern lelirt, 
«ml auch hie und da Ton ihm bisher angenommene Entzifferungen 
berichtigt. Die Offenheit, mit der er begangene Irrthümer aner- 
kennt, zeigt nicht nur seinen unpartheiischen Eifer fiir die Ent- 
decliung der Wahrheit, sondern seine Verbesserungen beweisen selbst 
die Richtigkeit des von ihm eingeschlagenen Weges. Bei einer 
Entzifferung, die zwar auf sicheren Grundlagen ruht, aber nur 
von der Vergleichung immer neuer Zeichen und Anwendungen der- 
selben ihre Vollendung erhalten kann, müssen die Fortschritte, so- 
. wohl dem Umfang als der (^nauigkeit nach, nothwendig allmäh- 
. lieh geschehen , aber die Berichtigungen der einzelnen Erklürun- 
gen, wenn genau verfahren worden, zu Bestätigungen des Systems 
werden. Ohne selbst darauf Anspruch zu machen , das Studium 
der Hieroglyphen- Entzifferung durch eigene Entdeckungen zu er* 
weitern (wie denn auch das, was in d^r gegenwärtigen Abhand» 
lung Verdienstliches liegen könnte, allein Herrn Champollion 
angehört) habe ich mir ein besonderes Geschäft daraus gemach^ 
was von Andren darin geschehen ist, einer möglichst genauen Prii-» 
fung zu unterwerfen, und das Studium der Koptischen Sprache* 
nach ihrem Baue und den von Zoega herausgegebenen Texten da- 
^ mit verbunden. Ich lege daher gern hier das Bekenntnifs ab, daf» 
mir der von Herrn Champollion eingeschlagene Weg der einV 
zig richtige sclieint, dafs ich die von ihm gegebenen Erklärungen, 
die vorzüglich in historischer Rücksiclit zu so wichtigen Entdeckun-. 
gen geführt liaben, (bis vielleicht auf wenige bei einem solchei» 
Studium unvernieidliciwi Ausnahmen) für wahr und fest begründet 
halte, und dafs ich die gewisse Hoffnung nähre, dafs, wenn ihm 
N** vergönnt bleibt, diese Arbeiten eine Reihe von Jaliren hindurch 
fortzusetzen, man ihm eine so sichere und vollständige Entziffe« 
rung der Hieroglyphen -Denkmale verdanken wird, als sie von ür-, 
^ künden möglich ist, von denen , wie viele man auch besitzt, doch 
immer ein gewisser Theil, der gerade zur Vollendung der Entzif- 
ferung unentbehrlich seyn kann, unwiederbringlich verloren gegan-« 
gen ist. Ein bei weitem vollgültigeres Zeugnifs für das Cham« 
pollionsche System, als das meinige, und eine wahre Bestäti-' 
gung desselben, gewährt Herrn Salt's Schrift: esstoj on Dr. Youngg> 
and Mr. Chnmpollions phnnelic System of hierotßtjphks. Dena|> 
Herr Salt kannte, während er diese Schrift abfafste, Herrn Cham- 
-I* poUion^s I«leen nur sehr unvollkommen, fand aber selbst Viele» 
1^ auf dem nämlichen Wege übereinstimmend mit ihm ai|f. 



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9M 

hmg gehöreif. Eine der letsteren nt eine sitelieiide, mit 

dem Lotusslahe i<i der einen, und dem gehenkellen Kreuze, 
(dem Zeichen des götüichen Lebens) in der andern. Die 
andren sind sitaende, und wie schon Herr Hirt (AbhandL 
d. Akad. d. Wissensch. Hist phiL Klasse 1820. 1821. S. m 
Anm.) bemerkt hat, durchaus der in der Descr. de TEgypte 
(T. 3. PL 48.) ubgebildelen älmlich. Diese Bildsäulen wa- 
ren überaus häufig in AegyiHen, man fand bei- einer ^nsi^ 
gen AuBgrahung in den TrQmm^n von Tliebae bei'Kflr^ 
nak über 15 derselben, (ib. Descr. A. T. I. Chap. 9. p. 278. 
279.) die Drovettische Sammlung eulhäit deren allein zehn. 
Alle diese silzend^ Statuen tragen, wie es scheint^ im We- 
sentlichen dieselben Hieroglyphen -InschriRen an sich, und 
mehrere beziehen sich auf dieselbe Epoche der Aegypti- 
schen Geschichle. Die stehende, welcher auch die Fülse 
und ein Theil der Bein« fehlen, hat leider gar kdne in-* 
sdirift. Sowohl Herr Chämpollion der jSngere (Lettreft 
ä Mr. le Duc de ßlacas. Lettre 1. p. 39.) als Herr Gaz- 
zera (Descrixione dei monumenti £gizj p. 16.) haben Be- 
sdireibungen'und EridSrungen der sitzenden Bildsäulen die* 
ser Art im Turiner Museum gegeben, und diese Bildsäulen 
kommen im Wesentlichen ganz mit den hiesigen überein. 
Die Inschriften der unsrigen weichen aber in mehreren, und 
nicht ganz unwesentlichen Punkten von jenen ab. Die 
Schriften des Herrn Champollion und Gazzera geben 
auch nur die französische und italienische Üebersetzung der 
Hieroglyphen, ohne sie «änseb in dieien nachzuweisen, und 
stimmen nicht ganz mit einander selbst öfoerein. Auch habe 
ich geglaubt, dafs bei der Theilnahme^ w elche die so ganz 
•unerwarteten Entdeckungen des Herrn Champollion er- 
regen, es, selbst wenn ich wenig Neues hinzufugen könnte, 
schon interessant seyn würde, nur dasjenige, was über vor 
unsren Augen befindliche Denkmale gesagt worden i&t, so 



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SM 

maumfemueteikii, iak daduicli 4sib ürUwil über jüi^finb- 
decbingeii gdcitot werden buin *). 

§.1. 

. . Krilärung (l«r titzen4«]i Gottheit. 

Mm erkennt bei den ersten AnbUek, dafs die Steinen, 

mit welcJien wir uns liier beschäftigen, Vorslellungen einer 
wtüyichen Gottheit sind. Die genaue Bestiinniung ^ 
AciSypIischen Getibeiien wird aber daduceh erschwerf^ dele 
daeselbe gdttfidie Weeen, nach den verachiednen ihm bu- 
gelheilten Guücliüften, auf ganz verschiedene Weise vorge- 
stellt wird, und wieder gleiche Attribute verschiedene Gott- 
boten beseiehiien. So kommt Pblbeh blaweileb mit ineiiadi« 
lidiem Haupte, oft laber aaeh mit emem Falkenkopf, und 
andremale mit einem sogenannten Nilmesser an der Steile 
des Kopfes vor, und ebenso g^ebt es auf der andren Seite 
mehrere falkenköpfige Götter^ und mehrere GöUinnen, de* 
ren Kopfschmuck in einem liegenden Geier, oder einer 
Scheibe zwischen Kuhhörnern besteht Einige Götter sind 
auch biols Incarnationen einer des andren, und ersciieinea 
daher, indem sie wirklich nur Eine sind, ab zwei. So der 
dreimal groDse falken- oder habicht» (hieracocephale) und 
der zweimal giolse ibisköpüge Hermes. (Champollions 
Pantheon Vll. ad PI 30. Tölken, Reise des Freihemi von 
filinu&oii. S. 139.) 

Hieraus muls man wohl die vielen Ungewifsheiten und 
unJcUJgbaren Verwin ungen herleiten, die noch in der Be- 
stimmung der Aegyptischen Gottheiten herrschen. Man ist 



*) Auf der angebänglen KupfeiUfd befindet sich eine treue Abbil- 
dug 4er u vwm Statnaa Toriumdeaen Insciiriften, bei welchen 
Uoli die sich wiedeiliolMidea Zeidimureihe» weggelas«en sind. 
FJg. J. Hl VOM der «mmü fiMkiMben; B.€f, voa der andern Sacka- 
Hk»mi J»^X.K im der MumtolaMlktti Statue i^atanwf 

IV, 20 



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SM 

es Jiudi faler H«mi ChampolliM MhaMig, dirft er cmk 
\V€fg vorgcteiehnet ImI, der wtmgß^mB m ein«ni Mrtadwl- 

deitdeii Mittel der Anerkennung hinfuhrl, nemlich tien, nur 
diejenigen Beslimmungen als gewiCs anzusehen, die aus Vor- 
«teUungen gefimmnen sind, wa die Bilder toq Inwlinlltii 
begleitet sind. Aas diesen, sie nidgeii den Nineii, oder 
die dtn verschied tiic» GüUheiten eigenlhiimlichen Tilel enl- 
halten, JäTsl sich alsdann wenigstens mit Sieiicrheit sehen, 
weför die Vorsteilttiigen bei ihfea eigiw» Ui^nliirinig(dMi^ 
Herr Cbai»poüiofi bemerkt an niehffBreil^^lflHiaitliim 
Werke (b. B. Pantheon VII. ad PL 15. t.) dafs bisweilen mir 
die Inschrift beslimnie> welche der mehreren iihniich Wfr 
gestettten Gettheilen gemeint sey» ^ach diiwuMi fliwaiiillMii 
bat dersdbe In seinem Aegyptischen PaAtiiee»^|M^ eiMM 
anziehende, als belehrende Darslelluiig der Aegyplischen 
Gottheiten angefangen, die sich schon dadureb auszeichnet, 
dafs sie gans aus Denkmalen genonnnen iat^ indMIilAiiiy 
nisse der alten Schriftsteller nur nut diesen' '¥ergleieli4. 

Eis war nolhwendjg, diese Bemerkungen vot anzuschicken, 
da auch die hier vorgestellte Gottheit in verscbiedenen Ge- 
stalten, und veraebiedenen Graden ibres gdUficben Raogaa 
angetroffen wird. 

Was nembch die hier betrachlelen Bildsäulen charak- 
lerisirt, ist das Löwenhaupt Nach diesem, dem 6ymbol der 
Tapferkeit und der durdi Edelmulb gebSndigten S»rk«, 
balle schon Herr Hirl (a. a. 0.) dieselben für Vorstellun- 
gen der Nellb, der Aegyp tischen Minerva *) erklärt Herr 

*) In rin( r andren Ideen Verbindung- ontpiirach Nfitli auch der Ae— 
gyptischen Idiki. (C h a m p o 1 1 i n n, Panthron Heft XI. zn PI. 28.") 

••) InMhrer iJezielamiy aiit Amon Ra war der Gottin Neith auch 
da* Sjmbol des Widders nidjt tremd. In Sais sowohl als in The- 
ben worden heilige Widder onterlialten nnd Herr ChampoUion 
liitt et iir wümdieiiilich, daJi NdUi auch nit einem Widderkopfe 
dsiirctlsttt wde. (Pftiittite K^. H«il V. m Fl»8. bik 6 «ig- 



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-i 



307 



Champollion ist der gleichen Meinung, hat dieselbe aber 
weiter und bestimmter ausgeführt, und ein «weites, die 
Göttin charakterisirendes Kennzeichen in der Hierogly- 
phen-Inschrift (Fig. B, Zeichen 9 — 11.) aufgefunden. Diese 
beiden vereinten Kennzeichen heben allen Zweifel über die 
Deutung dieser Denkmale im Ganzen auf. 

Neith ist in der Aegyptischen Mythologie das zweite 
der göttlichen Wesen, das, als das urweibliche Princip, mit 
Ammon, dem urmännlichen, von dem es aber seinen Ur- 
sprung erhalten hatte, vor aller Schöpfung vorhanden war, 
und in dieser Epoche mit Ammon dergestalt Eins aus- 
machte, dafs die Göttin oft auch als Mannweib bezeichnet 
und dargestellt wird. Von diesem Grundbegriffe ausgehend, 
findet Herr Champollion die Göttin in folgenden bild- 
hchen Vorstellungen und Bestimmungen ihres Wesens. 

1) Mit menschlichem, mit dem vollständigen Pschenl 
geschmücktem Kopf, in ihrem Hauplbegriff, als weibhches 
Urwesen, mit dem hieroglyphisch geschriebenen Namen der 
Mutter, oder grofsen Mutter. Der Begriff der Mutter wird 
alsdann durch einen Geier (Vautour), der eine Geissei auf 
dem Rücken trägt, angedeutet. (Champollion Pantheon 
"Eg. Heft I. zu PI. 6.) Von dem Beinamen der grofsen Mut- 
ter, Aegyptisch ischor-maui, oder dschor-maut leitet Herr 
Champollion die griechische Benennung Tegf^ovrig oder 
OeQfiovttg ab, und hält also die mit demselben bezeichnete 
Göttin für diese Urmuller der Wesen. (Pantheon HeftVUI. 
zu PI. 23. a.) *) 

niaut Religions de TAntiquite. T. I. P. 2. p. 828. not. p. 900. 
not. 1.) Dies spricht für die von Herrn Tolken (Reise desFrei- 
herm von Minutoli S. 145. Taf. IX.) gegebene Erklärung einer 
stehenden widderköptigen Figur. Auf den Begriff der Rhea, wel- 
chen Herr Tölken auf eine stehende löwcnköpüge Figur anwen- 
det, werden wir weiter unten zurückkommen. 
*. ♦) Ich bemerke hier, dais ich in der Schreif»ung der Koptischen Wör- 

20 • 



2) in wc Mi icher GeataH, aber lail dem Ldwtnhwyt» 
das mit der Somanaelietke oder twm langan BiMUcm §o^ 

schmückt ist. In dieser Gestalt, welche unsren Bildsäulen 
anUprichl, It iigt sie den mit den Zeichen 9. 10. 11* der aa- 
gfhSafleii Taldi (Fig. A.) geadvieiMDaii NaoMii. Die Imh 
den letalen Zeidien bilden daa koptiacfae Wart: ein an* 

derer*), werden aber hier phonetisch genommen; das erste 
dar üruppe, ein 6ceptery ist, «einer Ausaprache aachi mek 



tat mit LateiuUchen Buchstaben M durch u, den 8ten BnchBta« 
bea dM-$ciieltiiM&en AJtfluMB (Gnm« Aegypt p. 2.) (das Mda) 
doKh H, den SSston (das cfti) durch eJk« den 25sCen (das «cArt) 
doFch tdk^ den jMsCen (das pM) dnrch den STvten (du cftcQ 
dnnli dUb, den Mten (das pMi^) daieh tJiA oder daek^ den iUMaa 
(das »hma) durch «Jt, den vorletzten (das dei) durch (i bezeicJine. 
Die richtige Bestimmung der Aussprache des Koptischen ist noch 
grofsen Schwicrif^keiten unterworfen. Es entgeht mir bei der hier 
gewälilten BezeichnHnf^ nicht, wie iinbchiiWlich das Italienische ci 
und gi durch tsch und dsch ausgcdriickt werden. Unstreitig ist 
, ea gefälliger für das Auge und richtiger für das Olir, sich, wie Herr 
A.W. V. Schleorel thiit, für diese Laute des Englischen ch nnd j 
zu bedienen. Dies iüiurt aber die, meines Erachtens, noch we^ 
lentUeiiere Unbeijuemlichkeit mit sich, Buchstaben, die in unserer 
Sprache festbestimnite Lante haben, nutsolcben na gebranchen^ 
die iknen eine fremde giebt Man kßMa^ wie es mir sdieintt In 
'aaserer Spmche fremde Lante nur entweder dnich Vefbindnog«« 
nnserer Bochstabea ia ihrer gewotmlichen Stellung, oder dordk 
ganx fremde Zeidien, wie Herr Klaproth in der Asia polyglotta 
gethan, wiedergeben. Dals das Engtische j* ein einfacher Laut 
ist, dürfte der Schreibung durch dsch wenig entgegenstehen, da 
man im Di Mtschen die, meinem Urtheil nacb, auch einfachen Laute 
ch, sch gleichfalls mit zwei und drei Buchstaben schreibt. 

*) Herr Cham pol Ii on führt, indem er in seinem letzten Briefe an 
mich diese Erklärung giebt, das Koptische Wort he, cAel, oder 

tfiÄff, als die Bedeutung der Zeichen 10. IJ. an. Trh mörlite aber 
nicht behniipten, dafs er darum das 10. Zeichen, den leeren oder 
ge^^ti eilten Kreis, als Buchstaben tiii A oder ch nimmt. In seinem 
hieroglyphischen System erklärt er es durch «, und ein späterer 
Brief Ton ihm bestätigt mir diese Entzifferung. Sie veriiägt sich 
tnch mit seiner jetzigen Briiauptung, da auch das Koptische Wert 



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1 ' 



«ufciili— r, «imI nü iImi ^dier auch iKeaar gaMe hmm 
4» OMmk. Dafe aW 4ia8e iSwenköpfige Figureii die 

Göttin Neitli vorsteilen, wird dadurcii aufser Zweifel ge- 
tIaUii da(is diese Göttin mit dem so eben beschriebenen 
Naman auf deai ialataQ Thaile dar grofsen LaieiNiiritaaie 
vericammt, dab na jarin Amt Amao^Ra «mailiailiar wm 
Seite steht, und in den daneben befindlichen Hierogl3rplieti 
4ib kMgiiche Gemahlin Paiehakas, eines Beinamen des Aon- 
mMy und köugllkha Muttar Pachakatw» aiaas Btmamm 
des Phihah, buaidiBet wird. Die GmUn li^l auch auf 
vielen löwenköpCgen Bildsäulen Beherrscherin der Gegen- 
dan Amaru (oder Asieibi^ ynd Sasa%' dia an aadfenOrtan 
totüB^ dar ^Mk^^iigaKlHiabMi Me^isiL' 

3) Mit mensddidieB» Haupt, aber nur mit dem tinte* 
tm Theile des Pschent geschmückL In dieser Gestalt wird 
aia hiar agt y ph iach so baiaidiDat>^wie >iBaa as m Herrn 
Clia«pomai^alMli^ti»ibft^ Fig. 12. findet, 
nämlich durch ein figürlichem Zeidien und ein nachfolgen- 
des t, dem auch wohl das Zeichen der Weiblichkeit bei- 
gi^iigi iat > Das^figli^^ Saielfa« iMite Harr ChampoK 
Ii an für awai Bogau mk ihren Pfeilen gahaltan. (a. a. O.) 
Jelzt erklärt er es für ein Weberschiff, dem es auch in der 
Thal viel ähnlicher sieht. Neben dieser Bezeichnung findet 
«eil bia w aita p phoaefciach nt, und hat oder uH heiki, nadi , 
Harrn ChampolUon (im La Oraaieoiian WSrteHiueh fiada 
ich das Wort nicht) ein Weberschiff. Die Sailische Gültin 
wird daher hierdurch, wie die Griechische Ü^lmcrva, als Er- 
findem und BaedmUarin .dar Wabaraian dargeatalit Dia 
Sailiseben Monumente bieten hfiufig diesen Namen, anf dia 
obige Weise geschrithen, tiar. Herr Cli a mpollion leitet 
sogar Neiih aus nat oder nci ab, und findet den Namen, 
der Göttin auch in dem der Königin JDfUokrU der sechsten 
DynaMia, den er, nadi £ralos4lienä» UabarsaUung dassal- 



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dl« 

p. 26a) vom N«ilh (wH) und «fcr«, «Mgen» aUsitel. Aaf 

✓ Nainenschilden, die Herr Champollion von dieser Köni- 
gin gefunden hat, kommt der Name out demselben Zeichea 
4et W^berschilfoy übrigens ab^ pbonoüsch vor *). In die- 
eer Ymvlelinig erhalt die Göllin Neiüi bei den ^Gaeelwi 
den Namen Bulo , and wird mit Latoiia verglichen. Sie 
gehört in dieser Eigenschaft tu. den ersten Aci;yplischea 
GtMMkm^ in . die uranfangiiche Nachl^ aber die üntteMdea 
SenneDgoUefr Piire. (Champollion Pantheons HeftlMül. 
PI. 23. 23«. Heft XI. PI. 23e. 25 r/. und die Erklärungen 
dazu). Denn Phre ist ein weniger alter Gott als ^niiM^ 
Ra (L e. UefllV. mi PL 24L} inid ao kanM^eüli iMMM^ 
gidch die erste Emanation Amon-Ra's, der gletcyilla in 
unmittelbarer Bexiehung auf die Sonne steht, Amon-Sonne 
ist (/. c. Heft L au PL 2.) mid Mutler Plire's seyn. 

Von "dem ersten Range der Gottbeil in die Gollhcilen 
des iweitcn tretend, wird Neith 

4) erstlich zur Nelpe oder Netphe, der Aegyplischen 
Khea, der Mutter der Isis und des Osiris. Die hierogly* 
pInsehe Beseiehnong dieser Göttin giebt Herr Champol- 
Hon im Pr^is du systtoe hi^oglyphique. (Kupferlafefn 
nr. 54.) Herr Salt hat (Essay elc. p. 36.) die hierogiyphi- 
adien Namen der Neith und Netphe verwechselt, indem er 
die figurlidie Zeichen des Himmeb (phonetisch pe) zu dem 
letfteren nicht hinzugenommen hat. Dieser Irrthum ist aber 
gering, da die beiden Gottheiten nahe verwandt, ja diesel- 
ben, nur in verschiednen Potenaen genommen sind. £s 
würde daher auch weniger sonderbar se3m, als es. beim 
ersten Anblick erschemi, wenn Netphe in einer Griechi- 

*) Herr ChampolliQii tiMilt mir in seinem llriefe Titel- anilN». 
Biensdiiid dieser Kinigia mit Ich habe aber daeae Schilde nicht 
hkr mit abbilden lassen, um il« hi«i(ui nicht vofnngieifoa. 



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T 



aii 

mkm, VM Ummi. Bank«« k dtr IMübe vmi fiMwh 
wb itbe ai a Inscluifl (Sali I. e. p. 46« not 7.) ab AUmi» 

dargestellt würde. Deno in der ThaL war die Aegyptische 
Rkea, Athene io der zweiten , me4irig«rei» PoiaiUB. Dage- 
gen Iii ieiae hemmg 4m Nmaa» in dem er (k e* j^474 
äm GMa Nelphe, Anephfthe gescshrieben , fpefonden lu 

liaboii glaubte, durcliaus iabcii. Ich verimilhelc bei der 
Ansicht seiner J\tipierla[eJ, dafs er das k mit detii p^{f IkM^w 

wk Übe, nni.4er Inewigl yp Iw u eS e INiwm 4m GäUmaM\ikiy 

die Aoiivpliscbu Vesta ( h a m ]) o 1 1 i üii raiiUieoii Heft Ii. 
m PL 19.) beseiciiaeii müsse, und He£iS|lHfbäinpoiiioii 

mmg ä mn jmr m mmg ^ )nm m i ' mir 
§ i B i lMi ih wn i P« i fc » jwftWf A> iMa n mnmii i t eft a t juicwAyr 

gen hntle*), vulikomuien. Der iN'^iii^ Aae^>Jiah^ • 
ia Hieroglyphen vorgekouuuen. 

6) S&weiftene wird Neüli sur Scbwealer des Aegypti- 
•dien Herkules» Tafne. Diese ist die eigenüiclie Jacarna- ' 

liOEi der iü\venkö|ifigeii Neilh - Beschützerin , uiil der wir 
uns hier beschältigen, und immer auch löweuköpüg, so wie 
ÜMT Ufhildi Die gpiecbischen inid. rdaiiseben SchrifisleUer 
and die Insdiriften in diesen Sprachen erwihnen dieser 
Göttin nicht, man findet sie nar in Hieroglyphcu-Denkma- 
* Uoy aus welchen Herr Champoliion ihren Namen iit sei« 
neni Sysidme liidni»giyplui|tte nr« 63. gt^ssben iiaL Das in 
diesen Inschriften dem Namen nachfolgende t gehört nicht 
zu deinselbeo, sondern ist der weibliche Artikel. Durch 
diese Inschriften nun lassen sich die beiden löweoköpiigen 
Gettheüen» die beide Neilh sind» die des ersten Ranges,, die 
Neilh* Besehülaenn» und die des aweiten Ranges, die Neith- 

. *) Di« Saltiictie SMnmlmig Aegyptui^w Allertkihner ht bekaiuitlidi 
Ton d«r FnuinciBchea ]l«gierai|g aifekiwCk wordea, und Heir 
ChampolHon beiofgle Ibra Venendnag sar See Ton UTorno tut. 



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tft 

Täiicy bcttirnnt untonditldeB. Die tmktff Übit 4ke tkmm 
erwilniteii (KupfertiM A. Zakhen 9«>IL) k dtn jetzigen 
Zustand des llieroglvplien - Studiums noch nicht lesbaren 
Zeichen» die letztere den eben erwähnten Namen mit aich. 
Ke .tÜMiiden Slatnen, die 'wir hier' ver uns hebete, «i4 
welche nui 

Tafne genüiml werden ^ soiulem können nur die INcilh des 
ersten uralten Götterranges vorstellen. V-oa. allen ähniicheii 
Sietiieiiy die Herr €4la<B>pe41>»»: gc a <Jie% ü<ir#wiiiiiM%^ 
»er jene Zeichai feMen, gitl üstfiih» '-i/T ii ' ii itilii I ilMljaM 

Herr Cliain I» o 1 1 i 0 n ausdriicklicli und bosliniint. Was er 
über diese siUenden Statuen in seinem- ei:fi4a&>v4^riefe at^ 
den Ueneg vcm BhMMMT (p. M)4«gl^'4lbnMMHiU|^^ 
•rileineiK WnilM^^ekigt ^flerr'Ovfttee»»^^^ 
moniinienli Egizj del regio Museo. p. 18.) eine den unsrigen 
ganz gleiche Bildsäule füLschlichHnt^dem Namen Taftie. «r 

Als Göttin des dritten Ranges wird Neith endlich 

6) cur Isis, so wie Osiris und Horns Incamalioim im 
Amon-Ra und Phthah sind. 

In dieser, aus Herrn Champollion^s neuestem Schr^ 
hen an mich endehnten». lichtvollen Aafiülhlaiig der venohi^ 
denen Vorstellungen und Eigenschaften der Göllin Neüli 
erwähnt derselbe nicht ihrer Erscheinung als iiithyia, Aegyp- 
tisch Suan durch wekhe Neith aseh mit der Griechi- 
schen Here «uammenh&igL Man kann aber über dieee 
die Erklärung zu den Kupfertafeln 28. 28a. 286. im XI. Heft 
seines Aegyplischcn Pantheons nachlesen. 

Nach allem, bis hierher Gosaglen leidet es demaech 
kernen Zweifel, dals die Bildsäulen, mit denen wir uns hier 

I 

*) Man seile die TonUenn Bach mann übersetzte Schritt des Herrn 
Angelo Mai aber die YaticMiiMdien Papyntt. S» 26^ B; nr. 7. 
Der Palken kopf efscfieiiit hier befremdenil, da das Zeichen de» 
Mttlleriidikeit bei den Aegx|iiiem iiamer der Geier vfL 



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fcniiiiiinji", VonleUMigiB der Neük in ikmr hmdmm-^ 
fiigtMchaft uaa ki Utatmi iMklistei Goitenrang« «a4 

Das Löweiihaupt und die Inschrift vereinigen sich, dies« 
Deutung feslzusleÜen; aulserdeiii ab«r folgt (Kupferiafel ^. 
2«ichMi i2b) in dm Innchnfttm unwer ^BiUw«ke mmiiU«!^ 
Ur auf dm Nainen der GöIUd ilur BUd. Denn in derkUjk 
nen, auf Aegyplische Arl am Boden silzenden Figur er- 
kennt man, obgieicii der an diesen Stellen sehr verwitterte 
Siein.die LiNffcmaeke^mhi 01^ deoüich leigt, doch den 
.IfaferiicJMB der ttihr vetlSngerten GeeidililiMe. ' 

An einci ganz, ähnlichen, uhI demselben Königsnanien , als 
die 'MAM:4§<in, versehenen Statue der Pariser königlichen 

iSj|iHNJwWi ielh^de»ipgpimhanjtt an dieier kldnen Figurnedi 
in aUan seinen Zügen siehlbar. 

Die sitzenden Statuen der Hcsc hülzeiiu Neith wurden 
in grofser Anzahl vor den i empein in gerader Linie, oder 
aU Zngänge, wie die Widder und iSphinxe, in DeppeUe»- 
ben aufgestellt, um diese beüi§en Oerter ge^ den ZulriU 

von üoUlüsen zu sichern, und Herr C h a nip o ili o n , der 
viele derselben mit einander zu vergleichen Gelegenheü 
hatte» glau]»ty dala die «narigan» eine ,der Pariser SanuDr 
hm^y iwei d^ Turinischen» awei der Saltiseben nUn anob 

nach Paris gekommenen, und drei des Valicans zu dersel- 
ben Do|>{i^eibe gehört haben > und von dem gleichen Qsi 

nach Eorepa gabraehi werden sind. 

< 

Namen- und Titelüchild des Königs. 

Der hisloiiach wichligala TheU der Mer betracbteliii 

Statuen sind die in der fnsdirift befindlichen Namenschilde 
des Königs, weiciier sie entweder selbst aufrichten lieCSy 
oder weicher der Gründer oder Versciiönerer des Gebin- 
des war> ver dem sie 9(aAden. ' Nach Heivn ChMpoK 



»14 

lieii*8 DeutiMg ist diM ÄMMpliii iL 4m acite&teig^it 
aehtaelinteii Dynaitie, wenn mn di« KSwgin AaMMa Ml* 

ziihll, tlorselhe, der bei den Griechen Memnon hiefe, und 
dem der grofse tönende Koiofs bei Thebae gewidmet war. 
IMi dieie ChaaipoUiMiMhe Effkläning die richtige Iii, wM 
es leicht seyn, aus DenknuüeiF^ die wir theiliVeethM^^WH 
in ge Irenen Al)hil(luiii;cn vor uns haben, zu beweisen. * 
- ' Die Einrichtung der königiiciien Nnmeiischilde ist schon 
ia»6anx€n hinlängtick bekemiL -JederK^nigJiilR^^NrtMM 
swei,' em«H w«lehett ^eh- den ^kebehiU nwiivili mMißtt^ 
seinen olücieiien lieinanien, eigcrillich seinen angenomme- 
nen Titel enihilii, ' und meistentheiis, jedoch bei weitem 
nicht immer, das pheneüseh geachriebene>rW«MHPW|fMMI 
eine Biene , ab Sinnbild dei - g e henani en ¥MwilMllfii!^ 
iubrt, und einen zweiten eigenthchen iNarnenächiid, iu dem 
seift Name ateht^ imd der ^ben nril der'^Somi^scheibe und 
def ^Fucksgans wsehen^ist ffar we^^dieee^ WMMMUlll 
die nämlichen sind,- Ist von - emem "elnd '^eifi^^lfRfff^nig 
die iiede, und in der liegel reichen die Titeischilde zur 
BeieiohnMig hin. iodefs lähm -lieebv'üe Köoi|p^«ii^ 
liad Mandtini ( Ghaapoili!«« i 'lettre iMlllMkMMM 
p. 85.) den nämlichen, der auch in der AbydiscMUlrtflhP 
schlechtslafel (es ist der 16te in der zweiten horizontalen, 
li«ihe' von' der rechten <^eit» «M^ |^ 
einmal vorkommt, da beide Kdnige uw nillli^if <Wi>^iiili» 
der folgten. 

Diese Geschiechtslafel ist als die vorzüglichste Ur- 
kunde SU betrachten y aus der sich die Reihe der Könige 
4er achtsidinten Dynastie und einiger der siebensehnten 

herstellen läfsl, und man mufs gestehen, dals dies Herrn 
Oha nipoüion, der aulserdem viele hieroglyphische In- 
«ehriflen und die Berichte Aianethns dabei benutate, ädsersi 
glücklich gelungen ist Die Tafel ist auf einer der Wände 



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315 

• t 

eines Gebäudes in Abydos eingehauen, die Wand ist aber 
oben und an einer ihrer Seiten zertrümmert. ( Cham pol- 
lion Syst. hieroglyphique p. 245. II. lettre au Duc de ßla- 
cas. p. 12. Salt /. c. p. V-VII.) Das übrigens gut erhal- 
tene Denkmal wurde in verschiedenen Zeiten von Herrn 
Bank es und Herrn Cailliaud entdeckt und abgezeichnet, 
und beide Zeichnungen sind nun, die erstere inHrn. Salt's 
oft angeführtem Werk, die letztere in Herrn Champol- 
lion's zweitem Briefe an den Herzog von Blacas her- 
ausgegeben worden. (Taf. 6.) Obgleich beide Zeichnungen 
im Wesentlichen übereinstimmen, so weichen sie doch in 
einigen Stücken von einander ab, wie man sich durch die 
eigene Vergleichung besser, als durch Beschreibung, davon 
überzeugen kann *). Suchen wir nun den Titelschild unsrer 
Statuen (Kupfertafel A. B, C) auf der Abydischen Ge- 
schiechtstafei auf, so finden wir ihn in beiden Zeichnungen 
als den dreizehnten der mittleren Horizontalreihe von Schil- 
den und erkennen ihn aus dieser Stellung als den des 
sechsten Abkömmlings des Stifters der achtzehnten Dyna- 
stie, dessen Titelschild die siebente Stelle in derselben Reihe 
einnimmt. Ehe wir aber in der Erklärung dieses Titelschil- 
des weiter vorgehn, ist es besser, uns erst zu dem Namen-* 
Schilde zu wenden. 

Dieser (Kupferlafel E.) ist an der sitzenden BiMsäule 

*) üebcr die Gründe dieser Abweichung drückt sich Herr Cham* 
[>oltion in seinem neuesten Briefe an mich folgendergestalt aus: 
La difference entre la table d'Abydos donn^e par Mr. Salt et le 
n\öme monumcnt dessind par Mr. Cailliaud, ne vient que de ce 
que Tun des deux dessinateurs a sii distinguer mienx que i'autre, 
au milieu des fractures les lignes Constituantes de quelques car- 
touches de plus dans la seconde serie. Le dessin de Mr. CaiU 
liaud est defectueux dans la troisieme rangee de cartouches en 
ce qu*il ne donne pas, comme Ta fait Mr. Bank es, toutes les 
vanations du nom propre de Ranises le Crand qui avec »on pre- 
nom ordinaire occupe cette troisieme serie. 



4er Bünufcoliieheii Sanwiiing, an 'der älwrlMMi|^ die IMeup 
glyphen vorlrefilieh eingesdnntten aMy ae sdiiSii lad ipsIU 
■Ifindig erhalten, dafs er nichts zu wünschen übrig lälst 
Die an den beiden iSackischen sind verwittert jedoch blei- 
ben die Buchetaben dee Neneii kemyüieb» Vergleieht tarn 
mm den erhaltenen NamenechHd und alle T^UdidnMe^ ae 
stimmen sie vollkommen mit mehreren in der grolseii Pa- 
riser Beschreibung der Aegyptisciien Allerlliümer abge^eich- 
neten> namentiich aber ant cwet ^vor -^eln PaüiMMdiMipA^ 
toi Tempelr «von Brnhoef (H I. M idi «ndMMti) herge- 
nommenen üburein. Es fehlt blols bei dem Namenscbilde 
der letzteren ein Zeichen, i^ufi&tl&ki E, Zeichen 13.) das 
aber, wie w gleieH^aehei»^ 'werde»K iiiiiihi iiilgwiiilirtilil» 
MH deradbd» imbeieaienden ' ¥ei«nderu^ 
6clylde die Herren Ciiaiiipoll io ii (Lettre l a jMi*. le Duc 
de ßlacas PI. 2. ar. 9 b.) und G a e z e r a {L c Hl 4. E*) 
nach einer atehe a dew -BildaäntoH^dee»' beMitAMiteAMll^ 
rnid nach emcoF eben ■ soleliAi eitsertden^MMHillprtMHflM 
snge ist, gegeben. Diesen Nameiisciiililen ganz gleich ist 
der in Herrn 8alt*s Schrift 1¥. HK^iä.) vorkomiq^i^idlll 
findücfa sind ^ieseibeii^cllüde an ^«to nMlilMg^^ 
kdofs, dem tiinendenKE)i^aer«4e^gy{)te TJf«#Mif|i^^ 
und mit kleinen, dea rvaiiiea nicht angeJiendcn Verschie- 
denheiten, au^- an dem südiichen (I. e» PJ. 21. nr. aiH 
zuireffen. , 

Die Namenschilde enlhahen sehr hSufig nach dem Na- 
men noch einen Titel, oder ein Deiwort des Regcnlen und 
80 Stehen, in dem unsrigen erat die Buchstaben u (Kuplier- 
lafel £• Zeichen 8. ) m (deichen 9.) n (Zeichen 10.) einer, 
der ein langes o, ü oder f bedeuten kann; (Zeichen 11.) 
dann folgt in drei andren Zeichen (Zeictien 12-14.) ein 
Titel Von diesem gleich nachher. Jene Buchstaben leaen 
sich also mit blo(»er Hinxuselaung der Vocidlenle Jmmp 



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317 

oder Amcnof. Da nun Memnon in einer griechischen In- 
schrift an den Beinen des nördlichen Tlichacischen Kolos-~ 
ses ausdrücklich, mit hinzugefügtem Aegyplischem Artikel 
€pafievw(f genannt wird (Mifivovog yj (pa/iievüjtp) und auch 
Manetho bei Georgius Syncellus (p. 57. ]20.) von einem 
Amenophis aus der achtzehnten Dynastie der Aegyptischen 
Könige sagt, dafs er für den Memnon, den tönenden Stein, 
gehalten werde, so kann die von Herrn Champollion 
behauptete Identität (Syst. hier. p. 235.) des auf unsern Sta- 
tuen genannten Königs mit den Thebaeischen Kolossen nicht 
in Zweifel gezogen werden. 

Man kann dem so eben Gesagten auch noch das Zeug- 
nifs des Fausanias (I. 42. 2.) hinzufügen, obgleich dies we- 
niger beweist, da nach ihm auch Sesostris von einigen für 
Memnon gehalten wurde. 

Bei Georgius heifst dieser König AfitvcScftg und ^fit- 
vüi(f &ig, welches vermulhlich daher kommt, dafs im Aegyp- 
tischen amnf nur eine Abkürzung von amnftp , dem von 
AtnmoH Geprüften j Gcbilliglen ist. Nach Herrn Cham- 
pollion's in seinem hieroglyphischen System (p. 238.) ge- 
aufserter Meinung, wurden beide ISamen gleichgültig von 
denselben Personen gebraucht, und er erklärt ein Grabmal, 
in dem man Figuren mit dem Namen Amenoftep fand, für 
ein Grabmal des Amenophis Memnon. Herr Salt führt 
auch einen deutlichen Amenoftep mit dem unverkennbaren 
Titelschildc unsres Amenophis Memnon (/. c. PI. 4. nr. 11.) 
an, so dafs es offenbar ist, dafs dieser König beide Namen 
trug. Indefs hat Herr Champollion selbst in seinen Brie- 
fen an den Herzog von Blacas doch den Unterschied bei« 
behalten, und den Gründer der achtzehnten Dynastie (Br. 1. 
p. 19.) Amenoflej), seinen Ururenkel (/. c. p. 38.) Amenophis I., 
dessen Enkel (/. c. p. 85.) Amenophis II. und den dritten 
König der neunzehnten Dynastie (Br. 2. p. 85.) Amenoftep II. 




»18 

ginMttiiil« Herr GhampoUioa sdrabl nir aber, dafii er 
nur mt der gewöhnfidMii Sdir^bung auC den Denkmalen 

getreu zu Meilyen, diese Bezeichnungen gewählt hat. Sonst 
heharrt er bei seiner früheren Meinung über die Einerlei- 
Mi beider Namen, und erklärt aicb jelai neeh deiilüeiier 
dahin, dab der Name, der bei den Griechen als Aummi- 

phis, Anieiioplillies, Aiiiinenephlhes und Auienolh vorkommt, 
nach der GeUuiig der liierosflvphischcn Zeichen eigeiitiich, 
nach Verackiedenheilen dea TbebaaiBchen'iMMNieni^fiiiNlM 
Difllecta, setfte^' Awt i elj^ » ^ oder Jtmemtp g€iMMiMilii^ 

und dafs er naiier v erfahren wäre, wenn er die Zahl der 
Kegenlen iiätte durch alle durchlaufen lassen. Wii kiich heiijst 
der Amenoftep der neoniehnlen Djnastie beftMMÜNNaMIII^ 
der, Härm Champc^ilien-Figeae {2ler0ri#HMilMM^ 
zog von Jllacas p. 157.) Amenopliis IV. Ich würde hier- 
bei nichl so lange verweilt haben, wenn Herr Ga'i&zera 
{k e* p. 21.) nicht irrigerweise die nothwendige Untersdie^» 
dang bcidi»r Namen als einen imnmslAUehen Grambata 
aufstellte. 

In der Rmhe der von Manetho angegebenen Könige 
ist Amenophi8«>Bfemnon der achte der acbliebnien Djma^ 
slie, und Nachfolger eines Thutmosis. Unter semen sieoen 
* Vorfahren ist aber eine Königin Aniense (Josephus contra 
Apienem L 15.) oder Amesse, und da diese die Schwester^ 
nleht die Tochter Aires Vorfahren auf dem Throne war, se 
ist Amenophis-Memnon nur der siebente in der Geschlechts- 
folge. Gerade so verhält es sich nun auch in der Tafel 
von Abydos, welcfae nicfat eine Reihe von Königen, aen- 
dem eine GescUechtrtafel denelben giebL Seeks andste 
Titelschilde gehen dem auf unsren Statuen gezeichneten 
voran, nämlich von Amenoftep (Salt. Mittlere Reihe. Schild 7.) 
•an gerefchnet, und die Tafel von Abydos stimmt also geBan 



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319 . . 

mit dein Zeugnifs Manelhos überein. (Champ o Ilion leltres 
a Mr. le Duc de Olacas. Lettre I. p. 77.) 

Durch diese glückliche Uebereinstimmung wird gerade 
dieser Amenophis der feste Punkt, an welchen die weitere 
Vergleichung des Schriftstellers und der Monumente ange- 
reiht werden kann. Denn einige wenige Ausnahmen ab- 
gerechnet, weichen die Namen des Manetho von denen der 
Monumente, und sehr bedeutend ab, wie man aus der Ne- 
beneinanderslellung beider (/. c, p. 107.) sehen kann. In 
der Zahl aber herrscht genaue Uebereinstimmung, und für 
die Abweichungen giebl Herr Champollion (/. c, p. 77.) 
Gründe an, die man selbst bei ihm nachlesen mult. Ich 
hebe nur die eine, wie es mir scheint, höchst glückliche 
Bestätigung der Champollionschen Behauptungen heraus, 
dafs der von ihm auf den Monumenten gelesene Name des 
grofsen Sesoslris (des ersten Königs der neunzehnten Dy- 
nastie) Khamses, im ganzen Alterthum nur bei Tacitus 
(Annal. II. 60.) und Ammianus Marcellinus (XVII. 4.) vor- 
kommt, wo die Stellen selbst zeigen, dafs er von Gebäuden 
durch einheimische Erklärer abgelesen worden war. 

Auf den Namen folgt, noch im Namenschilde, ein Ti- 
tel, der Amenophis den II. (um bei dieser einmal angenom- 
menen Bezeichnung stehen zu bleiben) von den andren Kö- 
nigen gleiches Namens unterscheidet. (Kupfertafel Fig. £. 
Zeichen 12-14.) Der genaue Sinn und die Lesung dieses 
Titels sind Herrn Champollion, so wie er es schon im 
Systeme hieroglyphique (p. 235.) gestand, auch jetzt noch 

-unbekannt. Von dem ersten dieser Zeichen (nr. 12.) ist es 
Herrn Champollion durch viele Stellen bewiesen, dafs 
es Leiter, Aufseher, Herrscher bedeutet, und es fm- 

• det sich in verscliiedenen Zusammensetzungen als ewiger 
Herrscher, Herrscher aller Lebenden u. s. f. Das 
zweite Zeichen (nr. 13.) ist ein k und mufs zu dem hier 




320 



gemeinten, noch unbekannten Aegyplischen Worte gehören. 
Es fehlt in einigen Inschriften, was sich eben daraus leicht 
erklärt. Von dem letzten dieser Zeichen (nr. 14.) hält es 
Hen* Champoilion für uusgeinachl, dafs es der symboli- 
sche Name irgend einer himmlischen oder irdischen Ge- 
gend ist, da in ausführhchen Texten die Zeichen, Land, 
Gegend, ihm regelmäfsig nachfolgen, und dasselbe auch 
in Texten in hieratischer Schrift im Turiner Museum bei 
dem Titel Amenophis II. der Fall ist. So wie oft weibliche 
Gestalten mit der sich auf Aegypten beziehenden Lotus- 
pflanzc auf dem Kopf auf den Denkmalen vorkommen, so 
finden sie sich auch dieses Zeichen als Kopfschmuck tra- 
gend. Als Beherrscher dieser Gegend wird der Gott Mandu 
genannt *). Allein welche Gegend mit diesem Symbol ge- 
nannt sey, bleibt ferneren Untersuchungen vorbehalten. 

Der Schild an dem südlichen Memnons - Kolofs hat zum 
Titel das gehenkelte Kreuz, und eine thronende Figur, die 
wohl eine Gottheit vorstellt. Man müfste ihn also wold: 
der lebendige Gott übersetzen. Eine der Sackischea 
Statuen scheint auch das gehenkelte Kreuz im Titel (Kupfer- 
tafel Fig. D, Zeichen 9.) gehabt zu haben, doch ist die Stelle 
zu sehr verwitlerl, um genau darüber urtheilen zu können. 

Die kleine sitzende Figur des Tilelschildes (Kupfertafel 
Fig. -4.1?. Zeichen 7. Fig.C Zeichen 10.) erklärte Herr Cham- 
poilion bisher für die GöUin Sale **) (Syst. hieroglyph. 
Planches nr. 51. p. 99. 100.) und übersetzte die ganze In- 
schrift des Schildes (/. c. p. 234.) Herr durch Phre und 



*) Man sehe über diesen Gott Champoilion*« Pantheon Heft 10. 
zu Tafel 27. Niebuhr's Inscriptiones Nubienses p. 10. 

**) Aufweiche Weise Herr Champoilion in dieser Voraussetzung 
die Verrichtungen der Göttin Sate in der Unterwelt erklärte, kann 
man in Angelo Mai's Verzeichnifs der Aegyptischen Papyrus (Bach- 
manns Uebers. 8. 12 — 14.) ausführlich nachlesen. • .' ' 



321 



Sate* Seit ganz kurzer Zeit aber glaubt er mit GewÜslieil 
gefunden zu haben, dafs die, vorzüglich durch die Feder 
oder das Blatt auf dem Haupte charakterisirle Göttin das 
Sinnbild der Wahrheit ist. Er übersetzt daher jetzt diesen 
königlichen Titel: Sonne ^ Herr der Wahrheit, le soleil, 
seigneur de verite, Nach den gleich anzuführenden Grün- 
den hat diese Meinung wirkHch sehr viel Wahrscheinlich« 
keit für sich. 

♦i Zuerst wurde Herr ChampoUion auf diese Vermu- 
thung dadurch geführt, dafs er am Halse einiger sehr reich 
ausgestatteten Mumien das Bild der Göttin, wie sie auf dem 
Titelschild des Amenophis vorgestellt ist, hängend fand, und 
dafs er sich dabei an die Erzählung Diodor's von Sicilien 
(L 75.) erinnerte, dafs es zur Amtspflicht des Oberrichters 
in Aegypten gehörte, ein kleines Bild, das man die Wahr- 
heit nannte, an einer goldnen Kette am Halse zu tragen. 
Hieran knüpfte Herr ChampoUion, dafs in der Vorstel- 
lung des Todtengerichts, mit welcher der zweite Theil der 
grofsen Leichenrollen immer schliefst*), nicht nur eben 

^*) Die genauere Einsicht in den Inhalt dieser Leichenrollen, der' 
• grofsen mit Bildern und Hieroglyphen- oder hieratischer Schrift 
versehenen Papyrus, die man gewöhnlich zwischen den Schenkeln 

< ■ der Mumien findet, verdankt man gleichfalls Hrn. Champoliion's 
gründlichen Entdeckungen. Die zerstreuten Bemerkungen, die sich 
darüber in seinen Schriften und seinen Briefen finden, zeigen, wie 
er selbst nach und nach tiefer in dieselben eindringt, und es wirJ 
höchst interessant seyn , einmal die vollständige Erklärung dieser 
grofsen Leichenrituale von ilim zn erhalten. Das in dem grofsen 
Aegyptischen Werk in Hieroglyphen - Schrift enthaltene giebt nur 
den zweiten der verschiedenen Abschnitte, in welche, nach Herrn 
ChampoUion, diese Rituale zerfallen. Dieser zweite Abschnitt 
wird durch die beiden Bilder, die Vorstellung der drei Kegionen 
der Götter, der Sonne und des Mondes (die letztere fehlt in dem 
Pariser Papyrus) und die des Todtengerichts begränzt. Sehr viel 
Lehrreiches über den Inhalt und die Anordnung dieser Leichen- 
rituale findet sich in dem von Angelo Mai herausgegebenen Ver- 
seifchnifs der Vaticanischen Papyrns von Herrn ChampoUion 
IV. 21 



SS2 

••Idie Figiir (als er bisher Saie OAimie) Vorsitzerin der 
kweitindWenig Riofater iil> ion4«ni mk ibr cfaaittktmü^ 

sches Sinnbild des Bkrttea ItSofig in d«r einen Wagschale 
liegt, indefs in der andern ein Gefafs isl, welches die be- 
gangenen Fehler des Verstorbenen vorsleUen soll (Die Pa- 
pyvm der V«lieaiMaBhai.>6ibi A«» ^ itaL 4es Angalo iM 
von L. ßachmaiui. Das Bkitt aUHt ihnen mithin 

seine guten, in Wahrheit und Gerechligkeit gegründeten 
UandiangeD^jentgegen. Beides kann man auch in dem gro- 
tei Atgy^Mm MmL <KBpleftarein. Antiquilfa Vit IL 
PL 72.) deutlich seten Wo die Wahrheit die oheea Watf i e 
dar Richter zur rechten Hand eröffnet, und obgleich auch 
die Riehter da» ihr charakteristische Bla Ii tragen, , am man- 
gaMenj Barl MmoMtk iA Mü diesen Syaätohm «erbindel 
811^ das ^eiele^ S^khcAi tiiea faieroglyphisch gMeh wa h en en 
Namen der Göttin, (Champo 1 1 i o n. Syst. iiierogl. Alphab. 
lir*vfl!5.) wekhes eia lÄngenmaals (coudee) vorstellen soll» 
Waa.aher in minen Angän dieier ttenerfn Erkläning das 
Hm, 'Gluiai{MiIiioi^ «den grö^Matan WerÜi^gieU, 4«| 
glückliclie Anwendung, die er auch hier, wie schon sonst 
öfter, von der uns durch Ammianus Marceilinus (XVU. 4. 
Ed. Bip. VoL I. ^ m) erhaltenen UebeneUunir 
Hekednachrift nach Hermfqnon macht In dieser Inschrift 
wird dem Könige Ramestes (wie er dort heifsl) der Bei- 
name ffilaXri&rjg gegeben, und auf allen Kömischen Obe- 
lisken hat Herr Champoiiion die Figur dieser sitaendeii 
Göttin mit dem Blatt auf dem Kopfe und dem gehenkellen 
Kreuz in der Hand angelrofTen, namentlich auch mit dem 
bekannten Zeichen des Aegyptischen Wortes, mei, geUebip 

(g«eliim>iMti|che Uebsfietsoag 8.1— 2S.) Bs wtrdtn darin vier 
Abschnitte denelben erwähnt Die Vergleichung der iihnlichen 
hiesigen Papyfui ia difser WifkMi behaUe kk mtM aadvea Ge- 
legeeheit vor. 



untniitelbar verbimdeiL Den Namen liest uod erklärt Herr 
Cliampollioii j«tst Midi «ade» als Uther» MMÜch mM 
mehr (Syit lii^. Pkadies lur.Sl.) M iMNidm mtm, inden 

er hiebei nn das Koptische Wo i L inäi, gerecht, wahr, denkt, 
and das s (was aber fernerer Hechtferügung bedürfen wird) 
ab priügiirtan BtiehsUiMii aiittiiuniL Er iiat »Siniich ttte 
im swe^ hieroglypfaMdia Zeichen des bisher titä geles^ 
nen Namen seine Meinung geändert, und hüll dasselbe nicht- 
mehr» wie ürütor (<äyst bierogL Alfdiab. nr. 30.) für ein 
aendem filr mt, weil er die Syibe ma dureh einen von die» 
aem Zeichen durohkrenslen , a hedanlenden Vogel, mühin 
als eine synonyme Gruppe von andren ma anzeigenden ge- 
lunden hat 

Die Güttin Stde, die darum 4en Aegypiiaohen Dank- 
malen nicht entzogen wird, indetHenr C hampoll ionjalat 

in der Göllin, die er bisher (Pantheon Heft II. zu Taf. 19.) 
Anuki benannte, so wie er der letzteren jetzt die Gestalt 
giabty welche Hpke oder 3>e (der Himmel Panth. Ueftili 
an Taf. 10.) fiihrt Denn er gestehl frdmOthigr data er In^ 
her diese beiden Göllinnen, Aniiki und Salc, die übrigens 
gewölmiicli eine die andre begleiten, verwechselt hat. Er 
Isl au diesam Irrlhnm dareh einan OngiiachHi eine State 
Lord Befanore vorsteUcBdei^ Kupferstich i^oMlat wnw 
den, auf dem die Namen dieser Göttinnen falsch gestellt 
sind. Der hieroglyphische Name der Anuki ist in dem 
Pamk^ (jHeft II. Taf. 19.) au sehen; der der $ate, 
kommt, wie An Heir Ckampollion jatat annimmt, noch 

nichl darin vor. Er besteht aus dem lOlsten, 28sten und 
6ten Buchstaben des ChampoUionschen Alphabeb, von welr 
«thaa aber dar eiate auf seiner ohsran SpÜM loch -einen 
abgestumpften Kegel trägt Der horisontale Strich des 

Kreuzes, aus dem dieser Buchstabe besteht, ist bisweilen 
ein Pfeil, wodurch das. ligüclichc Zeichen der Göttin, der 

21 ♦ 



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1 



a24 

PM^ nit d«r hieroglypiMcheii Gnip^ gepaarl ist llilil 
dem PCeil'bniigl Herr Champollion «iick den im Kopii- 
schen diese Waflfe bedeutenden Namen der Göttin, Sate*)^ 
m Verbindung. Dals in Amenophis II. Utelsclulde das Zei- 
^ eben der Wabrlieit dem Zeichen der Herrschaft vörangehl, 
ddrfte schon an sich nicht wuidem^ da ja der Genitiv in 
der Verbindung die erste Stelle einnehmen kann. Herr 
ChampoUion macht aber hierbei darauf aufmerksam, dafs 
auf architektonischen und statuarischen Denkmalen die Zei- 
chen; der Uelsen Symmetrie wegen, woM anders gestellt 
werden, als es die Aussprache fordert. In der hieratischen 
Schrift, bei weicher diese Rücksicht hin wegfallt, geht auch 
in den Titeln Amenophis U. das Zeichen HerTß die henket- 
lese Sdiale, dem Bilde der Wahrheit, der sitwndea GdfÜn 
•mit dem Blatt auf dem Haupte, voran. 

. Nach einer Hieroglyphenschrift im grofsen Franzöa^ 
sehen Aegyptisehen Werke ven mem Pfeiler des Südtem^ 
pek In ElephantiAe (Antiquit^. Planch. VoL L PI. a6..Fig«a.) 
sollte man glauben, dafs der Titelschild Amenophis II. auch 
einem andren Könige angehörte, dessen hieroglyphisch ge- 
schriebener Name EtUMtM gelesen werden kann» Ich hiell 
dieeen Namen Uhr ▼ersdirieben» nur die ausdrudciiche, die-^ 
ser Abbildung in der Erklärung der Kupferlafehi hinzuge- 
fügte Versicherung der Genauigkeit dieser hierogiyphischen 
Abschrift (Fig. tons les iairog^rphes sont exacts) iiefs 
mich iweafelhaft. Herr ChampolHon bestätigt aber meine 
Vermuthung, und sagt mir, dafs die genaueven Zeichnungen 
dieser Pfeilerinschdft der Herren Huy o t aus Patis niid Ricci 
ans Florens den Namen Amenophis gehen. 

Die Hiteeten TheSe des PaUnsbes von LoufMir, das 



*) NiHlleb m Mt, werftn, 8aU findet sieh im La Crosisdiea 
Wörterbudi nicht als Pfeih Der Pfeil hnbt aber daipn ntkn^f, 
'worin Mte dMMlIW'iStaannwstt.lieft. 




325 

MenmoiMm, der Tempel 4e$ Aiiiiiieii-CfaniilM vmi anAre 

grofse Gehau de bis ia Nubien hinein wurden von Ameno- 
phis Ii. Iheiis erbaut, iheils verziert Nach der chronologischen 
Bestimiming des Herrn Champoliien-Figeac (Lettre L 
k Mr. le Duc de Blaeas p. 107.) ßUit seine drnfsigjährige 
Regierung von 1687 bis 1657 vor unsrer Zeilrechnung, also 
um mehrere Jahrhunderte vor den Memnon des Troischen 
Krie^. 

§. a 

lascliriften. 

Herr Gaxsera giebi (!• c» Pi3. nr.2.3L) die Inschrif» 
' len von swei der Idwenköpfigen Statuen des Turnier Mu- 
seums, so dafs wir mil den unsrigen die Inscluiften von 
itinfen vor Augen haben, in Jeder von diesen finden sich 
Verschiedenheiten. 

Die E^richtimg der unsrigen, und wahrscheinfieh auch 
der Turiner ist so, dafs die den Titelschild begleitenden 
Hieroglyphen neben dem rechten, die andern neben dem' 
linken Bein der Bildsäule in einem schmalen Streifen her- 
ablaufen. ^ Ich fange von jenen an. 

üeber dem Tilelschild steht in allen der Gott ^ nute, 
(Kupferlafel. Zeichen 1.) der gute (woMthäfige , hcilbrin~ 
getuie) numef, (Zeichen 2.) der Herr, näb, (Zeichen 3.) der 
irdiseken WeH, io; (Zeichen 4 5.) In der Minujtoliscken 
foiel hiiiaiil noch: der Herr (i ig. ۥ Zeichen 6.) der drei 
Regionen, (Zeichen Ö. 7.) 

Dann kommt der schon oben erklärte Titelschild. 
' Hinter diesem steht eine Phrase , die sich auf das su- 
letzt nachfolgende Parlicipium: (jeliehi , ttiei (Fig. Zei- 
chen 16. 17. Fig. B. Zeichen lö. 19. Fig. C. Zeichen 21. 22.) 
bezieht . • 

' Das Wesen von dem er geiieblr wird, ist umnHleibar 



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3M 

ntfii dem TildtdliM «oagedrQskty.uiid 4ie ersten dcei&ffp 
dien nach demeeUM rind daher üi allen fünf InadniHen 

ohne allen Unlerschied dieselben. In einer der Turiner 
Statuen (Gaasera Pi.3. nr. 2.) und in unsren beiden Sacki- 
aaheii iit ihnen «i grSfterer Deutliehkeil daa figürliche Z«. 
dien der 69ttin (KupfertafeL Fig. A. B. Zeiehen 12.) bd^ 
gefügt, und dann folgen bis zum Ende der Phrase Tilel, 
die nicht überall dieselben sind. 

Von den in allen fun£ Inschriften auf den Titelachild 
folgenden drei Zeiehen und der sie beglettenden Figur habe 
ich schon oben bei Gelegenheit der Göttin Neiih geiedeL 

Nach dieser Gruppe Itommen in jeder Inschrift ver- • 
aehiedene Zeichen. Ich bleibe aber bei denen der Bnüni« 
sdicn jSlataen stehen. 

Auf der einen Sackiscbcn folgt in der Inschrift liier der 
Artikel des weiblichen Geschlechts (Kupferlafei bigur^ 
ZeidMn 13b) die beiden ZeieheBj welehe Herr Cbaittpol* 
lion (Syst hidrogl. p. 136w Planehes nr. 347.) durch NMreiU 
iig erklaii^ und uiil fehlendem Vocai dtichr (bei la Crofte 
äwhor) schreibt 

Auf der awdten Sackischen Bildsäule* steht naeh dem 
XÜtel der GMn wieder das Partid|»ttin mtd, geliebt (Fig. 
Zeichen 13. 11) uud ein darauf folgender Zirkelabschnilt. 
(Zeichen 15.) Diesen erklärt Herr Champol lion, ohne 
sich über die phonetisch^ Geltung aimulassen» fiir ein Zei- 
chen, welches ansetgt, dafs das Wort, hinter dem ea steht, 
doppelt genommen werden soll, entweder so daia es da- 
durch in den Dualis gesetzt, oder so, dafs sein Sinn ver- 
stärkt genommen, oder endlich so» dafs das Wort selbst 
zweimal ausgesprochen >(verde» Denn ea war, wie man 
noch aus dein Koptischen sieht, der Aeg:yplischen Sprache 
eigen, in Substantiven und Verben dieselbe Sylbe, nur bis- 
wetten mit verändertem Vocal, awiimal ai^ einander foi- 



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m 

gm m laMtt *)» Gflwöihiilieh föhrt aun BW«ir der Zirkel- 
aMniill hl dkier Bedeutung twei kleine ^Irielie nech 

sidi, wie sie im ChampoUionschen Alphabet (nr. 42.) dea 
Vocal i bezeichnen , und die Erklärung dieser beiden ver« 
büadeMn Zeichen, ab VerdoppelungBandeulung^ rtfirl ur^ 
sprinf^h ven Heim Salt her« Unere Inschrift hat nur 
das erste der beiden Zeichen, Herr C h a lap o 1 1 1 o ii versichert 
aber die Gruppe öUer so abgekürzt gefunden zu haben. 

Eine andre solche Abkfireuag siebt, er in deiselbeii In- 
sehrift in dem Gharaktery welcher dem am Ende stehenden 
Participium: geliebt , unmittelbar vorhergeht (Fig. B, Zel^ 
eben 17). Es ist ein s (Champoiiiou Syst liierogl. AI- 
fbab, nr. 86,) und der AnisngslKichstabe der sehen oben 
erwiibnten Gegend Se§mm, öber welche ^e Herrechaft der 
Güttin Ncilli durch die unmittelbar vorhergehende Schale 
(Fig. Ii, Zeichen 16.) angedeutet wird. In andren Texten 
ist der Name biereglyphiscfa voUsländig angeschrieben und 
mit dem erliutemden Zeielwn: Idond, Gegend versehen. 
Die Göttin trägt diesen Titel als Göttin des ersten Ranges 
in menschbcber Bildung sowohl, als mit dem Löwenhaupt 
yetgesteUt. 

Die in der fascbnft der IftnuteliSÜien Bildsäule auf den 

Namen der Göttin folgende Gruppe (Fig. €, Zeichen 15-17.) 
beüst: der Guten, {WohliAätigcn), Sie pflegt aber an an- 
dien Stetten swiseben den auC der angehängten Kupferlafel 
(Fig. C.) nut 15. mid 16. beieiehneten Charakteren noch ein 

f (Chauip oiiion. Sy&L hie(;ogL Alpliab. ur. il9.; m füh« 

*) Solcliü Worter sind tusUf Augenblick, chremrem, Gemarrael, Iof> 
lef, zermalmt werden, mohnek, denken, wutnmtn, btwegt werdea, 
Umim, Tfommel, IfNMIfiM, Demetii, e, s. w« Sie Khciamii 
wie so vieles in der Sprache , an« pbanetascher Gewohnheit ent- 
standen za seyn, und der Grand d^r Vefanderang des Vocab der 
Endeylbe Hegt waIiI in der grSüitipen dadilreh beswwkten L«l|b» 
tiafenlfc detf ftniamriiiilifii' 



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He 

dart Denn das ente Z«icli6ii diMer Qmff^ <iir. Uk) mi 

eine Theorbe, ein musikalisches Instrument^ das ab Syiabol 
der Wohllhäügkeit gilt. (Champoilion. I. Lettre au Duc 
de Blacaa p..l7.) Da utitliiii hierin scboii der gaaie Be» 
griff liegt, 80 kann das nachfoJgende (nr. 16.) nur die £«• 
dung des gcsj>rüchcücii Wurlcs yiof-ri seyn. Der ZiikeJ- 
absehnitt (Zeichen 17.) ist bekauntlicli der weibliche ArtikeL 

In der in derselben Insclirift weiter folgenden Gruppe 
(Zeichen 18-20.) erkennt man niir die beiden letalen des 
Plural andeutenden Zeichen, das erste ist bis jetzt noch 
von unbekannter Bedeutung, obgleich es oft auf Mnaien 
und Papynuroilen angetrofien. wird. Herr Champollioa. 
sieht es für ein mit swei Geilsein yersebenes Siegel an. 

Die letzte Gruppe der Inschriften der Mmutolischcn 
und einer der Sackiächen Staluen und die vorletzte der an- 
dren Sackisdien hei(sen: Ge^er de* Leken** Der Begriff 
des Lebens liegt m dem gehenkelten Schlüssel. (KupferliM 
Fig. A, Zeichen 19. Fig. B. Zeichen 21. Fig. €, Zeichen 24) 
£s ist das Koptische Wort önchh. Das vorhergehende Zei» 
chen, der Triangel, bedeulei den i Laut, (ChampollioB. 
SysL hi^. p.43. PL 3. Fig. 3.) und ist hier das koptiscfie 
itj ycöcH, Die ganze Gruppe sieht Herr Cha inpoliio ti 
für das koptische WoH itmehhOß beleihen, der ßeleöetuic 
m, da seiner Bemerkung nach, die langen Vocale.in su» 
sammengesetalea WGrIani kurtf au werden pflegen. 

Die Schlufsgruppe der Inschriit der einen Sackischen 
Statue hat nach vielen ötcUen und namentlich auch der 
Rosettischeo Inschrift die Bedeutung für immer j (etc^) al- 
lein das dadurch ausgedrückte Koptische Werl weife Herr 
C h a ni [) 0 1 1 i 0 n noch nicht anzugeben. (Kupfertafei Fig. 
Zeichen 22 - 24.) 

Die Uieroglyphensäule des - Namensehüdes Hängt bei 



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m 

aUcn hkf beUraehteUn SlaUm, auter der ItfioiitiijKtclwR, 
nnl den Worten an: ' S^kn der Sanne, te^ke ikn Uebi, rä, 

{Kupfertafel F'ig. ö. Zeichen 1.) schäri, (Zeichen 2.) m, Ab- 
kür^uDg von m^i, (Zeichen 3.) f angehängtes ProQomeQ 
d. persb fing. maBcul. (Zeichen 4.) 

> Auf der Muratoliscfaen Statae folgen auf die Worlei 
Sohn der Sonne fünf Zeichen (Kiipferlafol E. Zeichen 3-7.) 
flie theiis an sich, Iheils in dieser Verbindung in den Schrif* 
leBi^deS' Uerrt»^^€i»#'ii|p eJÜi o n^^aiehi angetroffen werden. 
M>aeiiien»^6riefe ,aQ imob aber gielit er über dieselben fol- 
gende Krklüruiig, die er jedoch voia der des 4ten Zeichens 
abhangig macht. Er glaubt nämlicii in diesem einen Aegyp- 
iischen iSfiaiifaji ^t^. >boi^i4iii fljNrne) au erkennen, und in 
diea^« y eUku n iHniig b i nt la 1^i ^w^^d^e Hieroglyphengruppe, 
welche dem Naiuenscliild vorhergehl: Sohn der Sonne und 
seith Uüd oder ^vörtilcher SptegcU Das drille Zeichen, w, 
bamy »»Jeirt«^4e»*iif i^T^ (ä ai aa a p ichen des Nominativs, 
t (i efff*f a i> «H i ll II i I i il iigAiaiiiläbtedies Verbindungawörlchens 
ttem, fm</, nehmen. Hr. C hampollion äulsert sich d;u liber 
nicht bestimmt. Das siebente Zeichen ist das schon oben' 
erklärte Pronomen der 3ten Person. Sehr merkwürdig aber, 
und für die ganzeIiieroglyi)hen'-Ehlaifierung erweiternd ist, 
was mir Herr Chan»pollion über das fünfte und sechste 
Zeichen mitlheilL Diese Gruppe wird nämlich gesetzt, 
woin ein sugteich figürlich und phonetisch geltendes Zei- 
chen in einer Stette die erstere Geltung» wie hier der Spie- 
gel, haben soll. Auf diese Weise bezeichnen das Auge 
der Mund, die Hand, mit diesen beiden Zeichen nach sich, 
diese Gegenstände, ohne dieselben die Buchstaben a, r, U, 
(Champollioln. Syst hierogl. Alphabet, nr. 9. 59. 22.) 

Aut diesen fungang folgt der Namenscliild, und nach 
diesem werden auf jeder der fünf Slutucn dieselben Hiero- 
glyphen wiederholt^ welche hinter dem Titelscfaild stehen. 



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Dit gMtte ImdiriA der BeriiüiMiieii BMma, dbü lim^ 
ncrlning der midi niclit Mi d iU ü er i i d ep Stellfln iautei d»» 

her folgendermafsen. 

Ich lege nemlich hier die Inschrift der einen Sucki» 
sehen SUiitte (Fig. B. D.) ab die v^Uttüidigeie iiiin Gmnde, 
wd bemetke die Abiwciehiiiigen in Parenlhewo iind An^ 

merkungen. 

Der Gott, der Wohlihätigc , der Herr der irditchm 
WeH, (Fig. ۥ der Herr der drei Meghnen) die Sonne, 
der Herr der Wahrheit, t>en der der GeUim 

Ncith') (Fig. J. der Grofseu) (Fig. fJ. der WohlthäHget% 

de» ) der doppelt geliebten **) lierrwkerm über 

SUem^ geUebiy.der Geier dee Letene, für mmmt« 

Der Sokn der Somtc gelieH ven ikr (Pig* E* und ikr 
Spiegel)***) Amenof****) (Fig. e. der Herrscher über 

£a tat hekanntf dal» den AegyptUohen Königen niehl 
Uela ersl nach ihrem Tode» sondern audl schon bei ihran 

Leben göiüiche Ehre «rwiesen wurde. 

' Versi^rmafl; de«* F\if«9««lelte. 

An den beiden Seiten des Fursgestells unsrer, und ver- 
nialhlich aUer ähnlichen Statuen sieht man eine Verschfin* 
gung von Lotosstengeln und Blumen, die man scliondarmn' 
nicht für eine bedeutungslose Verzierung halten könnte^ 

*) Dies Figöiclieii b«ftodet mtXk aar aaf des hekdim Saokiiclmi 

Statur Q. 

**) Herr ChampoUion übersetzt deua? foia aimabh dttme. Icli 
bin bei der auf daaselbe hinatMkominenden, wörtlichen Uebertra> 
gung geblieben. 

Die Worte gelkbt von tikr* feliiM liimr. 

**^> IIbb kum SB«!! AaienO kmen^ 



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wtU SM 10 tlberaos häufig und immef «uC /as( gans gUiclM 
Wdte gefondon wird. (Kupfertafel Flg. F. ferner Ddsor. de 

TEgypte T. I. PI. 16. 80. nr. 5. T. II. PI. 89. Ga«zerai.c. 
PI, 4, nr. 4. PL 9L) . Wo dieser VorsleUung die ganze Aus- 
lühning gegeben ist, siehen neben ihr swei Figupen/eine 
auf jeder Seite, die selbst Lotiia|>fl«ttien in GefiUscii anC 
dem Kopf tragen, und die der Verzierung zusammenge- 
knüpft halten. (Descr. de i'i'.gyple. T. I. PI. 10. nr. 5. T. IL 
Fi. 2a gr. Form. PL %L 22.) DioMlben. Figuren fcomoM 
andi oft einsoin tot, und sind zugleich mit dem gehenkel- 
ten Kreuz und andren Emblemen versehen. (/• c* T. IIL 
PL 47. nr: 4.) 

Da Herr Gees er a naeh Herrn Ghampollion die in 
diiaer Vertietung enthaltene Hieroglyphe für ein Symbol 

der Erhaltung oder Beschützung der obem und untern Ge- 
gend erklärt, so war es leicht, daft spatenuhnliche Werk- 
letti^ welches die Venierung in awei Hälften Iheiit, für die 
ariion oben erwähnte Theorbe, das Symbol der Wohlthä» 
ligkeit und Beschirmung, zu erkennen. Zwar weicht die 
Gestalt ein wenig davon ab, allein man ßudel auch auf 
aadren Denkmalen, da(s jenes Emblem bisweilen in ein sol- 
ehes benfSrmiges Bklt endigt, und mit dem langen Stiel 
nicht über den oberen Querstrich lünausgeht. (Descr. de 
l'Egyplc T. L PL 36. nr. 3. T. II. PL 21. nr. 2.) 

Auch in dam erklärenden Verneichnils der Papyrus der 
Vetifranisehen Bihliotbek (Baehmann S. 7.) Oberselii Herr 
Ghampollion diese Hieroglyphe in die Worte: WohltAm^ 
ter der obcrn und der untern Region* 

Die Beseieltoimg der beiden Theile Aegyptens, die hier 
mit der obern und untern Gegend geoldnt aind« Uc||jt in 
den beiden Loluspflanzen, wie durch eine Steile der In- 
sehrifi von Rosette (Zeile 5.) deutlich zu i>eweise^ ist. Nur 
Über den UnUnrsdbied beider Gegenden in dnr hicfoglyphi- 



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sn 

flehen DettltiDg lieft mieh dM, was Henr Champollion 
B1 801116111 PaDth^on (Heft VII. nt,7. A,B.) sagt, sweüel- 
haU. Sein letzter berichligen<ler Brief aa mich aber hebt 
alle Dunkelheit in dieser Rücksicht auf, und stellt beide 
Zeichen bestimmt fest -Das obere Aegypten wird dtureh 
eine Lotosart, deren immer blau und rotb-gefihrbte Btunie 
der Lilie gleicht, mithin durch die in uiisrer Kupiertafel zur 
Linken stehende Pflanse bezeichnet , die untere ^dtireb|^i 
daneben aur Rechten befindiidie niil andrer, biai ^ n^^j^rilfe 
gefärbter Bkune. In dieser Geslällr :der Bkunoi^^m^ äber 
in den zur Seile zerknickt herablüngeiiden Steugela liegt 
der Unterschied beider Gegenden. In dem fttedMWPtllN 
druck der Inschrift von Rosette ist swnr .iücIlbiterCbben 
angegebene Unterschied der Blumen, aber gaiiiii ikrfltlii eiiii. 
Verschiedenheit der Pflanzen selbst 'ds\x erkennen. '^'«^ ^ 

Die mannweiblichen> am Bait und «den mialMtmkWitiBt^ 
sten kenntlichen Figuren, welche der hier betraditeten Ver- 
zierung oft gleichsam zu Schildhaltem dienen (Descr. de 
TEgppte IL cc.) erklärt Herr Champollion für Vorstel- 
lungim des oberen und unteren Nüa. £r bemerkt nigUicby 
dafs die Aegyptier den oberen und unteren Tbeil ihres Lan- 
des noch bestimmter als den südlichen und den nördlichen 
fafsten, daher die Embleme, von denen wir hier reden^ auch 
den Süden und den Norden überhaupt beaeichnen. Er 
knüpft hieran sehr interessante Ausliifarungen, wie nörd- 
liche und südliche besiegle Völker auf diese Weise ange- 
deutet werden, und beweist dies aus Steilen hieroglyphi- 
scher Denkmale« Ich Irage indeÜB gereehlea Bedenken, 
hierin weiter einzugehen, um ihm niclit in der eignen Slit« 
Iheilung dieser interessanten l^ntdeckungen zuvorzukommen. 

Der Lotus spielt in der Aegyptischen Symbolik eine 
wichtige Rolle. £r galt aueh für das Symbol der £rha- 
benheii des gdliliehen ■Ventandes ülker die Materie. t)ieae 



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333 



DeulUDg war von dem Emporragen der langstieligen Lo« 
'tuablume über dem Wasser -hergenommen. Dieselbe Ei* 

genschaft veraniafste die Indischen Dichter, das sittlich Reine 
mit der Lotusbiume zu vergleichen, die auf dem Wasser 
schwimmt 9 ohne benetzt , zu werden. Man muls aber ge- 
stehen^ dafi» die Aegyplische Deutung tiefer geschöpft ist. 



1 M 



■ ' 1. 

Die ittiaerHem Z«mt«i. 

Von inelem werden dtefc SäulenhaUen, 
Wenn ilmeii MeiMdieiirede würde, seogen» 
Doch Mit Jalirtauaendeii tm diem schweigen. 
Und Meoichenstiiiimeii spnrloi dumpf v^haUen. 

Sind Seufzer hier beklommner Brust entfallen, 
Yeraahm man froher Jubeltone Schallen, 
Sind beide der Yergangenheit jetzt eigen« 
Und nie herfor ant ihrem Schootse ttdgen. 

» 

Es währet nichts, als was gefühllos starret, 

Die Weien, welche Schmerz und Lust empiiodeo 

YennSgen nicht den-Augenblich so bmden;- . 

'. ' ' ' * • ' 

Umsonst auf Bwigkeit ihr Sehnen harret. 
Erst aus der Hand der finstern SdiattenrnSehte, 
Erwachset sie dem sterblichen Getchlecbte. 



..Der 8«liaU«M* 

Nicht Finsteriiifs, nicht Nacht, nicht Tod ist Schatten, 
Der Schatten kana nur mit dem Licht tidi gAttta, 
Und in ck» Lichtai reinettem £alfalteii , . ? 
Die tehärfste Gräme , auch die Sehatteii bähen» 

Sie zeichnen alle Irdische Gestalten, 
Und bleichen mit de§ Tagsgestirns Ermatten. 
Wo SonnV und Mond ihr Ikhtes ReicU. erst hatten» 
Die näcktgea fichwinsen ■cihettentoe avn wallM. 

Und wenn der MeBech nSeht lebet melur enf Brden, 

Fühlt er, was Licht hier ist, zn Schatten werden 
Von Licht, das nicht kann durch ^die nebelfeachten 

Gefilde dieser dwikleii finde leaelilMu 
km ErdemcliatteB sidkre Abadiiiig liibet 
Dai reine Lieht» dn» Jeoieitf etralend glüiiet» ' 



' 3. • 

Irdltcber Zwiespalt L 

Demetern wir in reiner Dem uth dienen. 
Wir seheo zurar des HimiueU goidne Sterne, ■ 
Doch Geilt nnd Busen niemaUs sich erkfilmeo- 
ZU'idnreifen in.so vngenewae Feme. . 

Demi dafs dir Furchen Saaten fröhlich grünen, 
Gehören wir der Erde dunklem Kerne, 
Und untres niedren Looses Schmach zu sühnen, 
Ziemt UM, dafii ausre Brost nicht Zucht rerleme. 

Die Brde, wenn nicht Lfeht ihr HeKos sendet«^ 

Dem Himmel zu die finstre Scheibe drehet, 
Und Tagsgeschlechtj,^ mit Arbeit ringend, träfet. 

Das sich in enggesogDieni Knii teveget. 
Und Thrinen enileod, wo et Mühe aiet» 
Dankopfer doch der Q6fter Tenpefai spendet. 



397 



4. 

u. 

Mit iaatan Cymbelktang wir preitoiil «NeoeR 
Dem Gott der Stenenlnst und wilden Fmde^ 
Weil prächtig anmotiitTolle Augenweide 

Ihm unsre mächtge Zwiegestalt gesdiienen. 

Doch tpridit die Loit Bvr «iw Getang tud Ifienen» 

Die Broit iit attgefUlt mit Mrem Leide, 

Weil die oai eigenen Natinen beide 

Mit gleichem (JlUck an gleichem Stamm niebt gHinen; 

Die Enge dumpfer Thierbeit hält gefangen 
Der Menadüieit ahndnogeehnende Yeriangen^ . 
Und eie mit tribendem GewSUt nmldOial 

Doch sie, die gottentsprossne Hoheit füllet. 
Mit diesem fremden Element vermiAchet, 
Yenchleiert trauert, aber nicht eriiichet. 



22 



316 



Das Unwiederbringliche. 

Die schönen Tage eind dahin gegangen» 
Wo ans Albane ffeandlich jah veieinet; 
Wenn je uns jene Senn* auch wieder scheinet. 
Stillt nicht, wie damals, sie der Brust Yeftangen. 

Was war, kann niemals wieder man empiangen. 
Das SchiciLsal mit dem Menscben streng' es mua»t. 
Und was sein Aaas|>nidi einmal hat verneinet. 
Gewähret nie es thfSnbeaetsten Waogeo. 

Denn Zähren würden sich dem Aug' entstehlen. 
Wenn wir die tiieuren Hitapter sähen, fehlen. 
Die damals gUnneten in imsfem Kreise, 

Und zu des Aethers Räumen aii%eatiegen, 
Nun schlürfen, nach der alten Gotter Weise, 
UnsterbiichiLeit in laogentbehrten Zügen. 



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3M 



I>as fremde Ltnd. 

Wenn man verlätst der Erde reixend Grfioeii, 
Die Schritte sich zttoi Febemteg erktibnen, 
Und nao eikliiiinit die hohen BetgessStie, 
So starret rauh ten Schnee «lie ode Spitze. 

Wenn, woiün nie der Sonne Strahlen schienen. 
Man tief sich senkt in Schachtes oächt'ge Minen, 
Den Boden -s|^altettd> iHe mit JotIs Btttse, 
Stellt kalt Gestein in harter Brdenfttze. 

Und doch auf Erden kein tintschlafner bleibet, 
Der Tod ihn fort von diesem Lichte treibet; 
Wo wird ein scbdwes Land ihm neu erblähen? 

Von ans weiCi Niemand, wo es ist gfelegen» 

Und Forschen ist umsonst nach seinen Wegen; 
Doch schön Gemüth wird Schönes an sicli ziehen. 



22* 



340 



7. 

Kalter Trogt. 

Ich denke wohl bei mir: es ist oatüriichy. 
Dafo nicht im hehmk Apet jg^t lo ehea, 
Dab mancbmal Stnim und Klippe «ich erhnbMi^ 
Allein mint koaunt» lo trani^ ich uiwnllfcn hrK ch^ 

Dann sag ich mir: doeh Schein nur und figürUdi 
Ut Vieles, dem wir falsch Bedeutung geben» 
Und indie co mir em Geipinnct zu wcbey 
Ton Scfaeialioftgriliiden den^ und miimriidi; 

Allein des Busens still gefühlte Schmerzen, 
Die unbesänftigt gliilin im tiefsten Herzen, 
Dies kalte Denkm nkht in Schinmmer wieget. 

In ihnen nur des Daseins WahMt lieget^ 
Und des Verstandes blendend Gaokelscheraen 
Das wahr und rein Empfundne nicht betiüget. 



341 



8. 

-Die Getinaung. 

WM jeder thut und wakt mf dieMr Brde» — 
Er Bog' in Hurtengrobe Biriini entrebed, 
Br möge wellen itill nm Hehmtlis -Heerde» — 

Es ist stets vor dem Ziel doch eadead Leben. 

Wer will, daüi et rdleedct^ GAnet weide^ . 
Dec mifii im Buten tleh ein eignet weben . 
Aut Wenn und Schmers, Gelingen und Betchwerde, 
Dem Aeuitren niehti, dem Innren AUet geben. 

Dann kann er dreist ins Weltgewülü sich taucliett, 
]>ie Kräfte, die tontt uneiibrtcliet tchliefen, • 
An reiebgegebnem Surffe lutaftroU prüfen} 

4 

Es wird ihm nicht die innre Freiheit binden, 

Im wildsten Sturm sich wird er wiederfinden. 

Und wat vom Himmel «tammt; zum Himmel hauchen. 



342 



9. 

Der Ritter. 

per Ritter wHI gimf in den Bttgel etefigeo». 
Sein stimniig Rofs hüh tdion den Pnft gehoben. 

Da winkt ein M6nch am seiner Zelle oben. 
Er gebt hinauf in ehrlurchtsvollem Schweigen, 

* 

Und ?or dam Mönch sieh jene Kniee beugen 

Nach abgennnunnlm Helm. Nicht tcfameielielnd LoAten 

Vemimnit er, heiigen Bifen heftig Toben, 

Dafs Sünden noch sein Herz und Wandel zeigen. 

Und iLebreo soll er zu des Mittagt Stunde/ 
Er weif« eein Hen in Bevttth still no lassen. 
Er knTst des Alten därre Hand gelassen, 

Und leiikt äein Rofs zum Ruck weg, wie beloliien. 
Nicht seiner Seele milden Trost zu holen, 
Nein, zvt erneuen schwerer Kränkung Wunde. 



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343 



P 4 

0ie Treue. 

Als Knappe indoeoi Herro aof seifien Zögen 
Folg* ich», und treuer Bf otli deo Am mir etäUef, 
Dock meine Ahndug nidit et mir T^heblet: 
Vettdinirt wwd' iek hier in «kr Wöite liegen. 

Kurditlos mein Rofb und ich zum Schutz ihm tliqgcny 
Wenn er swn ZmX die IritthnjMen Feinde wählet. 
Sei mir der Tage lefeMer sngestiilet, 
Ich iierbe gen» eeh* Ihn idi herilich eiegen. 

Das dürre Gras der Stepj^e wird mich tlccJien, 
Ein einsam Kreuz auf öder Haide stdieUy 
Und die» foröbeni^hend, dann es aehcn ' 

Noch mein gedenkend, «erden rühmend sagen, 

Dals treu mein Herz in meiner Brust gesclilagen, 
Und Ireudig werd ick daiui im Grab mich »trecken. 



11; 

Weien dor Sohonheil» 

Wen das Gefiihi des Schönen soU durclidnngün» 
Dem wanU ans Sumenklarbeit et entspcingeD, - 
Wie Unadiiild g^Snaet vai dm Jungfrau Wangen» 
Die nodk nidit kennt der liebe fiila Veilangen» 

Es regt nicht frei die silberhellen Schwingen^ 
Wo Wönscbe menschlich nach^ Bcritie ringen; 
Nor am ea tief and tiefer sa anrfangcn» 
D«if Sebnaocfat brfimtig an dem SfcliSnen hangen 

Wer eine innre Welt sich also bauet 

In reiner Schönheit still empfundnem Walten» 

Dem Ton den Schlacken urdischer .GettaUett» 

Wie von den Stanen Hecieagkana» «e tiiaoet. 

DaCs Ton dem Himmel sei auf Erden Kunde, 
Steht sie mit allem Irdischen im Bunde. 



345 



12^ 

Der Komet. 

Wird daiiMt Schweiliei Sduminer sii erblkkieo. 
Mein Auge nodi da» Licht det Taget tdiianent 
Wird, wenn uns deine StraUen nalie rficiken, 

r 

Mein AmÜits scKon des Grabes Nadit nntliafien? 

Bern Men^heD w€chse]Dd Loos die Götter sdiidken» 
fir kann auf aichre Felaen niemals bauen; 
Der Fels auch iiililt der Brde krampfhaft Zacken. ' 
.Aul deinen Lanf kann die Seluinde tränen. 

Du gehst, gleich todtem Weltenulirenrade, 

Die vom Gewicht dir zugewägten Pfade. 

Dem Menadien Freiheit wählt die eignen Bahnen» 

Wo Leidenschaft ihn treibt, ihn Flüchten mahnen*' 

Sie führt ilia jenseits auch der Erdengränzen, 
Wo oft ihm kann dein lichter Pfad noch glänzen* 



34« 



13. 

D i e* F «1 k « üb er ge^ 

Bei Finclibadi im Gebirge der Sadeten 
'Giebt et zwei sdion bekrAnste ZwUlingphüjgelf 
Abrundend rieh am blaata Himmeittptegel, 

llaibmooden gleich, die- Schöpferhände drehten. 

Geatripp, au» Saameo, den' dort Falkea aälen, . 
Aufttarrend, Hemmnog setzt dem FolSi and Ri^jel: 
UrsprüngUclier Natur jungfraolich Siegel- 
Sind die töo reiner Lüifte Baoch Umwehten. 

Doch wollen Menschenhände sie entweihen, - ^ 
Mit Axt uod Beil die nppgen Strftucber haueD, 
Durchfarchend de mit Egg' dnd Pflug bebaiteUf 

DaCs, wo sonst Unschuld der Natur gewaltet, 
Jetzt Menschen- Kigeiimacht und Laune schaltet, 
So mÜBien sie die Döppeiwöibuag leibea. 



347 



14. 

Die Brabmin und dfts Sftdra-Weib. 

Entliehe dich» uoreifte Meatehheit- Schande! 
Wie kannst du Wasser hier xu schöpfen wagen, 
Da dti mtch, Reine, siehst am Ganges -Strande? 
Die liralüiiin sprichti, die Sudra hörts mit Zagen. 

O weh» da hast mir mein CMU nendUagen. ^ 
BaHoÜsige mit schmntsigem Gewände, 
Recht dir geschiehts; nieht in unheil ge Bande 
Gefaliit, puls heilig Wasser .man enttragen. — 

Die Brahmin schöpft, doch sie das Wassw fliehet 
Dem Sudraweib snm festen Ball si^hs roÜet» 
Und stall gebt sie sn ihrer niedren Hütte. 

Dem Stolz die IJralimin scliwere l>ufse zollet; 
Mit abgeschornem Haar durchs Land sie ziehet, 
Vom Mann verstofsen nach Brahmanen Sitte. 



348 



16. 

Haida. 

Ich sitz* und denk' in dieser näelitgeii Stille 
An den Geliebten, den ich nie liiehr sehe; 

Zam Sterne sag' ich, dafo er zu ihm gebe, 
Und melde; üim, wie Gram mein' Herz umquUle. 

Denn sq nicsh bannt hier ernster Fügung "Wüle, - 

DaCs ich mit Sun nkht kenne andre Nühej 

Als daCs sein Baach mich Ton dem' Stern anwehe» 

Aa dem ich hänge in Krmuruugäiulle. 

Sein mUchweiisreiaery stUier Aetherschiraoer 
Uns lenehtetii in jenen seeigen Tagen» 
Wo wir g^tanden uns mit Weone-Zagen, 

Daf» eines nur im andren konnte leben. ' • 

Darum wenn wir den Blick zum Stern erhebeo> 
Sehn wir in ihm noch unsres Glückes, Triunmer. 



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349 



16. 

A t e. 

Wenn ungUitkiiroliend leuchten tlie Planeten, 
Ein giftger Uauck von sclnvarzem Unstern webet» 
Dann auf der Menschen Häuptern Ate gehe^ 
Damit aie emdten» wai aie iref«lnd säten. 

Sie will der Erde Boden nicht betreten. 
Damit kein Ohr nach ihrem Tritt sich drehet; 
Wie ungeahndet schwarz Gespenst dastehet^- 
Will .«OS dai sündige Gescblecht sie jitan* 

Und wemi den Stolzen sie in Staub gebeuget, 

Sie in die Lüfte hoch den Fittig schwinget; 

Es hört der Meosch« wie dumpf sein Rauschen idinget» 

Und aogsterbleirlMiMl sittert €^ and sdnreiget. 
Tor des Gescbiekes fnrchllMir mAebtgor Gr6ise 

felrbebt des Menschenfrerels schuldge Biöfse. 



I 



350 



17. 

Leben im LebenloseD« . 

Nie ikrg und Thüler Lust noch Weh empfinden. 
Sind Scbauplats. nur, wo Bich Enpfindiiag reget, 
Die in dee Herxene Pulfen klopfend teblAget; 
Denn Mtfg^fiild kann niemals lie «sptzäaden, . 

Was uns der Vorzeit Stimmen fern verkünden» . 
Sahn sie, wie tb&tig es sich hat beweget» 
Gebläht, gelebt und sidi int Grab geleget; 
Wir Spätgebornen scbwftche Spar nur finden. 

Doch wie kann sein, was weder tuiilt noch lebetj 
Was keiner innren Regung Odem hauchet? 
Wir witaent nicht. Doch das was in uns strebet 

In Leben selbst dies Lebenlose fanebet. - 

Denn aus dem Sfeinbnich klippi^f r Gefilde 
Schafft Künstlermeüsel athmende Gebilde. 



351 



ia 

Kiftrh«it und Tiefe. 

Wer in die wolkenlose Bläue seliauet, 
Je mehr er sduiuend «idi darin vera^ket 
Sidi detto reueber mit dem Balsam tränket 
per von der Itcbten Höh' Jwraieder tfaauet. • 

So wer «ich ihrem Wesen fest Tertrauet, 
Und seinen BUdt aUein auf sie gelenkett 
Der fühlte reiner stets und unbeachrftnket» 
Wie Himmel si^ iit Mensdwehiiieii bauet. 

Denn wie der luftge Rautn dtn Kreis heiiranzety 
In den anmuthig Land und Meer sich leget^ 
So war ibr Weseiii ruhig gleich gew&get> 

♦ ■ 

Die Erde innig mit 4em Sanm berubiendy 

Allein von da zur Aetlierwölbung führend. 

Wie Sommernacht, von Sternen rings umgläozet. 



352 



19. 

Die Biche. 

Des Norden» ttanmkaft diclitbelaubte Bichefa 
•Die Konigumen beUsen wollt de» Bimn«; 
Wie duftig auch Gewächs in Süden keimen ' 
So brauchen deunocii keinem sie zu weichen. 

Sie sind des deutschen YoUks und Sinnes Zeiefatn, 
Und wie dop Heeras-Tiefe dnnUe Räume 
Nldit Knden^ dals am lidit die Welle' schfinme, 

Sie auch zugleich in E|rd' und Himmel reichen. 

Denn Starlte, die mit dem Gefühle ringet^ , 
Bis alte Tiefen sie der Brust dnrehdiinget, 
Und Fbantasie, die. sieh im Aelher wieget. 

Dem Zartesten sich an in Milde schmieget, 
Und sich in neuen Blütheu stet» vergünget. 
Von Uneit her in Thuskens VoUie lieget. 



> 



353 



20. 

Vereinigung. 

Wenn eintt der Erde dompfe Nebel aiiiken, . 
Die Augen stell» des Tages mfide, schUefsen, 
Und auf des Leibes Grabe Blumen sprlefsen, 

Wird reinen Aethersduft die Seele tfiukea. 

So gebt die Sage» uad der Stmne Blittken, . 
Die freundlieh nieder uns mm Htminel grolaen. 
Wird sie mit seinem Strahlenlieüt omflieCien, 
Sdion jetzt sie &ii im Leid uns Hoffnung winken. 

Doch daTs sich Dasein pilgernd stets eraeuet» 

Des Bosens Sehnsuebt keine Roh gewähre^ 

Und wenn der Mensch nicht weilet mehr auf Erden, 

Er sulser ahndendes Verlanyeü nähret, 
Von irrdischem» geschicdneni Sein befreiet. 
Mit dem, was er geliebt Jiat, Eina zu werden. 



23 



354 



21. 

Der Sehautpieler. 

Ei muJb der lHlenich zo Tidem sich bequemen; 
Ich mufs sä diditen krummen ifttch und winden. 

Ein Schauspiel jeden Monat neu erfinden. 
Und selbst die er«te Koile ühemehmeo. 

Die Herrn, die zusdin, nicht den Tadel sälunen, 
Durch gellend Pfeifen sie ihn laut rericunden. 
Und zShIen vor mir dann des Stöcke» Sunden, 

Heraus mich rufend, mehr mich zu beschämen. 

Drauf wird zu Hause mir der Text gelesen, 
DaOs, folgend -meinen läppischen GefnUen, 
Ich nach der Menge Beifall nicht will ütrehoi. 

Und wenn ick eiiitnal glücklicher gewesen. 
Man Beifall hat ertlieilet meinem Spielen, 
So lobt man auch zu Hause nur so eben. 



a55 



22. 

Blinder (relio^rsaiit. 

■ ' Frarje. 
Wanim hier stehst Du, wie granitne Säule, 
Dais starr uiir vor sich hin die Augen. seheB^ - 
So wie in Sonnenbrand und Stonneiwehen 
Bralunnne iteht, als ob er Sdimm nicht -theUe? 

Antwort. 

Der Brahme steht zu seinem Seelenheile, 
DaTs, wie die Weseu sich der Sinne dreheUi 
Gefühl und Denken ihm in Nichts Teichen, 
Ich 899 Gebocsam unbewegt hier weüe. 

Frage, 

Doch der Gehorsam sich auf etwas gründet? 

Antwort. 

Ein fester Grund ist pflichtgemäls^s Müssen. 

Frage. 

Doch wer Gehorsam noch so streng auch übet^ 

Kann doch die Gründe des Befehles wissen f 

twort. 

Durch Grübeln der Gehorsam wird getrübet, 
Die ächte Pflicht gehorchet und erblindet. 



23» 



356 



23. 
Burga. 

Sie dem Gemahl folgt in das Reich der Scbatt^, 
Und strafet seihst mit streng geliobnem Anne; 
Was sie erblickt^ erbaugt in Angst und Harme, 
Denn Zorn nnd Rachsucht nie in ibr ermatte«. 

Sie straft gerecht nur die gesündigt hatten, 

Docli nicht ges< hiehts, dafs sie sich je erbarme, 
Und Menschenljrust an ihrer Huld ei^warme; 
Sie übertrifft den furchtbar grausen Gatten. ■ 

Wie wer sich schwhnmend will am Felsen retten. 
Sich mub in sichren Tod der Wellen betten, 

Weil, wie er angstvoll aus die Arme strecket, 

r 

Zurückgeworfen wieder ihn die Flutb bedecket; 
So anzugängUcli Dni^as Busen starret, 
Wenn Menschenlippe auf £rh6riing harret. 



3^7 



24. 

Das Gold. 

Der Beiigaiäiiii wohnet in der Erde Sdilnnd^ 
Und fordert Bat, doch nicht xu eignem. Frommen; 
Des Tageslichtet Lmt ist ihm genornmen» 

Ib Dunkel jagt er nach clem reidien Funde. 

ünd doch hat man ron keinem Glänze Kund^ 
Yeigleichbar deoi den wir daich ihn beljjommen. . 
Der Some scheint« dee Goldes Strahl en^lommen. 
Wenn heiCi sie biennt in* schattenloser Stunde. 

Der Bergmann seinen ScJiweäs in Naclit vexgielsetf 
Und findet oft des dnrftgen. Lebens finde. 
Wenn foa dem eigw Weihe seiner Hände 

Zusammen über ihm die Erde schieCiet. 
In Finsternifs er daiiii begraben lieget, 
Des Goldes Schimmer alle Zeit besieget.. 



26» 

9 



26, 

Freiheit mid Geiets. 

Die MentclMii Natur die Fom .gen gebe«, 
1a der tidi regt ihr enget geiitgee Leben, 
Und ihre Blicke sieb im Stillen freuen 

Ao «cUÖngepflanzter ßäume langen Reihen« 

Doch der Natur anfiniehenid äppgee Leben 

Ift ein Terwirrtet Dutcheinandenreben. 

Wie Wind and Zefallbünd den Saanen atrenen, \ 

So Wies* und Feld den' bunten Sdunnck erneuen. 

DeoQ seibat was kreist iiaclt ewigen Gesetaen, 
Die keiner Freiheit WiUkühr kam Terletaen» 
Des Himmeb upgeiflblte Sternen Menge, 

Scheiut «ur ein fröhlich luftges Glanz>;edränge, 
Wo in den tief von Licht durchstrahlten Räumen, 
Wie Gras der ^acht» Myriaden Weiten keimen» 



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3d» 



26. 

Dit Wehmnth. 

Wie wenn dakin des Winters Monde gelieo» 
Und lanlten Zepjiyn liuie Löflte weliCD» 
Sidi ISsen' nach uod na«h der Erde Schollen 
Und fteudig fecMUiei die Wogen rallen; . 

80 wenn erstarret Gram und Kummer steken, 
Muü Wehmotb ent der Uensch sie MJunelaen »eheii. 
Wenn 191 Empfinden und im satten Wollen 
ErtSnen seeienTolle Klänge lolleo. 

> • ' 

Denn zwisclieu Himmel Mittlerin und Erde« 

Als eigeu einzig ikm . gegebne Blütke, 

Wohnt WehHuith tiel im meoMhUchen Gemfitfae, 

I 

• % 

Des Schmences starren TrtÜislnH so erschliel^ 

Und Schatten in zu blendend Licht zu giefscii, 
Dals sülser Dämmersckein dem UUcke werde. 




27. 

Opfer d«r Tyrannei. 

Dmn tt^aßB Weib der Sdumde m entziehen^ 
Tavebst da .in üire Brut dein merdend E«^» . 
Und da sie lufalt das Leben aebeidend fliefacn^ 
Die alilleb Zage nodi dicb segnend preiaea. - 

Befangen in der Knechtsdiaft engen GLeiaeo 
War Jibeine andre Frejiieit eucb ? eiüeben^ 
Ab in der Lnüe 6den« wilaten Kreiien 
Zu (nidicn Bnbe Ton der Erde lifiben. - . ■ ' 

Der Menscli, den Menschen hart in Ketten Si^lage^ 
So Herrschaft auf mit Sdavenelend wäget; . 
In taoaend Formen lebrt ea die Geiebichte, 

Denn wenn aucb MemeUicblLeit oft rügend waltet. 

Tönt KnechtschaftsklaiK*, ewig neu gestalte^ 
Docb wieder vor des £wg^ Ötraijgehciite. 



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28. 

Jano LudoTisi. 

Du teiltest nie, hast nie dich aufgeschwungen ' 
Zum GöttenitZy bist Dieraahb ihm entiitiegeD; 
In Marmor ewi|g ddoe Lippen 'idiwiegeii» 
Aot Künstler» Fhaataiie biit da entsprungen. 

Doch hast du eignes Wesen dir errungen. 
Da» rulit in deinen stillen Gottenögen, 
Und kein^ Madit der- Zeit kann et besiegen, - 
Da tief es ist in Mensdienbnut -gedtnngen. 

So alle Ewigkeiten zu durchwalten 

Dafs in der Schattenmenge Traumgewirre 

Er nicht» ein Bmekstöck nur des Uattfens» vre. 

Kann «aek der Mensdi zn Eignem sieh gestatten. 

Dem ErdenstofF ein Funken nur entsjirühet, 
Die eigne Bahn er dann selbst l^ichtend ziehet. 




29. 
Faros. 

Alt Hellas Rnbin noch nidit war gm gdaUeii^ 
Da horte man in Faros Berges -KlfiftaD • 
Die Kläoge des gesdiSlfgen MeiCwia sdiaHeo, 
Und Uire Mannorfelsen ferahin sdiifften. 

Denn boiies Bildwerk heilger Tempelhallen 
Entstieg den jetzt in Nacht begrabnen Grüfiteo, 
Wo LunstkM beut die dfirftgen Wofaner wallen. 
Und Wild grate einsam auf den oden Triften. 

Wenn deiner Fackel Licht sich bell eatuiadet, 
Adienes Aiiglanz, bildender Gedanlue; 

■ 

Wie machtig auohr «s die Natur amranke« 

Aus ihrem ScLoofs das Schöne los sich windet. . 
Wenn du nicht ^T^ii^t sein sehnendes Yeriaogeo^ 
Hält ewig sie in Dunkel es gelangen. 



36a 



30. 

Di« Jungfrau. Iiraelt« . 

Mit Stolz ich auf die Nachbarvölker blicke, 

* * 

Weil uns ti^r Herr xu aeinein avserwählet, 
. Und Jtnda's FlamaeiMehirert mit Kraft geatiUilet 
Zu bändigen der Heiden ^fredie Tikke* 

Die lllume reiner Frömmigkeit ich piiucke. 
Und uas kein Seegea der VerheiTsung fehlet; 
Drum Darids iieil(ser Harfe laut venniUilet 
Zum Dank empvr ieh meine Stimme tdiieke. , 

Wenn auch zerstört sind Zions Tempelmaueru, 
Und wir, zerstreut in alle Länder, trauern, 

Doch edier 3toiz in unsrem Biuen giüliet. 

- • 

Denn bis xor WellseiatScang Zomgeiichte - 
Doch in der völkerwägenden Getcbichte 
Rein uoveriniacbet unser. Zwölfstanmi bhiliet. 



364 



31. 

Die SeUauftpielerin. 

Der Biiline Bretter sind luetü wahres Leben, 
Dat eigentiidie Itab ich aufgegebeilt 
Und den-GeUebten our aiA Hera idi dHiekei 
Den mir der Tag aulolut ia jedem Stiicke. 

jPodi dies der nackten Wirklidikeit Entkeben 
bt nuf ein reiner ahndend Wahrheitsstreben. ' 
Denn tot det Dicfateis gottbeeeeltem .BAiciue - 
Füllt in GeieUck'iind Bnut aieh jede Lüeke. 

Die Dicht LiMg liin durch meine Lelienstage 
Wie reich gewirkten Gürtel zaiihrisch schlioget. 
Und wat in Menichenloote Walarlieijt bringd» 

Vor mir vefidiogt» wie alt ▼erschoHoe Sage. 

Der Tod erst beide Göttinnen vereinet; 

Zur Walirheit wird^ was irdisch Dichtung scheinet. 



M5 



32; 

Der Schmerz. 

r W . 

1. Wie ^ehst du «o beherzt den Pfad der Sehmerisen, 
Als fühltest nicht da deine Thrünen rinoeD? 

2. Da icli in Schmerz mein Leben mufs abspinnen, 
Soll er. mir oieiDes HüiUDels GUdz nicht schwärzen. 

1. Wie Gaukler kühn mit giAgeo Schlaii'geik' scheneeD,. 
Glaubet über ihn den Sieg du zu gewinnen. 

2. Wer Stärk« schöpft aus ruhig tiefem Sinnen, - 
Lülät dulUead uageu ihn am wunden Herzen. 

. Die Zeit rauscht hin in Wenn- und Schmerzenatagsn, 
Und Heil bringt, wai suriiek roh beiden bleibet, 
Dödi segffnsföUer ist des Schmerzens Zagen. 

Wem es des Leliens Prufungsbiick erweitert. 
Und seines Busens tiefste Gründe .läutert, 
Der keinem Schicksal sich entgegen sträubet. 



33. 

M o 11 j. 

Und foUteD nieiDe Fafae auch ermatteD, 

Ich mufste auf und ah doch spAt noch gehen, 

Um au der Balkeiulffke ihren Schcittea • ' 
YorüberstreUen wenigstens zu sehen. 

Der Liebe Pfeile midi betfadret hatten» 
Ich iLonnte mehr nicht selber midi ferstehen; 
Wenn Eiferradit tich und Yerlangen gatten. 
Gesunden Sinn zu Wahnsinn sie Terdrehen. 

Doch dieie Fieberglut ist längst T«rflogen, ' 
Und ruhige Yeitoniift zuruckgekehiet 
Nun sie zn mir hat Liebe angezogen, 

Doch ihre Neigung meine Kälte mehret. 
Der Schleier rollte vor den Augen nieder, 
Enttäusdit, so wie sie ist, seh' idi sie wieder. 



34. 

Die Nonne. 

Die Noone kennt Um iliren Klogtergarteu, 
Den ilire Hahde liebend sorgsam wafter. 
Die andre Welt ist weit Ton ihr geschieden, 
Vom Himmel wie die ErdjB ist biunieden. 

Auf stilie Rah der Bmst Verlangen harrten. 
Doch im Gewühl des Lebens bang erstarrten; 
Nun keine 'Wünsche mehr im Busen sieden 
Wallt er in ungetrübtem Seelenfrieden. 

Zwei Wonneblütlien Ruh sind und Verlangen, 
Die nie scag^ich dasselbe llaupt iimifangea. 
Brreichte Sehnsacht gleicht den Sonnenblichen, 

Die gaukelnd irmzcn .tuf der Woge Rücken j 

Die Ruhe aus der dunklen Tiefe steiget, 

Wo, fem vom Sturm, die feuchte Oede schweiget. 



35, 



Di« Doppetweien. 

Keiuiit.«fci wohl, Stella,j*ene alte Sage^ ' 
Die Kold durchwaltete der Vorzeit Tage, 

Dafs, die fest liebend an einander hingen, 
Als Doppelwesen duccli das Leben gingen? 

So dir SU seio mit jedem HerieiMscTilage, 
Ich das Gd&hl im tijBfen BoseD trage. 
Zwei Wesen engre Bande riie amsehlingen, 

AU mich dir, mir dich, Hohe, nahe hringe«. ' 

Man sagt wohl sonst, nm Nahe änzuzeigeo» 
lüaJs eins der Schatten ewig sei des andern. 
Doch wir fiel euger uns zusammenfügen; 

Denn wir von früh Uis zu der Soujie Neigen, 
Wenn einsam wir durch Roms Gefilde wandern 
Mit Einem Schatten iieide-4ins hegnugen. 



SM 



36. 

Bin alter Fttam-i, 

Der Bauiu, kein andrer, soll laeiii Grat) bescliatteu 
Mein Lebensloos steht mit iiiin im Vereiae» . 
'Oft vor der Sonne frühem JMiosgewclieiiie 
Schon sepae Ziieige mir geli>pek Iiatcen. 

Die We«en der Natur bedeutsam gatten 
Sich mit des Meiisciieu Schicksal. Bäume, Steine 
Es stMon bewahren, vrie in heiigem Schreine» 
Wie goldgeg^bne Schrift auf Marmorplatltn. 

Denn nie könnt* kh' miek von dem Baume tiemieti» 

Wie Schatten liinter seinem Körper schreitet. 
Hat er durch« lange Leben midi hegleitet. 

In der Geüuhle aehnsocfatSToUem Brennen. 

Ehrt' ich, wenn. ihn audi nicht die Blicke iahen. 

Doch seines Rauscliens mir geweihtes Nahen. 



370 



37. 

PfliehterfiiUong« 

Ein eingfl)orner Trieb, der es bestimmt, 
Beseelet jedes Wesens Sein und Leben, 
Uod mit dem tiefe» imiren SeeleiMtrolieii 
Den gleichen Weg da« änüte Schicktal iii«nt. 

Glück ist nicht Lust; sie plötzlich aufglimmet, 
Dann sieht man »ie erlöscht in Uaucii entschweben; 
Was wahrhaft Glttck allein der Brust kann geben, 
Ist Pfad, der nie rom Ziele al> mgIi krümmet. 

Und Ziel ist jenee Triebes ernst Brfötlea« 

Wenn Müh' auch ringt und 1 liranc schinerslich rinnet. 
Wer, still ergelien in den ewgen WiileOy 

Ans sich herf er des Schickanls Faden spinnet» 
Geaietst, wenn um ihn her anch Sturm nie schliefe. 
Doch Gottermhe in des Busens Tiefe. 



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371 



38, 

KntkcliulUigung. 

Mit Unrecht, Verse, nenn ich eucli Sonette, 
Da ihr nicht schlinget iu gleich engem Ki*ei:ie 
Der Wechselreime kidit gewundue Kette, . 
Mehr folgend fieiw, selbit gewählter Weite« • 

Mein Ohr und Sinn es freUidi iielier.htfte, 

Ihr bliebet in Hesperiens Woliilautsgleise, 
Doch den Geilank<;n auf Prokrustes Bette 
MüTst ich eiRpassea. seiftein Keii^gehHuae* 

Dem wahren Didiler tstt allelii gegeben 
Dafs, aus einander wie Ton selbit entepningeu, 

Sprachiessel und Idee zusammenstreben; 

Umsonst von Mulie wird danach gerungen, 
fch folge nur dem Trieb» in leichte Schranken 
Zu heften ftei buistromende Gedanken. 



24* 



372 



39. 

sieben Risciiis. 

Der Bfirin sieben belle Sterne lolm' n, 
Glaubt man am Ganges, jenen heilten Weisen, 
Die, zogeseUet za der Gotter Kreisen, 
la Indras ficfatumglüBstem Himmel wofane». 

Ihr wisset nidtts von jenem eitlen Thronen 

Von Wesen, welche Wahn und Dichtung preisen 
Ihr, Welten, rollt in weitge^chiednen Gleisen, 
Kein Land umschiingt euch in den Aethenonen* 

Der Welt Atome aoseimmdergehen, 

Und wenn Gestalt soll nnd Begriff erstehen, 
iVluIs sie zu einigen Ueni Gekit gelingen: 

Doch aadi in untenaischten Daseins Reinheit 

Gieht es unsichtbar wesenhafte Einheit, 

Und der zo nahen, mnfs der Mensch vollbringen 



Die 



373 



401 

Die Wolken liiu uud her am Himmel gehen, 

Und bald iicli treiineD, baid zusammenziebea. 

In lichten F«rb«ii bald liell fttokclad glähfiD, 

Bald Schwans wie Nadit» wie Schnae faiU flookig tlelian. 

So auch die Menschen sich im Wirliel drelien, 
lu buntem Erdenschmuck, wie Püauzen, blühen, . 
Sich ohne Ursach suchen und dann fliehen. 
Wie Spreu, bewegt ven Aeichlem Wiadeiwehfli. 

' Doch dareh dee inrliehtgleichen Haufent Mitte . 

Der Gotter ewges Scliicksal ernsthaft schreitet, . " 
r<jicht achtend auf ilur lauaenhaftea Wolleo« 

Nicht JanmecUagwi gilt» idcht flehftde Bitten 
Bs herrisch jeglichem seb Loos bereüet, 

Und jeder iqu£b dem müchtgcn Ehrfurcht zollen. 



374 



4L 

WaM«r Hit 4 F«mor. 

Da» Wasser und die Flaiumeu wild Tertcblingeo, 
Wai auf dtff fijxie nali«! Ihrem Kraifey 
Doch thun et beid* mI weit ^tchiedoe Weine, 
Wem jeoee laakt, eicfa dieie aedwfittt «dnriDgeB. • 

Des Feuers Krälte jedes Ding darchdringen, 
Die Flut des WasMr» bricht .durch Kelsen- Sehleoie^ 
So wfiten •ie><in<ifhlM»i«ikfil|Di4SWee^i^«b'i^i 'nulo iiakt, 
Und in JMCjP'sirh^i A «liMA^fM^^ «u^K^a tslW 

Doch v^enn den Stoff sie sclionnngslos verzehreti 
Die Flamme steigeod sich aetlierisch nähteti 
Und wai der £rde Bfiide niederh^ugeti • • * 

Durch ScfaiMTC f^eliateft sie, wie aea enevget,- • 

Dafs es empor sicli aus der Asche hebet, 
Und Phönix ähnlicli zu den Wolken strebet. 



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375 



41 

Di« Slale. 

Wie tchlaak die Stalt in die Ltfte n^ft, 
Sie fordert, dalii tie hSWet Knmtwerk kröne, 

Vermählend freundlich sich mit ihrer Sclione, 
Und iat zufrieden, daüi sie dieaeud trege. 

In Saal» kmtimml au UtOMmm GelAgt» 

Schmfieke, dafii dereh Aimiitfi K»eehtMhaft eie veiiobiie, 

Und nicht ihr Haupt anwülig dienstbar fröhne, 
Sie es, wie Qiuthenkekh an aono'gem Tage. . 

Uod wenn mn mkm dm FaUmtei X«il«ni, 

Sie, Ton GeMedi mtiiket^ eiAtin ilelie^ 

We Siedl San UMk eddltste^ term iieii wihel,. 

Sieht man, des Schmacks ijemnUt, sie einsam tt»mi:a» 
So iolirt, fon Hank uad Kiadera ionit amgebfn, 
Venraiates Weü» ia Gran vemiakMe Lebe». 



376 



* 



43. 

0er Osttill. 

Wo •traleDd her die Senae konmit geschntteRy 
Jst das Greschlecht der Stcrijlichen entsprun^a. ' 
Id früher Urwelt kindlich reinen Sitten 
Wird lieblicb da ihr efstai Seia berangen; t> , 

Zaerst bat dort der' Memch tidi >küki emtritlen 

Unsterlilich Licht, dem Dunkel abgerungen, 

Und ist mit leis gescliwungnen Geistertritten " j 

Bis zu der Gotüieit Wesen forgedniogeii» 

Drum dort hin eick det Abendt «Blicke «enden, < • ■ < 
Und todien'dort des UriichtA Iveodge Strahlen 
Doeh die oft schwachen Glanz nur aufwärts «eade% 

Und den Tribut dem 2«eiteiiwjechsel saUen, 
Denn wie am Himmel weebsefatd ' Wolken neben^- 
Muls vor dem Donkel oft das laeht^ entfllfehen. 



44. 

Eilen und Verweilen. 

Der Welt Betrieb iit, aienalt stelm xu bleiben. 

Wie Blut mag von geschwungnen Schwertern thaueu, 
Sie scheuet nicht des Todes linstres Grauen, 
Wenn sie nur fost und fort ihr Werk kAnn trcüben. 

Sie hau kein Mitleid» hemmt kein G^gauMMa, 
Man darf nicht rfickwirts, iotl mr ▼•rwamt echMe% 

Nicht klagend um Verlornes, weiterlj.iucji, 
Da£i Funken sprühen aus der KxMtt Beihen. 

Des Geistes Art dagegen .Ist YenraileB, 

Und sterr den Wkk auf Binen Punkt m lenken» 

Um weiter, als der Erd^gränze Säiilen> 

Sidi in die Nacht der Tiefe zu yersenken. ' 
Der Mensch mu£s beide Weisen in sich einen, - 
Doch Seelcnkleuiod ihm Beschannng seheinen. 



378 



45. 

Die Legirung. 

Das gltamendite dtr gHimcmlctt Metall« 
Ttt Gold ; et Htlio« Peaeriocken gldtßliet^ 

Und funkelnd es von Pol zu Pole reichet 
Im Sditaimer der gewölbten SteroeobaUe. 

Doch In MaMwiaiilb«ni Strähieiiballe, 
MH SÜbar et gepaavH nnM atfaleiobet, 

Und erst mit dem, was ihm an Adel weichet. 
Gemischt, madit Kunst, dals es als Schmuck gefalle. 

So iat des Mentdueo. Tveiben^ aoeb mid SiBiitii»' 
Die» im $m mnmdmhttm gt^oMen, < > . 
Nidhl ^oA von acfaneidigneiB Stoff diiwikfloiaiiii 

Zu starr und »{»rode sind iur irdisch Streben. 
Bin wenig Znaatz aefaon «arlangl «U» Leben« 
Wenn ea aell Aeia und Leiahtigktit gewlMMB. 



37» 



46. 

Heiliftme Zucht. 

Mao zidMt ttrafier an des Schülers Zügel, 
Bewegea nrafii -er sich ia engem Kreise, 
Aiheiteo auf die Torgesehfiebne Weite« 
Und wenn er abaciiweifl^ kürzt man ihm- itte Ftöget. 

So mübvoU er erklimmt des Wissens Hügel, 
Bii frei er gehn lernt In der Fottdumg Oleisev 
Und wenn er litt etat, wird betohnt mit Ketie, 
Und endlich 16tt der Weiahcit «ditet Siegel. 

Die bis zu ihr aufragenden Gedanken 

Bedürfen fest bestimmt gezogner Schranken; . > • 

Dea fieistet Feaiehi ieine Flügel werden. 

Die Schönheit nar entspringt am Formenstrenge^ - 

Die W{\hrlieit aus des tiefen Spähens Knee, 
Und Freiheit fessdlos nie frommt aui Knien. 



47. 

' Pi e Amaxo nun. 

Yeraditead ScblacLtgefalir und Krieyawülieii^, 

Eilt in deo Kampf die Schaar der Amazonen, 

Sie üicht den Feind, die eigne linkst nid^t .s< lioaeo. 

Nur Eine» fürchtend» weUiiscU feig zu fliehen. 

Doeh wie die tfaiinn Güecter Kjraft aach apcibeiw 
In ihren Zügen Sokners und WefaBwtli w^hnett; 

Dos Sieges l^'iL'uden niemals s.ie belohnen, 
Gesenkten Uauptei sie gtiau^itiu ziehen. 

So sait Ton HellM Kuiutt vard ab||c«ogien> : . 
Was fodem dM.Geadileclila» evge Haahte^ 

Das Weib miqcht muthig wioU akh dam Gefechte, 

Von der Gewalt des Schicksals hiagWMIgfik - 
Doch wUde Kampfluiil^ Zuvenicbt so liegen . 
Nicht liennt die Bnial» der Lieb* und Sehtttiiciit gliiigen. 



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381 



48. 

Macht and OhnmacbC. 

Was Feuer wilol im Felsgebirg* erzeuget, 
in uDgeheoren Massen anfgescliicbtet, 

Daraus Gestalt hervor dein Künstler steiget; 
Die edle Form den rohen Stoff veinicUtet. 

Der srarre Sleiif,'^er »eeleiiloi sMiir «ch 
Sich lebend nan'^Ui > 4leH Beitehaiier richtet« ' 
Vor dem Gedaukeir -die ' N*afffr< ' «ich ' beuget, "■*■>' ^ 
Und sich vor seinem Licht ia i elsnacbt flüchtet. 

Des Lebens innre Kraft den Tod (»esieget. ' 
Wie mächtig Stellt 'IM Stefai sieh iettge tilget,' ^ 
Der Pflaba^ iquiUend Wadi^b iie iterspteäget 

Allein das Lehen aiiclt dtm Tod erlieget. 
So ist der Sterbliche in Loos gezwänget, 
Wo Seift und Nichtsein wechselsweis sich dränget. 



882 



49. 

Die RIement«. 

Die Luft im Wogen« Sioken ist und Heben» 
Sie and da» Waieer wecliaelnd licU evseugen^ 
Wenn feucbte Nebel «af- und abwilrti steigen» 

Der Flamiiie Spitzen miaiät iodernd beben. 

Sie alle anm ferwaadten HiiiMnel streben. 
Die Finthen sebasuchtsToU snoi Mend sich iieigeB, 
Jht Flamme SprAhn ahmt nach der*Sfcetae Beigen» 
Dodi alle niedrig sie im Dunstkreis schweben« 

Die Erde nach so kühnem Ziel auoht jüget; 
Sie bleibt am Grund» und Wohming bietet 
Dem Alensdien) den sie lebend nährt und hütet» 

Und todt im kühlen Schoofse freundlich heget 
Und seinen, tiefem Sinn entschöplten Worten 
Krscblielsen irabrhaft sich des Himmels Pforten« 



4 

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383 



60. 

Die Zeit 

Wm kt der Strang der keinen Ursprung kennet. 
Und sich in keinen Ocean ergielset. 
Der ohne Unterhreehung ewig flie&et, 
De£i Länge keine Zunge tnesiend nennet? 

Die Zeit es ist, die alle Diuge trennet, 

Und doch im weiten Bett zasanunenschliefset) 

Die in. demselben Na vergeht nnd spriefset. 

Und mehr Tersehrt, als Glothj die lodernd brennet. 

Doch der die Allmacht vor nicht Gränze schreibet. 
Der setzt der Menscli in seinem Innren Schranken 
Durch seines Geistes Fühlen und Gedanken. 

Denn was in ihm bestandig gleidi sich bleibet. 

Das tkr Natur gemäfse, stete Wollen 

Lälst lort sich uiciit Tom Zeitenstrome rollen. 



384 



ÖL 

Di« Bagaette. 

Da Alles, was uingieht mein innres Leben^- 
Ich flecbt' in schnell ? erblühende Sonette, 

♦ 

Muiüi ich vor AUem auch in <ie Terwebeu 

Dich^ Bmsl und Spiel, leicht wiegende Baguette. 

Wenn Wichtiges idi glücklich wollt' erstreben» 
Zurück ich niemals dich gelassen h&tte, 
Wenn mich Gedanken sollten still umschweben, 
Umschnukeltest du ihre schwanke Kette* 

Doch wie wer lang'' auf hohem Meer geschweüet, 
Dafs endlicli er Gefahr und Arbeit meide, 
Das Ruder müde heftel in die Erde; 

So ich, Baguette, oft jetzt von dir scheide» 

Und bald dich, also niederlegen w { ide, 

Dafs nieisaU meine Hand nach dir mehr greifet. 



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865 



Die Nat«r. 

Die nuiD die Jf ntler «Ucr Didge Bcnael, 
Die ewig« Natory der JPrtMht uad Bliidie ' 
EotoprieTieii» die al» Ur^piett «Her Güte 
, Der Menidi a^itt^ dia Mitleid niemals kmuat, 

i^ji liarien, unerbitdiehen Gemütlie 
Siet mm «eh lieH »awideinillich treonet, - - 
Und ftatt d^ aie det MeMciien Vfmk behiitej 
Sie niademhBaCftfft, 'fibesMlnranMnty ▼«tlNDeanat. 

Die weise iiält die Erde eingepr^seti 
Die wilden Kvillte» stänniscli iot sie l&aset, . 
' GetdUec^ter nach (SeäcUaoiitaiii f^annm aeliMile^ 

Und Menschennoth uud Meui^ che ti seh merz iiidit aditet» 
Zufrieden, wenn nus Kräften Kräfte streben. 
Und durch einander wimiaeki Tod und Leben. 



< 

De? Tod. 

Den Geilt mit heitern Bildern' nngefüttet« 
Aut weichen mir de« l^ebent Glfiek geqoellea^ 
Will ich dem Tod die letsten Standen- sollen^ 

Dem Gra}>e Iiold, das jedes Sehnen stiUet. 

• 

I 

Ich werd ihn sehen frei nnd iinverhüUety 
Den In ider Ewigkeiten ewgem Rollen 
SteH gleichen; ond doch' ewig wechedvoUen, 
Der Leben lehHeikt» >mid aw dem Leben (fnillet. 

ich sterbend gern auf meine Jugend schaue. 
Denn ich der Liebe heiler Kraft tertiane» 
Die in der BIfithe der MIhfe griadel» 

Was Herz au Herz in heifsem Glühen dränget. 
Des Todes starre Bande sehnend sprenget. 
Und überm ^ Grabe 6llchelld.wieder^i^det. 



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387 



■ 64. . 

Des Alters Gewinn. 
I. 

Ich schelte nidit des Hauptes giwie Haare, 
Die sidi allii>8Mig ia die daiiUeii scbleidMii; 
Wenn alle dmiideii auch einmal eibleicInD,. 

Idi doch Zufriedenheit in mir bewahre. 

Viel gute Gaben bringen viele Jahre, 
Wenn Reiz and Frisclie m dem Weihe weichen; 
Sie lefDt, dab sich nicht alle Tage gleidten, 
Znm GLiIdL nidht hilft, dals man sieh Mfibe Iqiare. 

in vieles will die Jüngre nicht sich fügen 
Worin, die Aeltere sich lernet schicken. 
Um sich mit stülen Seatam m besiagan. 

Dann in den nihgen, immer gleidien BliciLen 
Trügt sie des Busens tiefen Seelenfrieden, 
Der selten schmerzlos wird erkauft hienieden. 



SM 



57. 

Irditchet Treiben. 

BiD schwinmieiMl fiQaad wohl ein Schiff »an nentoel, 
Denn riagt fet et toii Wogviflm uingdben, 
Und Vehen gleich, die ^ber Meer tteti hetten. 

Die Menschen wahrend es vom Wasser trennet. 

Doch nicht der Feste SidMrheit'et. lteBnef* 
Leidit umfif et auf der Wellen Rftcken »dnrebeo^ 
> Und selbtt die febenhanen Henen' beben. 
Wenn anfgewohlt der Stürme Wntfa entbrennet. 

So ist Yon himmelstroroenden GedaniLen 

Im Erdgewöhl dea Menseben Bniit nmflfliMen, • 

Und in des WandeldtBeyiis irrem Sdkwanlben 

Erblüht Geffihl an ewijeni Quell entsprossen, ' 
Doch unerschüttert fester Seelenfrieden 
ist nur der Gdtter ebraem Sits besdneden. 



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Dici